II.

[409] Ja, wo war Krastinik? Auch er hatte sich in einen Wagen geworfen und saß nun einsam brütend vor seiner Lampe. Von Leonhard hatte er nichts gehört, da verabredetermaßen, um keinen Verdacht zu erregen, dieser sich ihm fernhielt. Gewiß war er mit im Theater gewesen. Der Glückliche! – Wahrhaftig, der Graf hatte eine Ritterthat auf sich genommen, schwerer und bitterer als manches Martyrium. Sein Stolz litt unbeschreiblich. Hundertmal hätte er hinausstürzen mögen vor die Lampen, um dies vielköpfige Gemengsel von Seide, Patchouli und Pomade anzubrüllen: »Ihr Elenden, ihr Narren! Daß Keiner von Euch ahnt, nur Einer könne das geschrieben haben, der unbekannte Gott, den Ihr nicht kennt! Nicht der Graf, den Ihr so innig bejubelt, ist euer Idol, sondern der verlästerte niedergetretene Anti-Streber, den ihr beschimpft, ohne ihn zu kennen!«

Aber auch der alte Sauerteig der menschlichen Selbstsucht gährte mächtig auf – das eigene Dichterthum des tapferen Mannes, der sich hochherzig dazu überwunden, dem Größeren als Fußschemel zu dienen, fühlte tiefer und tiefer den Stachel verwundeter Eitelkeit.

Man mochte ja seine selbstlose Absicht anerkennen, – aber etwas vom Raben, dem man die Pfauenfedern nimmt, blieb gewiß an ihm haften. Ein Beigeschmack[409] von Neid, den er mühsam unterdrückte, mischte sich der Anwandlung unwilliger Scham und Scheu vor dem Gespötte der Welt .....

Auch am andern Tage erwartete er Leonhart vergeblich. Er ließ sich verleugnen, als natürlich pflichtschuldige Satelliten des Erfolges ihm nacheinander ihre Aufwartung machten. Die eingebogenen Zeugen der Theilnahme häuften sich auf seiner Visitenkarten-Schale. Krastinik lächelte bitter. Noch bitterer, als er die Zeitungen las, welche ausnahmslos einen »Riesenerfolg« constatirten und den gräflichen Dichter in kühnem Schwunge mit Lord Byron verglichen.

Warum kam nur Leonhart nicht? Gegen Abend ließ es Krastinik keine Ruhe mehr. Er griff zu Hut und Stock und machte eine Abendpromenade. Da begegnete ihm der Oberst von Dondershausen, dem er umsonst zu entwischen suchte. Mit Elan stürzte der patriotische Sänger auf ihn zu und drückte ihn an die ordengeschmückte Heldenbrust. Er war nicht im Frack, trug aber gleichwohl seinen neusten Orden mit Eichenlaub spazieren. Er gehe nämlich zu einer zwanglosen Soirée bei Commerzienrath Wolffert. »Sie wissen, der große Waffenfabrikant.«

»Und Fortschrittsredner.«

»Ah, das ist so seine Marotte. Sonst ein hochpatriotischer Mann, wird bei Hofe eingeladen, Sie verstehn. Eine durch und durch vornehme Natur! Kommen Sie mit, Verehrtester! Wolffert wird sich unendlich freuen und die Ehre zu schätzen wissen.«[410]

»Ah, ich bedaure ...«

»Nichts da, liebster Graf! Glauben Sie mir, Der kann Ihnen nützlich werden. Man muß nie die Gelegenheit vorübergehen lassen..«

»Selbst wenn ich wollte, ich bin nicht in Toilette..«

»Braucht's nicht. ›Im Überrock‹ ist befohlen. Ist nur eine ganz zwanglose Abendunterhaltung, nicht in Wolffert's Stadtwohnung in der Viktoriastraße, sondern in seiner Schöneberger Villa. Unter uns, hat seine eigene Bewandtniß. Heut führt sich zum ersten Mal die junge Frau Wolffert in die Gesellschaft ein. Eugen Wolffert junior, einziger Sohn und Erbe.. hm, hm, haben Sie nicht gehört?«

»Keine Spur. Mir eine terra incognita.«

»Na also, der junge Mann leistete sich den Luxus einer etwas excentrischen Heirath. Die Geschichte ist erst vor kurzem ruchbar geworden. Hat sich ohne Wissen des Vaters in Hamburg mit einem Mädchen trauen lassen, das – das – hm, hm, Sie verstehn.«

»Was, ein Akt aus Dumas' ›Kameliendame‹?«

»Gott behüte, nein! Ein sehr anständiges Mädchen, sehr, und wie man sagt, eine blendende Schönheit.«

»Ein armes, tugendliches Bürgermädchen? Ei, ei, wer hätte das von einem Wolffert gedacht!«

»Ja, ja, arm und tugendhaft. Nur.. nur.. ihre Vergangenheit ist ja sonst fleckenlos.. nur soll sie mal einen Monat lang bei einigen Malern in Berlin Kopf-Modell gestanden haben..«[411]

»Modell gestanden?« Krastinik horchte hochauf. »Das ist ja sehr interessant.«

»Ja, wie gesagt, in allen Ehren. Die Herrn Maler, welche sie kannten, stellen ihr einstimmig das beste Zeugniß aus, auch mein hochverehrter Freund Adolf von Werther, den ich soeben besuchte. Ach, ist das ein Mann! Diese schlichte, bescheidene, vornehme Erscheinung! Sie kennen ihn doch?«

Krastinik nickte kurz, ohne zu antworten. Jener freche geschmeidige Streber mit der Handwerksburschen-Visage und der wallenden Rafaelsmähne ekelte ihn an. »Also in Hamburg hat Herr Wolffert junior sein Ideal gefunden?«

»Ja, ob dort gefunden, daraus wird man nicht klug. Jedenfalls hat er sie dort geheirathet und seinem Alten dann einfach die ergebenste Mittheilung gemacht. Der soll wie von Sinnen geworden sein, hat sofort Enterbung verfügen wollen und was weiß ich! Am Ende aber hat ihn Wolffert doch herumgekriegt oder vielmehr, wie man sagt, die schöne Schwiegertochter. Denn unser schneidiger Fortschrittsredner weiß in Allem genau zu rechnen und hat wohl eingesehn – hehe –, da ja doch nichts mehr daran zu ändern war, daß eine schöne Schwiegertochter ihm grade für seinen Salon paßt, wo er alle Kreise zu vereinigen strebt. So machte er denn gute Miene zum bösen Spiel und spielt jetzt sehr geschickt auf der Fortschrittssaite – hehe. Ohne Vorurtheile, verstehn Sie.. Tochter des Volkes, durch ihre Bravheit geadelt.. die Wolffert's brauchen nicht auf Geld zu sehn.[412] hehe.. verachten alles Materielle, verstehn Sie.. der große Freiheitsheld steigt durch seinen Sohn zum Volke herab.. na, seine Popularität soll durch diese volksmäßige Heirath des Jungen enorm gestiegen sein.. utile cum dulci, hahaha!« Dondershausen lachte laut und schmetternd.

Krastinik gingen seltsame Gedanken durch den Kopf. Er dachte natürlich an Rother und seine ähnliche Absicht. Wie wunderbar das Leben die Kontraste combinirt! – Warum sollte er sich übrigens diese Posse nicht mal mit ansehn? Seine nervöse Unruhe und Verstimmung verschlimmerte sich nur durch Einsamkeit. Er mußte Gesellschaft suchen, sich zerstreuen. – Nach einigem Zögern sagte er Dondershausen zu, ihn begleiten zu wollen, und beide rollten im Droschken-Tempo die Potsdamerstraße entlang nach der Richtung des Botanischen Gartens.

Quelle:
Karl Bleibtreu: Größenwahn. Band 3, Leipzig 1888, S. 409-413.
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