III

[35] Wir hatten Luzern erreicht, in dessen Nähe die Tante meiner Mutter ein herrlich gelegenes Landhaus bewohnte. Mit aufrichtiger Liebe wurden wir von der mehr als siebzigjährigen Frau empfangen, die das nahe Ende ihres einfachen,[35] schönen Lebens mit Ruhe und Heiterkeit erwartete, und sich durch die Gegenwart naher Verwandten gestärkt fühlte; aber dennoch ließ sich bald bemerken, daß ihre Hoffnung nicht vollkommen befriedigt war, und daß der beschränkte Geist meiner guten Mutter ihr die Unterhaltung nicht gewähren konnte, die sie in ihren einsamen Stunden durch das Beisammensein mit einer Verwandten erwartet hatte. Ihr wahrhaft frommer Sinn konnte eben so wenig damit zufrieden sein, daß ich schon vor meiner Geburt zum Opfer für einen Andern bestimmt war, und wenn sie die Ansichten meiner Mutter in dieser Hinsicht bekämpfte, so machte dieß deßhalb einen erschütternden Eindruck auf diese, weil sie keine frevelnde Freigeisterei bei ihrer Tante voraussetzen durfte, sondern sie in allen Handlungen ihres Lebens als fromme Katholikin verehren mußte.

Meine große Jugend erregte die Theilnahme dieser vortrefflichen Frau, und indem sie für meine Bildung zu sorgen beschloß und mich deßhalb mehr an sich zog, bemerkte sie mit Schrecken eine völlig verwahrloste Erziehung, und auf die Vorwürfe, welche sie meiner Mutter darüber machte, glaubte diese genügend mit der Frage antworten zu können, von welchem Nutzen mir weltliche Kenntnisse bei meinem künftigen Aufenthalte im Kloster sein könnten, und ob sie nicht im Gegentheil dazu dienen würden, in mir eine Sehnsucht[36] nach der Welt zu erregen, die ich bestimmt sei zu verlassen. Die Tante suchte ihr die Gefahr auseinander zu setzen, die darin liege, wenn ein so lebhafter, feuriger Geist als der meine gar keine Nahrung erhielte und alle Hülfsquellen in der künftigen Einsamkeit nur in sich suchen müsse, worauf meine Mutter auf Beichte und Gebet als die sichersten Stützen der Seele hindeutete.

Die Tante gab bald jeden Streit über diesen Gegenstand auf und benutzte ihre Ueberlegenheit des Geistes, um für mich, ohne weiter zu fragen, Lehrer in allen nöthigen Wissenschaften anzunehmen, und da sie mich zugleich zu allen frommen Uebungen anhielt, die die Kirche vorschreibt, so konnte meine Mutter keinen Grund finden, sich einer Einrichtung zu widersetzen, von der die Tante behauptete, daß sie ihr eine erheiternde Beschäftigung im Alter gewähre.

Für mich begann in dieser Zeit ein so glückseliges Leben, daß vielleicht durch die Trunkenheit, in der mein Geist sich befand, alle Fähigkeiten meiner Seele erhöht wurden und so die Bewunderung meiner guten Tante erregten. Meine Mutter konnte mich hier nicht auf das Haus beschränken, denn die Herrin desselben begünstigte den Umgang mit Personen meines Alters, die in unserer Nähe lebten, und die anständige Freiheit der Sitten in der Schweiz erlaubten es uns, auf den nahen Bergen umher zu schweifen, und mit[37] den reinen Lüften sog ich die Kräfte des Lebens in mich; mein Geist erstarkte wie meine Glieder, meine Wangen rötheten sich, meine Augen leuchteten in der Fülle des Glücks und der Gesundheit. Die Zaubergärten der Poesie erschlossen sich um diese Zeit meinem Geiste und übten eine nie geahnete Gewalt auf meine Seele. Meine Mutter bemerkte mit Unruhe die Verwandlung, die mit mir vorging und die sie eine traurige Verweltlichung nannte; die Tante war in demselben Grade darüber erfreut.

Schon ehe wir in der Schweiz angekommen waren, hatte sich zwischen meiner Großtante und einem alten Franzosen ein freundliches Verhältniß gebildet, welches oft Beiden zum Trost gereicht hatte, der Tante in ihrer Einsamkeit und dem Franzosen in manchen Leiden der Gegenwart.

Herr Blainville, so nannte sich der alte Mann, hatte Frankreich verlassen müssen, weil sein vorurtheilsfreier Geist die Anzeichen der herannahenden Stürme erkannte. Seine Stellung in der Nähe seines Monarchen hatte ihn vermocht, diesen auf seine gefährliche Lage aufmerksam zu machen und ihm die Möglichkeit des Unglücks zu zeigen, welches bald furchtbar hereinbrechen sollte. Anfangs verlacht wurde er bald angefeindet und als ein Anhänger verhaßter Systeme verdächtig gemacht, und er sah seine Freiheit um seiner treuen Anhänglichkeit Willen bedroht. Der entgegengesetzten[38] Partei war er ebenfalls verdächtig, weil er seinem Könige ergeben war, und so war er zu gleicher Zeit der Verfolgung des Hofes und dem Hasse des Volkes ausgesetzt, und hatte kaum noch Zeit, durch eine eilige Flucht einer Verhaftung zu entgehen, die sein Leben in Gefahr bringen konnte. Bei dieser unvorbereiteten Flucht konnte er nur sehr geringe Hülfsmittel mit sich nehmen, und er mußte mit seinem Vermögen einen Sohn und eine Tochter in Frankreich zurücklassen, für deren Schicksal er unaufhörlich fürchtete, und je deutlicher sich in den fortschreitenden Begebenheiten der Zeit erkennen ließ, daß er nur zu richtig die Uebel seines Vaterlandes voraus gesehen hatte, um so heftiger wurde seine Unruhe, und sein Herz wurde von den quälendsten Sorgen um das Schicksal seiner Kinder zerrissen, denn seine Phantasie spiegelte ihm die furchtbarsten Ereignisse vor. Es konnte seiner bejahrten Freundin nicht gelingen, ihn zu beruhigen. Eine furchtbare Revolution, pflegte er oft, wenn sie ihm Trost einsprechen wollte, zu sagen, bricht über mein unglückliches Vaterland herein, und ich weiß wohl, daß diese in der Zukunft für Frankreich, ja für ganz Europa die heilsamsten Früchte tragen kann, aber in der Gegenwart, wo alle Leidenschaften aufgeregt sind, wird sie wüthen wie ein furchtbarer Orkan, der zwar auch die Luft reiniget, aber Wehe dem, der ihm nicht ausweichen kann.[39]

Endlich kam er eines Morgens mit triumphirender Miene in unser Haus, von einem jungen Manne begleitet, welchen meine würdige Großtante mit herzlicher Freude als den jungen Blainville begrüßte. Sie wünschte dem Vater aufrichtig Glück, daß durch die Ankunft des so heiß ersehnten Sohnes die Unruhe seines Herzens beendigt sei, und fragte den jungen Mann mit Theilnahme nach seiner Schwester. Er berichtete mit Kummer, daß es ihm unmöglich geworden sei, für die Schwester und sich Pässe zu erhalten, daß er gezwungen gewesen, sich ohne Paß über die Grenze zu schleichen, welches er nicht habe bewerkstelligen können, ohne Gefahren sich auszusetzen, denen ein junges Mädchen unmöglich könne preisgegeben werden; er habe also in Paris, wo sie verborgen und in Sicherheit leben könne, auf's Beste für sie gesorgt, und da er selbst bald zurück müsse, so hoffe er dann vielleicht Mittel zu finden, auch sie dem Vater zuzuführen.

Der junge Blainville schien durch meinen Anblick überrascht, und es war nicht zu verkennen, daß er sich vom ersten Augenblicke unserer Bekanntschaft an mit Innigkeit mir zuwendete; sein Vater schien seine Neigung durch seinen Beifall zu unterstützen, meine Großtante wirkte ihr nicht entgegen, und meine Mutter schien sie Anfangs nicht zu bemerken.

Wer jemals die Süßigkeit der Momente empfunden hat,[40] wenn zwei junge Herzen sich gegeneinander öffnen, um sich zu vereinigen, der wird es begreifen, daß es mir schien, als ob die Sonne nur in dem Herzen ruhte, deren glänzende Strahlen Alles um mich her beleuchteten und verschönten. Der alte würdige Blainville streichelte oft meine glühenden Wangen und nannte mich sein Kind, seine zweite Tochter, den Trost seines Alters. Ich begriff nicht, warum diese Schmeichelworte mir Thränen entlockten, und doch war ich so selig in diesen Thränen.

Meine Großtante und der alte Blainville hatten jetzt häufig lange Unterredungen mit einander, die ihre vertrauliche Freundschaft noch zu befestigen schienen, aber ich bemerkte, daß nach solchen Unterredungen die Tante oft besorgte Blicke auf meine Mutter richtete; endlich schien diese sich an die Gefühle ihrer Jugend zu erinnern, und sie begann die Gefahr, die ihren Plänen drohte, zu ahnen. Sie bereute nun das ihrer Tante gegebene Versprechen, mich nicht aus ihrer Nähe entfernen zu wollen, und wußte nicht, wie sie dieß erfüllen und doch zugleich ihrem Gelübde treu bleiben sollte. Endlich glaubte sie durch Aufrichtigkeit gegen Alle einem drohenden Uebel begegnen zu können. Sie ergriff also die erste schickliche Gelegenheit, um in des alten, wie des jungen Blainvilles Gegenwart zu erklären, daß sie mein Leben dem Heiland geweiht und mich deßhalb für das[41] Kloster bestimmt habe, und von ihrer gütigen Tante hoffe, daß sie mir erlauben würde, bald mein Probejahr anzutreten. Wie ein Donnerschlag wirkte diese Erklärung auf den jungen Blainville. Ich sah ihn erbleichen und hielt meine strömenden Thränen nicht zurück, der alte Blainville sah verlegen auf die Tante, die einen etwas zornigen Blick auf die Nichte richtete; aber diese blickte triumphirend, wie nach einem gewonnenen Siege, umher.

Die schöne Ruhe war aus unserm Kreise gewichen, aber dennoch war nicht erreicht worden, was meine Mutter im frommen Eifer für ihre Kirche und aus blinder Liebe für meinen Bruder wollte. Ich suchte die Einsamkeit, aber nicht bloß um meinen Thränen Luft zu machen, sondern um mich auch in dem Vorsatze zu bestärken, mich nicht für meinen Bruder opfern zu lassen. Ich entwarf manche Pläne, wie ich mich dem alten Herrn Blainville anvertrauen und seinen Rath benutzen wollte, aber wenn ich mit ihm zusammentraf, konnte ich den Muth nicht dazu finden.

Der junge Blainville hatte bald meine einsamen Spaziergänge entdeckt, und eine Erklärung, die vielleicht ohne die Aeußerungen meiner Mutter unsere Schüchternheit noch lange zurückgehalten hätte, vereinigte nun auf das Festeste unsere Herzen; wir gelobten uns mit allem Ungestüm der Jugendliebe ewige Treue, und hofften von der Zeit, von der[42] Güte meiner Großtante, von dem Einflusse des alten Blainville unser Glück; aber freilich konnten wir es uns nicht verhehlen, daß dieser niemals einem Plane seine Zustimmung geben würde, der offenbar das Recht einer Mutter verletzt hätte; von dieser Mutter aber konnten wir weder durch Bitten, noch durch Thränen etwas zu gewinnen hoffen, da das vermeinte Seelenheil eines geliebten Sohnes ihr wichtiger war, als das irdische Glück einer wenig geliebten Tochter, und so schlossen sich alle unsere Unterredungen mit hoffnungslosen Thränen, und nur Eins ward jedes Mal von Neuem beschlossen, in unserer Liebe ohne Wanken auszuharren.

Ich hatte dem jungen Blainville meine Vermuthung anvertraut, daß mein Bruder durch eigennützige Absichten bei seinem Handeln geleitet würde, und daß er die Bekehrung selbst, auf die meine Mutter so inbrünstig hoffte, nur vorspiegele, um mich in's Kloster zu verstoßen und so auch noch das kleine Erbe zu behalten, welches mein Vater mir ausgesetzt hatte, und wir beklagten um so schmerzlicher die Blindheit der Mutter, die mich diesem Bruder opfern wollte, als unvermuthet er selbst erschien und seine Ankunft uns zum Trost gereichte, was wir am Wenigsten erwartet hätten.

Als die erste Freude der Bewillkommnung vorüber war, erschrak meine Mutter, ihren Sohn so verändert zu finden;[43] die Blüte der Jugend war von seinen Wangen schon abgestreift, seine Gestalt zusammengesunken, obgleich er kaum zwei und zwanzig Jahre alt war, und er schob die Schuld der traurigen Veränderung, die mit ihm vorgegangen war, auf den vielen Kummer, den ihm sein Vormund verursache, der, wie er behauptete, seine Neigung zur katholischen Religion entdeckt habe. Er trieb die Heuchelei so weit, daß wenig fehlte, und meine Mutter hätte ihn für einen Märtyrer des Glaubens gehalten. Der alte Blainville, der die Welt besser kannte, als sie, vertraute der Tante nach wenigen Tagen, daß ihm der junge Mann ein leidenschaftlicher Spieler zu sein schiene.

Es ließ sich bald erkennen, daß mein Bruder neue Summen von meiner Mutter zu erhalten wünschte, und daß diese so bedeutend sein mußten, daß sie ihre Kräfte überstiegen, denn sein Mißmuth ließ sich eben so wenig, als ihre Thränen verhehlen. Da der alte Blainville die Verhältnisse meiner Familie kannte, so gab er seinem Sohne einen Rath, der unser Glück herbeiführte. In Folge dieses Rathes nämlich suchte der junge Blainville sich meinem Bruder zu nähern, er bot ihm die Hülfe, welche die Mutter nicht gewähren konnte, und übernahm es zugleich, mich zu verpflichten, auf mein kleines Erbe Verzicht zu leisten, wenn er die[44] Mutter dazu bestimmen könne, in unsere Verbindung zu willigen.

Mit welchem frohen Erstaunen wurde mein Herz erfüllt, als mein Bruder sich mir nun liebreich näherte und den frommen Wahn der Mutter beklagte, der ohne Schonung meine Jugend opfern wollte; er segnete den Gedanken, der ihn zu rechter Zeit herbeigeführt hätte, um ein solches Unglück zu verhindern. Mir klangen diese Worte in seinem Munde so fremd, daß ich ihn Anfangs mit Mißtrauen betrachtete; er lächelte und sagte: wirst Du denn niemals Zutrauen zu mir gewinnen, meine gute Schwester? Ich beförderte den Plan der Mutter, weil ich glaubte, ein geistliches Leben sei Dein wahrer Beruf, Deine eigene Wahl; da mich aber Blainville, der mehr Vertrauen zu mir hat, als Du, eines Besseren belehrt hat, so werde ich die Mutter noch heute bestimmen, Eure Hände in einander zu fügen.

Da ich keine Kenntniß davon hatte, durch welche Mittel Blainville meinen Bruder bestimmt hatte, unser Glück zu befördern, so warf ich mich mit Thränen der Reue in seine Arme; ich gestand ihm die nachtheiligen Gedanken, die ich über ihn genährt hatte; ich bat ihn dieser innerlichen Beleidigung wegen um Verzeihung; ich überhäufte ihn mit Dank und Liebe, und war unendlich beglückt, als er mir großmüthig verzieh und sich meine Liebe gefallen ließ. Ich[45] fürchtete nur noch, er würde die Mutter nicht bestimmen können. Laß das meine Sorge sein, erwiederte er mit einem beinah verächtlichen Lächeln.

Er verließ mich, um die Mutter sogleich zu sprechen. Mein Herz pochte, als ich in ihrem Zimmer Beide laut und heftig sprechen hörte, und ich erfuhr nachher, daß mein Bruder erklärt habe, er könne es nicht ertragen, daß ich um einer Einbildung Willen geopfert würde, denn um seinen Uebertritt zur katholischen Kirche zu erreichen, dazu bedürfe es dieses Opfers nicht, und mein Gebet für ihn würde eben so kräftig wirken, wenn ich auch keine Nonne, sondern Blainvilles Gattin würde. Er sei entschlossen, so bald er mündig geworden, zu der katholischen Kirche überzutreten, wenn meine Mutter ihre Einwilligung zu meiner Verbindung geben wolle, würde aber diese verweigert, so werde er einen feierlichen Eid leisten, als Protestant zu sterben. Diese Drohung wirkte, wie sie sollte, und bestimmte meine Mutter, sogleich den lang genährten Plan aufzugeben, und sie trat an der Hand des Bruders in den Saal, um mir dessen große Liebe, die nur mein Glück wolle, zu verkündigen. Sie ermahnte mich, die oft begangene Sünde zu bereuen, daß ich diesen edeln Bruder des Eigennutzes beschuldigt habe, denn wäre er eigennützig, schloß sie ihre Rede, so würde er mich nicht bestimmt haben, Dich zu verheirathen, was ihn[46] nöthigt, Dir Dein Erbe auszuzahlen, welches ihm geblieben wäre, wenn Du den geistlichen Stand erwählt hättest. Mein Bruder ließ es geschehen, daß ich ihm meine Reue noch ein Mal bezeigte, ja er duldete es, daß ich seine Hände dankbar küßte, die, wie ich wähnte, mich dem Leben zurück gaben.

Noch denselben Abend wurde ich mit dem jungen Blainville verlobt, und in wenigen Tagen sollte unsere Verbindung gefeiert werden. Wir waren beide viel zu entzückt und zu sehr mit unserm Glück beschäftigt, als daß wir uns über die Art gegen einander erklärt hätten, wie mein Bruder unser Wohlthäter geworden war; nur lächelte mein Verlobter, wenn ich die Liebe und Großmuth dieses Bruders pries.

Befremdend war es mir daher, als nach wenigen Tagen der alte Blainville mich in sein Kabinet führte und mich bat, eine Schrift zu unterzeichnen, worin ich auf jede Erbschaft meines Vaters zum Vortheil meines Bruders Verzicht leistete, mit der Bewilligung meines künftigen Gemahls und meines Schwiegervaters. Dieser versicherte mir, meines Bruders Verhältnisse machten dieß durchaus nothwendig, auch wollte er mir sogleich die Summe ersetzen. Ich zögerte nicht zu unterschreiben, aber die Täuschung war geendigt, ich wußte nun, daß nicht Liebe für mich meinen Bruder bewogen hatte, mein Glück zu befördern, und ich hörte es ohne Kummer, wie mein Schwiegervater hinzufügte, daß meines Bruders[47] schleunige Abreise so nöthig sei, daß er nicht Zeuge meiner Verbindung mit seinem Sohne würde sein können, da diese um eine Woche hätte aufgeschoben werden müssen, weil der Geistliche krank geworden sei, der, wie er und meine Großtante wünschten, den Segen über unsere Verbindung sprechen sollte.

In der That reiste mein Bruder nach zwei Tagen ab, nachdem er die Summe von Blainville erhalten, die ihm dieser zugesichert hatte. Mein Schwiegervater liebte seinen Sohn auf das Zärtlichste; er wollte nur sein Glück, und da er sah, daß dieß Glück ohne eine Verbindung mit mir nicht denkbar war, so that er Alles, um sie herbei zu führen; aber da er mächtige Feinde in Frankreich hatte, da ihm dort noch eine Tochter lebte, um derent Willen er selbst oder der Sohn dahin zurückkehren mußte, so war Vorsicht für ihn um so nöthiger, weil er, um seine Feinde zu täuschen, das Gerücht hatte verbreiten lassen, er sei gestorben. Er hatte also selbst einen Aufschub meiner Verbindung mit seinem Sohne veranlaßt, um meinen ungeduldigen Bruder zu entfernen, dem er seinen wahren Namen nicht anvertrauen wollte, der doch in diesem feierlichen Augenblicke genannt werden mußte. Meine Mutter, deren Verschwiegenheit er nicht vertraute, war nicht zu fürchten, denn sie selbst hatte erklärt, ihr Gefühl erlaube ihr nicht, bei meiner Trauung gegenwärtig zu sein; da es[48] ihre liebste Hoffnung gewesen sei, mich als eine Braut Christi zu sehen, so könne sie mich zwar segnen, aber jede irdische Verbindung nur beweinen.

Zu meinem Befremden bestritt Niemand diesen Vorsatz, und als ich mit Thränen meine Mutter bewegen wollte, ihren Entschluß zu ändern, führte mich meine Großtante hinweg und sagte: Laß Deine Mutter bei ihrem Entschlusse, es ist für Alle der beste, den sie hätte fassen können.

Der feierliche Tag war erschienen; die Trauung sollte in der Kirche eines nahen Dorfes stattfinden; meine Großtante begleitete mich dahin, Blainville kam in Begleitung seines Vaters und des Kammerdieners, den ich ihn immer wie einen Freund hatte behandeln sehen; dieß waren die Zeugen, die gegenwärtig sein sollten.

Meine Großtante sagte mir auf dem kurzen Wege: Ich habe Dich nicht lange allein sprechen können in diesen Tagen, weil ich nicht die Aufmerksamkeit Deiner Mutter erregen wollte, und so bleibt mir nun keine Zeit, Dich gehörig vorzubereiten, und ich muß Dich nur bitten, nicht überrascht zu sein, wenn der Geistliche, der Euch verbindet, nicht den Namen Blainville ausspricht, den Dein künftiger Gemahl und Dein Schwiegervater hier nur ihrer Sicherheit wegen führen; in ruhiger Stunde wirst Du alles Nöthige von Beiden selbst erfahren, ich kann Dich nur daran erinnern, daß Du den Mann[49] liebst und nicht den Namen, auch daß Niemand eine Täuschung beabsichtigt hat und in der gegenwärtigen schlimmen Zeit manche Vorsicht nöthig wird. Es kränkt mich, daß Du in diesem wichtigen Augenblicke durch andere Gedanken zerstreut wirst, da Du nur fromme haben solltest; aber doch konnte ich Dich nicht ganz unvorbereitet lassen.

Ich hatte mich noch nicht von meinem Erstaunen erholt, als unser Wagen vor dem Eingange des Kirchhofes hielt, der die kleine Kirche umgab. Mein Verlobter wartete hier auf mich und führte mich zur Kirche; mein Gemüth war wunderbar bewegt, das kleine Gefolge, die beinah heimliche Trauung, die Ungewißheit über den Namen meines künftigen Gemahls, Alles versetzte mich in eine so ängstliche Spannung, daß ich das Feierliche der Handlung kaum empfinden konnte und vor Allem darauf lauschte, welchen Namen der alte, ehrwürdige Geistliche aussprechen würde, um den Mann, der ihn führte, mit mir zu verbinden, und überrascht zuckte ich zusammen, als er ihn unter dem Namen Graf Evremont fragte, ob er mich zur Gefährtin seines Lebens wähle.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 2, Breslau 1836, S. 35-50.
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