Vierter Akt.

[41] Dieselbe Dekoration wie im ersten Theil: Saal in den Tuilerien. Prachtvolle Ausstattung im Stil jener Zeit. Rechts und links klei e Tische mit Stühlen. Im Hintergrund Sopha. Man sieht rechts Hintergrund in Nebensäle, wo bunte Gruppen von Gästen ab-und zugehen. Ballmusik hinter der Scene. Im Hintergrunde links ein Erkerfenster mit einer Nische, wo ein Fauteuil placirt ist. Vorn links kleiner Sekretär, an weichem Carnot und Barras beim Aufgehen des Vorhangs sitzen, einige Papiere vor sich. Von rechts unter lautem Lärm kommen mehrere Muscadins und eine Dame, Champagnergläser in der Hand, die Karmagnole tanzend. Indem sie sich zutrinken, rezitieren sie in singendem Ton.


In trautem Verein tanzt Bein an Bein,

Die Vernunft soll Königin sein!


Der eine Muscadin sinkt lallend auf einen Stuhl rechts im Hintergrund.


BARRAS lacht. Auf schwachen Füßen steht die Vernunft! Steht auf.

CARNOT grimmig. Hinaus hier! Hat man nirgends einen Winkel, um über ernste Dinge zu reden? Springt auf mit drohender Geste.

BARRAS lachend zu dem Muscadin. Du, nimm dich in Acht! Da ist der Kriegsminister! Der steckt dich in die Armee!

DIE DATNE erschreckt. Um Gotteswillen!

BARRAS lacht. Der ist abgeschafft! Droht mit dem Finger. Kleine Vergeßlichkeit!

DIE DANTE erschrocken. O, ich meinte nur das »höchste Wesen«! Das ist doch amtlich ernannt!

BARRAS. Ach, meine Dame, seit dies »Wesen« von uns angestellt wurde ... da oben, geht hier unten Alles schief. »Es« entsprach nicht den gehegten Erwartungen!

DIE DANTE. Aber die Göttin der Vernunft ... die habt ihr doch eingesetzt ...[41]

BARRAS schäkernd. Wir verehren sie im Fleisch und in der Wahrheit ... Lorgnettirt ihre Füßchen. Sie lebt nicht auf großem Fuß, diese Göttin!

DER BETRUNKENE lallt. Ich kenne das Mä'chen. Markthallen rechts um die Ecke ... Wir haben, was wir brauchen. Gelächter. Die Muscadins, erschrocken vor Carnot's Ernst, ziehen den Betrunkenen fort. Dich soll die heilige Guillotine in Stücke frikassiren! Du nüchterner Verräther! Die Freiheit hat Durst, viel Durst ...


Die Muscadins u.s.w. ab nach rechts Hintergrund.


CARNOT. So enden Tragikomödien .. der Clown schneidet Grimassen!

BARRAS. Hört Cato reden! Tragödiante!

CARNOT. Komödiante! – Der fünfte Akt ist noch nicht aus. Am Erker hinausblickend. Wenn wieder die Sturmglocke bellt, ein eiserner Bluthund ... O, der Strom scheint Blut zu wälzen! Gewitterwolken ... dahinter hängt Blutregen!


Schwaches Wetterleuchten.


BARRAS. Gegen ganz Europa im Kampf! So weit haben wir's glücklich gebracht! Moreau über den Rhein geworfen!

CARNOT zeigt einen Brief. Trostlose Nachricht aus Italien! Truppen ohne Schuh und Strümpfe! Die Armee existirt nicht mehr.

BARRAS gähnt. Die Regierung kann nicht an Alles denken.

CARNOT. Weil sie nur an sich selber denkt.

BARRAS. Das muß sie. Sieht's nicht auch kriegerisch aus in Paris? Alle Stadtviertel haben ihre Nationalgarden einberufen.

CARNOT. Habe Ordre gesandt: Garnison in den Kasernen marschbereit.

BARRAS klingelt. Darauf wag' ich's. Was wollen die Nachtmützen? Noch mehr Freiheit? Junot von links; nimmt ein Schriftstück links vom Sekretär. »An den sogenannten Centralausschuß der Wahlbezirke«. Junot ab nach links. Ich verlange sofortige Auflösung. Widrigenfalls – Waffengewalt!

CARNOT von rechts Hintergrund ist der Redakteur des »Merkur« aufgetreten und sucht sich nach links fortzuschleichen. Carnot wendet sich und attrappirt ihn. Heda, guter Freund!

REDAKTEUR. Hm – ich wollte nicht stören –[42]

BARRAS. Ach, Du? Zu Carnot. Unser Offiziosus! Der Redakteur des »Merkur«.

REDAKTEUR zu Carnot, der unwirsch nickt. Der »Merkur«, Organ der wahren Demokratie, ist das einzig lesenswerthe Pariser Tageblatt. Alles andere ist Gift.

CARNOT. Und Du das Gegengift. Dazu gehört ein guter Magen.

BARRAS. Hast Deine Notizen über unser Fest gesammelt? Willst jetzt in den Convent?

REDAKTEUR tückisch lächelnd. Habe anderswo zu thun. Zieht eine Zeitung hervor und liest. Artikel der heutigen Abendnummer. »Man gehe nie in diese Zusammenrottung großmäuliger Berufsschwätzer, ohne sich die Taschen mit allerlei Steine zu füllen. Denn warum? Man soll Alle steinigen, die andrer Meinung sind als wir.« Ja, zündend geschrieben ... Ueberschrift: »Achtung, es hagelt!« Mein Tageblatt bringt nur Gediegenes.

BARRAS starr vor Zorn, reißt ihm die Zeitung weg, die er selber durchfliegt. Mensch, Du unterstehst Dich –?! Und hier noch .. »Vermahnung an Carnot über Armeereform!«

REDAKTEUR bieder. Mir ist die Kriegskunst nicht fremd.

BARRAS. Und hier .. »Steckbrief wider den neuen Präsidenten des Gemeinderaths«?!

REDAKTEUR Augen gen Himmel. Stehlen kann dieser Mensch – unbezahlbar!!

BARRAS liest weiter in der Zeitung. Ah, Ausfälle auf Kollege Talleyrand?

REDAKTEUR gelassen. Bekanntlich ein Giftmischer.

BARRAS liest. Was seh' ich! Nicht mal Frau Tallien ist Dir heilig?

REDAKTEUR. Ein anrüchiges Frauenzimmer ist doch kein Engel. Bedaure. Unentwegt thut ihre Pflicht die Presse.

CARNOT bitter. Es lebe die Preßfreiheit!

BARRAS. Das nennst Du eine Zeitung für öffentliche Angelegenheiten?

REDAKTEUR. Für öffentliche Persönlichkeiten.

CARNOT. Er kopirt den seligen Marat! Wie wär's mit dem hochseligen Danton? Parodirt. »Die dröhnende Sturmglocke ist der Stoß auf's Herz der Verräther ...«

BARRAS. Ja, der Aufruhr brüllt in Deinem Blatt. Haben wir's dazu subventionirt? Reicht Carnot die Zeitung, der darin liest.

REDAKTEUR frech. Euch reinzuwaschen?[43]

BARRAS. Ach so! Vertraulich. Es thut mir wohl, daß noch hohe Beamtenposten zu vergeben sind. Wir suchen tugendhafte Patrioten ...

REDAKTEUR. Bis in die Kloaken hinein Feierlich. Hebe Dich weg, Versucher! Ein reines Herz ist der Gottheit schönster Tempel.

CARNOT. Ein wahres Idyll! Jetzt mimt er zur Abwechslung den »Unbestechlichen«! Der Redakteur, immer mehr links an der Thür, setzt plötzlich eine rothe Mütze auf. Nu?! Ist hier Maskenball?

BARRAS. Jakobinermütze in meinem Salon?

REDAKTEUR bieder. Ich bin ein Naturmensch.

BARRAS. Seit wann? – Ich kenne den Tarif Deiner Ueberzeugung, versteigert an den Meistbietenden.


Talleyrand kommt von rechts, von den Anderen ungesehen.


CARNOT liest in der Zeitung. Hört, hört! »Aus allen unlauteren Quellen ist Geld in Barras' Taschen geflossen, doch wie ein Danaidenfaß bleiben sie ewig leer ...«

REDAKTEUR in der Thür retirirend. O ich kenne eine Geschichte zum Kranklachen ... handelt sich um 'ne Million ... welch' ein Sumpf!

CARNOT. Weil er nicht mitsumpfen darf!

BARRAS will ihn am Kragen packen. Wicht! Noch bin ich auf der Höhe der Situation und Frankreich hängt an meiner gerunzelten Braue.

TALLEYRAND rasch hinzutretend zwischen Barras und den Redakteur tretend. Laß es hängen!

BARRAS. Und wohin hängen wir den Galgenstrick?

TALLEYRAND den Redakteur scharf ansehend. Hm, die Presse ist doch immer da, wo die Macht ist?

REDAKTEUR bieder. Das sind wir unsern Lesern schuldig.

TALLEYRAND. Ah! Also Deiner erleuchteten Meinung nach ist heut' die Macht ...

REDAKTEUR. Wo anders! Entwischt rasch nach links durch die offene Thür.

BARRAS will nach. Er ist ...

TALLEYRAND nimmt eine Prise. Auf der Höhe der Situation.

CARNOT. Sehr bedenklich! Der heult immer mit den Wölfen.

BARRAS spöttisch. Klappert Dir der rothe Schrecken in den Gebeinen?[44]

CARNOT verächtlich. Wenn man so viel zu erschrecken hat wie Du!

BARRAS zornig. Das mir? Du trägst Dein Haupt so feierlich wie eine Monstranz und verbirgst Deinen Ehrgeiz schlecht hinter Deiner steifen Kravatte!

CARNOT. Du taumelst von einem Bachanal in's andre. Man wird Dich die eigne Zeche bezahlen lassen. Heftig. Du ruinirtest die Rheinarmee!

TALLEYRAND. Frieden, Frieden!

CARNOT. Schweig Du! Deine Erpressungen im Departement du Nord ...

TALLEYRAND. Als ob nicht Alles von rechtswegen den Patrioten gehörte! Diese Verleumdung wird ausgestreut ...

CARNOT. Durch die Wahrheit! Beißend. Theatergrößen, im ersten Fach beschäftigt! Ihr spielt brillant eure Rolle!


Man sieht rechts im offnen Nebensaal Josefine den Menou begrüßen.


BARRAS entzückt, Kußhände werfend. Ach, die göttliche Circe!

CARNOT trocken. Wie ungalant! Circe verwandelte ihre Anbeter in Schweine. Halblaut. Das kommt bei Dir zu spät.


Madame Tallien. Josefine Beauharnais. General Menou treten rechts herein.


MADAME TALLIEN imposante Figur, pomphaft im Auftreten. Also hier muß man die Väter des Vaterlandes suchen!

BARRAS ihr die Hand küssend. Zu den Füßen der Mütter des Vaterlandes!

MENOU stattlicher Mann, affektirtes Benehmen zu Josefine. Reiche fallen, Ihr Szepter bewahrt seine Macht! Ihr Kostüm bewundernd. Beim Amor! Das sind die Revolutionen nach meinem Geschmack!

BARRAS eifersüchtig, ihr vertraulich nahetretend. Theure Freundin, wie schmiegt sich die Rose an Ihre Brust!

MENOU. O Madame, diese Rose wäre ein Ordensband, das selbst ein hartgesottener Republikaner mit Wonne empfinge.

TALLEYRAND. Aus der Hand der schönsten Königin. Geht rechts in's Nebenzimmer.


Menou, Carnot, Tallien rechts. – Barras und Josefine links.


JOSEFINE zu Barras. Eine Bitte an den Herrn von Frankreich!

BARRAS galant. Herrin! Welchen Kopf willst Du, Herodias?

JOSEFINE lachend. Den Kopf des Barras ... für Maler David.

BARRAS jovial. Ich will ihm sitzen ... ein Bein in die[45] Luft, zwei Beine in die Luft. Der malt Alles, was ihm unter die Finger kommt! Hofmaler der Republik!

CARNOT zu Barras, links vorn. Vergaß, Dir zu sagen: habe Jemand herbestellt, der mir die Thüre einläuft. Immer abgewiesen ... heut' will ihn mal anseh'n.

BARRAS pikirt. Thu', als ob ich ... nicht zu Hause wäre! Wer ist's denn?

CARNOT. Ein gewisser Bonaparte.

BARRAS. Ach der! Ein lästiger Bursche.

CARNOT. Bombardirt mich mit Denkschriften über Feldzug in Italien.

BARRAS. Steckt was dahinter?

CARNOT. Das Narrenhaus. Tritt zu Menou.

BARRAS. Nun, General Menou, Paris ist in voller Gährung.

MENON selbstgefällig. Paris hat einen Kommandanten. Unsicher. Soll wirklich Waffengewalt –?

BARRA jovial. Nur im Nothfall, versteht sich. Die Noth findet sich immer. Gewalt, i wo werd' ich! Ich bin ein friedfertiger Mensch. Aber wenn man dem Gesetze trotzt, dann werd' ich unangenehm.

CARNOT brummt halblaut. Das Gesetz im Munde von Banditen!


Talleyrand und mehrere andere Gäste kommen von rechts.


TALLEYRAND ein Spiel Karten in der Hand. Ein Königreich für einen Whistspieler!

MADAME TALLIEN lacht. Königreiche sind heute wohlfeil.

TALLEYRAND lächelnd. Frau von Beauharnais, eigentlich ist's gegen mein Prinzip, ein Spiel mit schönen Damen aufzunehmen. Die behalten immer den letzten Trumpf, nämlich das Coeuraß. Ihr den Arm bietend. Darf ich bitten?

JOSEFINE ablehnend. Ich bin nicht ganz wohl. Zu Barras. Darf ich mich etwas zurückziehen? Weist nach links auf die Erkernische.

BARRAS nickt. Meine Herren und Damen ... pardon, Bürger und Bürgerinnen ... Spieltische im Nebenzimmer! Vor dem Souper noch ein Kunstgenuß!


Alle ab nach rechts, Hintergrund außer Josefine.


TALLIEN im Abgehen zu Josefine. Ein Gewitter scheint im Anzug .. Ab, während Josefine sich in der Nische setzt, halb verdeckt.[46]

BONAPARTE tritt auf von links. Er trägt den Hut unter dem Arm; seine Kleidung ist alt und schäbig, ohne Degen. Er gestikulirt lebhaft vor sich hin und spricht laut in abgerissenen Sätzen. Man muß in Masse vorbrechen. Kraft einer Armee: Masse, multiplizirt mit Schnelligkeit! Josefine wird aufmerksam und beobachtet ihn.

JUNOT von links her eilig durchs Zimmer gehend, stutzt beim Anblick Bonapartes. Grüßt militärisch, Hand an der Stirn. Alle guten Geister! .. Mein alter Chef!

BONAPARTE wie aus einem Traum auffahrend. Ei, Sergeant Junot? Rührt euch! Winkt ab. Ah, ich sehe, Lieutenant geworden?

JUNOT. Ordonnanz des Präsidenten Barras.

BONAPARTE. Ah, die schillernde Seidenraupe, am eigenen Schleim hinaufgekrochene Schnecke! In den Nebensaal rechts blickend. Alles antik – bis auf die Seelen. Fragend, nach rechts deutend. Dies lebende Bild, um das sich die Kunstliebhaber drängen?

JUNOT. Madame Tallien. Halblaut Bonaparte ins Ohr. – Hofmarschallin des Palastes: Frau Josefine Beauharnais.

BONAPARTE gleichgültig. Die Geliebte des Barras? – Parfürmirte Nichtse, Wachs in der Hand der Weiber! O, die kennen das Geheimniß Simsons! – Doch ich halte Dich auf, mein Braver. Junot ab nach rechts.

JOSEFINE die sich erhoben hat und ihm lächelnd zuhört. Armer Simson! Tritt rasch vor.

BONAPARTE sich umwendend, verbeugt sich. Verzeihung, ich glaubte mich allein.

JOSEFINE lächelnd. Ich hörte Schreckliches. Ein Frauenfeind?

BONAPARTE. Durchaus nicht. Sanfte unterwürfige Frauen – die schätz' ich.

JOSEFINE. Man schätzt die Tugenden, die man selber nicht hat. Ihn musternd. Herr Militär ohne Degen!

BONAPARTE lächelt. Errathen! Verbeugt sich leicht. Außer Diensten .. wegen Ungehorsam und Widersetzlichkeit ..

JOSEFINE. Was hör' ich! Wohl gar Jakobiner?

BONAPARTE verächtlich. Ach die! Abgestandene Sahne, versalzene Heringe!

JOSEFINE lacht. Köstlich! ... Warum denn ungehorsam?

BONAPARTE. Weil man auf mich nicht hören will.

JOSEFINE lacht. Auch ein Grund! Und gar widersetzlich?[47]

BONAPARTE. Wozu hat man Vorgesetzte! ... Ich tauge nicht für den Beruf!

JOSEFINE. Für welchen denn?

BONAPARTE. Für gar keinen. Brodlose Künste!

JOSEFINE spöttisch. Werden Sie doch Revolutionär! Das ist heut einträglich. Projektenmacher und Mißvergnügte sind ein begehrter Artikel.

BONAPARTE. Schönen Dank! Abschaum schwimmt oben, Perlen lieben die Tiefe.

JOSEFINE. Ach Sie arme Perle! Will kein Taucher Sie holen?

BONAPARTE. Ich warte. Stürme wühlen die Tiefe auf.

JOSEFINE. Und spülen Perlen zum Strande? Bisher nur häßlich Gewürm. Verlangen Sie noch ärgere Stürme?

BONAPARTE. Die alte Gesellschaft ging unter in der großen Fluth. Sie zog den Lebenswein auf Flaschen ab und drückte Etiquetten drauf, die Korkflaschen dumpfer Schablone liegen in Scherben. Aber der neue Kelch für den neuen Wein ... der kam noch nicht aus dem Schmelztiegel.

JOSEFINE belustigt. Also Metall? Gold?

BONAPARTE. Stahl ... Die Natur ist zu ruhig. Man muß umwälzen, um zu erneuern. Den Umsturz von unter haben wir, jetzt braucht's den Umsturz von oben.

JOSEFINE betrachtet ihn verwundert. Sie reden wie ein Buch ... aber mit sieben Siegeln. Man möchte Ihre Gedanken ... lesen. Und Ihren ... Autornamen.

BONAPARTE versteht den Wink. Bonaparte.

JOSEFINE. Ei, auch ich bin Insulanerin ... aus Westindien ... Nach dem Altan, hinaufblickend. Dort leuchten hellere Sterne.

BONAPARTE mystisch. Die Columbus lockten zum Bethlehem einer neuen Welt ....

JOSEFINE. Und zu einsamem Leid auf fremdem Schiff in Ketten und Banden. ... Also Beide fremd in Frankreich!

BONAPARTE rasch. Da müssen wir zusammenhalten. Wir sympathisieren.

JOSEFINE lächelnd. Finden Sie? ...


Madame Tallien kommt von rechts.


JOSEFINE. Machen Sie uns den Hof und wir werden[48] Ihnen unsre Protektion schenken! Dies ist Frau Tallien und ich bin Josefine Beauharnais.

BONAPARTE auffahrend, halblaut. Die Maitresse dieses Barras! Und ich Thor ... Laut. Ich verzichte auf jede Damenprotektion. Geht mit steifem Gruß an ihnen vorüber.

JUNOT von rechts, Bonaparte salutirend. Ah, Chef! Bonaparte winkt und geht rechts in's Nebenzimmer.

MADAME TALLIEN empört. Was bedeutet dieser Auftritt? Das ist ja unerhört! Dieser häßliche kleine Mensch mit den giftigen Augen ... das ist ja der reine Republikaner!

JOSEFINE lacht. Das ist uns Republikanerinnen ein Gräuel. Ruft. Lieutenant Junot! Reden leise. Warum nannten Sie den Herrn da Chef?

JUNOT. Nun, weil er mein Chef war – vor Toulon.


Von rechts Carnot, Menou und Murat. Gäste gehen ab und zu. Von links Duroc.


CARNOT durch den Saal gehend, winkt Junot.

JUNOT salutirend. Verzeihung, gnädige Bürgerinnen, der Dienst ruft. Geht zu Carnot.

MENOU tritt zu den Damen, Murat präsentirend. Gestatten Sie, meine Damen, Ihnen meinen Adjutanten vorzustellen: Hauptmann Joachim Murat von den Jägern zu Pferde. Verbeugungen. Sprechen leise weiter. Die Damen setzen sich rechts.

CARNOT zu Junot. Also scharf patrouilliren und unverzüglich Rapport erstatten! Junot links ab.

DUROC der auf Carnot stößt, sich vorstellend. Hauptmann Duroe – zweites Regiment Fußartillerie. Beide vorn links.

CARNOT freundlich. Vor Toulon avancirt, nicht?

DUROC verbeugt sich. Ihr Gedächtniß, Bürger Kriegsminister –

CARNOT. Hm, der stand ja auch vor Toulon – kennen Sie einen gewissen Bonaparte?

DUROC begeistert. Das ist mein Meister. Sprechen leise.


Barras aus dem Nebenzimmer rechts, im Gespräch mit Bonaparte.


BARRAS. Ja, mein Bester, man wirft Ihnen viel vor. Besonders Arroganz. Tritt rechts zu den Damen.

DUROC Bonaparte begrüßend. Soeben sprach man von Dir. Spricht leise mit ihm, vorn links.

MURAT Bonaparte betrachtend. Ein Kaltgestellter? Wollen mal nobel sein. Stellt sich Bonaparte verbindlich vor. Kamerad – Hauptmann Murat von der Leichten Kavallerie.[49]

BONAPARTE herablassend. Eine schöne Waffe. Man versteht sie nur noch nicht. Der Aufklärungsdienst muß reformirt werden. Duroc nach hinten zu Carnot und Menou, Mitte.

MURAT brummig. Die Artillerie hat's Pulver erfunden. Schuster, bleib' bei Deinen Kanonen!

BONAPARTE docirend. Die Schwere Reiterei ... das bisherige System taugt nichts ... Massenformation, geschlossener Antritt.

MURAT lebhaft. Massenattacken .. vorzüglich! Das zündet in mir. Zieht Bonaparte am Arm bei Seite und redet eifrig auf ihn ein.


Talma von rechts.


BARRAS ihm entgegen. Ah, unser gefeierter Tragödie! Stellt vor. Der Bürger Talma, der Ihnen allen seinem Ruhme nach bekannt ist. Talma rechts bei den Damen.

MADAME TALLIEN. Bisher konnte man Sie nur im Theater auf dem antiken Cothurn bewundern.

TALMA verbeugt sich. Bürgerin Tallien, heut fällt uns die Schauspielkunst leicht. Man copirt nur die Wirklichkeit, in welcher die tragische Muse uns Muster der Antike bietet ... sei es in Rednern und Helden, sei es in der Schönheit einer Aspasia.

MADAME TALLIEN zu Josefine. Er ist von feinstem Ton, dieser Schauspieler.

TALMA zu dem an ihn vorübergehenden Bonaparte jovial. Ich begrüße Dich, Feldherr!

BONAPARTE herzlich. Mein Alter! Drückt ihm die Hand.

JOSEFINE rasch. Sie sind befreundet?

BONAPARTE herablassend. Ich liebe die Künstler. Mit einem kalten Blick an den Damen vorüber auf Carnot zugehend.

JOSEFINE zu Talma. Sie kennen ihn näher? Sie reden lebhaft weiter.

BONAPARTE militairisch Carnot begrüßend. Bürger Kriegsminister ... Stehen in der Mitte vorn. Barras, Menou, Murat im Hintergrund.

CARNOT mißt ihn kühl. Sie haben Denkschriften geliefert. Der kommandirende General Scherer hat sie geprüft.

BONAPARTE lebhaft. Und was sagt er?

CARNOT trocken. Der die Pläne gemacht hätte, möchte sie auch ausführen.

BONAPARTE stolz. Treffend gesagt.

CARNOT ihn von oben bis unten messend. Das geht nicht so[50] himmelstürmend, mein Lieber. Wer nicht gehorchen kann, wie Sie, kann auch nicht befehlen.

BONAPARTE. Das bestreite ich durchaus.

CARNOT. Ja, daß Sie im Bestreiten groß sind, wissen wir. Wenden Sie sich an Direktor Barras! Er dreht ihn den Rücken und tritt zu Barras, mit dem er flüstert.

TALMA der mit beiden Damen sprechend die Scene beobachtet hat. Wenn Sie, Frau von Beauharnais, dem Armen Ihren Schutz gönnen wollten!

JOSEFINE betroffen. Ich?!

TALMA lächelnd, sich verneigend. Ein Wort von Ihnen an den Allmächtigen ist allmächtig.


Josefine tritt nach links zu Bonaparte, der in sich gekehrt bei Seite steht.


TALMA spricht etwas mit Barras und geht rechts ab.

JOSEFINE zu Bonaparte. Soll ich ein gutes Wort für Sie einlegen?

BONAPARTE. Bei Barras? Sie? Nein.

JOSEFINE nimmt die Rose von ihrer Brust. Wenn ich diese Blume, um die er mich bat, Barras reichte –

BONAPARTE. Ich verzichte. Geht in den Hintergrund, spricht mit Duroc.

BARRAS sich ihr von links nähernd. O Josefine, diese Rose –

MENOU fast zugleich, von rechts. Madame, wer wird der Glückliche sein –

JOSEFINE die Rose vor's Gesicht haltend, stummes Spiel, reicht sie Menou.

MENOU. O, Sie beseligen mich! Barras wendet sich wüthend um.

BONAPARTE im Hintergrund, zu Barras. Bürger Direktor –

BARRAS ärgerlich. Warten Sie mit mehr Geduld! Läßt ihn stehen. Meine Damen und Herren – ah pardon, Bürger und Bürgerinnen – ein seltener Kunstgenuß steht uns bevor. Unser Talma wird vortragen: »Der Tod Cäsars«.

ALLE. Charmant! Josefine von rechts. Bonaparte links am Erkerfenster.

TALLEYRAND eine Prise nehmend. Ein todter Cäsar ist ungefährlich. Setzt sich Bonaparte gegenüber.

BARRAS salbungsvoll. Möge die Freiheit stets einen Brutus finden.

MADAME TALLIEN schmeichelnd. Wir haben einen Barras!

TALLEYRAND lächelt. Dann bin ich Cassius. – Ach, Brutus ist nicht mehr Mode. Zu Bonaparte. Sie junger Mann, Sie haben eine Brutusmiene. Sie blicken ja schon Dolche. Die Gesellschaft dreht sich lachend zu Bonaparte um.
[51]

Alle haben sich im Halbkreis gesetzt. Er bleibt allein aufrecht im Hintergrund stehen. – Es wird künstliche Dunkelheit erzeugt, so daß alles Licht auf Talma fällt, der in einer umgeworfenen Purpurtoga und einem Lorbeerkranz auf dem Haupt von rechts aus dem Nebenzimmer tritt.


ALLE. Ah!

TALMA als Cäsar deklamirend.

Den Sulla ehrte des Diktators Name,

Marius war Konsul, und Pompejus hieß

Euch Imperator. Den besiegte ich

Und darum muß ein neuer Name nun

Das neue Herrscherrecht gebührend zieren:

Ein größrer Name, einst gehaßt in Rom,

Doch von dem ganzen Erdkreis nun begehrt.

Durch alle Lande fliegt ein dumpf Gerücht

Der Prophezeiung, daß die Feinde Roms

Nur ein Monarch besiegen kann. Ich Cäsar,

Ich kann's und will's, doch heiße nicht Monarch.


Er versinkt in Nachdenken. Pause.


ALLE murmeln. Sehr interessant!

TALLIEN zu Josefine. Du, sag' Deinem Maler David: nach so viel Brutussen soll er mal einen Cäsar malen.

JOSEFINE. Aber wer sitzt ihm als Modell?

TALMA.

Rom, das die Welt zerstört, zerstört sich selbst.

Dieser Koloß, den Erdball niederwuchtend,

Stürzt selber um; mein Arm allein vermag

Ihn noch zu stützen. Eure Tugenden

Sind Namen nur. In tief verderbter Zeit

Sprecht ihr, als wäret ihr noch alte Römer.

So unterwerft euch denn dem großen Mann,

Den euch das Schicksal hat als Herrn bestimmt!


Er streckt den Arm unwillkürlich auf Bonaparte zu aus. Im selben Moment ein greller Blitzstrahl, der diesen vom Fenster aus beleuchtet. Donner. – Alle wenden sich instinktiv dieser Richtung zu. Leises Gelächter.


JOSEFINE zusammenfahrend, indem sie Bonaparte betrachtet, der mit leuchtendem Auge, den Kopf in den Nacken geworfen, in die Höhe blickt. Wahrhaftig – Cäsar! Dumpfes, donnerähnliches Geräusch, ununterbrochen fortdauernd.

BARRAS. Brillant, magnifique! Ein Knalleffekt mit Feuerwerk![52] Bravo, Cäsar! ... Aber welch lang anhaltendes Donnerkonzert!


Das donnerähnliche Geräusch dauert fort.


TALLEYRAND lauschend. Sapristi, welch' seltsamer Donner!

CARNOT sich erhebend, halblaut. Bei Gott, das klingt wie ...

BARRAS. Zum Henker, dies Konzert wird unangenehm. Das donnert ja wie ein Erdbeben. ... Die Fenster klirren ...

BONAPARTE scharf und bestimmt. Das ist kein Donner, das sind Kanonen. Heftige Erregung, Alle springen auf.

CARNOT sich heftig umwendend. Wer hat Sie gefragt? Wie wissen Sie ...

BONAPARTE ihn groß anschauend. Ich kenne das ... von Toulon.

CARNOT von seinem Blick betroffen, vor sich hin. Der Mensch hat den bösen Blick. ... Was geht denn vor?

JUNOT von links athemlos hereinstürzend. Wo ist der Direktor Barras?

BARRAS hastig. Was soll's?

JUNOT. Der Aufruhr tobt in den Straßen. Heftige Bewegung. Ein einziger Schrei durch ganz Paris: »Nieder mit dem Convent!«

BARRAS. Ha, Verräther! Heftige Kanonenschläge hinter der Scene.

DIE GÄFTE durcheinander. Nach Hause! ... Zu Hülfe! Rette sich wer kann!

BARRAS. General Menou, Sie zögern noch?

MENOU in großer Verwirrung. O, ich ... zögere nie ... wenn die Stimme der Ehre ... Sucht seinen Hut.

BONAPARTE findet ihn auf dem Kaminsims, mit ernsthaftem Ton. Erlauben Sie, mein General! Stülpt den ungeheuren Dreimaster mit der riesigen Feder dem Menou auf den Kopf.

MENOU mit gewaltigen Schritten auf- und abgehend. Man lasse zum Angriff blasen! Mein Adjutant!

MURAT wüthend. Ja, ich warte schon.

MENOU groß. Man ... führe mein Streitroß vor!

MURAT ruft zum Fenster hinaus. Allarmsignal!


Hinter der Scene Trommelwirbel und Trompetensignale.


MENOU zu den ihn umringenden Herren und Damen. Hier gilt es große Entschlüsse ...

CARNOT der im Hintergrunde Befehle gab, barsch. Damit Sie endlich zu Ihrem großen Entschlusse kommen, empfehle ich Ihnen, das Waffenarsenal der Nationalgarde zu schließen.[53]

MENOU großartig. Ich entwaffne ganz Paris.

MURAT brummt höhnisch. Entwaffnen Sie gütigst!

CARNOT. Wir aber, Barras, in den Convent!

TALLIEN zu Josefine. Auch wir!

BARRAS verwirrt. Ja, ja, berathen ... das ist die Hauptsache! Alle drängen sich dem Ausgang zu.

BONAPARTE allein zurückbleibend, lacht heiser und häßlich auf.

JOSEFINE sich nach ihm umwendend. Sie lachen? Sturmglocken hinter der Scene.

BONAPARTE ergreift ihre Hand und führt sie an's Fenster. Sehen Sie dort den Stern, Madame?

JOSEFINE scheu, hypnotisirt. Den großen hellen? Ist das der Jupiter?

BONAPARTE starr hinaufblickend. Ich glaube, es ist der meine.


Indem Josefine halb im Abgehen hypnotisirt auf Bonaparte blickt, fällt der Vorhang.


Quelle:
Karl Bleibtreu: Weltgericht. [Berlin-] Charlottenburg [o.J.], S. 41-54.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon