Capitul XV
Lorenz reitet mit adeliger Gesellschaft ins Narrenspital, findet unterwegs eine halb tote Frau

[43] Hierauf wurde unter etlich anwesenden Gästen kurz resolviert, den Doctor ohne Bart und die andern Narren alle zu sehen, und mengten sich ihrer viele in die Compagnie, denen man es nicht sollte angesehen haben, daß sie große Liebhaber von solcher Curiosität wären. Niemand war lustiger als ich, deswegen spitzte ich mich auf die Abreise, wie ein lausiger Schüler auf den Degen. Und weil ich's bei meinem Herrn gewohnt war, ließ ich einen heimlich in die Hosen fahren. Das stank bei der Hochzeitstafel wie der Teufel. Nichtsdestoweniger durfte doch das Frauenzimmer sich dessen nicht beklagen, noch tun, als ob sie es riecheten, darüber ich mich fast halb bucklicht gelachet, denn zu solchen Sachen war ich perfect abgerichtet, und je ärger ich's machte, je lieber war es meinem Herrn. Ja, ich hatte auch einen Hund an der Seite, wenn ein Gast sich zurückwandte und fragte, was so stänke, so stieß ich den Hund mit dem Fuß in die Seite, daß er hätte voneinanderplatzen mögen. Und solches trieb ich so oft, als oft ich in einem schlimmen Verdacht war.

Damit aber meiner hochwichtigen Reise nicht vergessen werde, machten wir uns insgesamt nach vollzogener Hochzeits-Ceremonie halb toll und voll auf den Weg. Denn weil bei dergleichen Zusammenkünften viel Gesundheits- und Brüderschafts-Formuln sich zutragen, säuft man sich desto leichter einen Rausch, und es konnten's die Herren nimmer so gut machen, daß wir Jungen uns nicht gleichermaßen unterstanden, uns untereinander mit den Biergläsern herumzubeißen und Bescheid zu tun. So kamen wir trunken auf den Weg, und weil das Gebäude des Narrenspitals etwas weit von dem Hochzeithaus abgelegen war, machten wir uns noch selbigen Abend auf den Weg, damit wir des folgenden Morgens desto besser Zeit und Raum hätten, die Kammer der Narren zu besichtigen. Also ritt die[43] adelige Suite voran, und wir Jungen folgten teils zu Pferde, teils zu Fuß hintennach und zerrissen unterwegs einander die Liberey-Röcke, weil wir sonst kein Mittel ersahen, uns den Weg, als eben durch diese Kurzweil, zu verkürzen.

Wir mußten durch einen großen Wald, außer welchem der gemeinen Sage nach das Spital in einer großen Au aufgerichtet stand, und daher hieß man es das Narrenspital in der Au. Deswegen hofften wir, den Ort bald zu sehen, weil wir allgemach eine Säule erreichet, die den halben Wald entscheiden sollte. Als wir diese Säule vorbei waren, erhob sich vor uns ein jämmerlich und erbärmliches Geschrei, dergleichen ich noch die Zeit meines Lebens nicht gehöret hatte. Erstlich glaubten wir, es ginge ein Mord vorüber, weil die Wüstenei dieses Waldes einen ziemlichen Aufenthalt der Diebe gestattete, welche vom Leute-Morden sonst Profession zu machen pflegen. Deswegen machten die vom Adel ihr Gewehr fertig, und die Diener griffen zu ihren Degen, welche sie, wie ich glaube, noch niemals herausgezogen hatten. Darum ist es desto glaubwürdiger, daß sie mit denselben noch niemanden beschädigt oder über den Rumpf gehauen haben. Mir war bei der Sache angst und bang, und die Lust, die ich zuvor getragen habe, das Narrenspital zu sehen, wurde mir durch diese ungewisse Furcht trefflich versalzen. »Ach«, sprach die Stimme, »kommet mir zu Hilfe, ehe ich mein Leben verliere! Helfet, helfet, sonst ist's um mich geschehen!« Diese Worte verstärkten die vorige Mutmaßung, und Herrn Lorenzen war bei der Sache fast wie mir, und wenn er Schanden halber nicht hätte fortgemußt, er wäre ohne allen Zweifel wieder zurück und vor dem Streit hinter seinen Ofen gekrochen. Aber da half nichts davor, also kamen wir endlich mit tausend quälenden Sorgen an den Ort des Lamentierens, sahen aber nichts als eine Weibsperson von hübschem Ansehen, die klagte uns, wie sie uns nach ihrer Aufhilfe ihren Zustand erzählen wollte. Deswegen zogen wir sie aus dem Graben, darein sie geworfen ward, nach welchem sie sich an der Straße niedersetzte und folgends zu erzählen anfing.

Quelle:
Johann Beer: Das Narrenspital sowie Jucundi Jusundissimi Wunderliche Lebens-Beschreibung. Hamburg 1957, S. 43-44.
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Sämtliche Werke - Band 5. Weiber-Hächel, Jungfern-Hobel, Bestia Civitatis, Narren-Spital. Herausgegeben von Ferdinand van Ingen und Hans-Gert Roloff
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