Vierter Auftritt.

[130] Constanze, Moritz. Dann Gustchen.


MORITZ verlegen. Mein Fräulein!

CONSTANZE verlegen. Mein Herr –

MORITZ. Die eigenthümliche Lage, in der ich vor Ihnen stehe, macht mich verlegen, und doch – doch habe ich Ihnen so viel zu sagen –

CONSTANZE. Ich weiß nicht –

MORITZ immer unbefangener. Seit sechs Wochen, seit dem Augenblicke, wo ich Sie zuerst am Fenster erblickte, habe ich keinen heißeren, keinen dringenderen Wunsch, als Sie zu sehen, Sie sprechen zu können, um Ihnen zu sagen –

CONSTANZE. Still – hören Sie nichts?

MORITZ. Ich höre nichts, sehe nichts in diesem Augenblicke als Sie.

CONSTANZE. Still, mein Kammermädchen kommt zurück!

GUSTCHEN von links, hat den Kittel des Backes und die Schürze des Hahnenbein über dem Arme hängen.[130]

CONSTANZE. Wohin, Gustchen?

GUSTCHEN. Die beiden Herren ziehen sich an, ich will diesen Kittel und diese Schürze verstecken, sie könnten Verdacht erwecken, wenn man sie fände.

CONSTANZE. Das ist gut, dann besorge aber den Thee!

GUSTCHEN. Im Augenblicke! Rechts ab.

MORITZ. Mein Fräulein, wozu soll ich eine Einleitung machen, Sie wissen ja doch was ich Ihnen sagen möchte, Sie wissen – daß ich Sie liebe.

CONSTANZE verwirrt, zurückweisend. Herr Hartmuth –!

MORITZ immer kecker. Sehen Sie, Sie kennen meinen Namen, Sie haben nach mir gefragt; denn Sie haben es wohl bemerkt daß mir der schönste Platz in dieser Stadt mein Fenster war, aus dem ich Sie sehen, Sie beobachten konnte. Sie haben es wohl bemerkt wie ich in Ihrem Anblicke schwelgte, wenn Sie den Blumen an Ihrem Fenster Wasser gaben, wenn Sie dem Canarienvogel über dem Tische sein Futter reichten, wenn Sie hinter den Blumen halb versteckt bei Ihrer Arbeit saßen und zuweilen Ihr liebes Köpfchen wandten hinabzuschauen. Mein Tag hatte ja nur zwei Zeiten, eine selige und eine traurige, wo ich Sie sehen konnte, und wo ich Ihren Anblick entbehren mußte.

CONSTANZE ernst. Mein Herr, diese Worte –

MORITZ. Sie zürnen über meine Keckheit? Die drängenden Umstände mögen mich entschuldigen. Seit Wochen male ich mir im Geiste den Augenblick aus, wo ich endlich vor Ihnen stehen würde, seit Wochen bereite ich mich auf diesen Augenblick vor – und jetzt da ich reden möchte, fehlen mir die Worte. Alles ist vergessen, was ich Ihnen sagen wollte, Ihre Erscheinung blendet, verwirrt mich, ich habe nur das eine Wort: ich liebe Sie.

CONSTANZE. Aber Herr Hartmuth, ich darf das nicht hören von einem Manne, der bei mir nicht eingeführt ist – und dann, wir können jeden Augenblick überrascht werden.

MORITZ. Mag es, ich kann jetzt nicht schweigen, jetzt mich nicht bezwingen. Gesegnet sei das Abenteuer, das mich zu Ihnen bringt; wer weiß ob ich sobald das Glück gehabt hätte[131] bei Ihnen eingeführt zu werden. Darum geben Sie mir Bescheid, mit einem einzigen Wörtchen nur. Sie haben meine Grüße freundlich erwiedert, ich bilde mir ein daß Ihr erster Blick, wenn Sie an's Fenster traten, nach dem meinigen gerichtet war, um zu sehen ob ich da sei – habe ich mich getäuscht? Bin ich Ihnen ganz gleichgültig? Sie kennen meinen Namen, also haben Sie nach mir gefragt, also haben Sie erfahren daß ich in den günstigsten Verhältnissen lebe! Wenn ich Ihnen nun meine heiße Liebe gestehe, wenn ich um Erwiederung flehe, werden Sie mein Werben verschmähen?

CONSTANZE. Meinen Sie man könnte so im Sturm ein Mädchen erobern? Das geht nicht so rasch, mein Herr!

MORITZ. O Sie sagen nicht nein, das ist mir schon genug, mehr verlange ich in diesem Augenblick nicht. Ja ich habe mich nicht getäuscht, diese himmlischen Augen konnten nicht lügen. Grausames Mädchen, und Sie konnten mich so lange schmachten lassen, auf keinen meiner Briefe eine Antwort?!

CONSTANZE verwundert. Briefe? Ihre Briefe?

MORITZ. In denen ich Ihnen meine Liebe gestand, Ihnen Herz und Hand anbot, Sie um die Gunst einer Unterredung anflehte –

CONSTANZE im höchsten Staunen. Ich habe keine Briefe erhalten –

MORITZ verwundert. Nicht? Ich habe sie selbst dem Thürsteher Ihres Hauses übergeben. Sie waren alle unterzeichnet: Ihr treuer Verehrer!

CONSTANZE. Ich habe keinen erhalten – ha – sollte mein Vormund –?

MORITZ feurig. Sie haben meine Briefe nicht erhalten? Und doch zürnen Sie mir nicht, und doch bewiesen Sie mir vorhin so viel Teilnahme? Liebes Mädchen, reichen Sie mir die Hand!

CONSTANZE den ganzen Auftritt hindurch immer mit halbem Ohr nach der Mittelthüre lauschend. Ich bitte Sie dringend –

MORITZ. Die Hand reichen Sie mir, die Hand, ich will ja nichts weiter in diesem Augenblicke.[132]

CONSTANZE reicht ihm die Hand.

MORITZ küßt sie feurig. Nun ist alles gut, ich stehe am Ziele meiner feurigsten Wünsche.

CONSTANZE ernst. Sachte, mein Herr, so weit sind wir noch nicht. Man reicht die Hand auch einem gleichgültigen Menschen aus Höflichkeit. Sie werben um mein Herz, – meinen Sie ich werde meine Liebe einem so ungestümen, tollkühnen Menschen schenken?

MORITZ. Ungestüm? Ich bin es ja nur aus Liebe für Sie.

CONSTANZE. Sie wollen mich nicht verstehen. Auf welche Art kommen Sie jetzt zu mir? Wie stehen Sie vor mir? Als ein Verbrecher, den die Gerechtigkeit verfolgt! Und in welcher Gesellschaft dringen Sie in mein Zimmer, welchen Verlegenheiten setzen Sie mich aus!?

MORITZ. Das Letzte ist allerdings ein Verbrechen, ein unverzeihliches – sonst kenne ich keines!

CONSTANZE. Wie? Sie haben sich an einem offnen Aufruhr betheiligt, haben mit Barricaden gebaut?

MORITZ munter. Ach der Lärm war nicht so ernstlich, es war eine Tollheit, ein Muthwille, sonst nichts. Wir wollten die Bürgerwehr ein wenig necken.

CONSTANZE. Und dieser Muthwille bringt die ganze Stadt in Aufregung, setzt viele Frauen in Angst, die ihre Männer nach den Sammelplätzen eilen sehen, dieser Muthwille kommt Ihnen vor dem Richter theuer zu stehen.

MORITZ. Sie haben Recht! Schelten Sie, theures Mädchen, schelten Sie, ich höre es gern. Sie würden mir nicht zürnen, wenn ich Ihnen gleichgültig wäre.

CONSTANZE zürnend. Sie sind ein Mann wie alle Männer, von unbesiegbarer Eitelkeit. Alles legen Sie zu Ihrem Besten aus!

MORITZ zärtlich. Und habe ich so Unrecht mit meiner Eitelkeit?

CONSTANZE. Still, es klopft! Hören Sie?

MORITZ. Ich höre es auch.

CONSTANZE. Um Gotteswillen –

MORITZ. Aengstigen Sie sich nicht –

CONSTANZE. Herein!


Quelle:
Roderich Benedix: Haustheater. Leipzig 21865, S. 130-133.
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