I

[5] Der Graf war mit seiner Familie auf Schloß Hohenthal angekommen, und auch der Obrist Thalheim und seine Tochter waren dem Wagen gefolgt, weil der Zustand der Gräfin Alles beunruhigte. Auf dem Schlosse herrschte bei der unerwarteten Zurückkunft der Herrschaft große Verwirrung, denn die Dienerschaft hatte sich entfernt, um ihre eigenen Vergnügungen aufzusuchen, in der Ueberzeugung, daß sie die Herrschaft erst gegen den Morgen des kommenden Tages zu erwarten hätten; nur der Haushofmeister war gegenwärtig und der Knabe Gustav, der sich in Studien vertieft hatte. Emilie und Therese entkleideten die Gräfin und brachten sie zu Bette, während der bestürzte Dübois ausschickte, um die weibliche Dienerschaft zusammen zu rufen. Der Graf ging im Saale stumm auf und ab; ein finsterer Mißmuth ruhte auf seiner Stirn, und weder St. Julien noch der junge Graf wagten das Schweigen zu unterbrechen, denn[5] man sah wohl, daß nicht allein Theilnahme an dem Befinden der Gräfin diesen Mißmuth hervorrief, sondern daß ihn die Oeffentlichkeit des auf Heimburg stattgefundenen Auftritts tief verletzt hatte, und es zeigten sich auf seinem Gesichte Spuren von einem ihm sonst fast völlig fremden Groll, dessen Gegenstand er vielleicht selbst nicht mit Bestimmtheit anzugeben wußte.

Als die Gräfin zu Bette gebracht war, ging der Graf in ihr Schlafzimmer zu ihr. Er fand seine Gemahlin sehr entkräftet und den Arzt eifrig beschäftigt, alle Vorkehrungen für die Nacht zu treffen. Er hatte die Medikamente schon bereitet, deren Gebrauch er verordnete; er gab Dübois hundert Befehle, die dieser mit zitternder Stimme auszurichten versprach, indem er die thränenschweren Augen auf die Gräfin richtete; er verordnete, Wer die Nacht bei der Kranken wachen sollte, und schärfte es dringend ein, ihn sogleich zu rufen, wenn der mindeste Zufall eintreten sollte. Die Gräfin ließ sich schweigend Alles gefallen, fühlte sich aber sichtlich erleichtert, als der Arzt endlich das Zimmer verließ.

Der Graf trat nun an das Bett seiner Gemahlin, und indem er ihre Hand faßte, fragte er mit Theilnahme, ob sie sich besser fühle? Die dunkeln Augen der Gräfin richteten einen matten, aber forschenden Blick auf den geliebten Mann; sie las seine Gedanken und seine Gefühle auf der umwölkten[6] Stirn, und sagte mit kaum hörbarer Stimme: Durch Ruhe wird mir besser werden, entziehen Sie mir nur Ihre Liebe nicht. Sie hatte diese Worte mit bebender Stimme gesprochen, und ihre zitternden Lippen drückten einen Kuß auf die Hand des Gatten, die noch in der ihrigen ruhte. Der Graf beugte sich überrascht nieder und küßte die leichenblasse Stirn seiner Gemahlin. Er zog sich, wie sie es wünschte, zurück, damit sie, wo möglich, in Einsamkeit und Stille die zu ihrer Erhaltung so nöthige Ruhe fände.

Er konnte St. Julien und seinem Vetter, die seine Zurückkunft mit Aengstlichkeit im Saale erwartet hatten, wenig Tröstliches sagen, und Alle trennten sich von einander und harrten mit peinlicher Unruhe dem kommenden Morgen entgegen.

Als der Graf seine Gemahlin verlassen hatte, winkte diese Emilien zu sich und bat sie dafür zu sorgen, daß der Obrist und Therese sich nach Hause begeben möchten, damit nicht der alte Mann die Ruhe der Nacht entbehrte; und als Emilie zurück kam und ihr die Nachricht brachte, daß der Graf für die Erfüllung ihres Wunsches sorgen würde, bat die Kranke, daß nun auch sie sich zur Ruhe begäbe, vorher aber alle Dienerschaft aus dem Vorzimmer entfernen möge. Du weißt, mein Kind, sagte sie mit mattem Händedruck und hinsterbender Stimme, ich brauche nur Ruhe, um[7] mein Uebel zu besiegen. Emilie versprach Alles, und die Gräfin bat sie noch, die Vorhänge ihres Bettes zuzuziehen, damit weder das Nachtlicht, noch der Strahl des kommenden Morgens ihre Einsamkeit und Ruhe stören möge. Es geschah, wie die Kranke es verlangte, und ihre junge Freundin ging dann und befahl im Namen der Gräfin, daß Jedermann das Vorzimmer verlassen und sich zur Ruhe begeben sollte; nur Dübois winkte sie leise herbei und bat ihn zu bleiben. Er neigte sich bejahend und zeigte auf einen Armstuhl, in welchem er die Nacht hinbringen wollte. Sie hatte die Thür des Schlafzimmers geöffnet gelassen, damit der Alte während ihrer Abwesenheit auch das leiseste Geräusch hören könnte, und ging nun hinweg, um sich von dem Putze zu befreien, den sie für den Ball angelegt hatte und noch immer an sich trug. Dieß Geschäft war bald abgemacht; sie kehrte unbemerkt zurück, um auf dem Sopha im Schlafzimmer die Nacht hinzubringen, und rückte leise die Nachtlampe näher, um sich durch Lesen wach zu erhalten.

Bald aber wurde ihre Aufmerksamkeit ungetheilt auf die Kranke gerichtet, die, sich nun völlig einsam wähnend, ihrem gepreßten Herzen durch Klagen und Thränen Erleichterung verschaffte. Habe ich nicht Alles, Alles verloren? hörte sie diese mit leiser, zitternder Stimme zu sich selber sagen. Habe ich nicht das Gräßlichste erlebt? War ich nicht am[8] Rande des Wahnsinns und in der furchtbaren Verzweiflung, zwangen mich nicht heilige Gefühle, dieses Mannes rettende Hand zu ergreifen? Und nun! muß ich nun noch den letzten Halt im Leben, muß ich noch seine Achtung, sein Vertrauen und seine Liebe verlieren? Und muß ein unwürdiges Gaukelspiel die entsetzlichsten Bilder aus der Vergangenheit hervorrufen, um den so mühsam errungenen scheinbaren Frieden grausam zu zerstören?

Die Klagen gingen in rührende Gebete um Trost über und um Stärkung, um das Rechte thun zu können. Die Worte gingen endlich in einem leisen Schluchzen unter, und nach kurzer Zeit verstummte auch dieses. Emilie näherte sich leise dem Bette und öffnete behutsam den Vorhang; sie sah, daß die Gräfin aus völliger Entkräftung in Schlummer gesunken war, und hoffte, daß die Ruhe auf jeden Fall wohlthätig auf die Kranke wirken würde. Emilie kehrte nun zu ihrem Buche zurück, aber die fortwährende Stille, die ruhigen, obwohl matten Athemzüge der Gräfin beruhigten nach und nach ihr Gemüth, und die Natur übte ihr Recht aus. Sie empfand nun die Müdigkeit, die sie, durch mancherlei ängstliche Sorgen und Anstrengungen aufgeregt, früher nicht gefühlt hatte; unwillkührlich lehnte sich ihr Kopf in die Kissen des Sophas zurück, die Augenlieder senkten[9] sich über die glänzenden Augen; die Gegenwart entschwebte ihren Sinnen und bunte Traumbilder umfingen ihren Geist.

Die Gräfin war nach einigen Stunden erwacht und fühlte sich etwas gestärkt; ein langes, mit Ueberlegungen abwechselndes Gebet ließ einen Entschluß in ihrer Seele reifen, den sie schon oft gefaßt, aber immer nicht den Muth gehabt hatte auszuführen. Sie öffnete die Vorhänge ihres Bettes mit schwacher, zitternder Hand, um zu sehen, ob der Tag schon so weit vorgerückt sei, daß sie ohne große Störung durch ihre Klingel Jemanden herbeirufen könne, und ihre Blicke fielen auf Emilie, die, vom Schlummer geröthet, wie eine junge Rose ruhte und den Strahl des Morgens zu erwarten schien, um alle Pracht der Schönheit zu entfalten. Gerührt betrachtete die Kranke die liebliche Gestalt und erkannte mit Dankbarkeit die Liebe, die sie bestimmt hatte, den Schlaf der Nacht entbehren zu wollen, und lächelte, wie dennoch die Natur diese Liebe überwunden habe und der Schlummer sie mit seinen süßesten Banden umfinge. Emilie, rief sie mit schwacher Stimme und bemerkte, als ihre junge Freundin aus leichtem Schlummer aufsprang, daß auch die Thüre des Schlafzimmers mit Behutsamkeit, ohne Geräusch, halb geöffnet wurde und das greise Haupt des alten Haushofmeisters sich hineinbeugte, dessen treue Augen auf die leidende Herrin mit Liebe und Sorge blickten.[10]

Auch Sie, mein guter Dübois, rief die Gräfin, auch Sie haben die Ruhe der Nacht um meinet Willen verloren?

Ich danke Gott für die Gnade, erwiederte der alte Mann, indem die Thränen über seine bleichen Wangen flossen, daß er unsere geliebte Herrin erhalten hat; was liegt an einigen Stunden Schlaf.

Die Gräfin winkte ihn zu sich und sagte gerührt: Versprechen Sie mir jetzt zur Ruhe zu gehen, mir ist um Vieles besser; Sie müssen es thun, damit ich mich nicht um Ihre Gesundheit ängstige. Der alte Mann küßte die ihm dargebotene Hand der Gräfin mit inniger Ergebenheit und entfernte sich, um die Ruhe zu suchen, weil sie es wünschte.

Emilie hatte sich dem Lager der Kranken genähert, und diese sagte nun: Zuerst, mein liebes Kind, schaffe alle Medikamente bei Seite; Du darfst wohl wissen, daß nicht die Verordnungen des Arztes meine Uebel heilen können, aber wir wollen ihn damit nicht kränken; sage nur, daß ich Alles, wie er es gewollt, gebraucht habe und ich mich viel besser fühle; daß ich aber nur ruhen wolle und durchaus Niemanden sprechen, auch ihn nicht, denn ich könnte ein Gespräch mit ihm jetzt nicht wohl ertragen.

Als Emilie diesen Wunsch der Gräfin erfüllt hatte und zu deren Lager zurückkehrte, fand sie die Kranke sehr bewegt und blickte erschrocken in das bleiche, mit Thränen bedeckte[11] Gesicht. Kehre Dich nicht an meinen Schmerz, sagte die Gräfin, indem sie mit schwacher Hand ihre junge Freundin zu sich zog, ich habe mir selbst eine Pflicht auferlegt, und ich muß, ich will sie erfüllen, wenn auch mein Herz darüber brechen sollte; wenigstens werde ich dann in Frieden mit mir selber sterben. Emilie kniete am Bette der Gräfin nieder und küßte die zitternde, magere Hand ihrer mütterlichen Freundin mit heißen Thränen. Die Gräfin streichelte die blonden Locken der Knieenden und sagte: Wir wollen uns nicht erweichen, mein gutes Kind, ich wollte Dich bitten, einen wichtigen Auftrag für mich auszurichten, suche Dich also zu fassen. Emilie erhob sich und stand da, erwartend, was die Gräfin von ihr verlangen würde. Nach einigem Zögern beschrieb ihr diese ein Kästchen, welches sie in ihrem Schreibtische verwahrte, und bat es ihr zu bringen. Emilie fand es bald und kehrte damit zu der Kranken zurück, die eine Feder daran drückte, worauf der Deckel aufsprang, und es ließen sich darin mehrere Papiere und ein kleines Bild bemerken, welches zu Emiliens Erstaunen eine große Aehnlichkeit mit St. Julien hatte. Die Gräfin bedeckte dieses Gemälde sogleich, nahm ein Paket Papiere heraus und ließ den Deckel des Kästchens wieder zufallen, und Niemand würde leicht die verborgene Feder gefunden haben, durch die es die Besitzerin zu öffnen verstand.[12]

Die Kranke betrachtete sinnend die Papiere in ihrer Hand und sagte dann mit matter, aber entschlossener Stimme: Sobald der Graf aufgestanden ist, begib Dich zu ihm und übergib ihm diese Papiere; bitte ihn, sie alsbald zu lesen und, wenn er sie gelesen hat, zu mir zu kommen, um mich sogleich den Eindruck kennen zu lehren, den sie auf sein Gemüth gemacht haben. Bitte ihn um die Menschlichkeit, mich nicht länger, als es nöthig ist, in der fürchterlichen Qual dieser Ungewißheit zu lassen; sage ihm, es sei mein Vorsatz gewesen, daß er den Inhalt erst nach meinem Tode erfahren sollte, aber die Ereignisse des gestrigen Tages hätten mir die Nothwendigkeit gezeigt, ihn schon jetzt damit bekannt zu machen. Gehe nun und richte dieß sogleich aus, damit nicht die elende Feigheit der menschlichen Natur mich bestimme, meinen Vorsatz wieder zu ändern. Der Graf hatte sein Lager nach wenigen Stunden, in denen er die Ruhe vergeblich suchte, wieder verlassen; es kämpften mancherlei Gefühle in seiner Seele; er fühlte sich seiner Gemahlin so innig verbunden, er achtete ihren Geist, er ehrte ihren Charakter; es war die einzige Frau, die ihm jemals eine heftige Leidenschaft eingeflöst hatte; diese hatte sie nach kurzem Widerstande durch die Verbindung mit ihm, wie er damals meinte, auf's Schönste befriedigt. Sie hatte ihm nicht die gleiche Leidenschaft geheuchelt, aber ihm ihre innige, zärtliche Freundschaft versichert.[13] Er durfte damals hoffen, in der Verbindung mit ihr ihr Herz lebhafter zu rühren; er ahnete das Glück, eine blühende Nachkommenschaft um sich zu sehen, und hoffte, die Mutter seiner Kinder würde dann ihre scheue Zurückhaltung aufgeben, und die gemeinsame Zärtlichkeit und Sorge würde sie mit ihm in inniger und herzlicher Liebe vereinigen. Wie ganz anders hatte sich Alles gestaltet. Ein heimlicher Gram nagte an dem Leben seiner Gemahlin und hatte sie verhindert, die Jahre der Jugend heiter zu genießen, und nicht einmal das hatte seine ausdauernde Liebe errungen, daß sie ihm ein Vertrauen geschenkt hätte, welches der alte sie begleitende Diener besaß; er überraschte sie oft in Thränen, wenn er ihr Freude hatte bereiten wollen, und nichts hatte sie vermocht, ihm den Quell der Thränen zu zeigen, den jener alte Diener kannte. In diesem innerlich nagenden Schmerze war sie früh verblüht, und auch die Hoffnung, einen Sohn als Stütze und Trost seines Alters heranwachsen zu sehen, war getäuscht worden, und er mußte sich gestehen, daß er sein ganzes Leben in trauriger Einsamkeit des Herzens hingebracht hatte. Er fühlte mit lebhaftem Schmerz, daß etwas Fremdes, Scheidendes zwischen ihm und seiner Gemahlin stehe, er mußte es sich sagen, daß, wie einig sie in allen edeln Empfindungen auch wären, wie sehr sie sich[14] gegenseitig schätzten und ehrten, doch die wahre innige Vereinigung fehle, die allein das Leben beglückt.

Es hatte ihn immer befremdet, daß die Gräfin jede Annäherung an ihren Bruder mit Widerwillen zurückgewiesen hatte, und tief im Herzen verletzte ihn jetzt der Abscheu, den sie öffentlich gegen diesen gezeigt hatte; auch erfüllte es ihn mit Unmuth, wenn er daran dachte, welche Gespräche nach diesem unangenehmen Auftritte in der Nachbarschaft entstehen würden; er zürnte über den Baron, der alles Dieß durch seine kindische Thorheit veranlaßt hatte, und grollte doch auch mit der Gräfin, die eine so unnatürliche Abneigung gegen ihren einzigen Bruder öffentlich gezeigt hatte.

In diesen verschiedenen Empfindungen, die in seinem Busen sich nicht ausgleichen und ordnen wollten, wurde er von seinem jungen Vetter überrascht, der, wie es verabredet war, reisen wollte, aber vorher noch über das Befinden seiner Tante Erkundigungen einzuziehen wünschte. Der Graf empfing ihn liebreicher als je, er fühlte inniger als sonst das Bedürfniß, Jemanden zu haben, der ihm angehörte, und er drang lebhaft in seinen jungen Verwandten, sobald als möglich zu ihm zurück zu kehren. Der junge Graf, obwohl er mit Dankbarkeit die Zuneigung erwiederte, die ihm so unverholen entgegen kam, wurde bestürzt über die Weichheit, die sein Oheim nicht beherrschen konnte; er fürchtete, um[15] die Gesundheit der Gräfin stehe es schlimmer, als man ihm sagte, und er nahm sich vor, sie wo möglich vor seiner Abreise noch zu sehen. Er verließ den Grafen, als Emilie eintrat, blieb aber im Vorzimmer, um durch diese die Erlaubniß zu erbitten, von seiner Tante Abschied zu nehmen.

Emilie richtete den Auftrag der Gräfin weinend aus. Es war ihr, als ob sie den Willen einer Sterbenden berichtete. Der Graf empfing das Paket mit bewegtem Gemüthe und erwiederte mit unbeherrschter Rührung, daß er dem Verlangen der Gräfin genau nachkommen werde. Er verschloß sich in sein Kabinet, sobald er allein war, um sein Wort zu erfüllen.

Als Emilie zur Gräfin zurückkehren wollte, traf sie auf den jungen Grafen, der ihr sein Anliegen vortrug; sie versprach ihm, seinen Wunsch der Gräfin mitzutheilen, machte ihm aber wenig Hoffnung zu dessen Erfüllung, weil die Kranke erklärt habe, daß sie zu schwach sei, selbst den Arzt zu sprechen, und vor allen Dingen Ruhe bedürfe. Es war also Emilien selbst überraschend, als die Gräfin nach kurzem Besinnen erklärte, daß sie den jungen Grafen sehen wollte, und Emilien bat, ihn sogleich herein zu führen. Dieser erschrak sichtlich, als er sich dem Lager der Kranken näherte und bemerkte, welche Verwüstung eine Nacht des Leidens hervorbringen kann. Die Gräfin bat ihn, sich neben ihr[16] Bett zu setzen, und sagte, indem sie ihm die Hand reichte: Sie wollen uns verlassen, mein lieber Vetter, ich weiß, es ist nothwendig und Ihre Reise läßt sich nicht aufschieben; aber ich bitte Sie, eilen Sie recht bald zu uns zurück. Ich weiß, Sie haben geglaubt, daß ich Ihnen den Weg zu dem Herzen des Grafen verschließe; Sie haben mir Unrecht gethan, es ist nie so gewesen; mein Unrecht gegen Sie besteht einzig darin, daß ich mich zu selbstsüchtig in meinen eigenen Gram verloren habe und deßwegen nicht an die Verwandten meines Gemahls dachte; dieß Unrecht bitte ich Ihnen ab. Wenn Sie zurückkommen, werden Sie mich vielleicht besser finden, und dann, hoffe ich, werden Sie sich wohl in dem Hause liebevoller Verwandten fühlen, und jedes Mißtrauen gegen mich und den Grafen wird schwinden. Vielleicht aber finden Sie mich bei Ihrer Rückkehr nicht mehr, vielleicht sind dann schon alle meine Leiden geendigt; dann, mein theurer Vetter, dann bringen Sie ein kindliches Herz für Ihren Oheim mit und lassen Sie ihn fühlen, daß er nicht verarmt an Liebe ist, wenn auch mein Herz nicht mehr für ihn schlägt.

Der junge Graf wollte antworten, aber die Wehmuth beherrschte seine Stimme. Die Gräfin schien ihm so krank, daß er in der That fürchtete, dieß seien die letzten Worte, welche dieser Mund jemals zu ihm sprechen würde; er beugte[17] sich über ihre Hand und benetzte sie mit heißen Thränen, indem er sie küßte. Lassen Sie uns jetzt scheiden, sagte die Kranke, indem sie die Hand des jungen Mannes schwach drückte. Ich darf nicht die letzten Kräfte meines Lebens in Rührung und Wehmuth auflösen, ich muß mich sammeln, um wenigstens noch ein Mal meinen Gemahl sprechen zu können. Nicht wahr, Ihr Versprechen habe ich, Sie werden sich mit Liebe an sein edles Herz schließen? Es soll die Aufgabe meines Lebens sein, rief der junge Graf, sein Wohlwollen zu verdienen. So leben Sie nun wohl, sagte die Kranke, vielleicht sehen wir uns wieder.

Der Himmel kann nicht so grausam sein, erwiederte der junge Graf, er wird uns allen Ihr theures Leben erhalten.

So lassen Sie uns denn in dieser Hoffnung scheiden, sagte die Kranke mit matter Stimme, und Emilie führte den jungen Grafen hinaus, der seine Bewegung nicht beherrschen konnte und in seine Begleiterin drang, ihm zu sagen, welche Hoffnung sie hege. Diese antwortete ihm nur mit Thränen und deutete mit der Hand nach oben, zum Zeichen, daß sie nur vom Himmel Hülfe erwarte. St. Julien hatte sich einige Mal im Vorzimmer der Gräfin gezeigt, um nach ihrem Befinden zu fragen, jetzt traf er auf den jungen Grafen, und dieser theilte ihm in heftiger Bewegung[18] die Unterredung mit, die er eben mit seiner Tante gehabt hatte. Beide Freunde trennten sich hierauf mit Thränen, und der junge Graf beschwor St. Julien, ihm einen Eilboten zu schicken, wenn der Zustand der Gräfin schlimmer werden sollte, da er aus Rücksicht für seine Eltern seine Reise nicht aufschieben dürfe.

St. Julien suchte den Grafen auf, um in dessen Nähe Trost in der quälenden Unruhe zu finden, die ihn zu zerstören drohte; dieser hatte sich in sein Kabinet verschlossen und war für Niemand zugänglich. Der bekümmerte junge Mann schlich nun zu Dübois, der ihn dadurch einiger Maßen aufrichtete, daß er ihm vertraute, wie die Gräfin schon oft in so bedenklichem Zustande gewesen sei, daß ihr aber Gott jedes Mal die wunderbare Kraft gewährt habe, sich durch den starken Willen der Seele wieder zu erheben, und daß er auch dieß Mal nicht verzage, wiewohl er zu den Mitteln des Arztes nicht das mindeste Vertrauen habe.

So schwach dieser Trost auch war, so ergriff ihn St. Julien doch als eine sichere Hoffnung; er konnte den Gedanken nicht fassen, daß die Gräfin aus dem Leben scheiden sollte; es schien ihm, als würden dadurch die Wurzeln seines eignen Daseins gestört.

Dübois kehrte nach dem Vorzimmer der Kranken zurück[19] und St. Julien begleitete ihn. Auf die leise Frage des Haushofmeisters erwiederte Emilie, die Gräfin sei ruhig, wolle aber Niemanden sprechen, als den Grafen, und auch diesen nur, wenn er von selbst käme, rufen sollte ihn Niemand. Der junge Mann hörte die ihm so theure Stimme, die Jederman den Eintritt versagte, er schlich also hinweg und suchte auf einem langen einsamen Spaziergange sein klopfendes Herz zu beruhigen.

Der Graf hatte das Packet aus Emiliens Händen empfangen, er hatte sich in sein Kabinet verschlossen, um es sogleich, wie seine Gemahlin es wünschte, zu lesen, und dennoch kam es ihm seltsam und fremd vor, daß er sich mit todten Buchstaben beschäftigen sollte, in den Augenblicken, da die Krankheit des theuersten Wesens ihm die Seele mit so lebhafter Unruhe erfüllte. Warum sollte er überhaupt lesen, was sie ihm mit wenigen Worten sagen konnte? In allen Dingen, auch hierin, schloß er seine Betrachtungen endlich, will ich ihr meine Liebe beweisen, ich will jedes andere Gefühl beherrschen, jeden anderen Gedanken verbannen und thun, was sie von mir fordert. Nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte, setzte er sich an seinen Schreibtisch, löste das Siegel, entfaltete die Blätter und las Folgendes:[20]

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 2, Breslau 1836, S. 5-21.
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