Fünfte Scene

[17] Im Hintergrunde erhebt sich Lärm und Geschrei, dazwischen hört man eine verworrene Musik – eine Menge Volk strömt zwischen die Buden hinein; schon von ferne hört man rufen:

Platz da, Platz da, ein Mummenschanz!


BEATA. O, Himmel, Rösel, horch, ein Mummenschanz kommt, und gewiß hieher, wo der Platz am breitesten ist. Wäre doch nur mein Mann hier! Wie soll ich arme Frau mich des Volkes erwehren in meinem Silberladen? – Dazu brauchte ich tausend Augen! Was fang' ich an?

RÖSEL entschlossen. Ei, was braucht's da viel Kopfzerbrechens; schnell den Laden zu, damit ist's abgemacht, und ich helfe, wenn Du willst.

BEATA. Ja, Gold-Rösel, Du hast Recht; Du weißt doch für Alles Rath. Komm, hilf!


Indeß der Vorgrund sich mit Volk anfüllt, schließen die Frauen den Laden. Amalgundis und Jutta treten, vom Volk gedrängt, in den Laden des Italieners. Sonnenberg steht ganz vorne, dicht an der Bude, und sieht nach Amalgundis hin. Verworrener Lärm.
[17]

NARR tritt in die Mitte und klingelt mit dem Schellenstab. Stille, Ruhe, ehrsames Bürgervolk der freien und weltberühmten Reichsstadt Frankfurt am Main. Ruhe, ihr Fremden und Schaulustigen, auf daß der Mummenschanz erscheinen, und seine Künste produziren könne.

ALLE. Ruhe – Stille – Ordnung!

NARR. Danke ergebenst, meine Herren und Frauen, auch Kinder und Unvernünftige. Danke, daß Ihr Eure verehrten Köpfe so schnell unter einen Hut steckt, wenn es Etwas zu schauen gibt – möchtet Ihr doch späterhin eben so gleichen Sinnes Eure Hände in den Säckel stecken, und mit milden Gaben die Kur unsers schwindsüchtigen Geldbeutels übernehmen! Also, tretet vor, Ihr Mummen! –

EIN SCHAUSPIELER halb schwarz, halb roth gekleidet, eine goldpapierne Krone auf dem Kopfe, tritt vor. – Auf seiner Brust hängt eine Tafel mit den Worten: Ich bin der böse Luzifer.

NARR Meine Herrschaften, Ihr sehet allhier den schlimmen Fürsten der schlechten Geister.

ZWEITER SCHAUSPIELER tritt vor. Ganz weiß angethan mit rosenrothen Flügeln und einen Palmzweig in der Hand, auf der Brust die Tafel mit den Worten: Ich bin ein guter Geist.[18]

NARR. Was der ist, könntet Ihr wissen, wenn Ihr lesen könntet; so aber will ich's Euch sagen: Er ist ein guter Genius.

DRITTER SCHAUSPIELER als Mann gekleidet, aber eine lange Schleppe umgebunden, eine Krone auf dem Kopfe, tritt langsam vor. Auf der Tafel steht: Ich bin die schöne Judith.

VIERTER SCHAUSPIELER auf ähnliche Weise gekleidet, mit der Tafel: Ich bin die böse Esther.

RÖSEL während der Narr dem gaffenden Volke die letztern Personen vorstellt, ist sie bemüht, sich Bahn zu machen. Laßt mich durch, Ihr Leute, ich bitt' Euch darum!

EIN BÜRGER tritt zur Seite. Gern, mein freundliches Kind!

RÖSEL schlüpft an ihm vorüber, und stößt an Ralph Strichauer, der mit dem Volke herauskam, und sich breit vor Beatens Bude postirte.

RALPH Na, Kröte, was drängst Du? Bleibe, wo Du bist, und störe nicht andere Vornehmere und Größere in ihrer Schaulust.[19]

RÖSEL sieht ihn keck an. Daß Ihr was Großes seyd, seh' ich; lang genug wärt Ihr dazu; aber was Vornehmeres, als Euch, denke ich auf jeder Straße zu finden.

RALPH. Wie? Solch Bettelvolk wagt's, den Waffenmeister des Günther von Nollingen zu höhnen? – Das soll ja gleich –

RÖSEL. Macht nicht solch Aufhebens, und laßt mich durch!

RALPH. Alles Wetter der Sündfluth soll Dich –

VOLK. Ruhe – Stille – der Schanz fängt an.


Die Schauspieler hatten sich indeß untereinander beschäftigt.


JUDITH tritt in den geöffneten Kreis.

Hör' zu, o Volk! ich will es Dir erzählen,

Wie mich die Esther thut alltäglich quälen,

Daß mir nicht mundet Essen, Trinken, Schlafen;

Ach, weßhalb ward ich Aermste doch erschaffen?

EINIGE rechts. Was drängt Ihr so? Bleibt ruhig auf Euren Plätzen.[20]

EINIGE welche dicht vor Bandini's Bude stehen. Ihr habt gut reden, nehmt die Barette herunter, wir sehen nichts.

EINER vorn. Wer zuerst kommt, malt zuerst – sucht Euch bessere Plätze, wir rücken nicht von der Stelle.

EINER der hinten steht. Er hat Recht; laßt uns auf die Bude steigen.

ANDERE lachend. Das ist ein prächtiger Einfall. In Bandini's Bude hinein. Macht Platz hier! In großer Schnelligkeit werfen sie die Gefäße mit dem Federschmuck in die Bude hinein, so, daß der Ladentisch leer wird, klettern hinauf, und stehen, fünf bis sechs, in der Reihe oben.

BANDINI von Innen, mit lauter Stimme. Was thut Ihr, keckes Volk? Was unterfangt Ihr Euch? denkt Ihr nicht des Meßfriedens?

DIE OBENSTEHENDEN lachend. Halt's Maul, oder wir wollen Dir den Meßfrieden zeigen.

VOLK. Still da drinnen – Ruhe – die Esther kommt.[21]

ESTHER tritt vor.

Wie kannst Du doch so unvernünftig klagen

So viele Lug' in einem Athem sagen?

Du weißt recht wohl – –

BANDINI von Innen, außer sich vor Wuth. So laßt uns denn Gewalt mit Gewalt vertreiben. – Auf, meine Gesellen! zeigt den Troßbuben, was Rechtens ist.


Bandini und seine Gesellen stemmen sich von Innen gegen die auf dem Ladentisch Stehenden; diese stürzen herab und reißen im Fallen mehrere der Umstehenden nieder. Ein allgemeines Gelächter entsteht. Die Schauspieler drängen sich durch und fliehen. – Alles ruft wüthend durcheinander gegen die Bude zu.


EINER. Schlagt den italienischen Hund todt, der uns das gethan.

ANDERE schreien. Schlagt ihn todt.

RALPH alle überschreiend. Der Hexenmeister ist reich – plündert seine Bude, da gibt's einen Fang.

ALLGEMEINES GESCHREI. Ja, plündert ihn, plündert!


Die ganze Masse stürmt auf die Bude ein.
[22]

SONNENBERG springt vor den Ladentisch, die Hand am Degen, und donnert ihnen zornig entgegen. Zurück, Gesindel, keinen Schritt vorwärts! oder, so wahr ich lebe, ich spieße den Ersten, der sich naht, an mein Schwert! Seyd Ihr Bürger? Räuber und Lumpenpack verkündet Euer tolles Treiben. Zurück, sage ich noch einmal, zurück, wenn Euch gesunde Glieder und eine glatte Fratze am Herzen liegen!


Der Haufe weicht stumm ein paar Schritte zurück, so, daß der Platz vor der Bude frei wird. Man sieht Amalgundis, die bleich, einer Ohnmacht nahe, sich auf Bandini stützt. Der Junker steht, mit der Hand am Schwert, in drohender Stellung – in diesem Augenblick tritt Jutta aus der Bude, legt dem Junker die Hand auf die Schulter, und sagt stolz.


JUTTA. Gebt mir Raum, Herr Junker, ein Wort von mir wird schnell den Sturm beschwören, und zitternd werden sie auseinander stieben, wie Spreu vor dem Winde. Sie tritt mit Hoheit vor den Junker, und spricht mit lauter Stimme. Was soll das? Haltet Ihr so den Meßfrieden, den heiligen Meßbann? Ich bin Jutta von Praunheim, die Tochter Eures Schultheißen, welcher der Erste ist in dieser Stadt, ich gebiete Euch, augenblicks ruhig und still von dannen zu gehen.


Jutta steht hoch aufgerichtet mit befehlender Geberde – ein lautes Gelächter schallt ihr entgegen.
[23]

EINER. Sie gebietet, das stolze Jungfräulein!

EIN ANDERER. Ihr habt uns was Rechtes zu befehlen.

DRITTER. Diese Keckheit! aber die gold'nen Spangen soll sie uns zur Buße abgeben.


Von allen Seiten wird ihr gedroht, Jutta weicht entsetzt zurück.


SONNENBERG. Nur hier herein.


Jutta tritt in die Bude, und bedeckt das Gesicht. Alles drängt wieder nach der Bude.


Gesindel! Seht Ihr denn nicht, daß Galgen und Rad Euer wartet, wenn Ihr den schändlichen Vorsatz ausführt? Dem Ersten, der sich nähert, fährt mein Schwert in die Gurgel.


Das Volk steht schweigend und verdutzt.


RALPH tritt vor. Ihr lumpiges Gesindel! Ihr Rauf- und Lärmbolde? – Ist das Eure Courage? Bei Euch heißt's: viel Geschrei und wenig Wolle. So ein Milchbart, der noch in den Windeln lag, als ich die ersten zehn Ungläubigen wie Lerchen spießte, treibt Euch zu Paaren? hic Rhodus, hic Salta, sagen die Lateiner. Ihr ausgeleerte[24] Weintonnen – ich will mich Eurer erbarmen, Ihr Wichte! Tretet bei Seite, mein Junkerlein, was geht Euch am Ende die Geschichte und der welsche Hund da drinnen an? Wißt Ihr was? wir Zwei kämpfen Mann gegen Mann, ehrlichen Zweikampf – siegt Ihr, so ziehen wir ruhig von dannen, und haben unser Recht an den Italiener verloren; verliert Ihr, so ist die Bude unser in statu quo, wie die Lateiner sagen.

VOLK. Ja, so soll es seyn?

SONNENBERG. Wahrlich! Es möchte dem Edeljunker herrlich ziemen, sich mit solch niederm Burschen in einen Zweikampf einzulassen. So es Dir ernstlich darum zu thun, mit mir anzubinden, so wehre Dich wohl; denn das schwöre ich Dir bei meiner Ehre, erfrechst Du Dich zu einem Angriff auf meine Person, so stopfe ich Dir das ungewaschene Maul, daß Du meiner mit Schrecken gedenkst Dein Lebelang.

RALPH zieht das Schwert, und stürzt auf den Junker ein. »Habeas tibi,« sagen die Lateiner.

SONNENBERG. Hier, Wicht, wenn Du nicht anders willst. Er haut ihn über den Kopf, daß Ralph taumelnd zurückprallt; in diesem Augenblick rufen Stimmen im Hintergrund.[25] Im Namen der Gerechtigkeit! Platz dem Stadtschultheißen!

VOLK. Der Schultheiß! Weh uns – macht, daß wir fort kommen.


Der Haufen stiebt nach allen Seiten auseinander, und verschwindet hinter den Coulissen; Niemand bleibt, als Beata, die sich hinter ihrer Bude verkroch, das Pfeffer-Röschen, welches längst seinen Kasten abnahm, sich neben Beaten, aber ohne versteckt zu seyn, auf demselben niedersetzte, und dem Treiben muthig zusah – und Ralph, der sich betäubt an Beatens Bude aufrecht hält, und bemüht ist, seine Leibbinde um den Kopf zu wickeln – dann Bandini und seine Leute, Jutta, Amalgundis und Sonnenberg vor der Bude stehend.


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Pfeffer-Rösel oder Die Frankfurter Messe im Jahr 1297. Wien 1833, S. 17-26.
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