XIII

[276] Es waren kaum einige Minuten verflossen, nachdem der Prediger den Arzt verlassen hatte, und dieser fing eben an[276] sich auszukleiden, wobei er aus tiefster Brust in abwechselnden Tönen gähnte, als seine Thüre geöffnet wurde und Graf Robert zu seinem Erstaunen bei ihm eintrat. Bester Herr Doktor, redete ihn dieser mit verstörter Miene an, mit Angst und Sorgen habe ich gewartet, bis der Prediger Sie verlassen hat, um Ihre Hülfe in Anspruch zu nehmen. Ich weiß, Sie sind ein verschwiegener Mann und treuer Freund.

So weit die Welt mich kennt, sagte der Arzt, sich in die Brust werfend, wird mir Niemand diese Eigenschaften absprechen.

Eben darum, erwiederte der junge Graf, nehmen wir unsere Zuflucht zu Ihnen. Einer meiner jungen Freunde ist in eine Ehrensache verwickelt, ein Duell war die Folge, in dem er verwundet worden ist. Er scheint sehr zu leiden und weigerte sich doch standhaft, Sie früher um Ihren Beistand zu bitten, als bis Sie allein sein würden, denn Verschwiegenheit ist in seiner Lage durchaus nothwendig.

Sie können darauf rechnen, sagte der Arzt, der seinen Rock schon wieder angezogen hatte, meine Lippen schweigen wie das Grab. Das ist die Pflicht des Arztes, und Sie wissen, daß ich alle meine Pflichten erfülle. Nach diesen mit großem Nachdruck gesprochenen Worten, nahm er alle chirurgischen Instrumente zusammen, so wie alles zum Verband[277] Erforderliche. Diese Sachen werden wir vermuthlich brauchen, sagte er mit einem schlauen Lächeln, da Sie des Wundarztes mehr, als des Doktors zu bedürfen scheinen.

Er folgte nun dem jungen Grafen nach dessen Zimmer, wo sie seine beiden Freunde und den jungen Gustav antrafen. Sie haben den jungen Menschen in Ihre Geheimnisse eingeweiht, sagte der Arzt, indem er verwundert einen Schritt zurücksprang; verlassen Sie sich auf seine unbedachtsame Jugend?

Sein Sie ruhig, erwiederte der Graf, ihn hat ein hartes Schicksal früh gereift; seiner Vorsicht dürfen wir uns unbedingt vertrauen.

Wenn das ist, sagte der Arzt, so verdient er die höchste Achtung. Aber, fuhr er mit bedenklicher Miene fort, wenn Ihr Geheimniß nicht verschwiegen bleibt, so denken Sie daran, daß Sie es mir nicht allein vertraut haben. Nach diesen Worten näherte er sich dem Kranken, der in einem Lehnstuhle saß und sehr zu leiden schien. Sein Gesicht war bleich wie das eines Todten, und die blauen, zuckenden Lippen deuteten auf heftige Kälte, die den ganzen ermatteten Körper zu beben zwang. Der hat ein tüchtiges Wundfieber, sagte der Arzt, zum Grafen gewandt; sein Zustand muß sogleich untersucht werden. Er näherte sich hierauf dem Kranken und sagte mit etwas heftiger Stimme: Und warum[278] liegen Sie denn bei Ihrer Ermattung nicht ordentlich ausgekleidet im Bette?

Sein Arm ist so aufgeschwollen, sagte der junge Graf, daß wir ihn nicht von seinem Rocke zu befreien vermochten.

Der Arzt sah, daß selbst über Hand und Finger sich eine starke Geschwulst verbreitet hatte. Er antwortete nichts, sondern nahm aus seinem Besteck eine Scheere und schnitt den Aermel des Rocks der Länge nach auf. So klug hätten Sie lange sein können, sagte er, sich an den jungen Gustav wendend, der ihm zu seiner Beschäftigung leuchtete, weil er diese verweisenden Worte nicht an die andern Gegenwärtigen geradezu richten und ihnen doch eine Lehre für die Zukunft geben wollte. Als der Verwundete von seinem beschwerlichen Kleidungsstücke befreit war, zeigte es sich, daß seine Wunden unter dem Verbande stark geblutet hatten, und es war nicht möglich, den alten Verband ohne Schmerzen abzunehmen. Während nun der Arzt hiemit beschäftigt war, rief er mehrere Mal: In welchen Händen sind Sie gewesen? Wie haben Sie sich einem Menschen anvertrauen können, der nicht einmal einen Verband aufzulegen versteht? Das ist ja ärger, als ob Sie unter die Wilden gerathen wären, denn die werden es doch noch besser verstehen, eine Wunde zu verbinden. Der junge Graf suchte ihn zu beruhigen, indem er ihm sagte, daß sein Freund nicht hätte daran denken[279] können, für seine Gesundheit zu sorgen, indem er nur auf seine Sicherheit habe Rücksicht nehmen können, und deßhalb wären schon zwei Tage verflossen seit dem ersten Verbande. Wenn Sie meinen Verband nach sechs Wochen abnehmen wollten, erwiederte der Arzt mit Verachtung, so würden Sie ihn immer noch in ganz anderm Zustande antreffen.

Während dieser Rede war es endlich gelungen, die Wunde zu befreien, und der Arzt heftete einen langen, bedeutenden Blick auf den jungen Grafen, indem er einen Ausruf, der seinen Lippen entschlüpfen wollte, gewaltsam zurück drängte und dabei so wunderliche Gesichter machte, daß nur der Ernst des Augenblicks so mächtig auf seine Umgebung wirken konnte, daß sich keine Spur von Lachlust zeigte. Der Graf mochte nicht fragen, aber ihn selbst hatte der Anblick der Wunde und der ganz blau aufgelaufene Arm belehrt, daß das Uebel seines Freundes zu den ernsthaften gehörte. Mit schonender, leichter Hand hatte der Arzt die schlimme Wunde gereinigt und den kunstgemäßen Verband aufgelegt, und der Kranke fühlte sich sehr erleichtert. Der Graf gab ihm von seiner Wäsche, und der Arzt half ihn in eine bequeme Lage auf sein Lager bringen. Auch dieß schien in ihm eine wohlthätige Empfindung zu erregen. Als alles dieß beendigt war, fragte der Arzt den Kranken: Was haben Sie gegessen zu Abend? Gar nichts heute den ganzen Tag, erwiederte dieser, der[280] mit diesen Worten zuerst das bis jetzt beobachtete Schweigen brach. Obgleich die Stimme matt und krank war, so erkannte sie der Arzt dennoch, und sprang im höchsten Erstaunen drei Schritte zurück und rief: wunderbar! höchst wunderbar! Der junge Graf gerieth in den verzeihlichsten Irrthum, daß der Arzt die lange Enthaltsamkeit seines Freundes so lebhaft bewunderte, und sagte daher: Die heftigen Schmerzen haben den Armen gehindert, an Nahrung zu denken. Ach was! rief der Arzt, ich dachte jetzt nicht an Lebensmittel; aber was mich erschütterte, davon ist jetzt nicht Zeit zu reden. Jetzt muß ich als Arzt, als Menschenfreund handeln. Ihr Freund muß durchaus einige leichte, stärkende Nahrung haben, deßhalb wird es nöthig sein, Dübois gewissermaßen in unser Geheimniß zu ziehen. Er ist ein braver Mann, ob er gleich ein Franzose ist, wie wir ja überhaupt einige achtungswerthe Subjekte von dieser Nation kennen gelernt haben; und er ist sehr dienstfertig, obgleich er hier im Hause sehr verwöhnt wird. Man muß sich an ihn wenden, damit er Ihrem kranken Freunde etwas Kraftbrühe verschafft, denn er darf nicht länger ohne Nahrung bleiben. Sie hätten mir dieß nur mit wenigen Worten auftragen dürfen, sagte der junge Gustav empfindlich. Herr Dübois ist der menschenfreundlichste Mann von der Welt und wird gewiß sogleich aus dem Bett aufstehen, um herbei zu schaffen,[281] was Sie bedürfen. Nach diesen Worten ging der junge Mensch hinweg, und der Arzt beobachtete noch eine Zeit lang den Kranken; dann sing er an, seine auf dem Tische ausgebreiteten Instrumente sorgfältig zu reinigen und einzupacken, und er hatte dieß Geschäft noch nicht geendigt, als der Jüngling schon wieder eintrat und eine Schale Kraftbrühe für den Kranken selber brachte. Der Arzt eilte, um diesen im Bette aufzurichten und, während er die dargebotene Nahrung nahm, zu unterstützen. Der Kranke fühlte die wohlthuende Wirkung der Nahrung, die er zu sich genommen, und senkte sein Haupt unmittelbar darauf zum Schlaf auf die Kissen nieder.

Der Arme! sagte Graf Robert, er hat zwei Nächte ohne Ruhe, gepeinigt von Sorgen, zu Pferde zugebracht, und diesen ganzen Tag ohne Nahrung, weil die Schmerzen der schlecht verbundenen Wunde zu heftig wurden.

Wir wollen nun sehen, sagte der Arzt, wie es morgen sein wird. Ich werde nicht eher kommen, als bis Sie mich rufen, damit ich nicht unnütz seinen Schlaf störe, denn Ruhe bedarf Ihr Freund vor allen Dingen. Sobald er aber erwacht ist, zögern Sie keinen Augen blick mich zu rufen. Nach diesen Worten ging der Arzt hinweg, um sich ebenfalls zur Ruhe zu begeben, deren Bedürfniß er auch zu fühlen begann.

Der Graf Robert schlief wenig in dieser Nacht. Der[282] ängstliche Zustand seines verwundeten Freundes hatte keinen andern Gedanken bis jetzt Raum gegeben, als nur solchen, die dazu dienten, dessen Schmerzen zu erleichtern. Jetzt aber, in der Stille der Nacht, überließ er sich dem Nachdenken. Er wußte noch nicht, welche Mittheilungen ihm beide Freunde zu machen hätten, und er wünschte den Morgen herbei, um sowohl den Zusammenhang des Unglücks, welches den einen betroffen, zu erfahren, als auch zu der Kenntniß zu gelangen, welche Art von Beistand sie eigentlich von ihm erwarteten. Der Verwundete, sein ehemaliger Regimentskamerad, ein Herr von Wertheim, war entschlummert; der Andere, welcher gleichfalls bei demselben Regimente mit dem Grafen gedient hatte und ein Baron Lehndorf war, warf sich unruhig auf dem Lager umher, und der Graf hörte seine tiefen Seufzer, und er bemerkte, daß sein bekümmerter Gast erst in einen unruhigen Schlummer fiel, als schon der Morgen zu dämmern begann. Endlich behauptete die Natur ihr Recht und auch die Augen des Grafen Robert waren geschlossen. Ein sanfter Schlummer ruhte auf den Augenliedern der drei Freunde, als der Arzt mit leisen Schritten, von Gustav begleitet, in das Zimmer schlich. Er hatte sich gewundert, daß ihn noch Niemand gerufen hatte, und wunderte sich nun noch mehr, hier noch Alles in sanften Schlaf versenkt anzutreffen. Er näherte sich behutsam[283] dem Lager des Kranken und betrachtete ihn aufmerksam. Wenn Sie nun, wendete er sich tröstend zu Gustav, dieses jugendliche, bleiche Gesicht betrachten, dem der Kummer unverkennbar seine Züge aufgedrückt hat, wenn Sie diesen wehmüthigen Mund ansehen, werden Sie wohl glauben, daß diese Gliedmaßen und Lineamente dem rohesten Menschen angehören? Verwundert und zweifelnd sah der Jüngling den Arzt an. Ich weiß, was ich sage, rief dieser, durch die zweifelnde Miene seines Zuhörers beleidigt, die nöthige Vorsicht vergessend, und der Kranke schlug die blauen Augen auf, und zugleich ermunterten sich die andern Schläfer. Nun, wie geht es heute, fragte der Arzt den Verwundeten; es thut mir leid, daß ich Ihre Ruhe gestört habe.

Wunderbar, erwiederte der Verwundete mit tiefer, wohltönender Stimme, vor deren Klang aber der Arzt ein wenig zurückbebte, wunderbar hat Ihre Hülfe und die Ruhe der Nacht meine Schmerzen gelindert, und ich fühle, daß ich aufstehen kann, ohne meine Kräfte anzustrengen. Erst wollen wir Ihren Arm betrachten, sagte der Arzt, dann wird es sich zeigen, ob Sie aufstehen können. Der Verband wurde abgenommen und der Arzt überzeugte sich bald, daß der schlimme Anschein am vorigen Abend ihn getäuscht habe, der wahrscheinlich daher entstanden war, weil der junge[284] Mann seine Kräfte mehr angestrengt hatte, als die menschliche Natur erlaubt, denn er hatte, ohne zu ruhen, seine Reise zwei Tage und zwei Nächte zu Pferde fortgesetzt. Dadurch war die Wunde gereizt und das heftige Wundfieber erregt worden, auch mochte der schlechte Verband das Uebel vermehrt haben. Sie können aufstehen, sagte der Arzt gleichgültig, nachdem er den neuen Verband aufgelegt hatte. Es ist gar keine Gefahr, daß Sie den Arm verlieren könnten, wie es mir gestern schien, und man kann auch heute ein vernünftiges Wort, wie ein Mann zum Manne, mit Ihnen reden, ohne daß ein einsichtsvoller Arzt die Erschütterung Ihrer Nerven zu sehr befürchten muß.

Die Augen aller Anwesenden waren mit dem Ausdrucke des höchsten Erstaunens auf den Arzt gerichtet, denn Niemand begriff, was auf diesen Eingang folgen sollte.

Ja, ja, meine Herren, sagte dieser, indem er mit Selbstgefühl umherblickte, Sie sehen mich an und Ihre Mienen drücken Verwunderung über meine Rede aus, aber Sie, mein junger verwundeter Herr, dessen Name ich nicht die Ehre gehabt habe zu erfahren, obgleich wir nun zum zweiten Male bei einer merkwürdigen Gelegenheit zusammentreffen, was wäre denn nun aus Ihnen geworden, Wer hätte hier Ihre Wunden verbinden sollen, wenn Sie mich, wie Sie vor einigen Monaten beabsichtigten, zum Fenster[285] hinaus geworfen hätten? Nach einem solchen Sturze hätte ich wahrscheinlich Niemandem mehr meine Hülfe angedeihen lassen können, und Falls ich mich auch vollkommen erholt hätte, so weiß ich doch nicht, ob meine Philosophie mich so stark gemacht haben würde, dem hülfreiche Hand bieten zu können, der seine Hände feindlich und gewaltthätig an mich gelegt hätte. Daß dieses Unglück vermieden ist, haben Sie nur dem Herrn Grafen zu verdanken.

Der Arzt hätte seine Rede noch viel länger fortsetzen können, denn alle Zuhörer waren so erstaunt, daß Niemand daran dachte, ihn zu unterbrechen. Als er endlich schwieg, trat der Graf Robert zu ihm und sagte, indem er ihm sanft die Hand auf die Schulter legte: Bester Doktor, reden Sie im Fieber?

Keineswegs, erwiederte der Arzt, indem er sich der Berührung entzog. Der Kranke weiß auch recht gut, daß dem nicht so ist, denn seinem Gedächtnisse wird es nicht entschwunden sein, daß er hier mit seinen Heerschaaren anrückte und statt höflich, wie es dem Freunde ziemte, seinen Bedarf für Rosse und Männer zu fordern, das Schloß gewissermaßen mit Sturm zu nehmen dachte, und friedliche, wissenschaftlich gebildete Einwohner, die sich nicht Landesverräther wollten schelten lassen, zum Fenster hinaus zu werfen drohte.[286]

Wie, rief der Kranke, indem er sich erhob; so bin ich hier unter dem Dache des Franzosenfreundes?

Sie sind unter dem Dache des edelsten Mannes, meines Oheims, erwiederte Graf Robert mit Ernst.

Wie ist es denn? sagte der verwundete Herr von Wertheim, dieser Arzt spricht ja doch, als ob ich im Hause des Mannes wäre, von dem damals angezeigt wurde, daß er während des ganzen Krieges einen französischen Offizier bei sich habe, mit dem er in der größten Vertraulichkeit lebe.

Den habe ich hier, den französischen Offizier, rief der Arzt mit glühenden Wangen und funkelnden Augen, und Sie können ihn sehen. Vollkommen habe ich ihn hergestellt, gesund und blühend kann ich ihn zeigen, und so gut kann es Ihnen auch werden, wenn Sie sich vernünftig betragen.

Der Graf eilte den Arzt zu unterbrechen, dessen steigende Hitze unangenehme Auftritte zu veranlassen drohte, wie er auch in seinem Eifer gänzlich vergaß, daß er den Kranken zu schonen habe. Diesem theilte nun der besonnenere Freund St. Juliens Verhältnisse in diesem Hause mit, und mäßigte die aufbrausende Hitze des Arztes am Besten dadurch, daß er, nachdem er den traurigen Zustand beschrieben, in welchem der junge Franzose im Hause seines Oheims aufgenommen wurde, es rühmend anerkannte, daß er nur durch die Geschicklichkeit[287] des Arztes lebe und seiner Familie zurückgegeben werden könne.

Wenn dem so ist, erwiederte Herr von Wertheim, und wie könnte ich daran zweifeln, da ich von Ihnen, theurer Freund, die Aufklärung erhalte, so habe ich in thörichter Hitze Ihren Oheim sehr beleidigt; ja, ich gestehe, ich habe mich so vergessen, daß nur allein die Verzweiflung, die in meinem Herzen tobte, mich einigermaßen entschuldigen kann. Sie wissen es selbst, wo wir uns zeigten, gewahrten wir den Untergang unseres Vaterlandes. Feigheit und Verrath zerrissen das Herz unseres Königs und seiner Getreuen, und es ist begreiflich, daß die Verläumdung Eingang fand. Aus diesen Gründen, hoffe ich, wird mir Ihr Oheim vergeben, und Sie werden auch Ihren Freund, den Herrn Doktor, bewegen, mir seine Verzeihung zu bewilligen.

Als Christ, rief der leichtversöhnliche Arzt mit feierlicher Stimme, als Christ habe ich Ihnen längst vergeben; als Mensch verzeihe ich Ihnen jetzt und als Arzt, fügte er hinzu, indem er die Augen halb zudrückte und schalkhaft blinzelte, denke ich feurige Kohlen auf Ihr Haupt zu sammeln, und das wird mir nicht schwer werden, denn Ihre Verwundung wird mir nicht so viel Noth machen, wie die des armen St. Julien. Sie haben nur durch die Vernachläßigung so viel gelitten, aber er war in einem traurigen Zustande,[288] und stolz schlägt das Herz in meiner Brust, so oft ich ihn ansehe, denn ohne mich würde er längst im Grabe ruhen und könnte alle die Possen nicht treiben, mit denen er uns belustigt, aber auch mich zuweilen ärgert.

Nachdem die Versöhnung erfolgt war, frühstückte der Arzt in bester Freundschaft mit den drei Herren und eilte dann seine Kranken zu besuchen, so wie sein dem Prediger gegebenes Versprechen zu erfüllen und ihm zugleich das wunderbare Zusammentreffen mit einem Manne zu vertrauen, dessen feindselige Gesinnung einst seinem Leben Gefahr gedroht hatte; doch wollte er dessen Verwundung, wie er es gelobt hatte, pflichtmäßig verschweigen.

Als der Arzt die Freunde verlassen hatte, wurden alle Gesichter ernster. Der Graf Robert erwartete die Mittheilung, die ihm gemacht werden sollte, und seine Gäste fühlten die Nothwendigkeit zu reden.

Sie sehen uns hier bei Sich, theurer Freund, begann der Baron Lehndorf, in einem traurigen, ungewissen Zustande.

Laß mich reden, unterbrach der junge Wertheim den Sprechenden, die Erwähnung aller traurigen Umstände, die berührt werden müssen, würde Dich noch mehr als mich verletzen, wie ich Dein Gemüth kenne. Der Baron schien dem Freunde gern das Recht der Rede einzuräumen und lehnte sich still, mit bekümmerter Miene in den Sessel zurück.[289]

Es ist keine Schande, arm zu sein, begann der Herr von Wertheim, denn die zufälligen Gaben des Glücks bestimmen nicht den Werth des Menschen; deßhalb sage ich es ohne Erröthen, daß meine Jugend und Gesundheit mein einziges Vermögen waren, denn die sehr verschuldeten Güter meiner Familie sind schon mehrere Geschlechter hindurch das Erbe einer andern Linie, und meine Vorfahren hatten sich rühmlich, wenn auch nicht prächtig, durch Kriegsdienste und Staatsämter erhalten. Meinen Vater hatte ich früh verloren, und meine sehr kränkliche Mutter lebte mit meiner Schwester von einer kleinen Pension sehr beschränkt, so daß ich selbst zuweilen noch einen Theil meines mäßigen Gehaltes anwenden mußte, um ihren kümmerlichen Haushalt zu unterstützen. Mit meinem Freunde Lehndorf verband mich früh eine brüderliche Neigung, und die zunehmenden Jahre steigerten diese bis zur innigsten Freundschaft, die sich in jeder Stunde unseres Lebens treu bewies. Der junge Mann sprach diese Worte mit bewegter Stimme, indem er seinem Freunde die Hand reichte, und fuhr dann mit ruhigerem Tone fort: Lehndorf war in einer besseren Lage als ich. Er war allein, und ein kleines Erbe unterstützte ihn so lange, bis er hoffen durfte, eine Eskadron zu bekommen, er genoß also seine Jugend ohne drückende Sorgen. Es konnte bei unserer Vertraulichkeit nicht fehlen, daß er meine Schwester kennen lernte.[290] Ihre Jugend und Liebenswürdigkeit machten Eindruck auf das Herz meines Freundes, und sie schien eine Empfindung zu theilen, von der wir hofften, daß sie unser Lebensglück erhöhen würde. Es ward bestimmt, sobald Lehndorf eine Eskadron bekäme, daß alsdann der Segen der Kirche ein glückliches Paar vereinigen und mir den zum Bruder weihen sollte, den ich längst als solchen liebte. Von heftiger Bewegung ergriffen sprang der Baron Lehndorf von seinem Sitze auf und eilte einige Mal hastig durch das Zimmer. Nachdem er sich gesammelt hatte, fuhr sein Freund also fort: So standen die Sachen, als der Krieg ausbrach. Welche unglückliche Wendung er nahm, ist bekannt. Die Pension meiner Mutter wurde nicht ausgezahlt, und ich traf meine Familie in der größten Armuth, als ich mit meinem Freunde zurückkehrte, der durch den unglücklichen Frieden so wie ich verabschiedet war. Jetzt schienen alle Hoffnungen zertrümmert und wir hätten dem größten Elende erliegen müssen, wenn mein Freund nicht großmüthig den Rest seines kleinen Erbes mit uns getheilt hätte.

Lehndorf machte eine ungeduldige Bewegung. Warum willst Du mich zwingen zu verschweigen, rief sein Freund, was die Wahrheit zu bekennen fordert, und was ich Dir eben so einfach und treu geboten hätte, wie Du mir, wenn die Verhältnisse die umgekehrten gewesen wären? Zum Grafen[291] gewendet fuhr er darauf fort: Das Liebesglück meines Freundes mußte verschoben werden bis zu einer besseren Zeit, die wir alle nicht aufgeben konnten zu hoffen. Meine Schwester gelobte die zärtlichste Treue, und unsere Sorgen richteten sich auf die nächste Zukunft. Sie selbst nahmen Theil an der innigen Verbindung deutsch gesinnter Freunde, und kennen die Verpflichtungen und den edeln Zweck unserer Vereinigung. Also können Sie denken, daß wir nicht zögerten, als mir und meinem Freunde der Auftrag wurde, einige ehemalige Kameraden, die so wie wir verabschiedet und in Unthätigkeit lebten, zu prüfen und wo möglich für unseren edeln Zweck zu gewinnen. Wir eilten den Wunsch unserer Brüder zu erfüllen und lebten daher nah an zwei Monate entfernt von unseren Lieben. Ein feindliches Schicksal wollte, daß während dieser Zeit ein französisches Regiment, welches bis jetzt zur Besatzung gehört hatte, von einem anderen abgelöst wurde, und daß der Obrist des einrückenden seine Wohnung in dem Hause nahm, wo auch meine Mutter und Schwester in strenger Zurückgezogenheit ein Paar Zimmer im Hinterhause bewohnten. Der Obrist hatte eine deutsche Frau, oder wenigstens galt sie dafür, denn ihre gemeinen Sitten haben mir Zweifel über die Art der Verbindung erregt, in welcher sie mit dem Obristen lebte. Diese suchte, unter dem Vorwande, daß ihr als einer Deutschen der Umgang[292] mit deutschen Frauen ein Trost sei, die Bekanntschaft meiner Mutter, und es gelang ihr durch manche kleine Dienstleistungen leicht, eine schwache, kränkliche Frau für sich zu gewinnen, so wie sie die unerfahrene Jugend meiner Schwester benutzte, um diese ganz in ihren Kreis hinüber zu ziehen. Als ich und mein Freund nach mühevollen, nur halb gelungenen Geschäften zurückkehrten, und die kleine Wohnung betraten, wohin mich kindliches und brüderliches Gefühl, und meinen Freund die Sehnsucht einer innigen, treuen Liebe zog, überraschte uns, da wir unvermuthet erschienen, ein seltsamer Anblick. Meine Schwester stand vor uns in reizender Blüthe der Jugend und Schönheit, geschmückt mit allem Tand, den die Mode fordert, um auf einem Balle zu glänzen. Ein Schrei des Schreckens entfuhr dem unglücklichen Geschöpf, so wie sie uns erblickte, und meine schwache Mutter suchte ihre Verlegenheit zu überwinden, um die nöthige Auskunft zu geben; so erfuhren wir, ein Ball, den der Obrist gebe, sei die Veranlassung des festlichen Putzes. Die deutsche Frau des französischen Kriegers habe die Einwilligung meiner Mutter erbeten, die ihrer armen einsamen Tochter doch auch nicht hartherzig jede Lust des Lebens habe verweigern wollen. Und als ich fragte, Wer denn den Tand bezahlt habe, der meine Schwester umflatterte, erfuhr ich, daß dieser der Frau Obristin gehöre, die meine Schwester so lieb gewonnen habe,[293] daß sie Alles mit ihr zu theilen wünsche. Sie können wohl denken, wie tief ich die zehnfache schmähliche Erniedrigung empfand, daß meine entartete Schwester bereit war, mit den Feinden ihres Vaterlandes im Tanze sich zu vereinigen, gegen die ihr Bruder und ihr Bräutigam jeden Augenblick mit Freuden gekämpft haben würden, auch den letzten Tropfen ihres Herzblutes nicht sparend, um sie von der Erde zu vertilgen, und daß die Tochter eines Edelmannes sich nicht schämte, um dieß zu können, den nichtigen Putz aus den Händen derselben Feinde zu empfangen, die ihr Vaterland zertreten und beraubt hatten, um nun mit diesem Raube eine prahlerische, entehrende Großmuth zu üben. Ich sagte meiner Mutter und Schwester alles, was mein empörtes Gemüth mir eingab, und nur meinem Freunde gelang es mich zu besänftigen, indem er um Schonung für die Geliebte bat. Es versteht sich, daß aller Putz sogleich zurückgesendet werden mußte, und meine unvermuthete Ankunft diente als Entschuldigung dafür, daß meine leichtsinnige Schwester nicht auf dem Balle erschien. Aber ich hatte die Kränkung zu erfahren, daß es nicht das erste Mal war, daß meine Mutter und Schwester sich geneigt gezeigt hatten, solchen Einladungen zu folgen, und ich mußte erfahren, daß letztere auf früheren Bällen, ungestört durch einen mürrischen Bruder, hatte glänzen und Beifall gewinnen können. Mit scheinbarer Demuth[294] hatte sie meine heftigen Verweise hingenommen; sie war blaß und still. Ich verbot allen Umgang mit den Franzosen auf's Strengste und glaubte, daß mir pünktlich Folge geleistet werden würde. Gegen meinen Freund verhielt sie sich leidend und ließ sich seine Zärtlichkeit eben nur gefallen, und er machte mir Vorwürfe, indem er behauptete, meine heftige Art zu tadeln habe einen tiefen, schmerzlichen Eindruck auf das zarte Gemüth meiner liebenswürdigen Schwester gemacht. Auch die Mutter meinte, so gar groß könne das Versehen nicht sein, da ja ihre Tochter nicht die einzige deutsche Dame sei, die auf den Bällen des Obristen getanzt habe. Da ich Mutter und Schwester nach wenigen Tagen wieder verlassen mußte, um noch unausgeführte Aufträge zum Besten unserer Verbindung zu besorgen, so ließ ich mich, im Vorgefühle der nahen abermaligen Trennung, leichter versöhnen, und der Friede in unserer kleinen Familie war hergestellt. Als ich nach wenigen Tagen mit meinem Freunde von Neuem abreisen mußte, forderte ich von meiner Schwester das Versprechen, sich während unserer Abwesenheit fern von den Feinden des Vaterlandes zu halten und keiner leichtsinnigen Lust nachzugeben. Sie reichte mir ohne zu antworten die Hand, indem ihre Augen von Thränen überflossen. Ich hielt das für ein feierliches Versprechen, und nachdem ich meiner Mutter meine Wünsche ernstlich an's Herz gelegt, reiste ich mit[295] meinem Freunde ruhig dahin, wohin unsere Bestimmung uns führte. Wir fühlten uns beide unbehaglich in der Ferne, mein Freund in dem Verlangen, das Gemüth meiner Schwester wieder völlig mit sich auszusöhnen, denn ihm schien es, als ob meine Strenge ihre Liebe zu ihm vermindert habe, und ich, weil ein dunkles Gefühl mir sagte, daß diese Schwester einer anderen Aufsicht, als der einer zu schwachen Mutter, bedürfe. Wir eilten also beide nach wenigen Wochen zurück, wenn auch mit manchen Sorgen im Herzen, doch ohne Ahnung des Jammers, der uns erwartete. Wir fanden die Mutter allein, verzweifelnd, dem Tode nah, die Schwester war verschwunden. Als unsere starre Verzweiflung so weit nachließ, daß wir nach den näheren Umständen fragen konnten, erfuhren wir, den Tag nach unserer Abreise habe der Bruder des Obristen ebenfalls die Stadt verlassen, um nach Paris und von dort zu einem Regimente an der spanischen Gränze zu gehen; in der folgenden Nacht sei meine Schwester verschwunden. Ein zurückgelassener Brief an die Mutter erklärte mit all den Redensarten, die jetzt so häufig gemißbraucht werden, sie sei durch eine unwiderstehliche Leidenschaft zu diesem Schritte gezwungen worden. Ein Kästchen, worin sie manche Kleinigkeiten aufhob, war vermuthlich im Drange dieser Leidenschaft vergessen worden, denn darin fanden sich mehrere Briefe, die den Gegenstand[296] ihrer Neigung bezeichneten, dem die Unglückliche das Glück des Lebens, die Ehre ihrer Familie und das Herz des edelsten Mannes geopfert hatte. Es war niemand anders als der Bruder des Obristen, und einige deutsche Billets von der Hand der Frau oder Geliebten des Obristen belehrten uns, daß sie das Ganze geleitet hatte.

Mit diesen Briefen in der Hand ließen wir uns beim Obristen melden. Wir wollten von ihm den Weg erfahren, den sein Bruder genommen, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen und die Unglückliche ihrem Verderben zu entreißen. Er wollte die Sache leicht französisch nehmen und gab ausweichende Antworten. Als mein Freund heftig und dringend wurde, sagte er lachend, für so unritterlich und unbrüderlich würden wir ihn doch nicht halten, daß er selbst uns seinem Bruder nachsenden würde, um ihm sein Glück zu entreißen. Als ich mit Heftigkeit von der Genugthuung sprach, die der erlittene Schimpf fordere, sagte er kaltblütig, er sei bereit, diese im Namen seines Bruders zu geben. Ich nahm ihn beim Worte und der nächste Tag wurde zur blutigen Entscheidung bestimmt. Mein großmüthiger Freund ließ den kleinen Rest seines Vermögens beinah ganz in den Händen der kranken, ihre Schwachheit zu spät bereuenden Mutter und sehnte sich statt meiner, von der Kugel des Franzosen zu sterben. Ich bestand auf meinem Recht, er[297] war mein Sekundant. Wir trafen am andern Morgen mit unserm Feinde zusammen; seine Kugel streifte mir den Arm und riß eine große Wunde hinein, ich aber traf meinen Gegner, wie wir glauben müssen, tödtlich, denn er blieb leblos in den Armen seines Sekundanten, der uns wohlmeinend zur Flucht antrieb, und mein Freund riß mich besinnungslos hinweg.

Herr von Wertheim schwieg. Tiefer Ernst lag auf der Stirn des Grafen, und Lehndorf bedeckte sein Gesicht mit der Hand, den Arm auf die Lehne des Sessels stützend. Nach kurzem Schweigen fuhr Wertheim fort: Alle unsere Handlungen nach der Flucht meiner Schwester waren in schmerzlicher Verzweiflung rasch auf einander gefolgt und Keiner hatte an einen bestimmten Plan verständig denken können. Wir fanden uns also auf der Landstraße mit sehr wenigem Gelde und den Kleidern, die wir an uns trugen. Wir spornten unsere Pferde an und wußten nicht wohin. So geriethen wir zufällig in ein Dorf und erfuhren, daß es zu Ihren Gütern gehöre und daß wir dem Herrenhause ganz nahe wären. Ich blieb in der Schenke, während Lehndorf einen kurzen Besuch bei Ihrer Mutter machte, um nach Ihnen zu fragen. Hier erfuhr er Ihren Aufenthalt und dieß gab unserer Flucht eine bestimmte Richtung. Ich war schlecht verbunden, aber wir eilten dessenungeachtet[298] vorwärts, ohne weder uns, noch unseren Pferden die nöthige Ruhe zu gewähren, und diese erlagen der Anstrengung. Zwei Stunden von hier mußten wir sie zurücklassen, und ich machte, obwohl zum Tode ermattet, trotz meiner Schwäche, den Rest des Weges mit meinem Freunde zu Fuß, und so kamen wir gestern bei Ihnen an, mit dem Plane, nach einiger Ruhe, dem Rathe und dem Troste eines Freundes gemäß, uns zu dem Korps von Schill zu begeben, um, wenn er uns nicht anders brauchen kann, als Gemeine unter ihm zu dienen, denn in diesem geht dem Vaterlande eine neue Sonne auf, und ich hoffe, wir werden Großes durch ihn erleben.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 2, Breslau 1836, S. 276-299.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Evremont
Evremont (1 ); Ein Roman
Evremont; Ein Roman
Evremont

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Hannibal

Hannibal

Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon