Vierter Akt.

[104] Auf Schloß Carisbrooke auf der Insel Wight. –

Ein Saal, rechts und links Thüren. In der Mitte ein Thronsessel unter einem Baldachin, auf welchem König Karl I. sitzt. Vor ihm stehen Montague und Sidney, hinter ihm Richmond und Lindsay, etwas abseit der Gouverneur Oberst Hammond. – Es ist Abend. Aus den gotischen Bogenfenstern sieht man das Meer.


KARL sitzend. Meine Herren Bevollmächtigten, ich habe nichts mehr hinzuzufügen. Seit ich mich hierher auf die Insel Wight zurückzog, machte ich Zugeständnisse, so viel ich konnte. Ich trete den Befehl über die bewaffnete Macht auf zwanzig Jahre an das Parlament ab, ich verspreche feierlich, in Irland alle Feindseligkeiten aufhören zu lassen. Ja, ich gehe soweit, die Gesetzlichkeit des Widerstandes, welcher den Bürgerkrieg herbeigeführt, einzuräumen. Weiter aber gehe ich nicht, ich erkläre es im Namen meiner Ehre und meines Glaubens.

MONTAGUE. Sire, darf ich nochmals inständigst bitten, die Vorlage in pleno anzunehmen? Ich versichere Ew. Majestät, daß, wenn der Vertrag einmal abgeschlossen ist, der Teufel selbst ihn nicht brechen könnte.

KARL kalt. Nennt Ihr das einen Vertrag, Mylord? Seid so gut Euch an den Streit in der Komödie zu erinnern,[104] wo einer von beiden Kämpfern sagt: Es hat ein Kampf stattgefunden und auch keiner, denn es sind drei Streiche versetzt worden und ich allein habe sie alle drei erhalten. So geht es mir grade auch.

MONTAGUE. Was meinen Ew. Majestät?

KARL. Ich gestehe Eure meisten Vorschläge zu, ich verwerfe nur eine sehr geringe Anzahl davon, aber Ihr macht mir kein einziges Zugeständnis.

SIDNEY. Die Abschaffung des Episkopats der Hochkirche –

KARL. Kann ich nicht zugeben sowohl aus Gewissensüberzeugung wie im Interesse meiner Gewalt. Und ebenso muß ich die Strenge zurückweisen, womit man meine Hauptanhänger verfolgen will.

MONTAGUE. Und doch, Sire, können wir Presbyterianer, wenn auch politisch gemäßigt, im kirchlichen Punkt weder Mittelweg noch Zögerung gestatten.

SIDNEY. Und was die Züchtigung der Schuldigen betrifft, – wir sind weit entfernt, so viele Ausnahmen von der Friedensamnestie zu verlangen, wie die Unversöhnlichen der Volkspartei. Allein auf einer Auswahl von sieben Schuldigen müssen wir bestehen, denn nach so viel dem Lande zugefügten Unbilden muß die besiegte Partei gesetzlich deren Verantwortlichkeit erleiden.

KARL. Meine Abneigung wird unüberwindlich bleiben gegen so viel engherzige Vorurteile. Ich gleiche dem Kommandanten, der von seinen Vorgesetzten keinen Beistand mehr erhielt und daher die Festung übergeben durfte. Er aber sagte: Sie können mich nicht unterstützen, wenn ich es brauche, mögen sie es also thun, sobald sie können. Unterdessen werde ich die Festung halten, bis einer von[105] ihren Steinen mein Grab bedeckt. – Ich werde für die bischöfliche Kirche Englands das Gleiche thun.

MONTAGUE. Sire, Sie sehen uns tief bewegt, aber wir flehen, nochmals zu bedenken, daß die Kammern schon fünfmal votiert haben, die Zugeständnisse Ew. Majestät seien ungenügend.

KARL. Mylords, ich kann nicht anders und muß Sie hiermit entlassen. Teilen Sie meinem Parlament meinen Willen mit.

SIDNEY. So bleibt uns nichts übrig, als uns von Ew. Majestät ehrfurchtsvoll zu verabschieden.

KARL erhebt sich. Mylords, Sie kommen, sich von mir zu trennen, und ich glaube kaum, daß wir uns je wiedersehen werden, aber Gottes Wille geschehe. Ich sage ihm Dank, ich habe meinen Frieden mit ihm gemacht, ich werde ohne Furcht mich allem unterwerfen, was nach seinem Ratschluß die Menschen über mich verhängen.

MONTAGUE bewegt. O Sire!

KARL. Ja, Mylords, indem Ihr von Eurem König Abschied nehmt, könnt Ihr nicht verkennen, daß Ihr in meinem Sturz den Eurigen als nahe bevorstehend vorausseht. Ich bitte Gott, daß er Euch bessere Freunde schenken möge, als ich gefunden habe. Das ganze gegen mich und die meinen angezettelte Komplott liegt klar vor meinen Augen. Nichts betrübt mich mehr, als das Schauspiel der Leiden meines guten Volkes und das Vorgefühl der Übel, welche ihm jene Männer bereiten, die stets vom öffentlichen Wohle reden und doch nur ihr eigenes Wohl, ihre heuchelnde Ehrsucht sättigen wollen. – Und hiermit, ob auch schwerlich unsre Hoffnung auf Frieden sich erfüllt, lasset uns in Frieden von einander scheiden. Er geht rasch ab nach rechts. Lindsay folgt ihm.[106]

MONTAGUE. Ich bin aufs tiefste erschüttert. Wie er so einsam dastand, sich selbst genügend! Wie mit dem Stolz seines Blickes sich die Traurigkeit paarte! Sein Haar ist ergraut.

SIDNEY. Größe ohne Macht in Haltung und Stimme! Er ist unfähig, gegen sein Schicksal anzukämpfen, aber er läßt sich auch nicht zu Boden drücken. Wie gewandt er seine Hilfsquellen hervorhob, wie fest und wie sanft er auf alles einging! Er hat bewunderungswürdige Fortschritte gemacht.

RICHMOND. Ach nein, der König war stets derselbe, nur Ihr habt es zu spät erkannt.

SIDNEY. Laßt uns eilen, vielleicht nimmt das Parlament noch in zwölfter Stunde die Zugeständnisse als genügend an.

MONTAGUE. Wahrlich, durch unsre ewigen Sitzungen sind wir in eine schöne Lage gekommen. Das ganze Reich ist zu einem Parlament geworden.

SIDNEY. Jawohl, das Heer hat uns nun lange genug gelehrt, was wir thun müssen, und möchte dies noch länger fortsetzen. Die City, die Provinzen, die verabschiedeten Offiziere – alle stellen uns täglich vor, was wir beginnen sollen.

MONTAGUE. Warum? Weil wir selbst nicht wissen, was wir zu thun haben.

HAMMOND. Warum, wenn man fragen darf, vermissen wir heute den dritten Herrn Bevollmächtigten, den Generalprokurator Coke?

SIDNEY zuckt die Achseln. Er ist gestern plötzlich abgereist, indem er Erkrankung vorschützte.

HAMMOND. Das heißt: Er ist –

RICHMOND ergänzt. Zu den Independenten übergegangen?[107]

MONTAGUE. Es scheint so, Herr Herzog. Ein schlechtes Zeichen! Coke weiß stets, wo der Wind herweht.

SIDNEY. Ja, Herr Herzog, es ist alles verloren, wenn die Unterhandlung nicht abgeschlossen und der König nach London zurückgekehrt ist, ehe das Heer und Cromwell Zeit erhalten haben, wieder dorthin zu gelangen.

HAMMOND hustet. Hm!

MONTAGUE. Wie beliebt? – Sr. Majestät weiß natürlich von den jüngsten Vorgängen? Welchen Eindruck machten auf ihn die wunderbaren Triumphe Cromwells?

RICHMOND. Mylord, er glaubt nicht an Gerüchte.

SIDNEY. Ah, der Herr Gouverneur konnte ihn ja darüber aufklären?

HAMMOND kalt. Ich hielt es nicht für angemessen, des Königs Gemütsstimmung durch ihm peinliche Mitteilungen zu trüben. Doch bitte ich Ew. Gnaden Zu Richmond. mich sofort Sr. Majestät zu melden, um meinen Fehler wieder gut zu machen.

RICHMOND wendet sich zum Gehen. Ihr habt nur zu befehlen, Herr Gouverneur. – Ich selbst bitte mich auf eine Stunde zurückziehn zu dürfen, um einen Abendspaziergang zu machen.

HAMMOND argwöhnisch lächelnd. Hm? Gut. Sie können gehen, Herr Herzog.

RICHMOND verbeugt sich und geht nach rechts. Halblaut. Wittert er etwas? Ab nach rechts.

MONTAGUE. Lebtwohl, Oberst Hammond. Wir hoffen die Insel Wight doch noch einmal in nächster Zeit zu betreten als Herolde des Friedens.

SIDNEY. Was meinte der arme Herr damit, daß er kaum hoffe, uns je wiederzusehn? – Ihr lächelt, Oberst? Wißt Ihr um den Sinn?[108]

HAMMOND ruhig. Er plant eine neue Flucht.

SIDNEY. Wie? Allerdings, die Insel Wight liegt am Kanal nach Frankreich.

HAMMOND. Darum beehrte mich der König ja damals huldvollst nach seinem Entweichen von Hampton Court.

SIDNEY ihn messend. Wähnte er vielleicht, Ihr würdet ihn nach Frankreich einschiffen?

HAMMOND. Das nicht. Er wollte fürs erste hier bleiben. Allerdings nährte er die Hoffnung, ich würde seinen Aufenthalt fürs erste verhehlen.

SIDNEY. Das hätte Euch den Kopf kosten können.

HAMMOND kalt. So klug bin ich selbst, Sir Algernon Sidney. Ich empfing den hohen Herrn mit allen Ehren aber zeigte den Vorfall sofort dem Parlamente an .. und dem General Cromwell. Letzterer hatte mich übrigens schon vorher gewarnt, daß bei einer etwaigen Flucht die Insel Wight der wahrscheinlichste Zielpunkt sei.

SIDNEY. Ah, Ihr korrespondiert mit ..?

HAMMOND. Ich genieße diese Ehre. – Doch ich halte Ew. Herrlichkeiten auf. Dero Pferde und Dienerschaft warten schon geraume Zeit und die Boote zum Festland. Die Flut steigt. Deutet durchs Fenster.

SIDNEY. Jaja, und hier Weist lächelnd auf den Thronsitz. ist's Ebbe. Zu Montague im Abgehen. Er will uns los sein, warum wohl? Sidney und Montague mit stummem Gruße ab.

HAMMOND allein. Murmelt vor sich hin. Was soll ich thun? Was soll das werden? In Dinge von so hoher Bedeutung verwickelt, auf ganz unbetretenen Pfaden wandelnd, fehlt mir nicht der rechte Geist des Glaubens und die Furcht des Herrn? Bethört mich nicht Menschenfurcht in ungehöriger Weise? Darf ich nach meiner eignen, armen[109] Weisheit wählen? Nein. Wie schreibt heut früh der sichtbar Erkorene des Schicksals? Er zieht einen Brief hervor und liest halblaut. »Teurer Robert! Jetzt kann ich Gott sei Dank frei schreiben. Ich sah nie tieferen Sinn und weniger Willen, ihn in unchristlicher Weise zu zeigen, als in Deinem Verhalten. Ich weiß, Du hast schwere Prüfung überstanden, aber Du sollst dabei nicht verlieren. Laß Deine ernste Aufgabe Dich nicht verwirren! Wenn Gott sie Dir auftrug, so ist es wohlgethan. Unsre fleischlichen Gelüste umstricken uns, sie lassen uns sagen ›schwer‹, ›ernst‹, ›angenehm‹, ›leicht‹. Waren es nicht solche Beweggründe, die Robert Hammond veranlaßten, aus dem Heere zu scheiden, um sich auf die ruhige Insel Wight zurückzuziehn? Doch jetzt soll Dein Benehmen derart sein, daß es dem Namen Gottes zur Ehre gereicht; dafür preisen wir den Herrn mit Dir und für Dich. Das Haus der Gemeinen, sehr empfindlich gegen das Verfahren des Königs, hat beschlossen: Man wird keine Adresse mehr an ihn verfassen, niemand soll sich mehr an ihn wenden, bei Strafe des Hochverrats, niemand darf etwas vom König überbringen. Ich hielt es für gut, daß Ihr dies unter der Hand sofort wisset.« Steckt den Brief ein. Die Angelegenheit naht ihrer Katastrophe. Und ich – Karl und Lindsay kommen von rechts.

KARL halblaut zu Lindsay. Laßt uns warten! Ehe ich das Königreich verlasse, muß ich mit den Schotten zum Abschluß kommen. Ihre Forderungen werden um so größer werden, wenn sie mich außerhalb der Gewalt der Armee sehen. Denn jeder sucht von mir soviel zu erpressen, als er kann. Aufsehend. Sieh da, zu Ihren Diensten, Oberst! Sie wünschen mir eine Botschaft auszurichten, wie mir der Herzog soeben sagte?

HAMMOND feierlich. Im Namen des Parlaments.[110]

KARL lächelnd. Ei, ei, da wollen wir sie mit gebührenden Zeremonien empfangen. Setzt sich auf den Thronsessel. Redet, Sir!

HAMMOND. Das Parlament hat für gut befunden, Euch die krönende Gnade zu berichten, welche den Ruhm der englischen Waffen gesegnet hat.

KARL bitter. Den Ruhm des Herrn Cromwell vermutlich. Also, ich bin gespannt.

HAMMOND. Es hat Gott gefallen, seine große Macht zu zeigen und in zwei heftigen Schlachten bei Preston und Warrington dem General Cromwell den vollkommensten Sieg zu geben. Das ganze Korps der Kavaliere unter Sir Marmaduke Langdale ist vernichtet, das ganze Heer der Schotten zersprengt. Fast der ganze hohe Adel zählt unter den Erschlagenen und Gefangenen. Und obschon das Heer der gottseligen Veteranen kaum die Hälfte so stark als der Feind, streckten die Trümmer desselben bald darauf die Waffen. Nachdem also die Macht der Widersacher gebrochen, drang unser glorreicher Feldherr in Schottland ein, eroberte die Hauptstadt Edinburg und schloß daselbst Frieden, sowie ein neues Bündnis mit der republikanischen Partei unseres Nachbarreiches, welche nunmehr daselbst den Staat beherrscht. Das Parlament von England preist den Herrn für diese unaussprechliche Gnade und votierte dem hochedlen General ein Jahrgehalt von 2500 Pfund, auf welches derselbe jedoch, gleich seinen früheren Vermögensopfern bei Ausrüstung seiner Soldaten, zu Gunsten des Gemeinwesens verzichtet hat. – Dies ist alles, was ich dem König vom Parlament zu berichten habe, auf daß der König sich freue mit seinem Volk, weil der Landesfeind aufs Haupt geschlagen. Pause. Draußen Hornfanfaren.[111]

KARL mit Fassung. Ich dank' Euch und genehmige gern den Wunsch meines Parlaments, indem ich meine Genugthuung und meinen königlichen Beifall ausdrücke wegen der Erfolge englischer Waffen. – Ja, dieser Cromwell ist ein großer General, nie verkannte ich diese Thatsache.

HAMMOND lauschend. Mich däucht, ich höre das Horn eines Kuriers. Wahrscheinlich Botschaft vom Parlament. Erlaubt, daß ich nachsehe. Ab nach links.

LINDSAY. Kommt es Ew. Majestät nicht auch so vor, als ob der Ton unsers Gouverneurs trockener und frostiger klinge wie früher?

KARL. Mein Freund, man hat mich an Demütigungen gewöhnt. Ich merke nicht mehr darauf. Pause.

LINDSAY. Mit den Schotten ist's also aus. Es ist dunkel geworden. Lindsay zündet einige Kerzen an.

KARL. Die Hand meines Gottes liegt schwer auf mir. Soll nicht der Kelch an mir vorübergehn? – Noch immer nicht das Postschiff aus Frankreich gekommen? Ich erwarte einen Brief meiner Gemahlin, der wie gewöhnlich durchgeschmuggelt werden soll. O Henriette, o meine Liebe! – Lieber Lindsay, rezitiert mir doch das Madrigal noch mal, das Ihr gestern beim Wettdichten verfaßtet.

LINDSAY. Sire, die müßige Ausgeburt unsrer unbeschäftigten Stunden.

KARL. Ach, man muß auch faullenzen können, wir haben uns genug mit Qual und Mühe abgenutzt. Gähnen ist besser, denn Seufzen. – Bitte, das Madrigal![112]

LINDSAY. Nur zu schmeichelhaft, Sire! Rezitiert, indem er eine am Fenster liegende Guitarre ergreift und einige Akkorde darauf anschlägt.


Alles ist im Leben treulos

Und verläßt das Liebste reulos,

Sonne selbst am Himmel weilet

Länger nicht als einen Tag.

Und das Meer ebbt von den Küsten,

Schwalben sich zur Heimfahrt rüsten.

Nie die Frau von dir enteilet,

Die an deinem Herzen lag,

Wenn sie Glück mit dir geteilet,

Aber auch des Schicksals Schlag.


KARL. Ach, wie zart und wie wahr! Ihr habt mir wohlgethan, lieber Graf. Ja, gemeinsames Unglück schmiedet fester zusammen. O mein Weib, meine Kinder! Wann werd' ich euch wiedersehn! Wie, feuchte Augen, guter Lindsay? Laßt das, es muß ertragen sein. Wißt Ihr kein andres Liebesliedlein? Mein Herz schmachtet nach etwas natürlichem, unter so viel künstlichen Spinngeweben der Politik.

LINDSAY. Sie befehlen. Rezitiert, zu Guitarren-Geklimper.


Die Sonne in Bächen

Kann wieder sich spiegeln,

Die jauchzend brechen

Aus Felsenriegeln.

Gefühle voll Wonne

Die Augen mir feuchten,

Der Liebe Sonne

Mag auf sie leuchten.

Es quellen mir Lieder[113]

Aus tiefster Seele.

Ich liebe wieder,

Umsonst ichs hehle.


KARL. Vielleicht wäre besser zu setzen: »Wie Philomele«. Es klingt melodischer. Oder irgend ein andrer Reim, wie »Fehle« oder »Kehle«.

LINDSAY rezitiert. Also:


Ich liebe wieder,

Wie Philomele.

Nun blühet an Hecken

Ein neuer Flieder,

Einen Mai mir zu wecken

Im Herzen wieder.

Die Blüten treiben,

Zu sinken wieder,

Nur eins wird bleiben,

Das sind meine Lieder.


KARL. Charmant, ganz charmant, lieber Graf. Sie brillieren wie unsre Hofpoeten, wie Davenant und Herrik. Reicht mir die Guitarre, auch ich weiß ein Lied .. Rezitiert.


Mit hellem Gesange

Wirbt jetzt der Fink,

O sei nicht bange

Und werbe flink.

Nicht immer ist Lenz. O freie

Im Maie!


HAMMOND die Thür aufreißend, barsch. Da ist Ihr Gesandter zurück! Schlägt die Thür hinter Berkley zu, der rasch eintritt.

LINDSAY auffahrend. Frecher Patron! Das war Absicht, nicht mißzuverstehen. Foi de gentilhomme, ich werde diesen Plebejer züchtigen.[114]

BERKLEY sehr ernst. Laßt das, Graf. Wir haben ernsteres zu thun. Auf die Guitarre deutend. Der König amüsiert sich?

KARL. Mißgönnt Ihr uns die kleine Erholung? Lang, lang ist's her, daß die Stimme der Musen vom Kriegsgeschrei erstickt, daß die Laute nicht mehr tönt in unserm Palast, der, ach, als Tempel aller schönen Künste galt.

BERKLEY. Und aller französischen Buhlerei und frivolen Müßiggangs, und als Quelle aller Sittenverderbnis, – wie die bösen Puritaner den Hof titulierten.

KARL kalt. Ich sehe, Sir John, Könige in Trübsal teilen das Los aller Gefallenen. Ihre Freunde geben ihnen gute Lehren post festum, diesen Fußtritt der Schadenfreude. Wir versahen uns andrer Dinge zu Euch.

BERKLEY bewegt. O königlicher Herr, vergebt mir! Nur wahre Treue und wahrer Schmerz reißen mich hin ..

KARL. Es ist wahr, es konnte manches anders sein. Es ging etwas leicht her. Meine erhabene Gemahlin, Henriette von Bourbon, an den Glanz des französischen Hofes gewöhnt ..

BERKLEY einschaltend. Und an den Absolutismus des Louvre. In England ging das nun und nimmer an.

KARL. Erspart Euch solch unfruchtbare Kritik, Sir John, ich bitt' Euch nochmals, und vornehmlich gegen Unsre geistesgroße Gemahlin, deren Anschauung über die Unumschränktheit des wahren Königtums von Gottes Gnaden Uns erleuchtete und erhob.

BERKLEY halblaut. Und stürzte.

KARL. Kurz, lassen wir das! Es herrschte ein etwas lockerer Ton, aber feinste Sitte .. ach, vom Ernst haben wir seither ja nur zu viel geschmeckt. Doch zur Sache![115] Euer Gesicht ist unheilverkündend, Herr Gesandter. Was bringt Ihr mir? Ihr saht Cromwell im Lager –

BERKLEY. Bei Windsor, ganz recht. Er ist seinem Heer voraufgeeilt, das in Eilmärschen von Schottland zurückkehrt.

KARL. Warum so eilig? Bereiten sich neue Dinge vor? – Lieber Lindsay, Ihr sucht wohl den Herzog auf? Sein Spaziergang dauert etwas lange. Lindsay ab.

BERKLEY ausbrechend. O Sire Sire, rettet Euch! Er fällt vor ihm auf die Kniee.

KARL. Pah, pah, was soll diese Deklamation? Wir stehn nicht auf der Liebhaberbühne. Steht auf! Was begab sich?

BERKLEY steht auf. Ich begab mich zu dem siegreichen General, um ihm Glück zu wünschen und seine Versprechungen zurückzurufen. Er empfing mich aber öffentlich im Generalrat der Offiziere. Ireton grüßte mich nur durch ein geringschätziges Lächeln und Cromwell gar nicht. »Wir sind das Heer des Volkes und des Parlaments« sagte er in strengem Ton. »Wir haben keine Antwort auf die Vorschläge Eures Gebieters. Geht, Sir, was habe ich mit Euch zu schaffen?« Ich wußte genug. Sire, wenn Ihr Euer Leben liebt, so flieht ohne Verzug!

KARL. Mein Leben?! Überall wittert Ihr Mörder.

BERKLEY. O nein, eine andre Gestalt .. in rotem Mantel, verlarvt mit schwarzer Maske ..

KARL. Sir?! Ihr rast. Was soll das heißen? Will man mich morden?

BERKLEY. Nein, Euch den Prozeß machen.

KARL. Den Prozeß?! Mir?! Dem König?! Geht die Welt unter? Und da seht Ihr schon den Henker im roten Wams wie ein Gespenst am lichten Tage?[116] Lacht gezwungen. Ihr seid kurzweilig und sorgt für Erheiterung.

BERKLEY. Sire, Sire, Ihr kennt diese Leute nicht.

KARL. Ich kenne die Menschen, mein Guter, und die Geschichte. Wer wagt sich an das gesalbte Haupt, das eine Krone trägt? Man hat wohl von hohen Häuptern gehört, die im Kerker umgebracht oder ins Kloster verbannt, doch vor öffentlichem Bekenntnis so unerhörten Frevels schraken selbst die Frechsten zurück. Königsmord – welch unnatürlicher Greuel!

BERKLEY rasch. Maria Stuart!

KARL. Die hochselige Majestät, meines Herrn Vaters unglückliche Mutter, wurde von der Königin Elisabeth Majestät gerichtet. Das ist etwas andres. Wer aber soll mich richten?

BERKLEY. Sire, Sire, was fragen jene danach! Sind ja Republikaner.

KARL. Republi – so etwas giebts wirklich? Außerhalb des überspannten Gehirns einiger Ketzer, für die der Scheiterhaufen zu gut? Gevierteilt und gerädert und die Eingeweide aus dem Leib gerissen, daß sie brüllen – das wäre der Richtspruch einer wahrhaft besorgten väterlichen Regierung über solche Ungeheuer. Republik? Was ist das für ein Ding?! So 'was giebts ja gar nicht. Ja, wahrlich, aus solcher Drachensaat geht ein Geschlecht hervor, aus welchem dereinst Königsmörder herangezüchtet werden. Es ist hohe Zeit, daß man diesem Unfug ein Ende macht. – Sir John, ich habe die Bills des Parlaments teilweise angenommen, doch wohlgemerkt, nur in meiner Zwangslage. Obschon ich daher versprach, daß Irland die Waffen niederlege, schrieb ich an unsern Vizekönig Lord Ormond, er möge außer Sorgen sein und sich um meine[117] Bewilligungen nicht kümmern. Die werden nichts auf sich haben und wahrhaftig auf nichts hinauslaufen.

BERKLEY. Aber Ew. Majestät versprachen doch –

KARL. Versprachen! Was will das weiter sagen! So lange ich nicht von jedem Zwang befreit bin, hat Ormond lediglich den Befehlen meiner Frau zu gehorchen und nicht den meinigen. – Und was meine Flucht von hier betrifft, so bereitet Sir William Hopkins, der an der Küste kreuzt, seit lange alles Nötige vor. Ich machte das große Zugeständnis von heute nur, um dies Manöver zu erleichtern. Sonst hätt' ich überhaupt nicht nachgegeben, um so mehr meine Gemahlin, deren erprobter politischer Scharfblick mir Richtschnur ist, mich beschwört, hier auf's äußerste Stand zu halten. Liest einen Brief, den er aus der Brusttasche zieht.

BERKLEY halblaut. Damit er nur ja nicht zu ihr kommt! O, die elende Metze! Soll ich ihr Spiel nicht aufdecken? Laut. Sire, die Ratschläge der Königin erwiesen sich keineswegs immer als heilsam. Im Gegenteil –

KARL. Sir, dies übersteigt jede Geduld. Mich mögt Ihr schulmeistern, aber jede Rüge gegen die erhabene Person Ihrer Majestät, deren Vertrauen zu genießen Ihr Euch rühmtet, müßte als schnödeste Anmaßung zurechtgewiesen werden. Liest wieder in dem Brief, den er dann einsteckt.

BERKLEY verbeugt sich stumm, murmelt. Wo er vertraut, wird er verraten, und wo man ihm vertraut, betrügt er. Laut. Ew. Majestät gaben, irre ich nicht, Ihr Ehrenwort –

KARL. Nicht zu entfliehn? Ich gab es Rebellen. Das bindet nie. Nein, Sir, meine Gefangenschaft würde mir jetzt das Herz brechen, denn ich erniedrigte mich zu einer Herablassung, die nur durch meine Flucht gerechtfertigt werden[118] kann. Richmond und Lindsay stürzen von links herein. Heda? So ohne Etikette?

RICHMOND. Sire, Sire .. ich zögere, es zu melden ..

KARL. Nun, was giebts?

RICHMOND. Alle Thore sind geschlossen, alle Wachtposten verdoppelt.

LINDSAY. Jedem Fremden ist der Zugang verboten, laut eben ausgegebener Ordre. Und sämmtliche Diener vom Hofhalt Ew. Majestät .. das Wort stockt mir auf der Zunge ..

KARL. Wie, was wollt Ihr sagen? Doch nicht ..

LINDSAY. Ja, sie erhalten soeben Weisung, die Insel sofort zu verlassen. – Doch sieh, da kommt ja der Gouverneur! Hammond tritt auf.

KARL ihn finster messend. Um sich zu rechtfertigen?

HAMMOND kalt. Ich wüßte nicht. Vor wem sollte ich mich rechtfertigen, als vor meinem gesetzlichen Gebieter, dem Parlament von England, dessen Befehle ich ausführe und weiter nichts? – Sir John Berkley, Sie haben sofort abzureisen, Sir.

BERKLEY. Woher dieser plötzliche –

HAMMOND. Das geht Euch nichts an, Sir John. Aber ich gebe Euch fünf Minuten Zeit, das Schloß zu verlassen. Eure Sachen werden Euch nachgeschickt.

BERKLEY. Ich widersetze mich einer Ungesetzlichkeit, die nach dem Habeas corpus

HAMMOND. Wir stehen heute alle unter dem Kriegsgesetz und alle andern Akte sind suspendiert, null und nichtig, Dank Sr. Majestät. – Herr, wird's bald? Oder soll ich Sie mit Gewalt –

BERKLEY dem König die Hand küssend. Lebtwohl, mein königlicher Herr, und seid sicher, daß alles, was Eure Getreuen vermögen, zu Ihrer Befreiung –[119]

HAMMOND. Herr, hinaus! Sie konspirieren vor meinen Augen mit dem Gefangenen?

KARL. Eilen Sie, mein Freund! Unser Schließer wird ungeduldig. Auf Wiedersehn? Berkley ab. Und nun, Herr, was geht hier vor? Soll auch ich vielleicht meine sieben Sachen packen und zu anderen Kerkern wandern?

HAMMOND. Es ist nicht meines Amtes, das zu wissen.

KARL. Aber Eures Amtes ist's, mich auf diese Art zu beleidigen? Wo sind Eure Befehle? Oder ist es eine Eingebung des Geistes?

HAMMOND. Hm, Ew. Majestät haben die Vorschläge des Parlaments verworfen.

KARL. Gabt Ihr mir nicht Euer Ehrenwort, Euch in jedem Fall meiner Würde gemäß zu betragen? Giebt es etwas Verächtlicheres, als die Herabwürdigung eines angestammten Souverains?

HAMMOND. Ich habe nichts festes versprochen.

KARL. Ihr seid voller Ausflüchte. Sir, man frevelt wieder mich, wie keinem Gentleman und keinem Christen geziemt.

HAMMOND geht. Ich werde mit Ew. Majestät reden, wenn Sie in besserer Stimmung sein wird.

KARL. Stimmung! Ich schlief vergangene Nacht sehr gut. Soll ich bei diesem Auftritt etwa gute Laune bewahren?

HAMMOND. Sire, ich habe Sie sehr höflich behandelt.

KARL. Und warum jetzt nicht mehr?

HAMMOND nach einer Pause. Sire, Sie sind zu hoch.

KARL. Ei, dann trägt wohl der Schuhmacher die Schuld. Doch, ma foi, ich merke nicht, daß er meine[120] Absätze höher gemacht hat. Geht unruhig auf und ab. Haha, die Absätze! Jaja, der Schuhmacher! Zu hoch! Seht mir! So redet man mit dem König von Großbritannien und Irland. – Wird man mir wenigstens erlauben, auszugehn, um frische Luft zu schöpfen?

HAMMOND. Sire, ich darf dies nicht gestatten.

KARL. Wie, nicht einmal das? Also ein gemeiner Gefangener, ein Staatsverbrecher? Ist das die Treue, die Ihr mir schuldet? Sind das Eure Schwüre? Redet! Hammond schweigend ab. Richmond und Lindsay, was sagt Ihr dazu?

RICHMOND. Darf ich offen reden? – Nun wohl, Sire, ich habe bereits Kunde, daß Truppen von allen Seiten anrücken. Überall herrscht eine geheimnisvolle Bewegung. Soeben nahm ich einen Soldatenmantel, kam durch alle Posten und kehrte ohne Hindernis zurück. Was glaubt Ew. Majestät .. doch es steht mir nicht zu, einen Rat zu geben ..

KARL. Ich befehle es.

RICHMOND. Nun denn, ich sage, daß sich das Heer Ihrer Person bemächtigen will.

KARL. Sie sollten es nochmals wagen? Unmöglich!

LINDSAY. Ich beschwöre Sie, mein Herr und König, uns zu glauben. Richmond kennt die Parole, wir haben in der Nähe Pferde und einen Nachen.

RICHMOND. Und sind bereit, unter dem Schutz der Finsternis Sie Ihren Wächtern zu entziehn.

KARL. Wie, Ihr drängt mich, die Flucht zu ergreifen?

RICHMOND. Ja, sofort, in dieser Stunde und um jeden Preis.

KARL. Bedenket die Gefahr der Entdeckung![121]

LINDSAY. Ich wiederhole, daß Pferde in der Nähe stehn und uns ein Schiff erwartet.

RICHMOND. Die Nacht ist pechschwarz, wie gemacht zur Flucht, und ich sehe kein eigentliches Hindernis.

KARL. Nein, nicht doch .. sie haben mir ihr Wort gegeben und ich ihnen das meinige. Ich werde es nicht brechen.

LINDSAY. Unter »sie« und »ihnen« verstehen Sie das Parlament, Sire? Aber es hat sich ja alles verändert! Es ist ja das Heer, das Ew. Majestät ins Gefängnis werfen will!

KARL. Das thut nichts, ich werde mein Wort nicht brechen.

RICHMOND Lindsay ins Ohr. Um seine Schwäche zu bemänteln. – Sire, Sire, was fruchtet diese unzeitige Bedenklichkeit!

KARL unschlüssig. Wenn Ihr meint .. aber nein, wenn man sich meiner bemächtigt, so muß man mich schonen. Denn ohne mich kann keine Partei ihre Herrschaft fest begründen.

RICHMOND. In der That? Sehn Sie sich vor, Sire! Diese Leute richten sich nicht nach solchen Grundsätzen. Erinnern sich Ew. Majestät nur an ihr früheres Verfahren.

KARL. Da habt Ihr Recht. Laßt mich bedenken .. gleichviel, ich will es lieber doch nicht thun. Es wäre meiner Würde kaum angemessen. Gute Nacht, Richmond. Gute Nacht, Lindsay. Ich werde schlafen, so lange ich kann.

RICHMOND. Ich fürchte, Sire, nicht lange.

KARL. Wie es Gott gefällt. Er will gehn.

RICHMOND. Horch! Alle lauschen. Die Zugbrücke knarrt. Sie senkte sich.[122]

LINDSAY. Hufschlag! Das sind Berittene.

KARL. Sieh zu, was es giebt! Es klopft links an der Thür.

RICHMOND. He, werda?

STIMME HARRISONS. Öffnet!

LINDSAY. Wer seid Ihr, was wollt Ihr?

STIMME HARRISONS. Offiziere vom Heere, die den König sprechen müssen.

KARL. Empfangt Ihr sie! Ab nach rechts.

STIMME HARRISONS. Öffnet oder wir legen Euch die Thür in die Halle.

RICHMOND öffnet. Wozu der Lärm? Harrison tritt ein. Er ist in reicher Uniform, ein Samtbarett auf dem Kopf, im Büffelkoller, eine karmoisinrote Schärpe um den Leib. Was steht zu Diensten?

HARRISON. Wo ist Der, so man »König« nennet?

RICHMOND. Sachte, sachte! Sr. Majestät wird so gleich erscheinen. Zu Lindsay. Verdammt!

HARRISON. Diese Schlangenbrut umkleidet sich mit Flüchen. Seit Satan vom Himmel fiel, fehlte es ihm nie an Geschäftsführern.

LINDSAY. Irre ich nicht, mein Herr, focht ich bei Naseby Euch gegenüber? Seid Ihr nicht der Oberst Harrison?

HARRISON. Also nennen mich die Kinder dieser Welt, sintemal ich also benamset bei meinem Eintritt in dies irdische Jammerthal, vor dem Tage meiner Wiedergeburt im Geist und in der Wahrheit. – Siehe, der König in Ägypten nahet.

KARL tritt ein. Herr Offizier, Ihr Auftrag lautet?

HARRISON ruhig. Herr König, ich habe Befehl, Euch von hier wegzubringen.[123]

KARL. Befehl, von wem?

HARRISON. Vom Heere.

KARL. Immer dies vieldeutige Wort! Das Heer ist keine Staatsperson.

HARRISON. Wozu hadern, fleischlicher Mann? Siehe, Recht hat Der, so da Macht und Gewalt hat.

KARL. O fromme Weisheit! Klug wie die Schlangen, doch nicht sanft wie die Tauben! – Wohin wollt Ihr mich führen?

HARRISON. Nach dem Schloß.

KARL. Es giebt viele Schlösser. Ich folge Ihnen auf jedes.

HARRISON. Es soll kein Schloß mehr geben in England für und für, bis daß wir einziehn in das Schloß des neuen Jerusalem. Nach dem alten Sitze des Unglaubens, im Land der Philister, Windsor mit Namen, geht unser Weg.

KARL beiseite, zu Richmond. Gott sei Dank, man wird also zugänglicher. In Windsor hat mir's immer gefallen, es wird mich entschädigen für meine bisherigen Leiden. – Wer ist dieser gut aussehende Soldat?

RICHMOND. Es ist der Oberst Harrison, Sire.

KARL. Harrison? Was sagt Ihr? – Mein Gott!

LINDSAY. Es schmerzt mich, Ew. Majestät so bestürzt zu sehn.

KARL faßt sich. Hm – ah bah – es geht noch mit der Bestürzung. Ich bin nicht erschrocken, nein. Aber ..

RICHMOND Harrison betrachtend. Freilich ist's der gräßliche Kerl, der keinen Pardon giebt. Er läßt die Gefangenen abschlachten.

KARL. Es ist nicht das. Aber wißt Ihr, daß dieser Mann der nämliche ist, der mich in Hampton Court ermorden wollte?[124]

LINDSAY. Wie, der Verruchte? Gott schütze den König!

KARL. Jawohl, ich war davon unterrichtet. Und doch erinnere ich mich nicht, ihn je gesehen, noch ihn irgendwie gekränkt zu haben. Wahrhaftig, dieser ein same Ort wäre ganz geeignet für solch ein Verbrechen. Ich könnte, ma foi, leicht überrascht werden und möchte nicht unvorbereitet sein. Nun, vertrauen Wir Gott und Unserm eigenen Schwert.

RICHMOND. Sire, verzeihen Sie – mich däucht, der Oberst ist wirklich in dem Auftrag hier, den er angiebt.

KARL. Es mag sein. Er geht auf Harrison zu und betrachtet ihn. Mein Herr, ich folge sogleich. Zu Lindsay. Der Mann hat ein echtes Soldatengesicht. Ich bin, wie man weiß, ein Gesichtskenner. Der sieht nicht wie ein Meuchelmörder aus. Draußen Trompeten.

HARRISON der die ganze Zeit über abseit an der Thüre stand, stampft plötzlich auf. König Karl Stuart, es ist Zeit abzureisen.

KARL. Gut, gut, zeigt nur den Weg. Ihn vertraulich unter den Arm nehmend. Sagt, Oberst, ist's wahr, daß Ihr einen mörderischen Anschlag gegen meine Person plantet?

HARRISON. Falsche Gerüchte von Ohrenbläsern unter den Moabitern und Baalspfaffen. Was ich gesagt habe und was ich wiederhole, ist bloß dies: Die Gerechtigkeit kennt kein Ansehn der Person und das Gesetz ist verbindlich für die Großen wie für die Kleinen. Sela.

KARL läßt seinen Arm los. Hm, so? – Mut, Mut, Mylords, laßt uns aufbrechen. Gottes Güte ist allerorten sichtbar. In sechs Monaten wird der allgemeine Friede wiederhergestelll sein. Wo nicht, so werden mir die andern Königreiche wieder zu all meinen Rechten[125] verhelfen. Ich habe nur noch die Karten auszuspielen, wovon die schlechteste hinreicht, um alles zurückzugewinnen.

HARRISON öffnet die Thür. Man sieht Soldaten Spalier bilden. Achtung! Nehmt den Gefangenen in die Mitte! Marsch! – Stärken wir uns mit den Worten des Psalmisten, Psalm 52: »Was trotzest Du denn, Du Tyrann, daß Du kannst Schaden thun?«

KARL sich umwendend, schnell. Ich aber stimme an Psalm 56: »Gott sei mir gnädig, denn die Menschen wollen mich versenken.«[126]

Quelle:
Bleibtreu, Karl: Ein Faust der That. Tragödie in fünf Akten, Leipzig 1889, S. 104-127.
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