I.

Schottisches Tagebuch.

Von Abfahrt des Dampfers.

[143] O penetranter Theergeruch,

O Bürsten und o Wischer!

O Besen, Eimer, Lappentuch!

Das geht ja immer frischer.


Man sieht euch Meerssöhnen an,

Daß ihr die Seife hasset,

Obwohl ihr hier euch Mann für Mann

Mit Putzerei befasset.


Und warum alle diese Noth,

Ihr tiefverruchten Seelen?

Daß ich zu rechter Zeit im Boot,

Dafür müßt ihr mich quälen!


Ihr jagt aus jeder Position

Mich bis zum Steuerrade.

Ich lenke auf das Trockne schon

Zum Ufer meine Pfade.
[143]

Doch alle Püsse, hier verliehn,

Und Flüche, die es regnet,

Curiren praktisch meinen Spleen –

Meerbären, seid gesegnet!


Seefahrt nach Edinburg.

Anstauchen Verwicks zeitenmorsche Thürme

Grau ans der grauen Fluth. Darüber nickt

Die stolze Rothkreuzflagge Albions.

Zwing-Caledonian und Schlüssel Englands,

Sei mir gegrüßt wie jedem Grenzer einst!..

Die Woge klatscht in immer gleichem Takt

An dieser Felsen Nippen – Seegevögel

Umschwirrt in immer gleichem Flug die Gipfel.

Der Mond tritt aus den Wolken; und ein Licht

Ein geisterhaftes, weiß und strahlend, wirft er

Hier auf Ruinen, ernst wie Nacht und Tod:

Tantallon Castle! Eule nur und Rabe

Sie nisten heut in deiner Mauerkrone,

Unheimlich krächzend langgedehnten Tones,

Wo einst des grauen Löwen Douglas Höhle ...

Am Hafen Dunbars fahren wir vorbei,

Dem alten Sitz des fürstlichen Geschlechtes

Altcaledoniens, der Carls of March.

Wie heut die Buccleuchs, Hamiltons, Argyles,

So standen sich zur Seit' und gegenüber

Die Douglas und die March in grauer Zeit –

Doch gegenüber, wie zwei Pfeiler stehn,

Die Beide doch des Hauses Giebel stützen.

Horch, welcher Sang schwillt feierlich empor

Zu Dunbars Zinnen aus den Feldgezelten?

Der salbungsvolle Psalm der »Eisenseiten«.

Der General kaltblütig mit dem Rohr[144]

Der Feinde Stellung mustert. Plötzlich ruft er:

»Der Herr hat sie in unsre Hand gegeben!

Da kommen sie herab, die Lesley-Männer!«

Von beiden Seiten schallt's begeistert-grimm:

»Der Covenant!« »Jehova Zebaoth!«

Da plötzlich flammt die Sonne hochempor

Auf Berg und Meer nach bleichen Nebelmorgen.

»Seht, jetzo er erscheint, der alte Gott,

Und seine Feinde werden nun zerstreut.«

Gewaltig geht das Wort von Mund zu Mund

Und jede Brust erhellt das Gotteszeichen

Und Cromwell ruft:»Seht hin, sie fliehn, sie fliehn!

Wie Stoppeln sind sie nur vor unserm Schwert.

Drauf, Rüstzeug, mit dem Herrn der Heeresscharen!«

..Der großen Männer Wort ist Gottes Wink:

Und schon beleuchtet diese Siegessonne

Der Schotten feige Flucht durchs Blachgefild –

Von Schwerte nicht, von Cromwells Geist geschlagen.


Heil, Edinburg! Da steigst du aus der Fluth

Im Schleier der Romatik – Holyrood

Und Schloß als Zacken in der Manerkron'!

Im Nimbus goldnen Morgensonne schon

Strahlt deiner Dichterfürsten Monument,

Der Dioskurensterne, wie getrennt

Als Schottlands Doppelglorie und Ruhm.

Glorreiche Veste einst der Wissenschaft,

Wo lang geherrscht der Muse heilige Kraft!

Nach deiner Söhne neuem Griechenthum

»Modern Athen« gepriesen und benannt,

Dem auch im Anblick man dich ähnlich fand.


Waverley Station! Von Burns' Monument schweift der Blick zum Castle hinüber, hoch oben thronend mit seinen buntröckigen Hochlandsgarden,[145] und von da durch die schnurgerade breite Prince's Street über die gewaltigen vierstöckigen Häuser weg, welche die Ober-Stadt mit der Unter-Stadt verbinden, zu dem gothischen Münsterthurm, der Scott's Denkmal umhüllt.


Bei dem wackern Bürgermeister

In Kirkcaldy darf ich sitzen –

Im Balkon im Sessel heißt er

Mich »Inspiration erschwitzen!«

Denn dort habe oft gesessen

Mit dem Toddy und der Pfeife

Carlyle, der hier unvergessen,

Und der oft hierher noch schweife.

Ha! Gleich wie der Pythia

Dreifuß macht mich dieser Sessel

Zum Propheten schon beinah!

In der Nordsee Schaumeskessel

Starre ich bis auf den Grund,

Seh das Weltgeheimniß klaffen

Bis in des Verderbens Schlund,

Wo die Parzen emsig schaffen.


Kirkcaldy hat eine dünne Bevölkerung, dicke Magistrate, nur drei Gefangenzellen und etliche »unverbesserliche Trunkenbolde«. Ich genoß die Ehre, einem der letzteren in einer der besagten Zellen (bei vorübergehender Besichtigung, um Irrthümer zu vermeiden!) vorgestellt zu werden. Dies nützliche Mitglied der Gesellschaft verhieß uns mit ausgezeichneter Höflichkeit eine Empfehlung an den Hausherrn gewisser unterirdischer Regionen, mit dem er augenscheinlich auf vertrautem Fuße stand, und schnarchte in edler Unabhängigkeit fort. Der Thierwärter – ich meine der Gefängnißschließer – konnte sich hier nicht die gerührte Bemerkung versagen, wie viel comfortabler dieser Feuerwasseranbeter auf der Pritsche sich den Träumen seines fanatischen Cultus hingeben könne, statt sich auf dem Straßenpflaster herumzuwälzen.[146]

Uebrigens zeigte sich ein Herr aus Dundee sehr entrüstet, als ich mich bei einem Abendspaziergang durch die Gassen starke Betrunkenheit zu bemerken vermaß, sintemalen es »Saturday Evening« und doch nur zwei total »Ertrunkene« (der Narr in »Was ihr wollt« ist für diesen Ausdruck verantwortlich) durch die Straßen schwammen. Andre Länder, andre Sitten! Vielleicht eine Eigenthümlichkeit schottischer Religiosität, den »heiligen Tag« durch eine Whisky-Taufe einzuweihen! So kommen sie denn sicherlich mit rothen Nasen in die Kirche und näseln Psalmen und schauen stolz herab auf die »Heiden« in der Welt da draußen. Doch ihr dreimal am Tage Beten (nach jedem Mahl kniet jeder schottische Hausherr mit seiner Familie nieder und beginnt ein halbstündiges »Prayer«!) läßt ihnen noch Zeit genug für Gastfreiheit und Bildung. Der »ruchloseste« Poet wird nicht aus der Bibliotek eines solchen Frommen ausgeschlossen; denn dieser bleibt ein gebildeter Mann, obwohl er mit dem Papst in Rom an Unfehlbarkeit wetteifert. Auch scheint seine Gastfreiheit schätzenswerther, als die hochmüthig prahlerische Freigebigkeit Englands. Schottland ist arm. Darum darf man nicht verkennen, daß die Religiosität des Schotten sich zwar auch in Formeln und Riten, aber nicht minder in echter rechter »kindness« gegen seinen Nächsten zeigt, die ihm ein Opfer, wie dem Engländer ein bloßer Sport. Kein anziehender Gesellschafter, der Schotte! Sehen wir einen Sprößling der Grampians, so denken wir unwillkürlich an einen grauen schottischen Regentag. Ein Fremder, den sie mit Güte überschütten, wird sich im Leben nicht wohl bei ihnen fühlen. Sie finden es nicht comfortabel, ihre Bildung zum Besten zu geben, und jammern lieber über das Wetter, natürlich ein unerschöpflicher Unterhaltungsstoff.

Geiz (Armuth!), Trunkenheit (Klima!), Pharisäismus (Kirche!) mag man hier als häufige Fehler finden, Frömmigkeit und Biedersinn als häufigere Vorzüge, tiefen Sinn für Natur, Freiheit und Poesie als allgemeines Erbgut. Wie den Griechen und Italienern der Sinn für äußere menschliche Schönheit angeboren, wie die deutsche Race mit besonderer Empfänglichkeit für Musik begabt scheint, so mag man die ganze britische Nation getrost als das Volk der Poesie bezeichnen. Diese nordischen Stämme brachten mit sich die germanische Empfänglichkeit[147] für freie Natur, noch verstärkt durch ihr Leben als Jäger und Krieger. Abgeschlossen von der übrigen Welt durch ihre insulare Stellung, bildete sich eine beschränkte, aber achtungswerthe Vaterlandsliebe in ihnen aus. Die langen Fehden der Schotten und Angeln begeisterten sie für kriegerischen Ruhm, und die Normannen brachten ihnen den Cultus der Chevalerie. Heine wundert sich affecktirt, daß die Engländer den Shakespeare hervorbrachten. Das wirklich Wunderbare wäre, wenn irgend ein anderes Volk ihn hervorgebracht hätte, oder wenn die Schotten nicht ihren Scott und Burns besäßen. Und wie stolz sind sie auf diese Zwei! Man wundere sich noch, daß die Briten im Durchschnitt die größten Dichter erzeugten! Kunst geht erstens nach Brot und zweitens nach Ruhm d.h. bei Lebzeiten. Der Nachruhm freilich – wir Deutschen sind sehr freigebig mit diesem werthvollen Artikel. Aber da ist noch ein Unterschied zwischen der gähnenden Goethe-Pfafferei und der innigen herzlichen Liebe der Schotten für ihre Dichter. Der echte Scotchman hat drei hauptsächliche Gedanken: Kirche, Hochland und Sir Walter. Unsere Kirche, unsere Natur, unser Poet sind doch die besten!

Es scheint charakteristisch, daß sie zwei Landstriche »Sir Walters Land« und »Burns' Land« benennen. Trotz allem Traphic und Common Sense blieben die Briten doch sicher naiver, natürlicher, poetischer und enthusiastischer, als die Leute auf dem Continent.

Kirkcaldy hat eine geräumige Kirche und will natürlich eine größere bauen.»Kirchenbauen« scheint eine Epidemie in Großbritannien. Der Clergyman gilt für einen der besten Prediger in Midlothian und ist ein gebildeter Mann, der lange Zeit in Berlin Theologie studierte und schlechtes Deutsch spricht, was viel sagen will für einen Briten. Uebrigens steht die gute Stadt in einem gewissen Zusammenhang mit deutscher Sprache und Literatur, auch durch Seehandel mit Deutschland, da sie in Verbindung steht mit dem größten German Scholar, Thomas Carlyle, der hier als junger Schulmeister lebte. Dieser außerordentliche Mann, der vielleicht noch mehr Bewunderer zählte, wenn das Corybautengekreisch seiner Verehrer nicht die Stimme ihres Gottes übertönte, bewahrte eine Vorliebe für diesen Aufenthalt seiner Jugendtage. Er besuchte, von seiner Seherhöhle in Chelsea aus, oft seinen ehemaligen[148] Wohnsitz. Hier wandelte auch einst ein anderer Prophet, Adam Smith, in seinem Garten am Meer, wo er seine »wealth of nations« schrieb.

Ja, und da wäre nun Perth! Die »Schöne Stadt« nennt es sich selbst, alldieweil der Zauberstab des Dichters die »Schöne Maid von Perth« heraufbeschwor. Da hockt man nun in alterthümlicher Klause, in einer alten lauschigen Inn, eine alte Chronik neben sich, worin Erbauliches von Leben und Ende des schottischen Nationalheros William Wallace berichtet.

Die Moncrieff-Ruine immer noch ragt, immer noch glitzert der Tay so klar, daß man die Kiesel auf seinem Grunde zählt. Auf dem Anger, wo einst die beiden Claus gefochten, tummeln sich heut Criket-Schläger und die Enkelinnen der Schönen Maid von Perth – ach, sie lassen uns nur den Verfall alles Schönen bedauern.

Aber noch duften die herrlichen Blumenbeete der Stadt, noch duftet der sagenlispelnde Wald.


Sagen rauscht der alte Park,

Und die alte Lady drinnen

Am Kamin erinnert stark

An die Scott'schen Häuptlinginnen.


Um sie her sitzt all ihr Clan,

Und der ältste Sohn wird treten,

Wenn die Abendstunden nahn,

In die Mitte erst und beten.


Beten nach dem Abendbrod,

Mittag auch und Abendessen.

Ach, ich leide große Noth,

Der ich Beten längst vergessen.


Dunkeld! Wohl sieht man hier vor seines Geistes Auge Vernam's Wald anrücken auf Dunsinan, hier wo Macbeth verzweifelt wie ein Bar mit der Meute focht. Doch mit leiblichen Augen sieht[149] man hinter jedem Meilenstein pinselnde Ladies aufgepflanzt. Ein Blick über die Schulter der edlen Künstlerinnen – – kehrten mir lieber Hochlandkühe den interessanten Rücken!

Blair Athole, schon ein richtiger Hochlandweiler! Die Gefälle des Bruar würden sich besser ausnehmen, wären sie nicht mit einer Hecke langbeiniger Touristen garnirt, die mit verzweifelter Ausdauer Operngläser herumgehn lassen, wie Wassereimer bei einer Feuersbrunst, als stünden sie hier auf schwerer Pflichterfüllung. Sie brummen »Be-e-auti-ifu-ul!« und kucken die Wolken an, sie lesen laut von ihrem Guide-Book ab: »Romantische Wasserfälle!«

Seitwärts liegt der Paß von Killikrankie. Daß die Truppen Wilhelm des Oraniers hier total geschlagen wurden, scheint begreiflich, wenn man die Position der Jakobiten bedenkt. Die Steilheit der Felswände, die Schmalheit des Passes und die Gefährlichkeit des früheren Fußpfades die Felsen entlang machen es zu einem Platz, wo, wie Cromwell von einer Schlucht in Nord-Berwik sagte, »ein Mann zum Aufhalten mehr werth ist, als zehn zum Vordringen.« Für gute Schützen, wie die Hochländer, muß es bei der vortrefflichen Deckung nur ein Scheibenschießen gewesen sein.

Natürlich blieb dieser Jakobitensieg der Weltgeschichte sehr gleichgültig, die ruhig weiter schreitet und Leute, wie die Stuarts, je ärger sie gegen den Arm des Schicksals zappeln, um so unerbittlicher über Bord wirft.

Da haben wir das Thal des Tilt. Dies Flüßchen hat sich einen Namen gemacht durch seine »unterthänige Petition an den Herzog von Athole«. Dieser Nobleman, der Besitzer von ganz Nord-Perthshire, konnte der Bitte des Genius unmöglich widerstehen, und so bauten denn die Worte von Robert Burns dem Flusse eine Brücke.

Es liegt etwas Anheimelndes in diesen Beziehungen zwischen Land und Dichter. Keine Literatur scheint so wie die englische, wörtlich verstanden, mit dem Boden verwachsen. Selbst Lord Byron, der kosmopolitischste der britischen Poeten, bleibt hiervon nicht ausgeschlossen. Die Berge und die Seeen von Aberdeenshire und das Schloß[150] seiner Väter Newstead schweben ihm doch vertrauter vor, als die Inseln seiner Corsaren. Unter den Engländern scheinen die Werke von Dikens ein förmliches Guide-Boot seiner nur etwas zu groß gerathenen Heimathstadt. Aber wer erreicht gar die beiden Dichterheroen Caledoniens in Besingung des Vaterlandes? Kleine Länder haben eben den Vorzug, die Heimathsliebe ungewöhnlich zu erhöhen. Da ist wirklich kein Fluß und Berg in Schottland, der nicht durch das Wort eines Dichters dem ganzen Volke intim nahegerückt wäre.

Der Tilt verdient einen Besinger. Denn einen rebellerischeren kleineren Fluß kann man sich gar nicht denken. Mit lautem Hurrah kollert er die Waldhöhe herunter, schießt, als wenn's ihm Spaß machte, über alle möglichen Felsen Purzelbäume und läuft statt wie ein ehrbarer gediegener Fluß gradaus zu marschiren mit provozirender Geläufigkeit schief und krumm, bald rechts bald links, bald Ost bald West. Uebrigens scheint das Purzelbaumschießen ein Erbfehler dieser ganzen Stromfamilie. Etliche dreißig Bäche und Bächelchen rennen, sich überstürzend, als wäre ein allgemeiner »Gathering« ausgerufen, oder rutschen von einer senkrechten Klippe mit Donnergepolter herab, sich unten sammelnd um ihren Clanhäuptling Tilt. Doch »no more nonsense!« Ernst, düster ernst wollen wir sein, denn eine Reitpartie durch den Glen Tilt hat wenig Scherzhaftes. Vor Allem die Führer scheinen davon überzeugt. Nur wenn das Pony unsers Begleiters die wundersame Neigung entwickelt, nach rechts, wenn er links, nach rückwärts, wenn er vorwärts will, zu lenken, nebst andern unedlen Späßen einer edlen Pferdenatur – nur dann zuckt ein zufriedenes Grinsen durch ihre raubgierigen Geiervisagen – Holla! Da strauchelt mein Pony! Das kommt davon, wenn Einem verleumderische Gesinnungen gegen die edlen Räuber des Gebirges auf der Stirn geschrieben stehn. Ich habe wenigstens meinen Führer in Verdacht, diesen Gertenhieb grade für die Stelle, wo der große Stein liegt, berechnet zu haben. Aber auch diesem Pony ist nichts Gutes zuzutrauen. Das ist der wahre Repräsentant des Hochlands. Halsstarrig, eigensinnig, faul und voll humoristischer Tücke. Ein Jammer, daß ihm kein »Mac« über seinem krausen schwarzen Stirnhaar geschrieben steht, damit man doch gleich weiß, weß Geistes er sei! O dieser Gebirgssohn! Innerhalb fünf Minuten macht er fünf[151] falsche Tritte, die, wie er weiß, ihm nichts schaden, aber seinen Reiter bis ins Innerste erschüttern. O Pony, Humor ist eine schöne Gabe, aber deine nun endlich abgestandenen (oder besser: abgerittenen) Späße von Hintenausschlagen, Wiehern, Stillstehn, vor jeder Felsnase Schenen, jede Ginsterblume als gute Beute ansehn – solche Scherze sind mir entschieden zuwider. Und noch dazu, wenn man an einem schiefen Felsgrat, an dem die Natur leider das Geländer vergessen hat, hintrabt und der Strudel dreißig Fuß unten brodelt. »Das sind mir Humore!« – Unser Begleiter hat sich schon lang in sein Schicksal gefunden und bewundert die Schönheiten der Natur eine halbe Meile hinter uns. Sein edles Roß leistet eine Viertelmeile preußisch in der Stunde, immer noch alles Mögliche, wenn man bedenkt, daß es sein Frühstück, zweites Frühstück, Lunch und noch mal Lunch während des Einherschleuderns am Wege findet. Glückliches Wesen! Wann wird uns ein Lunch erblühen? Jeder Grashalm, den es kaltblütig pflückt, vermehrt die Leere unsrer Mägen.


Hochlandpony, Hochlandführer,

Tückisch halsstarrige Viecher!

Proviant- und Börsenspürer,

Schnüffelnde Gepäckberiecher!


Heimlich habt ihr aufgefressen

Aus der Tasche mir die Stullen.

Und das Sheltie unterdessen

Thut, als säh es einen Bullen.


Jeden Augenblick ausscharrt es

Und die schwarze Mähne schüttelt

Ins Gesicht mir – o wie hart es

Mich am Abgrund weiterrüttelt!


Warum stampfst du mit den Hufen?

Schont beginnt es rings zu dämmern.

Ach, den Spitz des Schäfers rufen

Hört man dort nach seinen Lämmern.
[152]

»König ist der Hirtenknabe.«

Ja, der sitzt recht in der Wolle.

Von des Porridge Abendgabe

Träumt der ernst Gedankenvolle.


Da steht er groß und breit, in seinen dicken Wollenmantel und das Bewußtsein seiner Würde gewickelt, der braunstirnige Hochlandschäfer. Die zwei klugen Hunde liegen zu seinen Füßen, still und wachsam, ungleich dem lärmenden Gesindel der Städte, in ernster schweigsamen Pflichterfüllung. Ja, der Schäferhund des Gebirges scheint der wahre Gentleman der Hunderace. Der fette feige Newfoundländer ist ein fauler Lord und die maulende keifende Dogge ein pöbelhafter John Bull. Aber der Schäferspitz, unansehnlich an Gestalt, mäßig, beobachtend, freundlich, aber nie schmeichelnd –: der Charakter, der den Wolf von der Heerde wegbeißt und nach dem verlorenen Lamm durch Dick und Dünn läuft.

Was die Schäfer anbelangt, so scheinen dieselben durch die Schäferpoesie unschuldig in Verruf gekommen. Sie bleiben im Grunde ganz anständige Menschen, gerade so dumm und schmutzig, wie andre solide Bauern. Welche Entrüstung muß das Herz dieser Biedermänner erfüllen, wenn sie vernehmen, mit welch romantischem Firlefanz ihren groben Filzhut gerührte Bänkelsänger umwanden! Ueberhaupt diese Poeten! Jener Schäferjüngling, der so träumerisch vom Felsen in die Wolken starrt, dürfte eine Sündfluth »sangbarer« Lieder und populärer Balladen nach sich ziehen, auch dürfte er sich zu gefälliger Composition empfehlen. Aber welche Gefühle durchfluthen seine Brust? Legt er sich in Gedanken die Sonne als goldne Krone zu? Oder fliegen Uhlandsche Königstöchterlein durch seine schmachtende Seele? Oder ergeht sein zartbesaitetes Gemüth sich in elegischer Stimmung nach der alten Weise: »Da droben auf jenem Berge?« Verleumdung! Womit haben diese praktischen Realisten es verdient, als des Idealismus verdächtig denuncirt zu werden? Ein edler Zukunftstraum von Haferbrei erhebt sich vor seiner schönen Seele; tief sinnend schüttelt er das gedankenvolle Haupt in gelindem Zweifel, ob Jenny ihn diesen Abend mit purer Milch bereiten wird oder aber – die schöne Aussicht auf die Wänste seiner Hämmel[153] begeistert ihn zu diesem logischen Gedankenschwung – mit fetter Sahne?! Um auf die besagten Hämmel zurückzukommen, so pflegt dieser vierfüßige Hochlandsclan eine unpassende Zudringlichkeit. Aus ihrer grasenden Beschaulichkeit aufgestört, starren sie uns mit dem düstern Blick gekränkter Friedensunschuld an und schleudern uns ein unheilverkündendes Blöken nach. Herr Schäfer putzt sich die Nase.

»Ade, du Schäfer mein!«

Wir sind nun schon lange über The Queen's Seat hinaus. Hier hat nämlich Königin Victoria auf einer Fußtour durch dies Thal geruht und der Herzog von Athole ließ hier ein erfrischendes Frühstück und zur besondern Befriedigung eine reichhaltige Liqueursammlung serviren. Die meisten Wasserfälle auch schon passirt. Der Tilt wird immer breiter. Dieser Flußjüngling blieb übrigens trotz seines wässerigen Berufes eine ungewaschener Canadier, indem er sich einerseits alle Nase lang in die Büsche schlägt, wo wir ihm nachlaufen müssen, andrerseits sich nicht einmal eine anständige Brücke zugelegt hat, trotz seiner entschiedenen Neigung für Ueberschwemmung und Austretung und überhaupt alle Arten von Ausschreitungen. An einer Stelle haben wir also richtig mit Sack und Pack, Roß und Reisigen, hindurch zu plantschen, wobei die Ponys ein auserlesenes Vergnügen im Bespritzen ihrer reitenden Opfer, in Folge gänzlich unberechtigten Strauchelns, zu finden scheinen. Vertiefen wir uns bei kurzer Rast in ein Butterbrod und die romantische Aussicht! Der Guide, ein erfahrener Menschenkenner, scheint uns poetischer Gefühle fähig zu halten; er wirft uns einen mißtrauischen Blick zu und schlendert uns, in der Gewißheit seines Verdachtes, die lauernde Frage ins Antlitz: »Schmeckt Ihr Butterbrod, Sir?« Ja, der Barbar wagt es obendrein, zarte Andeutungen auf unsre Whiskyflasche hinzuwerfen und eine große Libation zu empfehlen, unter dem medicinisch interessanten Vorwand, diese wässerige Umgebung erzeuge ihm immer eine ausfallende Kälte im Magen. Die Kälte wird also curirt und dann eiligst weiter! – In zarten Andeutungen sind Führer überhaupt groß. An der »Forsthütte« erlaubt sich Guide I die bescheidene Anfrage, ob ich auch an das Lunch gedacht habe? An der Ben Deary Kaskade wirst Guide II die Vermuthung so leicht hin, daß ich zehn Sandwichs mitgenommen[154] hätte. Nur Acht? Mißbilligendes Husten. Vor den Shehallion und Farragon Bergen erkundigte sich derselbe in theilnehmender Weise, ob besagte Butterbrode sich einer Ausschmückung mit Schinken oder Käs erfreuten? Mit Schinken. So! Allgemeine Befriedigung. Guide I fürchtet nur, daß der Senf vergessen sei, und will sich freundlichst gleich selbst davon überzeugen. Wird höflich untersagt. Mißbilligung. Als sich die riesigen Proportionen von Ben-y-Gloe entwickeln, entwickelt sich der Hunger der Biedermänner in dito Proportionen. Dabei wird dem Whisky in unziemlicher Weise zugesprochen Bei den Schießhütten des Carl of Fife angelangt, erscheint uns allen denn auch das schwarze Torfmoor in einem eigenthümlich rosigen Lichte – unser Begleiter schwingt sich sogar zu der Behauptung empor, es gäbe hier eigentlich zwei Moore, eins überm andern. Diese bedenkliche Doppelseherei wirkt entschieden ansteckend, bis wir an dem Linn of Dee, dem berüchtigten Wasserfall, der den kleinen Byron beinahe verschluckt hätte, beinahe selbst dies Schicksal erlitten hätten. Das kommt davon, wenn man zu genau in den Fußstapfen des Genius wandelt. In dieser Gegend verlebte bekanntlich der originellste Dichter des modernen Zeitalters seine frühen Knabenjahre.

Da sind wir schon in Braemar. Furchterweckende Phantome von Dandies und feingeputzten Damen gleiten im Abendschatten an uns vorüber, aber wir halten es für Hallucinationen unsrer erregten Sinne. Wir stecken ja mitten in der Waldeinsamkeit. Großes Gebäude – sieht so Hotelmäßig aus? Vom Pony steigen, in die Vorhalle treten, mit dem Bauch eines enormen Oberkellners zusammenprallen wird das Werk einer Minute. Schaudernd werfen wir entsetzte Blicke um uns her. Ist's wahr, ist's möglich? Zwölf Kellner in Frack und weißer Binde, mit grauenhaften Scheiteln und distinguirtem Air, zwölf Gemeine und noch Se. Excellenz besagter Oberkellner, nebst Frack, weißer Weste, Cravatte und Glacés. Zuviel!

Man bedenke die Situation! Zwölf Stunden in der Wüste auf den Verkehr mit Ponys angewiesen, das Absonderungsbewußtsein eines zweiten Manfred im Busen und hier – zwölf Apostel der Etiquette, von denen der erste zarte Winke über Table d'hôte, der zweite über Schlafzimmer in erster, zweiter oder beliebiger Etage fallen läßt. Wir[155] selber aber ließen mit Grandezza unser Gepäck fallen, schleuderten dem Bauch des glattrasirten Tyrannen einen vernichtenden Blick zu und stürzten uns mit dem Grimm eines Kannibalen über das Supper. Das war die Vergeltung! Alle Victualien verschwanden schonungslos vor dem Heißhunger unsrer Rache. Umsonst sandte der gastliche Leiter des Mahles wehmüthige Blicke gerechten Kummers den erschöpften Schüsseln nach. O er merkte jetzt mit unheimlicher Ahnung, daß sich Wüstensöhne mit dem dazu gehörenden Magen in seine wohlgesitteten Hallen gedrängt – einen letzten unaussprechlichen Blick verwundeten Anstandes warf er auf unsre bestaubten Röcke und Stiefel und ging und ward nicht mehr gesehn. Ich aber aß für zehn streitbare Männer, mit unsäglichem Wehgefühl.


Ohne Menschen fünfzehn Stunden!

Endlich hab an dieser Stell hier

Ich ein Manfredsthal gefunden!

Ach, am Ziel ragt ein Hotel hier!


Laß mich schaudernd rückwärts taumeln:

Ueber weißen Kellnerwesten

Seh ich Tombak-Ketten baumeln!

Fort mit meines Traumes Resten!


Auf nach Balmoral! Der Boden scheint eine malerische Sumpflache, die Sonne hat den Schnupfen – oder, wie man hier zu Lande das interpretirt: Das Wetter hält sich doch noch!

Rings strecken sich Felsen spitz in die Luft, wie ein Riesenfinger: andere Kegel haben das Aussehen von Burgen, von deren spitzen Thürmchen die Tannen wie grüne Fahnen herunterwehen. Der Styl dieser Böklin'schen Naturcomposition erinnert lebhaft an die Chaussee, von Reichenhall nach Berchtesgaden. An der einen Seite fließt der Dee, welchem Lord Byron als Badeprämie die Reklame in seine Werke einrückte: »Ibreasted the billows of Dee's rushing tide.« Vielleicht hat auf dieser Bank von Stein der junge Dichter von Zukunft und Ruhm geträumt.

Hier hat der erwachende Genius Byrons nicht nur seine Liebe[156] zur Bergnatur, sondern auch das erste Bewußtsein der in ihm schlummernden Poesie eingesogen. Das erste, Alles beherrschende Gefühl eines dichterischen Geistes, Bewunderung der Schöpfungsmysterien, war ihm in diesen Bergen aufgegangen. Darum sei mir gesegnet und freudig begrüßt, wie ein Vetter des Parnaß, du weißhaariger Riese Lochnagar mit dem blauen Auge des wilden Bergsees hoch oben unter deiner massigen Stirn! Zu deinen Füßen stand die Wiege des Genius oder doch wenigstens genauer gesprochen, seine Milchflasche. Hier liegt nämlich der nette Pachthof Ballater, woselbst der junge Musagetes eine Milchkur genoß. Die Milch ist immer noch für Geld und gute Worte zu erstehen, aber die Milch der Musen – –

Auf der Bahn nach Inverneß. Rechts lärmender Franzose, links hustende Schwindsüchtige, auf allen Seiten Rauch und Hitze. Tiefmelancholische Landschaft. Das trübe Mondlicht scheint sich auf dem Rücken der schwarzen Hochlandkühe zu spiegeln, die aus ihren Hürden stumpfen Blicks dem Zuge nachbrüllen. Jeder Hügel trieft hier ordentlich von geschichtlichen Blut: Hochlandmorde und Clangemetzel schienen hier stets an der Tagesordnung. Ankunft in Inverneß, einer düstern, zugigen, höchst verdächtig aussehenden Stadt. In dem alten Castle soll den gnadenreichen Duncan Macbeths Dolch getroffen haben. Es sieht mir auch ganz danach aus. Bei Culloden wurde hier anno 1746 der Prätendent Karl Eduard total geschlagen.

Weltschmerz und Schnupfen schauern mich an, auf diesen Grabkreuzen sinnend.


»Für Gott, für König und Vaterland«

Fiel mancher Narr bei Culloden.

Sein eisernes Kreuz als Denkmal stand

Schon lange hier im Boden.

Das Känzchen klagt Kiwitt, Kiwitt.

Komm mit, komm mit!


Du graues Alräunchen, Du Hochland-Guide,

Du kicherst so verdächtig.

Bist Du ein Uhu im Menschenkleid,

Umgehend mitternächtig?[157]

Das Käuzchen klagt Kiwitt, Kiwitt!

Komm mit, komm mit!


Bei der Steamerfahrt auf dem Caledonischen Kanal nach Oban bewährt sich uns die eingewurzelte Eigenthümlichkeit dieses Gewässers, sich stets mit Regen begießen zu lassen. Soviel man unter der Nebel haube erkennen kann, bildet den Glanzpunkt der Fahrt das Sichtbarwerden des höchsten schottischen Berges, Ben Nevis, und des größten Wasserfalls der britischen Inseln, Falls of Foyers. Zwischen Ginsterhügeln wälzt, der Foyer seine Fluthenmassen, bis er, durch ein breites Felsenbecken hinabgleitend, plötzlich an einem Abgrund sich überstürzt und aus einer Höhe von etwa 90 Fuß fast senkrecht niederrollt. Die berstenden Wogenbälle donnern mit unglaublicher Kraft an die starren braunschwarzen Felsgiganten und flattern in silberweißem Schaum, wie ein Lenkotheaschleier über die Ufer. Das furchtbare Zischen der sich bildenden Strudel, wenn die herabrollenden Wassermassen unten im Strom durcheinanderwirbeln, wirkt grauenerweckend. Der zerstiebende Schaum steigt in durchsichtigen Krystall-Säulen wie Nebelqualm aus der Tiefe, welche im Contrast zu dem schneeweißen Fall rabenschwarz, erscheint. Aus den verschlungenen Schluchten, aus allen Schlüften und Höhlen dröhnt ein unaufhörliches Echo nach. Ueber dem eigentlichen Fall stürzt noch ein zweiter kleinerer hernieder und wird mit seinem stärkeren Sohn – denn er erzeugt durch seine vorbereitende Kraft hauptsächlich die aufgehäuften, sich dem größern Absturz zuwälzenden Wogen – durch eine Aetherbrücke, einen in allen Farben schillernden Regenbogen verbunden.


Der Schweif des Sturzfalls peitscht die Wand,

Wo seinem Geifer Grün entsprießt.

Wie unterm Huf aufquirlt der Sand,

Schaum aufwärts schießt.


Wenn im Tunnel der Underground

Der Zug herdonnert blitzesschnell –

Wie hier, es mir im Ohre raunt:

Stürz vor, Gesell!
[158]

Dunstschemen schweben vom Glencoethal herüber, als wären es Geister der ermordeten Macdonalds und Camerons. Roth sinkt die Sonne hinter den blauen Kuppen von Mull und wir sind in Oban. Dieser kleine gemüthliche Seehafen erinnert an das liebe Fairport des »Alterthümlers«. Das Axiom »Time is money!« scheint hier ganz unbekannt. Der Mensch lebt, um Fische zu essen, sich zu recken. Netze zu flicken, zu schnarchen, mal aus Gnade Fische zu fangen, bis seine beschauliche Ruhe sich in ein seliges Ende hineinschnarcht. Glückliche Phäaken! Unvergeßliche Morgen, wo ich, Bulwers »Clifford« in der Hand, einsam im Walde lag, während nur fernes Lachen spielender Kinder zu mir heraufdrang oder fern auf der Höhe eine lustige Miß abscheulich trällerte! Unvergeßliche Mittage, wo ich die Ruinen von Dunolly-Castle durchkletterte oder im Boote zum Angeln hinausfuhr! Unvergeßliche Abende und Nächte, wo die überfüllte Strandpromonade mich in ein Boot trieb und ich hinausfuhr, bis die Walzer der deutschen Musikbande verhallten.


Doch unhörbare Melodie

Ertönt aus Inselschilf und Rohr –

Nur wem Natur ein Herz verlieh,

Der hört sie, nicht das Ohr.


Viel Silberfurchen schnitt der Kahn,

Phosphorisch, lang, durchs Wogenthal,

Die Inseln auf der Wasserbahn

Verbindend durch den Strahl.


Die liegen rings so schwer und schwarz,

Wie Wallfisch und Leviathan.

Nur würziger Duft von Fichtenharz

Uns meldet, daß wir nahn.


Es flammt das röthliche Fanal,

Manch Schatten durch die Wipfel schwebt.

Sind's Hünen, deren Todtenmal

Sich hier erhebt?
[159]

Die Woge schwillt zum Katarakt.

Mit Kamm und Mähne schaumig grün,

Die Midgardschlange tanzt im Takt

Mit schneeigen Geifers Sprühn.


Ade, Atlantischer Ocean! Schon jagen wir unter hinfegenden Regenschauern den Loch Etive und Loch Awe entlang, in das Herz von Argyleshire. An allen Flecken begegnen wir einem Aufruf des Marquis of Lorne (Schwiegersohn der Königin) als Clauhäuptling zu einem »Gathering«, um die alten Tänze und Uebungen der Hochländer in Ausübung zu erhalten. Dies ist die Heimath Campbells und die poetische Domaine Scotts. Wie wir so in Sturm und Wetter einsam dahinbrausten – nur die schwarzen Hochlandbullen stierten und brüllten uns von den schwarzen Hochlandhügeln nach –, da ward es um mich lebendig von schauerlichen Bildern. An der Bridge of Awe sah ich die weinende »Hochlandwittwe«, und drüben im Paß of Brander ihren erschlagenen Gatten, der da lag mit seinem ganzen Clan Mac Dougald of Lorn. Majestätisch starrte der steil herniederstürzende Ben Cruachau in den blutgetränkten See und über die Leichen zog rasselnd die Ritterschaft des Niederlandskönigs Robert Bruce. In den klatschenden Wellen aber und dem heulenden Wind, der mir den Hut vom Kopfe reißt, höre ich rauschen und brausen die melancholische Weise: »We are landless, landless, landless, Grigalich«. Und die Schatten der Wolken, die über die Landschaft jagen – sind es nicht die verfehmten verfolgten Mac Gregors? Doch der Weih, der hoch überm See lustig sich wiegt, scheint trotzig zu krächzen das Campbellsprichwort: »'T is a far cry to Lochow!« Dort in Glen Fruin vernehme ich im Klirren der Sensen das Wassenklirren der Mac Gregor und Colquhouns, die hier vernichtet wurden bis auf den letzten Mann. Ich sehe ein weißes Wölkchen am Ufer des Ben Lomond emporsteigen – oder ist es der Schleier Diana Bernons? Ein Seeadler stößt rauschend in die Fluth – oder ist es Rob Roy, der den See durchschwimmt?

In Inversnaid genoß ich die hohe Freude, eine mir besonders werthe Reisegesellschaft wiederzusehen. Es waren dies die sogenannten »Eßreisenden«, eine hochinteressante Species. Auf keinem asthmaerzeugenden[160] Aussichtspunkt wächst diese Pflanzengattung – sie verschmäht vergängliche Genüsse. Aber beim Breakfast, Lunch, Dinner – da sieht man sie den bleibenden Freuden des Daseins sich mit uneingeschränkter Hingebung widmen. Die Assimilationskraft, mit der sie Roastbeef und Mutton in zahlloser Menge ihrem innern Selbst verschmelzen, hat etwas Ehrfurchtgebietendes. Besonders Missus kann man sich gar nicht anders vorstellen, als mir Messer und Gabel kriegerisch gerüstet. Dabei haben wir sie im Verdacht der Identität mit jener Cokneydame, die kürzlich, wie die Touristensage meldet, einem Gentleman, der erwähnte, er habe gestern Ben Lomond gesehen, die grandiose Antwort ertheilte: »Ben – was? Stellen Sie mir Ihren Freund doch mal vor!!«1

In Inversnaid stürzt ein prachtvoller Wasserfall sich in den See. Hier hat Wordsworth seine »Hochlandmaid« singen hören. Hier stand ich lange bis tief in die Nacht und sah Gedichte, für die mir die Worte fehlen. Den Loch Kathrine, die Scenerie der »Jungfrau vom See«, muß man durch das optische Vergrößerungsglas der Scottschen Muse betrachten. Sonst ein recht gewöhnlicher Teich.

Hier bewundern wir auch das »Gefängniß« Robins des Rothen, einen spitzen Felsen, auf welchem der Biedermann von oben her seine Opfer herabließ, um in dieser angenehmen Lage von ihnen unangenehme Bedingungen zu erpressen. Ach, die Helden der Poesie entpuppen sich oft bei nüchterner Betrachtung als ganz gemeine Wegelagerer. – Der Dampfer landet. Weiter durch die Trossachs. Dies Stromthal zeigt im Anfang einige Aehnlichkeit mit dem Sarne-Thal bei Botzen. Der Teith schäumt aber lange nicht so ungebärdig wie die muthwillige Sarne, und den ganzen Weg bis Callander hat die Natur als stilles liebliches Idyll gedichtet.


Durch die Trossachs hör' ich schallen

Der Romantik Silberhorn.

Doch verschüttet und verfallen

Ist der alte Sagenborn.
[161]

Ach, die Kutschen auf und ab

Rasseln hier in vollem Trab.

Menschen, wer kann euch entfliehen?

Wer sich, Prosa, deinem Staub entziehen?


Sterling-Castle.

Am Felsenwall der Forth vorübergleitet.

In blauem Duft die blauen Gipfel mischen

Sich mit der Himmelbläue und dazwischen

Weit vor sich hin die Tannenforste spreitet

Der Benvenue. Dort Grau in Grau sich breitet

Ben Lomond, von dem Waldtalar umdunkelt.

Der blaue See von Menteith, ein Saphir,

Aus weißer Uferfelsen Fassung funkelt.


Dort drüben in dem öden Thalrevier

Auf diesem grauen windumtosten Stein

Stand Bruces Banner hoch im Abendschein.

Und »Scots, wha ha'e,« so klingt es mächtig drein

Im Wind von allen Bergen in der Runde:

Das weiht die Stelle erst, das Lied ans Dichtermunde.


Linlithgow.

Nicht mehr aus Scharten der Geschütze Mündung

Entgegenstarrt, kein Wart vom Thurme ruft.

Doch stets noch wölbt sich in erhabner Rundung

Der Säulenbogen in der sonnigen Luft.

Noch heute schwer und massig ragt der Wall,

Von Fenstern kaum erhellt, fast nischenlos;

Die dicken Zinnen kamen nicht zu Fall.

Der Brunnen ragt inmitt der Säle all',

Wenn auch das Wasser ihm versiegt im Schoos.[162]

Ein Gartenhof liegt dorten wohlgepflegt,

Von schattigen Akazien eingehegt.

Die hohe Pappel ihren Schatten legt

Ueber den bunten Kies und manche Bank.

Das rosafarbne Marmorbecken trägt

Die Wassersäule, durchsichtig und schlank,

Die oben sprühend auseinanderschlägt

In Silberfunken, die im Widerschein

Schillern wie eine Schnur von Edelstein

In Regenbogenfarben, wenn durchblitzt

(Wie die Koralle durch Krystalle glitzt)

Vom Widerschein des Beckens und vom Strahl

Der rosigen Sonne. So der Wind verstreut

Ringsum weiß-rosige Blüthen ohne Zahl,

Die einer weißen Dolde Krone beut,

Millionenfach und ohne End' ernent.


Ja, einem Springbrunn gleicht dies Städtchen heut,

Aus dem Erinnerung wie alter Wein

Zum Himmel steigt, erfrischend, glänzend, rein.


Falkirk.

Durch Falkirks Kirchhof schreit ich hin. Der liegt so tief und still,

Und der gefallnen Todten hier mit Ernst ich denken will.

Was sagt dies alte Monument? »Sir Jon de Graeme hier liegt,

Der Unbesiegte, den zuletzt der Tod nur hat besiegt.«

John Stuart of Bonkill neben ihm liegt in der dunkeln Gruft,

Kein Horn die alten Streiter mehr an Wallaces Seite ruft.

Sie fielen für die Freiheit hier in Falkirks heißer Schlacht

Und über ihre Leichen hin zog des Erobrers Macht.

Doch auf der andern Seite ruhn die Brüder Munro dort:

Sie standen hier und fielen hier als ihres Königs Hort.

Ja, damals scholl zum andern Mal dumpf über's Falkirk-Moor

[163] Der englischen und schottischen Geschütze Donnerchor.

Die Clane drüben warten nur noch auf das Hornsignal –

Doch holla! wo steckt Hawley denn, Altenglands General?

Dort drüben liegt ein schönes Gut, nah dem Antoniuswall,

Von Rom erbaut, zu dämmen einst der wilden Pieten Schwall.

Hier in Callander Hause er sitzt und in ihr Auge blickt:

Ein Herkules in Uniform, von Omphale umstrickt!

Die schöne Gräfin Kilmarnok ihn witzig unterhält.

(Ihr eigner Gatte drüben steht beim Prätendent im Feld.)

Da klirren Stiefel auf dem Flur, die Ordonanz erscheint,

Ganz feuerroth wie Heißsporn Heinz: »Es regt sich schon der Feind!«

»Ich aber nicht!« gemüthlich brummt und grunzt der Commandant,

Doch fünf Minuten später klopft ein andrer Adjutant.

»Der Feind« – »Goddamn your eyes! Was Feind! Hier droht mein schöner Feind!«

Den Schnurrbart zwirbelnd, wunders wie holdselig er sich meint.

»Hoïroh!« Hagelwetter nicht so jählings stürzt herab,

Als jetzt das Hochland niederfährt vom Berg in vollem Trab.

Wie Stücke Speck in Stücke haun sie die Dragoner schnell

Und Schreck jagt über Albion jung Charley der Rebell!..

In Larbert Church da nebenbei schläft ein gereister Mann,2

Der nach Gefahren mancherlei ein kläglich End' gewann.

Den Wilden und den wilden Leun geschickt entkam er oft,

Ja selbst dem brennenden Simum entrann er unverhofft.

Downstairs er eine Lady führt ganz ruhig ohne Arg –

Er strauchelt, bricht sich das Genick und liegt nun hier im Sarg.

Nicht weit davon ist Torwood Forst, wo William Wallace lag,

Um auszuwetzen bald aufs neu die Schmach von Falkirks Tag.

Hier sag' ich Falkirk Lebewohl, arm an Erinnrung nicht –

Und schon verlischt mir in der Nacht der Eisenwerke Licht.


Musselburgh.

[164] Die alte Veste Musselburgh ist dies,

Umgeben rings von Wiesen lang gedehnt.

Auf diesem grünen Felde trafen einst

Die Häupter sich der Covenant-Partei

Mit Herzog Hamilton, des Königs Rath.

Auch trabten über diesen Plan dahin

Die »Eisenseiten«, lockend, doch umsonst,

Zum nahen Kampf den Schotten-General ...

Die Thürme drei Schlachtfelder überschaun:

Hier Pinkiehouse mit engem dicken Wall

Und rundem Erker und im runden Hof

Der wohlgebauten zierlichen Fontaine.

Hier war es, wo der Schotten Macht zerstob

Vor Englands Kraft und Kunst. – Ich hör' die Schlacht.

Lang wogt der Kampf. Ein wilder Knäuel Alles,

Darin es quirlt gleich einem Felsenstrudel.

Wie Schaum empor aus diesem Wirbel spritzen

Zerhaune Federbüsche oder Fahnen –

Wie Kiesel, die zerstäubt vom Wogenschwall,

Splittern zerbrochne Lanzen, Helme, Schilde.

Die Schotten wanken nicht. »Für Schottland und

Die Königin!« – Wer ist der stolze Ritter,

Der nun vereint zum letzten schärfsten Stoß

Die Söhne Albions? Der Earl von Hertford.

Anprallt der Sturm, wie Gießbach an den Fels,

Anschwillt der Kampf, wie Fluth mit Fluthen ringt,

Anschwillt wie Kataraktgetos der Lärm,

Und niederschwillt gleich einem Wassersall

Die Reiterei von England. »Drauf und dran!

St. Georg für Altengland und den König!«

Sieg! Sieg! Gebrochen Caledoniens Macht!

Und Schottlands Blüthe liegt geknickt im Feld! ...

Doch horch! Welche Droneten hör' ich dort[165]

Von Carnbery hill? 's ist der Rebellen Schaar,

Vereinigt wieder ihre Königin.3

In ihrer Mitte auf dem schwarzen Roß,

Das stolz zu tragen solchen Stolz, Er selbst.

Deß schöne düstre Züge angehaucht

Vom Zeichen frühen Tods und dessen Stirn

Gerunzelt von nur halbbekämpfter Reue –

Er selbst, der Stuart königlicher Sproß,

Er selbst, der Douglas ritterlicher Sohn,

Der große Bastard, Murray der Regent.

Der Reiter neben ihm, ein schwarzer Pardel,

Schwarz, schwarz an Seele wie an Haar und Auge,

Ist Morton. Dort der Riese, der sich wuchtig

Stützt auf den Flammberg, täppisch wie ein Bär

Ist Niemand anders, als der Lord von Lindsay.

Doch Jener, bleich wie dieser Birke Stamm,

An die er halb sich lehnt; und mit dem Auge,

Kalt-glänzend wie das Eis, das überdeckt

Den tückevollen Loch, mit blasser Lippe,

Die stets gekrümmt von einem Schlangenlächeln –

Wer könnt' es sein, als Ruthven, der Verräther?

Er scheint mit flammenrothem Bart und Locken

Dem Aberglauben wohl ein Sohn der Hölle.

Und sicher gleicht er, in dem Gegensatz

Zum Löwen Murray einem glatten Tiger,

Der Beute Blut schon schlürfend mit dem Auge.

Umsonst dort drüben unter Waffen steht

Das Häuflein treu-ergebener Vasallen,

Umsonst der Schurke Bothwell prahlt und schwört.

Und schon auf ihrem weißen Zelter naht

Die schönste Maid im Hoch- und Niederland,

Sich zu ergeben hier dem rauhen Arm

Der höhnenden und trotzenden Rebellen.[166]

Und welche Zelte seh ich ragen rings

Auf Prestonpans' Gefilde? Bunt Gewimmel

Hüben, wie drüben! Feinde sicher stehn

Sich gegenüber. Doch warum und wer?

Die Wache dort des einen Lagers zeigt

Des Königs Scharlach. Bajonnette blitzen,

Dragoner trällernd bei den Rossen stehn

Und an dem Rohr der Kanonier sich reckt.

Es ist die Macht von England hier vereint,

Roß, Reisige und Geschütz, zur Gegenwehr

Und Unterdrückung des Rebellenschwarms,

Der selbst des »wahren Königs« Heer sich nennt,

Der Hochlandsclane in des Stuart Sache.

Wie lustig und wie stolz Hannovers Heer!

Wie faul und stolz im Zelte schnarcht Jon Cope!

Der Morgen sehen wird ein andres Bild,

Wenn unter Doppel-Kriegsgeschrei der Schaaren:

»Hier für Hannover und den König George!«

»Hier für die Stuarts und Carl Eduard!«

Der Clane dichtgedrängte Masse stürzt,

Gleich wie ein Felsblock aus dem Katapult,

Zermalmend durch die Linien der Rothen,

Bis nur ein Wald von Blitzen, die empor

Im Takte zucken und dann niederrasseln,

Sich über'm Haupt der Streiter hebt und senkt:

Die tausend Claymores, die vernichtenden,

Durchhauend jählings aller Ordnung Ketten.

Der Tartschen Dröhnen und der Beile Krach,

Der scharfen Dolche Reiben an den Panzern,

Der Hochlandbüchsen Knattern, das Geroll

Des Peletonfen'rs und der Donnerrohre,

Der Rosse Schnauben, Spruhn' der Bajonnette!

Und dann nur eine wirre wilde Flucht

Und alle Fahnen Englands sind zerbrochen

Und all sein Scharlach wird beströmt von Blut!


Das Thal der Esk.

[167] Roslyn, umschlungen von dem weichen Arm

Der sanften Esk, die lieblich kosend tanzt

Mit leichtem Schritte durch den grünen Rain!

Und ihre Silberstimme, halbgedämpft

Durchs mahnende Geräusch der greisen Fichten,

Den Berg hinan halb melancholisch schwebt,

Gleich Nachhall eines Lieds aus alter Zeit,

Das hier ein Minstrel sang in schönern Tagen.

Nicht besser waren jene Tage, nein,

Doch schöner, als das alte Castle noch

Auf einem Inselberg in Stromes Mitte

Mit schroffen Felsenwänden, starren Wällen,

Gleich einer Wetterwolke überhing

Das Thal, verderbenschwanger. Durch die Buchen

Mein' ich das Erz Geharnischter zu hören.

Hier hat des Schloßherrn rauhes Herz ergötzt

Das Stöhnen der Gefangnen im Verließ,

Aufsteigend aus der Stätte der Verlornen,

Und ein brutales Lachen, wilder Chor

Der trunknen Zecher übertönte gellend

Das Sterberöcheln. Doch am Fensterbogen

Winkt' ihrem Lord der Lady Seiden-Schärpe,

Wenn sein gepanzert schellenklirrend Roß

Den Paß erklomm – mit ihren Silberthränen

Statt Silbers die Gefangnen ihres Herrn

Loskaufend oft, wie Tennyson's Godiva.

Hier lagerten der Knight und seine Mannen,

Auf schwarzen Bärenfellen hingestreckt

Die riesenhaften Glieder, Tannen ähnlich;

Ermüdet von dem Waid- und Waffenwerk,

Die nassen Mäntel am Kamine wärmend.

Hier ist die Brücke. Glorreich war die Stunde,

Glorreich der Tag, als schritten über sie[168]

Gefangen hin die Schergen des Tyrannen,

Des englischen Eroberers, gefesselt,

Ganz überwunden in der Freiheitsschlacht.

Wie war so purpurn da dein schneeweiß Kleid

Von falschem Southronblut, o muntre Esk!

Doch Blut verwischt sich, wie Erinnerung,

Und silbern, wie vor fünfmal hundert Jahren,

Sind deine Wellen. Ob der Mailandbrünne

Silber auch heut nicht mehr durchs Dickicht blitzt –

Das Schatzhaus der Natur bleibt unerschöpft.


Die Esk sich wiegt in ihrer schmalen Schlucht,

Die ausgepolstert weich mit Farrenkrant

Und Moos und Binsen und verhangen dicht

Mit Weiden wie mit grünen Schlaf-Gardinen,

Gleich einem Kind in einem Himmelbett,

In sich zufrieden, süßen Unsinn trällernd,

Und an die Wände seiner Wiege klopfend

In holder Ungezogenheit. Halb Bach, halb Strom,

Halb Kind, halb Maid. Und blick' ich wieder hin,

Wie furchtsam sie an's Tageslicht sich wagt

Und träumerisch hinschleudert und aufs Neu'

In ihre Wälder flieht, so dünkt sie mir

Schier ein Poet, ein träumender Alastor,

Ganz abgesondert vom Geräusch der Welt,

Verlegen, wenn ein Blick auf ihn gerichtet:

Der unbeholfen drum die Sonne sucht

Und Worte murmelt unverstandnen Sinns;

Der zitternd bald die sanfte Stimme hebt

Und dann erschrickt vor seinem eignen Wohllaut;

Bald wieder sich verbirgt in seinem Hain.

Ja du bist ein lebendiges Gedicht,

Lieblich Gewässer, und die Dichter drum

Zu deinem Bord wallfahrteten schon früh.
[169]

Abschied von Edinburgh.

»Wo des Castles Thürme schon

Mit der Fluth zusammenfallen,

Siehst den ewigen Schnee du drohn

Ueber Holyrood, Freund Allen?«


»Whisky-Lallen! Schlechter Witz!

Dieses sind ja Wäscherinnen,

Welche grad auf ›Arthurs Sitz‹

Bleichen ihre Kinder-Linnen.«


Schnaube, Dampfer! Schnaube nur,

Zeit, du gierig Ungeheuer!

Trag von hinnen ohne Spur

Mich von Allem, was mir theuer!


Lebewohl im Pfarrhaus bot

Ich den wirthlich holden Schwestern.

Lilie und Röslein roth

Dufteten mir, ach, noch gestern.


Mustertypen Beide sind

Jener stolzen Angelsachsen,

Die im Meer- und Alpenwind

An des Hochlands Grenze wachsen.


Wie Ginevra stattlich, bleich,

Hoch und stolz ist Fräulein Jenny.

Ja, mich dünkt, ein Königreich

Achtet sie für einen Penny.


Schwanenlied.. ihr Lied erklingt

Bald nicht mehr – o Qualgedanke!

Nimmer sie als Lerche singt,

Nachtigall, unheilbar Kranke!
[170]

Märchenwald, fahr wohl! Ob je

Ich euch Alle wiedersehe,

Klee und Schnee und Blüthenschnee,

Mädchenrehang', zahme Rehe?


Ich stieg wohl über den Hirtenwall

Vom düstern Pentlandhügel.

Da war die Melodie verstummt,

Wo Du noch weiltest am Flügel.


So wird auch die Erinnerung

In meiner Seele erklingen

Und mir Dein Bild im Traume nur

Zuweilen wiederbringen.


Nur ein Lied klingt mir immer noch dumpf im Ohr wie das eintönige Brausen der Seemuschel, die sich, das seegeborene Kind, zur Mutterwoge zurücksehnt. Das ist das Echo der Windharfe, die in Fingals Höhle spielt. Ihr lauschte ich im schwanken Kahn, als der Dampfer mich weit hinaustrug, eine Tagereise weit, zu den Inseln Staffa und Jona.


Den schwarzen Fels grellgrünes Gras

Umwallt. Es lugen aus dem braunen Ginster,

Von weißem Schaume naß,

Heidnische Leichensteine grau und finster.

Ein schmaler Paß,

Sich windend zwischen See und Klippenrand,

Führt steil entlang den dünenlosen Strand.


Hier wo sich Blöcke spitz und stumpf

Wie Schiefertafeln aufeinanderschichten,

An den basaltenen Rumpf

Geklammert, strauchelnd wir die Schritte richten.

Es orgelt dumpf

Die Brandung, die des Wandrers Fuß bespült,

Bis eine Höhle plötzlich sie sich wühlt.
[171]

Umringt uns eine Kathedrale?

Die Salzfluth spiegelt den geschliffenen Chorgang.

Wie in Weihwasserschale,

Spritzt durchs Portal die Woge, im Emporgang

Zum Sturmchorale

Wie Orgelpfeifen hüpfend. Gelb und roth

Der Sonne Inschrift auf den Nischen loht.


Dies Wunderräthsel ward gewebt

Als sein Symbol vom unbekannten Meister.

Ueber den Wassern schwebt

Noch heut der Werdehauch der Schöpfungsgeister.

Doch was da lebt,

Lockt hier der Angler Tod mit gellem Pfiff.

Der Urkraft Schatzhaus ist dies Kirchenschiff.


Weit draußen im freien Meer mußte der Dampfer beilegen. Denn der Ocean sang sein Schlachtlied, Möven kreischten klagend, die See ging hoch. Wir aber in vollgepfropftem Boot, lustige kecke Londoner Sportsmen, schaukelten uns ins Innere der Wasser-Höhle hinein. Den gefährlichen Riff-Kanal passirend, gelangten wir glücklich zurück zum Dampfer. Doch wenn schon das ins Boot Steigen beim Abstoßen und in See Stechen gefährlich war, so kostete es schwere Mühe, uns alle wieder an Bord zu bringen. Es gehörten feste Nerven dazu, genau in der Sekunde aus dem Bootstern auf die eiserne Fallreeptreppe zu steigen, wo die Taue der Matrosen das Boot herangerissen, das doch im nächsten Moment von einer Woge zurückgerissen werden konnte. Als ich bei dem Gedränge auf der Treppe seitwärts über Bord zu klettern suchte, machte das Schiff eine drehende Bewegung und nur dem starken Arm eines John Bull verdankte ich es, daß ich glücklich an Deck gelangte. Man muß sich wahrlich wundern, daß nicht unendlich mehr Unfälle auf See vorkommen. Jeder strengt eben alle Vorsicht und alle Kräfte an. Doch wo wäre der Tod uns denn nicht nahe?
[172]

Der Regen sprüht, das Steuer rollt,

Die Düne steigt, die Brandung hör ich schnauben.

Hier wurde Dienst gezollt,

Zuerst im ganzen Nord dem Christenglauben,

Der sich gewollt

Ein Heim erbauen in dem Münster hier,

St. Columbans auf Eionas Revier.


In Trümmern morscht der greise Bau,

Epheu und Lolch umwuchern schon die Thürme.

Die Grille hüpft im Morgenthau,

Der Eidechs schlüpft. Heran, ihr Winterstürme

Ihr brachet rauh

Das Segel meines Lebens, und in Weh

Versink' ich, bitter schmeckt der Tang der See.


Ich kniee in der Brandung Gischt

Am Steinkreuz nieder, dessen Rumpf geborsten.

Die Midgardschlange zischt

Zu mir empor, wo meine Adler horsten.

Ein Narr nur fischt

Nach Wahrheitsperlen. Auch des Ruhmes Fels

Versinkt im Schlund des Acherontischen Quells.


Wenn diese Kette springt der irdischen Bedrängniß,

Wenn diese Seele sprengt ihr thönernes Gefängniß,

Was wird ihr Loos?

Sinkt endlich sie hinab ins Nichts, das schmerzenleere,

Versenkt sie sich ins All, dem Tropfen gleich im Meere?

O Meer, thu auf den tiefen Schoos!


Am Rand der großen Tiefe steh ich hier,

Die alles Seiende verschlingen wird,

Und mich durchzuckt ein lüsternes Entzücken.[173]

Aus dieser Brandung leuchtendem Gesprühe

Zaubere ich Lichtgestalten mir empor.

Mir ist, als schwebte ich im Weltenraum,

Wie ein Jehova, der die Rechte reckend

Die Sonnenscheibe vorlockt überm Nichts.

Und dann durchschauert mich ein andrer Wahn,

Als wäre ich der letzte Erdensohn,

Der einer neuen Sintfluth bang entrinnt,

Wenn in der Wogen ungeheurem Schwall

Des Abgrunds Aufruhr immer lauter grollt.


Blick hier umher! Nach schwülem dunstigem Tag

Strahlt blendender der Sonnenuntergang:

Der Tod nach einem Leben trüb und bang

Verklärt als Phönix sich erheben mag.

Des Luft-Talares Purpursaum berührt

Die Erde fast und Traubenbäche triefen

Herab, so scheint es, aus der Wolken Tiefen;

Manch rafaelisch Engelsköpfchen ziert

Mit rosigem Fittich rings das Firmament.

Der Mensch, an Niedrigkeit und Hochmuth reich

Steht gegenüber jedem Element,

Als wäre Herrscher er und ist doch Knecht zugleich.


Fußnoten

1 Ben schottisch: Berg. Englisch: Abkürzung von »Benjamin«. Bleibtreu, Größenwahn.


2 James Bruce, der Abessynische Reisende. Nach einem Leben voller Abenteuer nahm er in der That ein so elendes Ende.


3 Die Rebellen zwangen Maria Stuart 1567, sich ihnen zu ergeben.


Quelle:
Karl Bleibtreu: Größenwahn. Band 1, Leipzig 1888, S. 174.
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