[127] Ein Gemach im Palast Whitehall zu London. Im Hintergrund ein großes, bis zur Erde niedergehendes Fenster, durch das man die Dächer der heutigen »Parlamentsstraße« sieht. In der Mitte ein schwarzer Tisch, an welchem sitzen Manchester, Montague, Sidney in schwarzer Tracht. (Alle in diesem Akt auftretenden Personen sind schwarz gekleidet, außer Offizieren und Soldaten.) Rechts ein großes Thor, von woher man Murmeln wie von Reden, unterbrochen von Lärm, vernimmt. Links führt das Zimmer in eine Galerie, die in der linken Kulisse beginnt. Alles ist schwarzverhangen, Wände und Thüren. Am Fenster schwarze Gardinendecken. – Es ist Nacht. Ein schwarzumhangener Kandelaber brennt.
SIDNEY nach rechts deutend. Schändlich! Hört dies Gebrüll eines fanatischen Pöbels und einer frechen Soldateska!
GESCHREI VON RECHTS. Gerechtigkeit! Hinrichtung!
MONTAGUE. Gerechtigkeit und Hinrichtung! Als ob die beiden Dinge in diesem Fall zusammenfielen! Setzt dieser angemaßte Gerichtshof das Todesurteil durch, unerhört in den Annalen der Geschichte, so wird ein Justizmord verübt, zum Abscheu der spätesten Zeiten. Gott sei gelobt, daß wir drei daran unbeteiligt!
MANCHESTER. Es hat dem Unterhaus beliebt, meinen Namen in die Verordnung der hochnotpeinlichen Untersuchung[127] zu setzen. Aber eh ich als Kommissar und Beisitzer bei einer solchen Niederträchtigkeit fungiere, eher soll man mich in Stücke reißen.
MONTAGUE. Es giebt kein Parlament ohne den König, der König kann also kein Hochverräter gegen das Parlament sein. Hochverrat gegen das Volk! Hat man je so 'was gehört! Mit Spitzfindigkeit und roher Gewalt wollen sie das Beil schleifen für den angestammten König. Laß sehen, ob es nicht in ihrer Hand zerbricht.
SIDNEY. Was mich betrifft, so habe ich mich als erwähltes Mitglied des Obergerichtshofs aufs heftigste dem Prozesse widersetzt und dem angeblichen Gericht, wo ein Bradshaw als Lord-Oberrichter und ein Coke, dieser Renegat der Mittelpartei, als General-Anwalt fungieren.
MONTAGUE. Daß Coke zu Cromwell überging, ist das schlimmste Witterungszeichen. Gleichviel! Wir drei sind ausgetreten und haben unsre aufgedrungenen Mandate niedergelegt – mehr können wir nicht thun. Und wieviele sind stillschweigend ausgeblieben, die nicht lieben, sich in Sachen auf Leben und Tod zu mischen! Sie wagen nicht offen zu protestieren, aber sie willigen auch nicht ein.
MANCHESTER. Welch' Ende nimmt diese fürchterliche Nachtsitzung, zu der das Volk ganz Londons herbeigeströmt!
MONTAGUE. Hier in Whitehall, dem alten Königspalast, wo jetzt Cromwells allerhöchste Herrlichkeit und Heiligkeit sein Hauptquartier aufschlug! Der neue König von England! Die Thür rechts wird geöffnet und Oberst Graves stürzt herein, von Hammond gefolgt.
HAMMOND ihn am Arme zurückhaltend. Wohin wollen Sie?
GRAVES außer sich. Haben wir denn Herzen von Stein, sind wir Menschen?[128]
HAMMOND. Sie stürzen sich und uns ins Verderben.
GRAVES heftig. Gleichviel, es thut nichts. Kostet's mir auch das Leben, ich muß den Schritt thun. Von rechts stürzen Cromwell und Ireton herein. Da kommen sie, aber ich kann nicht anders.
CROMWELL ihn anfahrend. Oberst, seid Ihr bei Sinnen? Wo denkt Ihr hin? Könnt Ihr Euch nicht ruhig verhalten?
GRAVES. Nein, ich kann mich nicht ruhig verhalten. Bradshaw, Harrison, Ludlow, Coke und mehrere andere Kommissarien in schwarzer Tracht von rechts.
SIDNEY. Was ist vorgefallen?
HAMMOND. Der König verlangt zu antworten, aber man schneidet ihm das Wort im Munde ab.
GRAVES. Die Roheit der wachthabenden Soldaten gegen den unglücklichen Mann übersteigt jede Möglichkeit.
BRADSHAW in schwarzem Talar, mit schwarzer Mütze, eine goldne Kette um den Hals, als Vorsitzender des Gerichtshofs. Oberst Graves, Ihr seid für diese Störung verantwortlich.
GRAVES. Mylord Oberrichter, mein Gewissen ist nicht erleuchtet genug, um mir das Zurückweisen aller Forderungen des Gefangenen zu gestatten. Ich bitte und beantrage –
IRETON drohend. Was!
GRAVES ruhig. Daß der Gerichtshof sich zurückziehen möge, um darüber zu beraten.
IRETON. Nichts da!
HARRISON. Nieder mit dem Abtrünnigen!
BRADSHAW ruhig, seinen weißen Amtsstab erhebend. Halt und Ruhe! Generalleutnant Ireton und Generalmajor Harrison stehen nicht vor ihren Rekruten. Da ein Mitglied es wünscht, muß der Antrag beraten werden. –[129] Mein gelehrter Freund, der Generalanwalt, wird bestätigen –
COKE nickt. Als juristischer Beirat – hihi – muß ich dies bejahen.
IRETON zu Cromwell. Höhepunkt der Gefahr!
LUDLOW ebenso. Mit dem obersten Gerichtshof ists vorbei, sobald man sein Verfahren aus seiner eignen Mitte anficht. Hier handelt sich's um den Kopf des Königs oder unsre eignen Köpfe.
HARRISON ebenso. Soll ich diese Rechts-Perrücken da mit ihrer unzeitigen Bedenklichkeit zum Fenster hinauswerfen?
CROMWELL. Ruhig! – Sieh da, Graves flüstert mit Hammond. Das ist auch ein Lauer. Graves, Hammond, Sidney, Montague, Manchester und einige Kommissare reden links zusammen; Cromwell und die Seinen rechts.
BRADSHAW. Sind die Anwesenden schlüssig geworden? Dann werde ich also den gesamten Gerichtshof hierher berufen –
COKE. Zu einer geheimen Sitzung, hihi, die etwas langwierig ausfallen dürfte.
JOYCE von rechts. Man hört, wie er die Thür öffnet, lauten Lärm und das Geschrei »Hinrichtung!« Herr Präsident, der Gerichtshof wird unruhig und das Volk dazu. Die Galerien toben.
CROMWELL rasch. Wozu seid Ihr da, Major Joyce, als dies Gesindel zu bändigen? Abtreten! Wir kommen sofort. Joyce ab. Was beraten, was abstimmen! Stürzt auf Graves zu. Herr, ich fordre Rechenschaft für dies unkluge, alberne Vorgehen, das lauter Unordnung und Verlegenheit anstiftet. Was soll's, was habt Ihr vor? Wehe Euch für all diese Verwirrung![130]
GRAVES bestürzt, stammelnd. Ich – nein, der König – ich bin ja Euer treuer Anhänger – jedoch –
CROMWELL. Was schwatzt Ihr da und haltet uns auf? Antwort! Wird's bald?
SIDNEY zu Graves. Nehmt Euch zusammen! Fassung!
GRAVES. Hm, ich meine nur, man soll dem König das Wort nicht verbieten, schon aus bloßer Menschlichkeit. Verteidigen darf sich doch der gemeinste Verbrecher.
CROMWELL. Verbrecher, ja das ist er! Der Räuber unsrer Rechte, der Mörder unsrer Brüder und Söhne, die ihr edles Blut vergossen im Kampf wider seine Tyrannei. Menschlichkeit wo sie hingehört, nicht gegen ein unmenschliches Ungeheuer!
MONTAGUE. Das ist zu viel!
CROMWELL. Ihr schweigt. Habt hier überhaupt nicht dreinzureden. – Herr Präsident, rufen Sie dies störrige Mitglied zur Pflicht zurück und gehn wir!
GRAVES. Herr Präsident, die Vorschläge des Königs, von denen er reden will, sind vielleicht befriedigender als alle bisherigen.
CROMWELL. Lächerlich!
GRAVES. Wir suchen doch am Ende nur gute und sichere Bürgschaften, und die, welche der König anbietet, müssen wir wenigstens kennen.
CROMWELL. So? Unsinn.
GRAVES. Man schuldet ihm wenigstens, ihn anzuhören und die einfachsten Regeln des Rechts zu beobachten.
CROMWELL barsch. Das sind also die hochwichtigen Gründe, uns so zu stören! Endlich sind wir darüber belehrt. Der Herr Oberst läßt ganz außer acht, daß wir es mit dem unbeugsamsten Menschen zu thun haben. – Der[131] König ist der Undankbarste der Sterblichen. Wir sollen uns wohl hier durch den Eigensinn eines einzigen Mannes hemmen und beeinflussen lassen? Eure Hartnäckigkeit, Graves, bezeugt Euch als verdächtig.
GRAVES stammelt. Nein doch, General –
CROMWELL. Recht gern möchtet Ihr wohl Euren alten Gebieter retten. O wir schauen der ganzen Geschichte auf den Grund.
GRAVES. Ich beschwöre, Sir, ich versichere –
CROMWELL. Ach was! Endigen wir, meine Herrn, und kehren wir zu unsrer Pflicht zurück!
GRAVES. General –
CROMWELL. Sir, wenn Ihr klug seid, so zieht Ihr einfach Euren Antrag zurück.
GRAVES verzweifelt. Nun gut, meinethalben! Da niemand mich unterstützt, so –
CROMWELL. Basta, basta! Verliert keine Worte mehr! Immer vorwärts, alter Junge! Drängt Bradshaw kordial nach rechts, alle folgen. Alle ab außer Sidney, Manchester, Montague.
MONTAGUE. So hat er die Diskussion im Keim erstickt.
MANCHESTER. Wieder ein Meisterstreich des Schurken!
SIDNEY. Jetzt ist der König verloren, unwiderbringlich.
MONTAGUE an der Thür. Horch! Bradshaw redet. Pause.
MANCHESTER ebenso. Jetzt erhebt sich Cokes krähende Stimme.
SIDNEY. Das bedeutet Vorlesung des Urteils. Pause.
MANCHESTER. Da schreit die Bande wieder!
MANTAGUE. Der Jubel dringt bis hierher!
GESCHREI DRAUßEN. Gerechtigkeit, Hinrichtung![132]
SIDNEY. Pfui, diese Roheit! Die Thür rechts wird weit aufgerissen und man vernimmt lauten Lärm. Nach und nach treten Cromwell, Ireton, Bradshaw, Harrison, Ludlow, Graves, Hammond ein, nebst anderen Mitgliedern des Gerichtshofs.
BRADSHAW. General Cromwell, Sir, ich muß dies ernstlich rügen. Ich bitt' Euch, Eure Leute besser im Zaum zu halten.
LUDLOW. Die Soldaten benehmen sich schimpflich, wie man es von ihrer ruhigen Mannszucht und Frömmigkeit niemals erwarten konnte. Die einen werfen dem Manne ihre brennenden Pfeifen vor die Füße, die andern blasen ihm Tabaksdampf ins Gesicht. Und alle schreien sie ihm Verwünschungen in die Ohren. Ich hasse Karl Stuart, aber grad deswegen wünsch ich nicht, ihn zum Märtyrer zu machen.
MANCHESTER vortretend. Als wenn er das nicht wäre ohnehin! Das gefällte Urteil ist rechtsungültig.
IRETON. Was! Wen haben wir denn da! Den verstockten Übelgesinnten, Manchester?
MANCHESTER. Ich bin der Earl von Manchester und verlange die meinem Range gebührende Achtung!
MONTAGUE. Auch ich protestiere gegen das Urteil.
SIDNEY. So auch ich.
CROMWELL höhnisch. Lasset die Kindlein zu uns kommen!
BRADSHAW. Mylords, wir gestatten weder Euch noch irgend einem andern, die Gerichtsbarkeit des Hofes zu bestreiten, der da zu Gericht sitzt durch die Ermächtigung der Gemeinen von England, denen auch der König wie all seine Vorgänger auf Leib und Leben verantwortlich ist.
MONTAGUE. Das leugne ich. Zeigt mir irgend ein Beispiel![133]
CROMWELL. Herr, wir sind nicht hier, um Eure Fragen zu beantworten. Verantwortet Euch selbst gegen die Beschuldigung –
MONTAGUE. Gegen welche?
IRETON. Daß Ihr für Versöhnung mit dem König geredet habt.
MONTAGUE. Ich rühme mich dessen.
CROMWELL. So? Nun, das Unterhaus hat vorhin in offener Sitzung, während der Gerichtshof hier tagte, beschlossen: Alle Mitglieder, die wie Ihr gesinnt, auszustoßen. Wie gefällt Euch diese Neuigkeit?
MANCHESTER. Das ist der Jungfern-Speech der demokratischen Anarchie! Zum Glück gehören Kollege Montague und ich dem Oberhause an –
CROMWELL ihn unterbrechend. Auch dafür weiß man Rat. In derselben denkwürdigen Sitzung von heut Abend hat soeben das Unterhaus förmlich und feierlich nach ausgiebiger Debatte das Haus der Lords abgeschafft. Zeichen begeisterten Beifalls unter den Anwesenden.
MONTAGUE. Ah, das ist zu arg!
MANCHESTER entrüstet. Man kann nicht länger in diesem Lande leben. Ich gehe ins Ausland!
CROMWELL finster. Das mißrat ich Euch. Ein Freund seines Vaterlands bleibt daheim, denn sonst möchte er als Feind gelten. Verstanden? – Die Lords haben sich den großen Ereignissen nicht gewachsen gezeigt. Das Volk ist die Urquelle aller Gewalt und die vom Volk Gewählten sind die oberste Gewalt in England.
JOYCE von links her aus der Gallerie eintretend, grüßt militärisch, zu Bradshaw und Cromwell. Melde dem Lord-Präsidenten und dem kommandierenden General, daß der[134] Gefangene Karl Stuart in sicherer Bedeckung abgeführt und von mir in sein Haftgemach befördert wurde.
CROMWELL. Stärke er sich denn die kurze Spanne Frist, die ihm noch bleibt, zu dem sauren Lohne seiner Blutschuld. Ist der Bischof von London bei ihm, Major Joyce?
JOYCE. Zu Befehl. Er betet mit ihm nach den Bräuchen des alten Aberglaubens.
CROMWELL. Fern sei es von uns, einem irrenden Bruder denjenigen geistlichen Trost zu versagen, den er nach seiner schwachen Einsicht schmackhaft findet! Hätte Karl Stuart nur selber so christlich und duldsam gedacht und gehandelt, so stände er heute nicht vor irdischen und bald vor seinem göttlichen Richter. Wir gewähren ihm gern, was er uns versagte. Denn ich will, daß die Welt es wisse: Wir Puritaner sind streng, aber niemals tyrannisch.
MANCHESTER. Was, niemals –! Ihr, die ihr eine gesetzliche Gewalt errichtet wie von Dieben und Straßenräubern – Hält inne. Was ist das? Draußen vom Fenster her heftiges Hämmern und Pochen.
JOYCE gleichgiltig. Die Zimmerleute erbauen das Schafott des armen Sünders. Bewegung der Anwesenden.
MONTAGUE. Entsetzlich! So soll das Ungeheure denn geschehn? In wessen Namen?
LUDLOW. Im Namen des guten englischen Volkes, von welchem jener Hochverräter zum König gewählt.
MANCHESTER. Gewählt! Seid tausend Jahren ist England ein Erbkönigreich und ist niemals ein Wahlreich gewesen.
CROMWELL kalt. So wird's es also von jetzab werden.
SIDNEY. Unter König Cromwell? Bewegung.[135]
HARRISON. Man stopfe dem Lästerer den Mund!
SIDNEY. Mit der Erde des Grabes, wenn ich schweigen soll in Verteidigung der guten, alten Sache. Ihr untergrabt Eure eigenen Zwecke, die zum Teil die meinen sind. Das Volk wird einen Widerwillen gegen die Republik fassen. Ein plötzlicher Aufstand wird den König zu retten –
CROMWELL. Es wird sich keiner rühren. Ich sage Euch, wir werden ihm den Kopf abschlagen samt der Krone dazu!
SIDNEY. Thut was Ihr wollt! Ich kann Euch nicht hindern, werde aber an der ganzen Geschichte keinen Anteil nehmen.
CROMWELL trocken. Das ist um so betrübender, als der Staatsrat des Reichs, der soeben vom Parlamente eingesetzt, auf Vorschlag des gewählten Vorsitzenden des Staatsrats, Eures Dieners Oliver Cromwell, den Namen Sir Algernon Sidneys zu den Seinen zählt.
SIDNEY betroffen. Ich – bin –
CROMWELL. Ein Mann von Talent, den das Vaterland nicht missen kann. Ihr werdet Euch noch besinnen. Was aber das Loos dieses unseligen Stuart betrifft, so ist zwar Whitehall von Truppen umstellt und mein edles Heer würde jede Rebellion in der Wiege erwürgen. Allein, um den Tisch rein zu machen, haben wir mit Gottes Hilfe verfügt, daß der Verurteilte sofort bei Tagesanbruch dort draußen auf dem Platz vor Whitehall angesichts der Häuser des Parlaments gerichtet werden soll.
MANCHESTER. Bei Tagesanbruch? Jetzt gleich? Und Zahllose bestreiten die Kompetenz des Gerichts überhaupt! Das nennt Ihr ein anständiges Verfahren?[136]
BRADSHAW. Sir, man redet nicht von Kompetenz vor dem höchsten aller Gerichte, dem Volk von England.
MONTAGUE. Nicht der Hälfte des Volks! Wo ist seine Zustimmung? Selbst der Lord-General Fairfax – wo ist er? Er hat zu viel Verstand, um hier zu sein.
IRETON zuckt die Achseln. Oder zu viel Furcht. Er möge sich auf seine Güter zurückziehn. Das wahre Haupt des Heeres steht hier! Deutet auf Cromwell.
COKE eintretend von rechts. Mylord Präsident, empfanget, hihi, das Erkenntnis des hohen Gerichtshofs in aller Form Rechtens. Legt ein Dokumentpapier auf den Tisch. Gegeben unterm Insiegel des hohen Hauses der Gemeinen.
BRADSHAW. Ich bitte die Anwesenden zu unterschreiben.
MONTAGUE. O mein Gott, bedenket, ich flehe Euch an .. nur etwas Aufschub ..
GRAVES UND HAMMOND. Ja, etwas Aufschub!
IRETON. Hat er nicht die Stunde der Gnade versäumt aber und abermal?
CROMWELL. Er hat die Gnade ausgeschlagen, sein Blut komme auf sein Haupt! Er konnte errichten Jehovas Thron, er ward zu schwach befunden. Wahrlich, ich sage Euch: Eine Zeit des Bluts muß kommen vor der Zeit des Heils.
COKE verdreht die Augen. Das Blut der Heiden, die den Baalim dienen, ist dem Herrn ein süßes Speisopfer.
BRADSHAW. Alle Seelen im neuen Jerusalem preisen diesen glorreichen Tag des Opfers, da der Fürst der Gottlosen soll ausgerottet werden.
LUDLOW. Gott hat in seinem Zorn den Königen erlaubt zu herrschen.[137]
HARRISON. Jener Egyptier, der vor dieser Zeit einen Aufruhr erregte und viele tausend Mörder in die Einöde führete, – dem Herrn verbannt soll er werden mit all den Seinigen, wie der verfluchte Achan erschlagen ward im Thale von Achor samt Söhnen und Töchtern, Ochsen und Schafen und allem Lebenden, das ihm gehört!
JOYCE. Was sind denn Könige! In der Höhle von Mackede wurden die fünf Könige von Moab überliefert in die Hände Josuas, des Sohnes Nun.
CROMWELL. Also vorwärts an's Werk! – Hoho, die Herren dableiben! Ihr wollt Euch wohl drücken, hahaha! Hält einige Kommissarien auf, die weggehen wollen. Nur immer 'ran hier, 'ran! Alle Mann an's Ruder!
MANCHESTER zu Sidney. Ich erkenne Cromwell nicht wieder. Seine sonstige Würde und nun!
MONTAGUE. Solch lärmender dreister Übermut!
SIDNEY lächelnd. Merkt Ihr nicht, daß diese Munterkeit nur erkünstelt, um den andern Mut zu ma chen?
BRADSHAW unterschreibt. »John Bradshaw.«
IRETON. »Henry Ireton.«
CROMWELL. »Oliver Cromwell.« – Heda, Gevatter! Malt Ludlow, dem er die Feder reicht, einen Tintenbart. Hahaha!
LUDLOW. Alter Spaßmacher, sei nicht so grob! – »John Ludlow.« Harrison, Graves und Joyce unterschreiben. Hammond will zur Thür hinaus.
CROMWELL ihn packend. Hoho! Diesmal soll man uns nicht entwischen! Steckt Hammond die Feder in die Hand und zwingt ihn, von Ireton unterstützt, zum Unterschreiben. Hehe, Herr Generalanwalt Coke, fürchtet Ihr Euer eigenes Erkenntnis? Bekennt Euch zu Euren Werken!
COKE verzweifelt unterschreibend. Hihi! Mehr als gehängt kann man nicht werden![138]
CROMWELL barsch. Wer spricht vom Hängen! Ja, hoch soll er hängen wie Haman, wer da nähret den Sauerteig böser Gesinnung! Immer 'ran hier, die Herrschaften! Alle noch Anwesenden außer Sidney, Manchester und Montague unterschreiben. Und nun bringt das Blatt denen, die noch da drinnen im Gerichtssaal hocken und sich verkriechen möchten aus Menschenfurcht. Bradshaw geht hinein. Und nun die letzte Akte dieses ewig denkwürdigen Prozeßtags: Der Befehl an den Henker! Euch, Major Joyce, der Ihr den Mann eskortiert, kommt es zu, die Ordre zu schreiben.
JOYCE erschrocken. Nein, General, nein. Das thu' ich nicht.
IRETON. Was! Ihr macht uns Schande. Eben will's Schiff in den Hafen einlaufen und Ihr zieht die Segel ein?
JOYCE fest. Ich beharre bei meiner dienstlichen Weigerung. Es kommt einem Höheren zu, die Weisung aufzusetzen.
CROMWELL schreibt in fliegender Hast am Tisch. Pah, pah! So muß man alles selber auf sich nehmen. Da! Harrison, unterzeichne Du als Vorgesetzter. Harrison unterzeichnet das ihm gereichte Blatt und reicht es Joyce, der sich verbeugt und abgeht. Cromwell laut und feierlich. Lasset uns nicht ankämpfen wider den höchsten Willen. Das Werk des Herrn darf nicht Stückwerk bleiben. Der Baum der Ungerechtigkeit liegt am Boden, dieweil wir die Axt an die Wurzel gelegt.
MONTAGUE. Nesseln wachsen, wo Nesseln gesät.
CROMWELL donnernd. Hinweg! Die Gewaltigen führen das Schwert nicht umsonst. So ich Euch zur Rechenschaft fordre, da werdet Ihr nicht bestehn vor dem Angesicht[139] meines Zornes. Montague und Manchester ab. Was Euch betrifft, Sir Algernon Sidney, so erwarten wir Euch morgen wieder im Haus der Gemeinen. Zugleich mit dem Beilschlag, der den Mann des Blutes trifft, wird die Republik ausgerufen.
SIDNEY freudig. Die Republik? Eiserner Mann, auch das schon im Geheimen vollbracht? Er verbeugt sich.
CROMWELL. So hat denn Gottes Güte den Traum Eurer Nächte erfüllt. Seid Ihr mit mir zufrieden? Nun, meine Herren, gehe jeder heim und durchwache den dämmernden Tag in brünstigem Gebet! Lasset mich hier weilen bis zum Morgen. Ich bringe dem Herrn ein Dankopfer für diese große krönende Gnade. Wahrlich, ihm allein die Ehre! Er ist ein Schild der Hilfe und ein Schwert der Fürtrefflichkeit.
COKE für sich. Plaudite, amici! Der Komödiante bleibt sich treu.
LUDLOW. Thue, was in Deinen Augen wohlgefällig ist! Alle ab, außer Cromwell und Harrison.
HARRISON. Ich, Bruder Cromwell, harre aus bei Dir in der Stunde der Prüfung! Lasset uns ernstlich die Ursachen dieser Fügung erforschen und unter gnädiger Führung des Herrn prüfen, ob irgend jemand sein Gewissen belastet habe. Cromwell ist am Tisch auf einen Stuhl gesunken, das Haupt auf die Hände stützend.
CROMWELL. Setz' Dich daher! – O Bruder, meine Seele ist müde bis auf den Tode. Wahrlich, diese schwierige Hülle des Leibes ist uns eine Last. Laß uns nicht die Hände falten zum Schlaf, auf daß wir nicht in Anfechtung fallen.
HARRISON zieht eine Bibel hervor. Laß uns befragen das Wort Gottes! Schlägt auf. Siehe hier, ich halte[140] Dir vor jenes gute Wort, »Buch der Sprüche« 1 und 23: »Wendet Euch zu meinen Worten: ich will ausgießen meinen Geist unter Euch.« Ja, Bruder Oliver, ein Schritt der Sünde führte Dich und die, so Dir trauten, in Wirren, um unsre Herzen und Hände zu entkräften. Du erfülltest uns mit Spaltungen, Unordnungen, Tumulten und andern bösen Werken. Die Mittel, welche Du mißbrauchtest, fielen auf uns zurück.
CROMWELL etwas unwirsch. He? Von wannen dieser Angriff? Was war so einschneidend verderblich für die heilige Sache, in welcher ich mit so großen Erfolgen gesegnet?
HARRISON. Daß Du einst mit dem Ahab verhandelt hast hinter dem Rücken der Gläubigen. Entzogen nicht Deine herzlichsten Freunde in der Nation Dir ihre Zuneigung, dieweil Du Dich abseits wandtest vom Pfade der Ehrlichkeit? O Frucht des Bedientenlohnes abtrünniger Herzen! Ergriff uns nicht böse Eifersucht untereinander, bereit, uns zu zerreißen und zu zerstückeln? Sprachen nicht unsre Feinde: »Sehet, das ist der Tag, auf den wir gewartet haben?« Und von solchen Plänen getragen, bereiteten sie das allgemeine Verderben vor und dräueten Vernichtung dem Werk unsrer Hände.
CROMWELL. Meine Absicht war rein und friedenvoll, zum Heile dieser armen Nation. Machten nicht damals einige zur Nachahmung das Beispiel des Herrn Christus geltend, welcher sein Leben besiegelte durch Leiden?
HARRISON. Niedrige Menschenfurcht, weltliche Verhandlung mit Deiner eigenen überschlauen Weisheit! Du hast uns entfernt vom Glauben und erwecket den Zorn des Herrn! Und das erzeugte in uns allen ein mächtig Gefühl von Reue und Abscheu vor uns selbst. Und[141] Gottes Güte, welche zu erkennen wir erschaffen wurden, gedachte Deiner begnadeten Seele im Zustand Deiner Erniedrigung und nun erfreuten wir uns im Herrn mit Bangen und Zittern. Diese Stellen der heiligen Schrift sind mein Trost gewesen: Schlägt die Bibel auf. Leset Jesaiah 8, 10, 11, 14, leset das ganze Kapitel! Räuspert sich.
CROMWELL der sehr unruhig geworden ist, steht auf und bläst den mattbrennenden Kandelaber aus. Laß das, mein Bruder, ich bin bibelfest im Text. Predige frei und laß uns im Dunkeln weilen mit unsern lichten Gedanken, auf daß in äußerer Finsternis der Geist sich heller sammle. – Ja, wohl wahr! Wenn wir an unsern Gott denken, was sind wir dagegen! O seine Gnade gegen die ganze Gemeinde der Heiligen, der verachteten Heiligen! Laß sie doch spotten! Ach, wären wir nur alle heilig! Die besten von uns sind arme, schwache Lämmer.
HARRISON näselt. Wir leben, Ihr wisset wo: in Meschik, das heißt Harren, in Kedar, das da heißet Finsternis. Meine Seele ruht in der Versammlung der Erstgeborenen, mein Leib in Hoffnung.
CROMWELL. So ist's. Wahrlich, kein armes Geschöpf hat der Gründe mehr, zu zeugen für seinen Gott, denn ich. O ich liebte Finsternis und haßte Licht. Ich war ein Haupt, ich war das Haupt der Sünder. Er ließ mich schauen Licht in seinem Licht! Gelobt sei sein Name! Bete, mein Bruder, bete für mich, daß Er, der ein gutes Werk in mir begann, es vollende am Tage der Erfüllung!
HARRISON. Hm! Gott erbarmte sich Deiner mit sonderlich süßer Stärkung. Und ich bin Dein Bullenbeißer und wären auch so viele Satanssöhne, wie Haare auf meinem Kopf, so will ich sie doch in ihren Schanzen[142] angreifen, körperlich und unkörperlich, mit der Bibel und mit dem Schwert. Du aber hüte Dich, Oliver, daß Du nicht den Sitz der Abgötterei wieder erhöhest und abscheulichen Götzendienst von Baalspfaffen, auf daß nicht dies Babelschloß hier, Whitehall mit Namen, wo Du jetzo Dein Zelt aufschlugest, wiederum werde zu einem geheimen Stall, um die Kälber von Bethel zu mästen!
CROMWELL der während der letzten Zeit unruhig auf und abging, bleibt stehn. Barsch: Generalmajor Harrison, was soll diese Predigt? Bleib bei der Sache, ich bitte mir's aus!
HARRISON. Generalmajore mich nicht, als wäre ich ein Weltkind. Ich bin Dein Bruder Harrison, so Dich ermahnet .. ha, was schleicht heran? Ist's der Versucher, der unsichtbare? Von der Gallerie her tritt Milton ein.
CROMWELL aus Schwert greifend. Ich glaube nur an Gespenster von Fleisch und Bein. He, Du da, bist Du der Leibhaftige oder ein Übelgesinnter? Es ist so dunkel, daß man nichts erkennen kann.
MILTON. Ich bin John Milton. Man sagte mir, ich würde Euch hier finden, wenn Ihr Cromwell seid. Ich glaubte nicht, Euch im Dunkeln zu treffen. Meine Augen sind halb erblindet durch Studien und Nachtwachen – verzeiht also, wenn ich Euch nicht sehe.
CROMWELL. Thut nichts, wenn's Herz nur helle ist. Ich erkenn' Euch an der Stimme. Was wollt Ihr von mir?
MILTON. Euch danken von ganzer Seele, daß Ihr meinen heißen Wunsch erfülltet, mein Wirken nutzbar zu machen für des Staates Gemeinwohl. Ich erfuhr soeben in dieser aufgeregten Nacht, daß ich auf Eure Empfehlung zum Staatssekretär ernannt bin.[143]
CROMWELL. Schon recht. Habe seit lange ein Aug' auf Euch. Eure Schriften dröhnen wie klirrender Stahl. Wir brauchen einen solchen Schriftgelehrten. Der eine zieht vom Leder, der andre zieht die Feder. Eure Sprache stampft wuchtig einher wie ein Cromwellscher Kürassier und Ihr packt die Dinge mit derbem Büffelhandschuh – nicht wie die eiteln Poetaster und Sophisten der Kavaliere, deren Geschmier einem Spitzenhandschuh gleichet, der moschusduftig ein Barettlein schwingt, reiherbebuscht und mit güldnen Zierraten befranst. Wir brauchen Euch, John Milton. Sagt doch, Ihr habt das Hochgericht über diesen sündigen Mann des Blutes begeistert gebilligt in Eurem »Bilderzertrümmerer.« Ihr seid ein reiner, schlichter Mann .. aber sagt doch, stehet nicht geschrieben: »Wer Blut vergießet, deß Blut soll wieder vergossen werden«, und zum andernmal: »Die Rache ist mein, ich will vergelten?«
MILTON. Wie, Du große Leuchte und Flammensäule, die da Israel leitete über das rote Meer .. herrscht die Wolke des Zweifels über Dir?
CROMWELL. Nein nein, ich .. ich wollte Dich nur prüfen, John Milton. Sagt, Milton, wie geht es Euch sonst?
MILTON. Ich habe einen Leib der Sünde und des Todes. Aber bei aller Gebrechlichkeit trotzet unser sündhafter Zustand der Verdammnis und wartet auf Erlösung. Jeden Tag habe ich Ursache, reichlich zu preisen den Herrn und mein Fleisch zu strafen – und in letzterer Beziehung habe ich einige Übung.
CROMWELL. Ich weiß, Du bist ein tugendhafter Heiliger und wirst zur Vollkommenheit gelangen. Ja, wir alle an unserm Teil standen sichtbarlich unter der[144] Vorsehung und dem Zeichen Gottes, unter dem wir obsiegeten. Er war mitten unter uns.
MILTON. Ja, Er, der im brennenden Dornstrauch gewohnt hat auf dem Horeb der Verheißung, er ließ sein Licht scheinen über Dir. Er kann und will vollenden, was er begonnen. Fand Gott Dich nicht heraus, da Du durch unsre Mitte schrittest unbekannt und unerkannt?
CROMWELL. Wahr, wahr. Und diese heutige That wird wohlgefällig sein vor seinem Angesicht?
HARRISON ärgerlich. Wer fragt so? Ein heidnischer Thor?
CROMWELL. Teurer Harrison, Du und ich, wir waren niemals würdig, Wächter göttlicher Entschlüsse zu sein. Laß diesen heiligen Mann reden! Nicht wahr, es ist sicher, daß Gott sich nimmer offenbart hätte, um die Gottlosen zu erheben? Für sie giebt es keinen Frieden. Zeichen auf Zeichen haben wir, daß es schlecht gehen wird mit jenen und ihren Genossen. Aber da reden sie von Gesetzlichkeit –
MILTON. Die Wohlfahrt des Volkes ist oberstes Gesetz. Das Heer und Du, Ihr seid die höchste gesetzliche Gewalt, von Gott selbst ins Leben gerufen. Denn die Gesetzlichkeit dieses großen Kampfes beruht in ihm selbst, des Kampfes zwischen Licht und Finsternis.
CROMWELL brütend. Ganz recht, so ist's. Und sehet diese Kette von Ereignissen – hängen sie nicht eng zusammen, klar und deutlich? War's nicht höchste Vermessenheit, uns auszurotten, uns Arme, die wir Puritaner heißen? Und siehe da, wir stellten unsre Sache dem Vater des Lichts anheim und riefen zum Gott der Schlachten und das Glück der Waffen war unser. Ja, der große Gott hat sich herabgelassen, in diesem[145] kleinen Heere zu erscheinen unter meinem demütigen Banner.
MILTON. Und er wird ferner mit Dir sein. Cromwell, hüte Dich vor den Menschen! Laß allein die Stimme in Deinem Busen sprechen! Alles, was in dieser Welt glänzt von Namen, Titeln und Ansehn, ist wider Dich. Dennoch aber erzittre nicht, weil Du Deinem großen Gotte dienen mußt. Nicht der Kampf heißt Gott versuchen, sondern kämpfen ohne Glauben. Die das Herz erleuchtende Macht ist der Glaube und mit dem Widerstande wächst der Glaube.
CROMWELL einfallend. Und es ist christlich, daß derjenige, welcher nicht erleuchtet ist, Vertrauen habe zu denen, welche es sind, und nicht leichtfertig richte! Das merke Dir, Harrison! – Ja, fragen wir, ob nach solchen Erfolgen, gegen welche viele Geschlechter nichts ähnliches aufweisen können, tüchtige Männer in unklaren Entschlüssen enden sollen? Die glorreichen Siege Gottes sollen anderen Samen tragen.
MILTON. Jo triumphe! So schreite vorwärts, priesterlicher Krieger, in dem Harnisch Deines lautern Gewissens gewappnet, unbeugsam, bis Du fällst auf dem Felde der Ehre! Sei ein guter Hasser! Der Rose Duftgebet ist vor dem Thron des Höchsten nicht lieblicher wie das Blut der Söhne Belials. Schwach sein ist das einzige Elend.
CROMWELL. Ha, was sagst Du da? Das war eine Eingebung. Geht im Dunkeln auf ihn zu und drückt ihm die Hand. Ich danke Dir.
MILTON begeistert. Wenn die Posaune des jüngsten Gerichts die Toten erweckt auf dieser stolzen Insel, die so fruchtbar an großen Männern wie keine außer der[146] heiligen Erde von Hellas, möcht' ich so an Deiner Seite stehen Hand in Hand, als Zeugen der guten alten Sache. Wenn ich Worte fände, die entflammen wie eine edle That, dann wüßt' ich armer Scribifax, was unsterblich fortwirken und unvergänglich bleiben wird von John Milton dem Puritaner. Er entschwindet im Dunkeln nach links.
CROMWELL ihm nachschauend. Das Hochgefühl eines ganzen, edlen Lebens! Gehe hin und sei gesegnet! Draußen heftiges Hämmern und Pochen. Ach wieder diese boshaften Stimmen aus der Unterwelt!
HARRISON näselnd, nähert sich ihm. Unterwelt, ja wohl! Laß Dich nicht irreführen ins Dunkel! Bruder, wir sind hier einträchtig beisammen wie im Schattenthal des Todes, im Thale Josaphat.
CROMWELL vor sich hin. Weh mir, ich allein in dieser Nacht, allein mit einem Verrückten! – Was fürcht' ich denn? Dieser Mann, den Gott selbst verleugnet hat – doch – hat Zimri Friede, der seinen Herrn erschlug? Was plagt mich der alte Ammenglaube an eines Königs Unverletzlichkeit? Ich wollte, des Mannes Blut wär' nicht an meinen Händen. Doch kann ich sein Schicksal ändern? Er trägt Unglück auf seinem Gesicht; es war ihm vorbestimmt. Und ich – was ist mein Loos? Stehts in den Sternen geschrieben? Laut, heftig. Wohl ist's eine große Sache, sich zu erheben über der Menschen Scheitel. Aber nur Haß und Neid und Eifersucht erntest Du damit. Ich habe für dies Volk von England getrotzet dem Feuer und Stahl, und jener nun bald verstorbene Mann hat sie geplagt wie die Backsteinbrenner Egyptens. Und jetzo, wo ich diese Herde dem wahren Hirten überlieferte, der freien Kirche im freien Staat, und sie weide im Thale Gosen, jetzo blicken sie scheel und[147] knirschen in ihren Bart: Hoho, Königsmörder, Vatermörder!
HARRISON. Hm, was hör' ich! Immer denkst Du nur an Dich selbst. Aber da ist genug in unsres Vaters Hause und er verteilt es. Christus nimmt Gestalt an in uns allen.
CROMWELL. In uns allen? Hm, sicherlich. Jedoch .. nicht so, wie Du meinst. Scharf. Ah, ich merke, Generalmajor Harrison, Ihr schlagt Euch zu den Gleichmachern, gleich Eurem Freund Lilburn, der im Tower sitzet, um sich von seinen Irrlehren zu bekehren?
HARRISON. Ja, leider sitzet er. Vernünftele nicht, Kaltherziger! Ja, Du hast ihn verbannt an den Ort, wo Heulen und Zähnklappern wohnet, indeß Du im Lande jubilirst, wo Milch und Honig fleußt. Ich sage Dir, unser gottseliger Oberst Lilburn wird seine Ketten –
CROMWELL streng. Behalten, bis er vernünftig wird. Grade wie der aufreizende Prynne, dieser Schriftsteller des ewigen Verneinens, der alles anficht, was nicht in seinem hohlen Schädel ausgebrütet. Beide, er und Lilburn, haben Pamphlete verbrochen, worin sie »Englands neue Ketten« bewimmern. Ich aber werde die ganze schlechte Presse in Bande und den Kanzelrednern Eurer Partei das Handwerk legen mit eiserner Hand. Was wollt ihr »Gleichmacher« denn eigentlich noch?
HARRISON. Siehe, Verblendeter, wir sind die Männer der fünften Monarchie und harren auf Christi Wiederkommen und die Herniederkunft des Reiches Gottes auf Erden. Lies Buch Daniel, Kapitel 7.
CROMWELL verächtlich. Lies das Buch der Menschheit, Kapitel Alpha bis Omega! Nun, und was werdet ihr neuen Mosesse thun mit Israel?[148]
HARRISON hat das Gesicht mit den Händen bedeckt, jetzt ruft er fanatisch. Jetzt ist es mir eingegeben, jetzt werd' ich Dirs sagen. Dies Heer wird die Monarchie vernichten nicht nur hier, sondern auf der ganzen Erde. So werden wir der Rückkehr nach Ägyptenland Einhalt thun.
CROMWELL kalt. Mein Freund, die Fleischtöpfe Ägyptens haben doch auch ihr Gutes. Dies abgemagerte Volk sehnt sich, wieder fett zu werden.
HARRISON. Wie, wer ist dieser Gleißner und Zöllner, ist 's ein Blendwerk der Hölle in Cromwells Maske? Fleisches-Dienst im Mund eines Heiligen?
CROMWELL stolz und gebieterisch. Eines Herrschers. Ja, mein Freund, ich werde die Sache des heiligen Gottes und seiner reformierten Kirche über die ganze Welt hin fördern wider die katholische Politik derer von Habsburg und Bourbon. Ihr aber störet mich nicht bei meinem gewaltigen Werk oder ich will Euch fragen, was der Spruch bedeutet: Ehre, dem Ehre gebührt!
HARRISON fauatisch. Eure Mäuler werden gestopft werden, weil ihr solche Frage stellt. Siehe, die Wiedergeburt der Schöpfung naht, alle Menschen werden freiwillig ihren Besitz aufgeben – Cromwell lacht. Werda? Harrison zieht das Schwert und dringt gegen die Gallerie, von woher Sporengeklirr und hastige Schritte tönen. Es ist mittlerweile Morgen geworden. Ireton kommt von links.
IRETON hastig. Still, ich bin's, Ireton. Der Tag bricht an. Ich bin beauftragt, dem Volk die Urkunde der Hinrichtungsakte zu verlesen.
CROMWELL halblaut. Dem Volk? Bah!
IRETON. Es steht draußen Kopf an Kopf, um an dem meineidigen Volksverderber das Recht vollstreckt zu sehn.[149]
CROMWELL. Bah, wenn es gälte, mich köpfen zu sehn, würden noch mehr da sein! Ireton öffnet langsam das große Fenster. – Er tritt an die Brüstung und prallt zurück. Ah, das Schafott!
IRETON kalt. Schwarzverhangen und der Henker im roten Kleid. Es macht sich gut. Entrollt ein Pergament.
CROMWELL. Ja, Du bist von Eisen, Du! – Lies nur zu!
IRETON an der Brüstung stehend, gebietet mit der Hand Schweigen. Draußen Trommelwirbel. Er liest mit erhobener Stimme. Männiglich kund und zu wissen: »Dies ist das einstimmige Urtel des Gerichtshofs in Sachen des Volks von England wider Karl Stuart, weiland König. – Nicht zufrieden mit den zahlreichen Eingriffen, welche bereits seine Vorgänger gegen Rechte und Freiheiten des Volkes gewagt, hat er den verruchten Plan genährt, die alten Grundgesetze dieser Nation vollständig zu vernichten. Außer andern verwerflichen Mitteln hierzu hat er mit Feuer und Schwert einen grausamen Krieg angesponnen, wodurch das Land kläglich verwüstet, der Staatsschatz erschöpft, der Handel zu Grunde gerichtet, und viele Tausende vom Volke getötet worden sind, sowie auch unendliche andere Unthaten ausgeführt. Für alle welche Hochverrätereien besagter Karl Stuart schon längst hätte zu strenger und verdienter Rechenschaft gezogen werden müssen. Er ist nun überwiesen, überführt und verurteilt und soll er als Tyrann, Verräter, Mörder und öffentlicher Feind der Menschheit den Tod erleiden durch Trennung des Hauptes von seinem Leibe, was allsogleich zu geschehen hat.« Er tritt zurück. Draußen Summen wie von großen Volksmengen.[150]
CROMWELL ergriffen. Sie ist also da, die große Stunde ist da! Trommelwirbel von links. Joyce kommt eilig von dort, ein großes Schwert übergeschultert. Sieh da, der Herold des Todes!
JOYCE. Platz da, Platz! – Der Zug kommt gleich hinter mir!
CROMWELL zu Harrison. Laß uns dort in die Nische treten! Es lüstet mich, den Mann zu sehn auf seiner letzten Pilgerfahrt durch dieses Jammerthal. Er tritt mit Harrison in eine Nische, die ihn verbirgt. – Pause. Plötzlich beginnt draußen das Armesünderglöcklein zu läuten. Von links dumpfer Trauermarsch. Soldaten marschieren, je zwei und zwei, herein und bilden Spalier. – Trompetentusch. Der König Karl, sehr elegant gekleidet, festen Schritts, tritt auf, an seiner Seite der Bischof von London im Talar. – Joyce und Ireton nehmen ihn in die Mitte.
DIE SOLDATEN schreien. Gerechtigkeit! Vollstreckung! Hinrichtung!
KARL. Arme Leute! Für einen Schilling würden sie ebenso gegen ihre eigenen Offiziere schrein. Er schreitet auf das Fenster zu.
JOYCE ihn aufhaltend. Halt! Dort steht das Schafott! Erschrecken Sie nicht!
KARL auf Joyce's blankes Schwert weisend. Ich habe keine Furcht davor. – Seht Ihr nicht, daß ich geputzt bin wie ein Bräutigam zu seinem Freudenfeste? Ich gehe zu unserm himmlischen Vater. – Bezähmen Sie Ihren Schmerz, Mylord Bischof! Wir haben keine Zeit, uns damit zu beschäftigen. Denken wir an unsre große Angelegenheit! Ja, ich bin vorbereitet, vor Gott zu erscheinen, dem ich in kurzer Frist Rechenschaft ablegen muß. Reden wir nicht mehr von jenen Elenden, die nach meinem Blute dürsten. Ich verzeihe ihnen[151] allen, denn die Schurken wissen nicht, was sie thun. Joyce nähert sich ihm. Was wünschet Ihr, mein Freund?
JOYCE. Der gottselige Mann Peters, Feldkaplan im Leibregiment Cromwell, bietet Euch seine Dienste an auf dem letzten Gange.
KARL. Ich danke. Sagt ihm, nachdem er so oft gegen mich gebetet, könne er beim Todeskampfe seines Königs nicht für mich beten. Geht! Ja, Mylord Bischof, ich habe eine gute Sache für mich und einen gütigen Gott. So strenge ich mich prüfe, darf ich in Demut von mir sagen, ich war ein edler Mensch, .. der seine Schwächen hatte. Das Volk wird mich beweinen als Märtyrer seiner Freiheit. Das große Fenster wird geöffnet. Ob wohl dieser Cromwell je im Shakespeare las? Die Mordnacht Macbeths, der den gnadenreichen König –
JOYCE vortretend. Sire, es ist Zeit.
KARL tritt ans Fenster. Nur noch ein Schritt voll Angst, doch kurzer Dauer; eine lange Reise von der Erde zum Himmel. Lebtwohl, Mylord Bischof. Bringt meine letzten Grüße Ihr, bei der meine letzten Gedanken weilen, meiner erhabenen Gemahlin. Sagt ihr, wie ihre keusche Treue, Liebe und Weisheit mein Leben verschönt hat, wie ich ihrer würdig mein königlich Blut verströme. – Nein nein, keine Schwäche mehr! Ich gehe zu einer unverwelklichen Krone über. Am Fenster stehend, schaut er hinaus. Sieh, das Volk! Darf ich es anreden?
JOYCE. Ich weiß nicht, ob – Er tritt in die Nische zu Cromwell.
CROMWELL leise. Ferne sei es von uns, dieser armen Seele zu wehren. Vielleicht bereuet sie ihre Hartherzigkeit und ihre Missethaten. Joyce tritt zum Könige und macht ein bejahendes Zeichen.[152]
HARRISON flüsternd. Geht er nicht einher, wie einer, der vom Fetten genährt und vom Süßen getränkt und gekleidet in Purpur und feine Leinwand? Ha, der böse Feind ist körperlich erschienen. Willkommen, willkommen! Das Todenglöcklein verstummt.
KARL spricht, am Fenster stehend. Möge niemand glauben, daß ich mich der Schuld unterwerfe wie der Strafe. Meine Pflicht gegen Gott und gegen mein Land erheischt, mich rein zu bekennen als guter König und guter Christ. Der Gesalbte des Herrn ist zu morden, aber nicht zu beugen. Mit meinem letzten Odem behaupte und bezeuge ich vor dem König der Könige: ich habe Recht gethan. Die Verachtung der Rechte des Souverains ist der wahre Grund unsres großen Unglücks, das über alle hereingebrochen. Das Volk darf keinen Teil an der Regierung haben, nur unter dieser Bedingung kann die Welt bestehn. Und in diesem unerschütterlichen Glauben befehle ich mich in Gottes Hand. Er schreitet hinaus. Joyce, Ireton u.s.w. folgen.
CROMWELL mit Harrison allein, vortretend. Fahre er dahin in seinen Sünden!
HARRISON hallucinierend. Es nahet, es nahet die Stunde, wo der gräßliche Drache losgelassen aus dem Abgrund, wo er gefesselt lieget. Und es wird ein Donnern und Blitzen.
CROMWELL lauschend. Horch! – Ich mag nicht hinsehn. Er kniet nieder .. jetzt legt er sein Haupt auf den Block .. jetzt faltet er wohl die Hände, die verblendete arme Seele sendet ein Stoßgebet zum Himmel – ha! das Beil fällt!
HARRISON jauchzend. Stürze, Babylon, wie Dein Gebieter Nebukadnezar! Draußen anhaltendes dumpfes Murren und Murmeln einer großen Volksmenge.[153]
STIMME DES HENKERS draußen. Dies ist das Haupt eines Verräters!
HARRISON. Und die Asche soll geworfen werden in den Bach Kidron, auf daß das Land gereinigt werde von der alten Verkehrtheit. Die Kirchenglocken setzen mit dumpfen Schlägen ein bis zu Ende des Aktes.
CROMWELL ans Fenster tretend, mit fester Stimme. Der große Staatsverbrecher ist gerichtet. Sein Leichnam liegt in seinem Blute. Cynisch. Es war ein Körper von guter Konstitution, der ein langes Leben versprach. – Was schaudre ich? – Sind dies nicht die wunderbaren Werke Gottes? Hat er nicht zerbrochen die Zuchtrute des Unterdrückers, wie in den Tagen von Midian – nicht mit Gewändern, die in Blut getaucht, sondern durch den Schrecken des Herrn? Sind unsre Gewänder in Blut getauft? Ja, in dies Blut des Tyrannen, wie in Taufwasser des Jordan. – Was also sollten wir schaudern, warum und wovor? Ob wir wohlgefällig den Menschen dieser Welt, was thuts! Gott ist mächtiger denn alle Verleumder. Kommt doch an, all ihr Kleingläubigen, zielet hierher auf mein verfehmtes Haupt! Ich aber sage euch, und sollt' ich selbst zu dieser Stunde mein Blut dem Blute dort draußen mischen: Dies ist nichts anderes als die Hand Gottes. Ich preise Ihn, der mich behütet hat wie seinen Augapfel, daß Könige sollen vor mir verworfen werden. Sorgen wir nicht, was die Menschen machen aus dieser That. Mögen sie wollen oder nicht, sie müssen den Willen Gottes ausführen. Und wir werden arbeiten für unsere Nachkommen. Das Endurteil erwarten wir von ihnen, und das wird von Dauer sein! Ich weiß, daß mein Erlöser lebt und daß er mich rechtfertigen wird. Wo sind die Feinde Englands und die Schmäher der Freiheit?[154] Auf, daß ich sie zerschmettere im Namen des Herrn, der mich geführet hat auf allen meinen Wegen. Nimmer will ich vergessen, wie Er mein blindes, wüstes Herz erleuchtet hat und meine saure Arbeit begnadete und seine Macht offenbarte .. in mir. Er kniet und betet.
HARRISON. Der Herr hat als Kometen Dich ausgesteckt in seiner Nacht und Du warst eine feurige Zuchtruthe und Geißel über Adoni Besek samt den Syrern und Edomiten. Aber Licht – Licht ist nirgends als in der fünften Monarchie, die da kommen wird.
CROMWELL erhebt sich, kalt, höhnisch. Weißt Du das so gewiß?
HARRISON. Du sprichst wie die Heiden und Blinden. Aber sollen die Blinden sein über die Lebenden?
CROMWELL. Nennest Du mich einen Blinden?
HARRISON verzückt. In Mauern von Jaspis und zwölf Thoren von Perlen werden die Heiligen in ihrer Gloria herrschen. Wisse, das tausendjährige Reich bricht an.
CROMWELL bitter. Und wieviel Jahre dieses armen Gemeinwesens der Republik von England?
HARRISON. Das sind müßige Fragen. Ein Ertönen der Posaunen, ein Klirren und Ausströmen ist in der Luft. Das Reich der Heiligen beginnt und wir beide, Feldherr Israels, sind als Pfeiler Zions erwählt.
CROMWELL höhnisch. Werden wir auch mit gehörigen zeitlichen und geistlichen Einkünften ausgestattet?
HARRISON feurig. Und Du fragest noch! Die Erde wurde den Heiligen gegeben samt ihrer Fülle und zu dem Heiden spricht der Herr: Du sollst zur Beute gegeben werden. Sag doch, Feldherr, wie stehet es denn mit den Gold- und Silbergefäßen des verstorbenen Mannes?[155]
CROMWELL. Hebe Dich weg von mir, Satanas! Denn Du bist mir ärgerlich. Willst Du mich versuchen in der Stunde der Trübsal?
HARRISON. Wie, sagest zu Deinen Freunden: Raca! Ich kenne Dich nicht!? Man soll dem Esau seine Erstgeburt nicht nehmen.
CROMWELL. Der redliche Knecht ist seines Lohnes wert, aber er soll nicht mahnen, so lange noch Arbeit zu vollenden im Weinberg. General Harrison, wir sind ein Hebel, das wissen wir wohl, und ihr seid von uns bestimmt, noch manche Raupen zu zerdrücken, zum Schirm der Trauben Kanaans. Aber harren sollet ihr mit Geduld und euch wappnen mit Gehorsam, bis sich mein Ruf erhebet zum andernmal: »Israel, Jakob, aus Deinen Gezelten!« Mystisch. Wie, bin ich nicht der erwählte und bestellte Kämpfer, um den Drachen zu bewältigen in der großen Schlacht von Armageddon, wo die Heiligen zusammenstoßen mit den zahllosen Legionen der Hölle?
HARRISON hallucinierend. Armageddon! Wenn die Stimmen der Engel alle Vögel unter dem Himmel rufen, um sie zu füttern mit dem Fleisch der Häuptlinge und der Krieger, der Rosse und Reiter?
CROMWELL. Jawohl! Und der Geist hat mir verkündet: Thomas Harrison soll den linken Flügel kommandieren und ein Regiment zu Fuß vom Zentrum.
HARRISON begeistert. Ha, so sind meine geheimsten Wünsche Dir offenbart? Bin ich bestimmt zu so hoher Gnade?
CROMWELL. Du bist. Harre des Tages, wenn die sieben Drometen erschallen und die Pfeiffen von Jezer! Immer den Fuß im Steigbügel, sag ich Dir! Und gehorche dem Wink meiner Brauen! Denn ich bin Der, dem geoffenbaret[156] wird, und ich bin der Reiter des Herrn, der geweissagt in der Offenbarung Johanni.
HARRISON überzeugt. Ja, Du bist der apokalyptische Reiter! Jetzt erkenne ich Dich. Du hast Macht über die ganze Erde. In Staub mit allen Feinden Olivers! Ab.
CROMWELL allein. Er tritt aus Fenster. Die Sonne geht glänzend auf. Wer die Hand legt an das Rad der Zeit, darf nimmer hinter sich schauen. Ich schaudre nicht vor Schatten, vor Schatten, die der Wahn erzeugt. Denn aus dem Schatten meiner Dunkelheit erhob mich kein leerer Wahn und kein Zufall des Glücks, sondern das fiebernde umdunkelte Gewissen meines Vaterlands, und gemeinsam mit seinem Schutzgeist stieg ich empor aus der Finsternis in das blendende Licht. Und der Herr wird mich aufrecht halten, auf daß ich erfülle, wozu ich gesandt. Wozu? Nun, am weitesten kommt der, welcher nicht weiß, wohin er geht. Sie werden mich schmähen von Aufgang bis Niedergang, sie werden mein Andenken begraben im Koth ihrer viehischen Dummheit. Die Knaben! Ja, einem Knaben gleichen sie, der den Ozean mit Steinen wirft, um damit zu ergründen, was kaum des Forschers Senkblei je erreicht. Ja, einem Knaben gleichen sie, der hinausfährt in schwacher Barke und dann prahlt nach der Heimkehr, er habe die Welt umsegelt. Was wißt ihr vom Meer und seiner majestätischen Tiefe und seinem grollenden Sturmgesang? Was von der Welt und ihren Grenzen? Und was, ihr Knaben, wisset ihr von mir? Ja wahrlich, meine Werke sind von morgen und nicht von heute her. Ich werde nicht dahinschwinden, wie der Blitz durch Sommerwolken zuckt, ohne daß der Donner folgt mit der weithinhallenden Stimme, der Donner und der Donnerkeil.[157]
LUDLOW erscheint in der Fensteröffnung von außen her. Er winkt mit der Hand nach außen. Im Namen des Parlaments und des souverainen Volkes! Die Glocken schweigen. Es ist durch die Erfahrung bewiesen, daß in diesem Lande das Königtum unnütz, lästig und gefährlich ist. Darum ist es abgeschafft von diesem Tage an. Gegeben im ersten Jahre der durch Gottes Hilfe wiederhergestellten Freiheit! Es lebe die Republik! Er verschwindet in der Tiefe.
DRAUSSEN JUBELGESCHREI. Es lebe die Republik! Es lebe Oliver Cromwell! Das Glockenläuten hebt wieder an.
CROMWELL fest und stolz. Ja, wahrlich wie Moses muß ich ringen, das Volk zu führen aus der Knechtschaft. Er kniet und betet. Herr Zebaoth, ich schreie zu Dir aus dem Staube irdischer Not. Nicht fallen kann ich aus der Gnade, dieweil ich einstmals in der Gnade war, da deine innere Stimme mich berief auf dem Feld meiner Väter, gleich dem Hirtensohne Isaïs. Was heut geschehn, that ich aus bestem Willen, nach bestem Wissen, nicht ohne bittern Kampf und sauren Schweiß und schwere Nachtwachen. Und ich thäte es noch einmal. Liegt aber etwas von Schuld in dieser großen That, was da Sühne heischt, so flehe ich, aufrichtig, denn Du siehst mein Herz: Laß die Buße fallen hienieden auf mein Haupt allein! Was aber von Segen und Ruhm daraus entsprießet und was ich Großes that und Größeres verrichten werde, das schenke nur und das lohne diesem geprüften Volk, das tapfer und treu darbte und stritt für die gute alte Sache unter mir, deinem Knecht. Siehe, du siehest die Thaten an und nicht die Worte, gleich jenen des frömmelnden Ahab, des Pharisäerhäuptlings, der sich auf dich berief bei seinen Freveln und von hinnen fuhr an den Ort der Verdammnis, mit dir versöhnt wie er wähnte in seinem eiteln Sinn. Wohlan, Thaten gelobe ich[158] dir und keinen Lippendienst, Thaten eines lebendigen Königs statt jenes schwachen Toten. Siehe, ich gelobe es, denn ich fühle die Kraft in mir: Ein Fürst soll erstehen, wie ihn dies Eiland noch nimmer sah. Herrschen soll es über die Meere und als Schrecken Europas gebietend wachen über der Freiheit des Worts. Ich will sein der Protektor des Rechts und des Geists und die Erde soll erzittern vor der Schärfe des Schwerts von England, und die Fürsten der Erde staunen, was deine Hand vollbracht durch mich, deinen Knecht. Die Glocken setzen mächtig ein. Herr Gott, du bist unsre Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge worden und die Erde und die Welt geschaffen worden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit![159]
Buchempfehlung
»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge
276 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro