[346] Des andern Tages hatte sich der Graf mit seinem Vetter wieder in sein Kabinet zurückgezogen, er ging mit ihm noch ein Mal alle nöthigen Maßregeln durch, die zu ergreifen[346] sein möchten, um die Güter feines Vaters zu retten, und händigte ihm eine bedeutende Summe theils baar, theils in Wechseln ein, um nicht bloß die dringende Zahlung leisten zu können, sondern auch auf unvorhergesehene Fälle gefaßt zu sein und nun auch, wie der Graf noch bemerkte, etwas für den Knaben Gustav thun zu können, über dessen künftiges Schicksal die beiden Verwandten zugleich das Nähere bestimmten.
Nachdem diese Geschäfte beendigt waren, ging der junge Graf in den Garten hinunter, um in der Einsamkeit die mancherlei Gefühle zu ordnen, die ihn bei der unerwarteten Großmuth seines Oheims immer wieder von Neuem bestürmten. In den dunkeln Gängen desselben traf er St. Julien, der schwermüthig darin auf und abging, und mit Wehmuth auf einen Brief blickte, den er eben empfangen hatte und noch in der Hand hielt. Als er den jungen Graf erblickte, reichte er ihm die Hand und sagte: Es ist vorbei, der anmuthige Traum ist ausgeträumt, ich muß wieder zurück in das traurige, einsame Leben.
Was ist Ihnen begegnet? fragte der junge Graf, was kann Sie in dem Grade traurig stimmen? Theilen Sie mir Ihr Unglück mit.
Ich bin wohl undankbar, sagte St. Julien lächelnd, daß ich die Beweise der Liebe der zärtlichsten, besten Mutter auf[347] eine Art empfange, daß meine Freunde sie für ein Unglück halten müssen. Lesen Sie selbst diesen Brief und Sie werden sehen, das, was man gewöhnlich Unglück nennt, enthält er nicht.
Der junge Graf fing den Brief zu lesen an, und nach den zärtlichsten Klagen einer Mutter über die Leiden eines geliebten Sohnes, sah er bald, daß sie so große Summen zum Gebrauche dieses Sohnes anwies, wie sie nur der Reiche mit Großmuth bestimmen kann. Der Graf dachte an seinen frühern Streit mit St. Julien und glaubte einen Augenblick, dieser habe ein Mittel gesucht, um ihn auf eine etwas prahlende Weise von dem Ungrunde seiner damaligen Ansichten zu überzeugen; doch ein Blick auf seinen Freund belehrte ihn bald, daß dieser sich jetzt am Wenigsten mit solchen Gedanken beschäftigte. Er las daher den Brief weiter und fand, daß die Mutter die lebhafteste Dankbarkeit für den Grafen und seine ganze Familie ausdrückte; zum Schlusse bat sie den Sohn, sich nicht eher von dem Schlosse Hohenthal zu entfernen, bis sie selbst dort erscheinen würde, um der gräflichen Familie den Dank zu bringen, den ihr Herz so lebhaft empfände; bis dahin, hoffte sie, würden auch alle Verhältnisse so geordnet sein, daß der Sohn sie alsdann nach Frankreich zurück begleiten könne.[348]
In der That, sagte der junge Graf, ich begreife nicht, wie dieser Brief Sie hat traurig stimmen können.
Muß ich denn nicht, rief St. Julien mit Heftigkeit, dieß Haus nun bald verlassen, in dem ich zuerst das Leben habe verstehen gelernt, und den Grafen, den ich wie einen Vater ehre, und die Gräfin, die ich wie eine Mutter zärtlich liebe, und – er schwieg, und eine brennende Röthe flammte auf seinen Wangen.
Und Emilie, ergänzte der junge Graf lächelnd, wie wollen Sie das Gefühl des Schmerzes bei der Trennung von ihr bezeichnen?
Wenn Sie es denn errathen, kaltblütiger Mensch, rief St. Julien, so können Sie es ja begreifen, was mich zur Verzweiflung bringt. Er stürmte nach diesen Worten hinweg und ließ den Brief in den Händen seines Freundes zurück.
Da der junge Graf die Nothwendigkeit fühlte, einen so wichtigen Brief wieder in den Händen dessen zu wissen, an den er gerichtet war, so suchte er St. Julien im Garten auf und fand ihn nach einer halben Stunde ruhiger, als er ihn verlassen hatte; dieser nahm den Brief zurück und sagte: Diese Tage, diese Wochen, bis meine Mutter ankömmt, sind noch mein, ich will also den Rest des Lebens genießen.
Ich begreife nicht, sagte der junge Graf, was Sie eigentlich[349] zur Verzweiflung bringt. Ich glaube nicht, daß sich Emilie so gegen Sie beträgt, daß Sie von dieser Seite gar keine Hoffnung hegen dürften. Ein Strahl der Hoffnung flammte bei dieser Bemerkung in St. Juliens Augen auf, und sein Freund fuhr fort: Daß mein Oheim Sie wie einen Sohn liebt, bemerkt ein Jeder; meine Tante bezeigt Ihnen täglich das Gefühl einer Mutter. Von Ihrer Mutter, die Sie mit Zärtlichkeit überhäuft, scheint es mir, haben Sie Widerspruch am Wenigsten zu befürchten; also, wo liegt denn Ihr Unglück?
Ihnen scheint Alles so klar und leicht, was mir zu entwirren so schwer däucht, erwiederte St. Julien. Haben Sie aber nicht selbst oft gehört, daß Emilie den Entschluß ausgesprochen hat, sich von der Gräfin nicht trennen zu wollen, und wenn ich zurück muß, wird sie mir dann nach einem Lande folgen, das diese zu verabscheuen scheint? Der Graf selbst, so hoch ich ihn ehre, wird er eine Verbindung mit mir gern sehen, da er doch an Deutschen Adelsvorurtheilen etwas hängt? Und wenn Alles glücklich gehen sollte, so bleibt doch der Schmerz unabwendbar, daß ich den Grafen und die Gräfin verlassen muß, und kann ich es wissen, ob ich nicht gezwungen bin, vielleicht einmal mit dem französischen Heer als Feind wiederzukehren?
Zuerst denke ich, sagte der junge Graf, thun Sie am[350] Besten, Ihre Mutter zu erwarten und dann meinem Oheim Ihr ganzes Vertrauen zu schenken; seine Welterfahrung und sein edles, liebevolles Gemüth werden Ihre Zukunft am Besten ordnen. Dieser Rath schien dem jungen Franzosen so vernünftig, daß er ihn ohne Einschränkung zu befolgen beschloß und sich vornahm, die Gegenwart in ungetrübter Heiterkeit zu genießen. Er vernahm es ungern, als ihm sein Freund eröffnete, daß er gleich nach dem Feste des Baron Löbau das Schloß zu verlassen gedenke; indeß tröstete ihn die Versicherung, daß die Abwesenheit nicht von langer Dauer sein würde.
Des folgenden Tages, als der junge Graf sich zum Feste des Baron Löbau ankleidete und sein Knabe ihm dabei Hülfe leistete, sagte er diesem: Heute, mein lieber Gustav, leistest Du mir diesen Dienst zum letzten Mal.
Wie! rief der Knabe erschreckt, wollen Sie mich von sich entfernen; was habe ich gethan, Ihre Unzufriedenheit zu verdienen?
Nichts, mein liebes Kind, erwiederte der junge Graf, aber ich will mir nicht mehr erlauben, Deine Liebe zu mißbrauchen und Dich selbst zu erniedrigen, da die Noth mich nicht mehr dazu zwingt. Er theilte ihm nun alle mit seinem Oheim verabredeten Pläne mit, schrieb ihm vor, wie er sich in der Zukunft zu betragen habe, und händigte ihm[351] mehrere Goldstücke ein, mit dem Auftrage, durch Dübois Beistand sich eine anständige Kleidung dafür zu verschaffen.
Der Knabe ging mit dem Golde in der Hand zu Dübois zurück, sobald der junge Graf seiner Hülfe nicht mehr bedurfte; sein Gefühl war überrascht, seine kühnsten Wünsche auf ein Mal befriedigt, und dieß Glück schien ihm so groß, kam ihm so unerwartet, daß er noch nicht den Muth sich zu freuen finden konnte.
Ist Dein Herr schon zur Gesellschaft in den Saal gegangen? fragte ihn Dübois, als er eingetreten war.
Ich habe keinen Herrn mehr, erwiederte der Knabe mit einigem Stolz, der Graf Robert aber ist in dem Saale, und Alle werden gleich zum Baron Löbau fahren.
Wie verstehe ich das, fragte der Haushofmeister; will der junge Graf Dich von sich entfernen?
Ach lieber Herr Dübois! rief der Knabe und die Thränen flossen ihm über die glühenden Wangen, Alles ist jetzt anders; mein guter, lieber Herr, doch so darf ich ihn ja nicht mehr nennen, das hat er mir streng verboten, er hat es ja mit Ihrem Grafen verabredet, daß ich wieder auf die gelehrte Schule soll, dann auf die Universität, damit ein rechter Gelehrter aus mir werden kann. Indeß er nach Hause reist in Geschäften, soll ich hier bleiben und in der hiesigen Bibliothek studiren; wenn er wieder kommt, will er[352] mich selbst nach Breslau auf die gelehrte Schule bringen, und bis dahin soll ich Sie bitten, mir für dieß viele Geld gute Kleider zu verschaffen, damit ich wie sein Freund und Pflegesohn dort erscheinen kann, und ihn, meinen lieben Herrn, den soll ich nie mehr so nennen, sondern Graf Robert, oder meinen Freund und meinen Beschützer.
Ich habe es erwartet, mein Sohn, sagte der Haushofmeister, daß Dein Schicksal diese Wendung nehmen würde, und nun, da mein Graf sich mit seinem Verwandten verständigt hat, kann ich für Dich thun, was in meinen Kräften steht, und brauche nicht mehr zu befürchten, Deinen Beschützer dadurch zu beleidigen; behalte also nur das Geld, mein Söhnchen, es wird Dir auf der gelehrten Schule recht angenehm sein, wenn Du gleich ein hübsches Taschengeld mitbringst, wofür Du Dir manches anschaffen kannst, was Du vielleicht sonst entbehren müßtest, und überlasse es nur mir, Dich mit Wäsche und Kleidern zu versorgen, und ich werde es schon so einrichten, daß sich der junge Graf Deiner nicht zu schämen braucht.
Ach lieber Herr Dübois, rief der Knabe, wie gut sind Sie, wie gut sind hier alle Menschen auf dem Schlosse! Ach! hätte ich damals wohl hoffen können, daß ich solchen Beistand finden würde, als unser Dorf verbrannt und mein Vater getödtet wurde. Ach, mein guter, lieber Vater! fuhr[353] er laut weinend fort, jetzt könnte ich ihm nun doch wieder Ehre und Freude machen, wenn er lebte und es sehen könnte, wie nun Alles wieder so gut wird. Ist es nicht traurig, daß ich so einsam in der Welt bin, daß Niemand mit Stolz mehr auf mich blicken wird, wenn ich mich auch noch so sehr anstrenge, kein Vater, keine Mutter, kein Bruder und keine Schwester, Alle sind dahin, Alles ist begraben!
Jetzt, sagte Dübois, gerührt von dem Schmerz des Knaben, mußt Du Deinem Beschützer Ehre zu machen streben.
Ach! erwiederte dieser, der Graf ist so gut, so milde gegen mich, aber er ist ein vornehmer Herr, er wird immer mein Wohlthäter bleiben, es wird ihn auch freuen, wenn ich etwas recht Tüchtiges lerne, weil er glaubt, daß es mir dadurch wohl gehen muß; aber welche Ehre kann ich ihm bringen? Welchen Stolz kann er empfinden, wenn er mich betrachtet, wenn ich auch alle Kräfte anstrenge und weit mehr als meine Kameraden leiste? Wenn Du ein recht großer berühmter Gelehrter wirst, antwortete ihm Dübois, so daß andere Gelehrte einmal Deine Lebensgeschichte schreiben, wenn sie dann berichten, wie Du verloren gewesen wärest und die Welt niemals Deine Kenntnisse zu ihrem Segen hätte benutzen können, wenn nicht der Graf Hohenthal als Dein Beschützer aufgetreten und Dich vom Verderben errettet hätte, so daß die Welt seiner Großmuth die Erhaltung eines ausgezeichneten[354] Geistes verdankt, glaubst Du nicht, daß dann der Graf mit Stolz auf Dich blicken wird, daß Du ihm Ehre machen kannst?
Und dann muß auch gesagt werden, rief der Knabe mit glühenden Wangen, indem er sich in die Arme des Alten warf, wie Herr Dübois für mich gesorgt hat, wie er mich aus der Gemeinschaft mit den Bedienten errettet hat, und alles, alles, was Sie für mich gethan haben, muß erwähnt werden.
Mache nur, daß ich es recht bald erlebe, sagte der gute alte Mann, daß mein Name so ehrenvoll genannt wird, dann werde auch ich Dich mit Stolz betrachten; aber bedenke, daß Du erst noch sehr Viel lernen mußt, ehe wir alle diese Freude haben können.
Daran soll es gewiß nicht fehlen, rief der Knabe mit Begeisterung, das werden Sie schon sehen, so lange ich hier bin, wie ich Tag und Nacht studiren will. Er ging auch sogleich, aus der Bibliothek die nöthigen Bücher zu holen, um diesen löblichen Vorsatz auszuführen.
Die Gesellschaft des Schlosses Hohenthal legte den Weg zum Baron Löbau in großer Heiterkeit zurück, denn obgleich der Himmel bedeckt war, so war der Tag doch mild, warm, und der Weg führte durch anmuthige Thäler, die von klaren Bächen durchrieselt waren. Der Blick auf die nahen[355] Gebirge gewährte Mannichfaltigkeit, und das Geläute der weidenden Heerden erregte das Gefühl des Friedens ländlicher Einsamkeit.
Wenn ich mich auch ein wenig davor fürchte, sagte die Gräfin, einen großen Theil der Nacht für die Freuden der Geselligkeit aufopfern zu müssen, so ist es doch, als Spazierfahrt betrachtet, ein großer Genuß, den Weg durch diese Thäler zu machen.
Man gelangte endlich auf Heimburg an, und der Baron Löbau empfing seine Gäste mit sichtbarer Freude. Er hatte befürchtet, da sie später als die übrige Gesellschaft kamen, daß irgend ein Unfall sie überhaupt verhindern würde, ihr Versprechen zu halten, und dieß würde ihm aus vielen Gründen höchst kränkend gewesen sein; denn erstens hielt er den Grafen für den vornehmsten und reichsten von allen seinen Nachbarn, dann hatte er die Absicht, dessen Fest durch das seinige merklich zu überbieten, und endlich beabsichtigte er noch einen Plan auszuführen, von dem er hoffte, daß er ganz besonders zum Glanze seines Festes beitragen sollte.
Die Wolken von übler Laune also, die sich schon auf seiner Stirn gelagert hatten, zerstreuten sich, so wie der Graf mit seiner Gesellschaft den Saal betrat, und er wurde sehr heiter, als die Gräfin und Emilie aufrichtig die schönen Pflanzen und Blumen bewunderten, womit die Säle geschmückt[356] waren; verdrüßlich wurde er zwar wieder etwas, als einige Tropfen Regen fielen, und trat mit sichtbarer Unruhe auf den Balkon hinaus; bald aber kehrte er beruhigt zurück, denn der Regen ließ sogleich wieder nach. Seine näheren Bekannten schlugen nun der Gesellschaft einen Spaziergang in den Park vor. Die Damen betrachteten ihre Kleider und wären gern zurück geblieben; da aber die ganze Gesellschaft aufbrach, mußte man sich fügen. Der Baron führte mit unendlicher Selbstzufriedenheit den Zug an, leitete die Gesellschaft in der That durch anmuthige Anlagen, die wohl befriedigt haben würden, wenn man sie einfach, ohne immer zum Bewundern gezwungen zu werden, hätte besuchen dürfen; da er selbst aber sich bei einer jeden schönen Aussicht überrascht und entzückt zeigte, und behauptete, daß er sie jetzt zum ersten Male bemerkte, obgleich seine näheren Bekannten diese Ueberraschung schon oft mit ihm getheilt hatten, so wurde das Vergnügen der Gesellschaft sehr vermindert. Auf dem Bache, der den Park durchschlängelte, zeigten sich von Zeit zu Zeit Kähne mit Menschen, die beschäftigt waren zu fischen. Der Baron schalt auf die Freiheit, die sie sich genommen hatten, machte aber gegen seine Gäste die Bemerkung, daß die Unverschämtheit dieser Menschen doch dazu beitrüge, in die Landschaft Leben zu bringen, und daß er sich gern seine Fische stehlen ließe, da dieser Umstand seinen[357] Gästen zufällig den angenehmen Anblick des regen Lebens in den grünen Buchten verschaffte. Die Gäste lobten die Wirkung, die die Fischerkähne machten, und bewunderten die Großmuth des Barons, der sich den Diebstahl um der malerischen Wirkung Willen gefallen lasse. Die Fischer ließen sich mit Ruhe schmälen und brachten, nachdem sie ihr Geschäft vollendet hatten, die Fische in die Küche des Barons, wie es ihnen schon am vergangenen Tage war befohlen worden. Bei der weiteren Fortsetzung des Spaziergangs gerieth der Baron auf einmal außer sich, denn eine Heerde auserlesen schönen Rindviehes weidete an dem Abhange eines Hügels; er beklagte sich heftig über die Frechheit des Hüters, daß er sich erlaube, die Heerde dorthin zu treiben und seine junge Anpflanzung dadurch zu zerstören. Diejenigen unter den Gästen, die den Baron weniger kannten, hielten seinen Zorn in der That für ernstlich und fürchteten für den Hüter der Heerden; seine vertrauteren Bekannten aber machten ihn darauf aufmerksam, welche schöne Wirkung die weidende Heerde zwischen den grünen Bäumen mache, und diese Bemerkung beruhigte ihn sichtlich; er machte nun selbst auf die Schönheit des Viehes aufmerksam, auf den angenehmen Eindruck, den das Geläute der vielen Glocken mache, und unterließ es um so lieber auf die Bitte einiger Freunde, den Hüter rufen zu lassen, um ihn auszuschelten, weil er nicht[358] wissen konnte, ob der nicht in seiner Dummheit den erhaltenen Befehl als Entschuldigung angeführt haben würde. Diese, wie der Baron behauptete, unangenehme Ueberraschung war kaum vorüber, als ein anderer Gegenstand seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Man hörte die Töne einer Flöte, die kunstreich genug geblasen wurde, um eine angenehme Wirkung im Freien zu machen, und bald entdeckte man auf einem ziemlich großen Grasplatze weidende Schafe, deren Hüter, ein Knabe von etwa fünfzehn Jahren, der Virtuose war. Der Baron ließ es sich nicht merken, daß er den jungen Menschen hatte unterrichten lassen, und bewunderte die außerordentliche Gabe der Natur mit allen seinen Gästen.
Endlich war Alles erschöpft, womit der Baron überraschen und in Erstaunen setzen zu können glaubte, und er führte seine Gäste nach dem Schlosse zurück. Man konnte wahrnehmen, daß er noch einen Gast erwartete, denn seine Stirn verdüsterte sich, als er bemerkte, daß während des langen Spaziergangs Niemand angekommen sei. Die jungen Leute erwarteten mit Ungeduld den Anfang des Tanzes, aber der Baron suchte dieß zu verschieben und zeigte lieber den Herren in der Gesellschaft noch seine schönen Pferde, die von diesen aufrichtig bewundert wurden.
Da nun aber durchaus nichts mehr zu zeigen war, so[359] ließ sich der Anfang des Balles nicht mehr verschieben, und eben wollte der Baron mit verdrüßlicher Miene die nöthigen Befehle deßhalb geben, als noch eine Equipage vorfuhr; sichtlich erleichtert ging der Baron dem neuen Gaste entgegen, den er für's Erste in ein Seitenzimmer führte.
Die Gräfin hatte auf diese kleine Unruhe in der Gesellschaft nicht geachtet; sie hatte ein Gespräch mit einigen Frauen angeknüpft und gab sich mit höflicher Aufmerksamkeit der Unterhaltung hin; es überraschte sie deßhalb, als der Baron mit der Zierlichkeit der Tage seiner Jugend und mit großer Freundlichkeit, seinen neuen Gast an der Hand, vor ihr stand. Meine theure Gräfin, meine edle Freundin, redete er sie feierlich an.
Die Gräfin war aufgestanden, ein zweifelnder Blick ruhte bald auf dem Baron, bald auf dessen Begleiter, und sie beherrschte mit Anstrengung eine große Bewegung der Seele. Lassen Sie den Frieden, der unser Land beglückt, fuhr der Baron fort, auch in die Herzen der Einzelnen dringen; gönnen Sie mir das große Glück, etwas dazu beizutragen, Geschwister, die so lange getrennt waren, wieder zu vereinigen; nehmen Sie einen Bruder wieder in Ihrem Herzen auf, und verherrlichen Sie durch eine aufrichtige Versöhnung und eine herzliche Umarmung das Fest des allgemeinen Friedens. Die Gräfin hatte ihren Bruder, den sie so unerwartet nach vielen[360] Jahren wieder erblickte, nicht so gleich erkannt; ein heftiges Zittern bebte durch alle ihre Glieder und eine dunkle Röthe flammte auf ihren Wangen; ein Strahl des Zornes traf ihn aus den dunkeln Augen und ein unendlicher Schmerz zuckte um den festgeschlossenen Mund. Als er aber, nachdem der Baron seine Rede geendigt, wirklich mit geöffneten Armen vortrat und die Gräfin an seine Brust drücken wollte, trat diese auf einmal, bleich wie Marmor, einen Schritt zurück, die Lippen bewegten sich, aber kein Ton war vernehmbar; matt erhob sie abwehrend beide Hände und wäre leblos zu Boden gesunken, wenn nicht St. Julien und der junge Graf, die den Auftritt aus der Ferne beobachtet hatten, hinzugesprungen wären und sie in ihren Armen aufgenommen hätten. Der Baron, der mit Sicherheit eine Umarmung der versöhnten Geschwister erwartete, hatte den Musikanten befohlen, so wie sie die Umarmung bemerkten, einen lang anhaltenden Tusch zu blasen; als diese nun die Gräfin in St. Juliens Armen sahen, schmetterten Trompetentöne lange und anhaltend durch den Saal.
Der Graf war in den Seitenzimmern mit einigen Herren im Gespräch gewesen und kehrte mit ihnen nach dem Saale zurück, um die Ursache des Trompetengetöns zu erfahren. Er sah eben die ohnmächtige Gräfin in ein Nebenzimmer bringen und eilte dieser nach. Nur halb und verworren[361] konnte er die Ursache dieses heftigen Auftritts erfahren; er drängte den Baron, der sich entschuldigen wollte, unfreundlich zurück. Die Gräfin sah aus wie eine Sterbende; der Arzt verlangte, sie sollte gleich hier zu Bett gebracht werden. Mit der letzten Anstrengung verweigerte sie dieß und verlangte den Wagen. Der junge Graf eilte sogleich, ihn vorfahren zu lassen, und Alle überstanden mit großer Qual die wenigen Minuten, bis man die Gräfin in den Wagen bringen und den Rückweg nach Schloß Hohenthal antreten konnte.
Der Baron Löbau und seine Gäste blieben erstaunt über diese unerwartete Störung zurück, und als man die Sprache wieder fand, vereinigten sich alle Stimmen, die Gräfin höchlich über ihr unversöhnliches Gemüth zu tadeln, obgleich die Klügeren es nicht billigen konnten, daß der Baron diese Versöhnung wie ein Schauspiel, um sein Fest zu verherrlichen, angelegt hatte. Der Bruder der Gräfin sprach wenig und beseufzte nur sein Unglück, wodurch ihm jeder Versuch der Annäherung an seine Schwester seit vielen Jahren mißlungen sei, aber viele der Gegenwärtigen tadelten im Stillen den letzten unschicklichen Versuch.
Dem Baron Löbau blieb endlich nichts übrig, als das Fest fortgehen zu lassen. Der Tag begann, aber es war ihm verdrüßlich, daß die besten Tänzer und Tänzerinnen[362] der Gräfin gefolgt waren, denn nicht nur der junge Graf, St. Julien und Emilie hatten das Schloß des Barons verlassen, sondern auch der Obrist Thalheim und dessen Tochter. Indeß bewegte sich die Jugend bald heiter durcheinander, und der Baron würde sich von seiner Verstimmung erholt haben, wenn nicht alle Feuerräder bei dem beabsichtigten Feuerwerke versagt hätten. Ein Schwärmer fuhr unglücklicher Weise in einen Strohhaufen und zündete diesen an, und der Baron vergaß alle Rücksicht für seine Gäste, aus Angst, daß die nah gelegenen Wirthschaftsgebäude in Brand gerathen könnten. Ein vom Himmel herabströmender Regen endigte zwar bald diese Sorge, aber löschte auch zugleich die Illumination aus, die zum Beschlusse das Fest hatte verherrlichen sollen.
So vielen Widerwärtigkeiten mußte sein Geist erliegen, und er war selbst froh, als ein Fest nun zu Ende geführt war, von dem er sich so viele Wirkung versprochen, und das doch alle seine Erwartungen getäuscht hatte.
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