[76] Krastinik hatte sich sofort nach seiner Ankunft in Berlin durch Rother verschiedenen Litteraten vorstellen lassen. Einigermaßen über die Verhältnisse aufgeklärt, mit Empfehlungen versehen, machte er sich nun sofort daran, seine Feder-Versuche auszubeuten. Seine Lyrika lagen wohlgeordnet in einer Mappe und er gedachte sich einen Verleger zu sichern, indem er vorerst einige Proben in einem Journal placirte. Er ahnte zwar sehr wohl, daß der deutsche Biedermann grundsätzlich keine Gedichte liest; allein er meinte mit Recht, daß es zum Debut eines ordentlichen Autors gehöre, ein Bändchen Gedichte, womöglich in Maroquin mir Goldschnitt, herauszugeben. Rother hatte ihm einen eben etablirten jungen Mann bezeichnet, der sein väterliches Erbteil auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege zu verputzen dachte und am Laster des Bücherdruckens »mit geschmackvollen und stilvollen Einbänden« (nebst Inhalt als Beilage) litt. Um denselben zu kapern, beschloß also der leidlich schlaue Graf, die Redaktion des »Bunten Allerlei« anzusuchen, deren Chef an der fixen Idee litt, Talente zu entdecken[77] – falls ihm dies nichts kostete und der Autor sich seine Protektion gefallen ließ.
Doctor Gotthold Ephraim Wurmb empfing den Grafen mit verbindlicher Höflichkeit, gemäßigt durch eine gewisse steife Zurückhaltung. Er war ein ziemlich behäbig aussehender Herr von untersetzter Statur und duftete stark nach Moschus. Seine geblähten Nasenflügel zeugten für Aufgeblasenheit und versteckte Brutalität. Seine breiten lüsternen Lippen umspielte eine überlegene Ironie, die auf den tieferen Beobachter als recht gezwungen wirkte. Seine blonden Haare sträubten sich über einer breiten Denkerstirn und sein schmaler blonder Ziegenbart versteckte nur halb ein wohlgenährtes Pfaffenkinn. Unter seiner Brille funkelten ein Paar mausgraue Aeuglein listig in die Welt hinein, die unter Umständen tückisch genug schillern konnten.
Unendlich durchdrungen von der Wichtigkeit seiner Stellung und dem Gewicht seiner Autorität, empfand er doch mit der echten Unterwürfigkeit des Parvenu-Plebejers einen angenehmen Kitzel, einen Grafen von so berühmtem altem Adel bei sich antichambriren zu sehen.
Die Gedichte eines Grafen Krastinik zu veröffentlichen, konnte dem »Bunten Allerlei« in jedem Fall nur als Folie dienen.
»Ja,« sagte er, »geschätzter Graf, Ihre Verse haben mir wohlgefallen, gewiß. Ich erkenne in denselben jene wohlthätige Mischung von Idealismus und Realismus, welche ich vertrete. Lesen Sie darüber die trefflichen, vornehm gehaltenden Artikel eines Heinrich Edelmann und[78] Rafael Haubitz, welche ich öfters bringe.« Der Graf erinnerte sich, etwas davon gelesen zu haben. Es ward ihm von alledem so dumm, als ging ihm ein Mühlrad im Kopfe herum. Es kam ihm vor, als ob hier lauter offene Thüren eingerannt und truisms, wie die Engländer selbstverständliche Trivialitäten nennen, mit hochtrabendem Wortschwall vorgekäut würden. Doch lag dies ja vielleicht an seiner laienhaften schwachen Einsicht. Doctor Wurmb fuhr fort: »Die sogenannten Realisten sind meist bloße Rhetoriker. Hüten Sie sich vor diese, vor allem vor Friedrich Leonhart, den ich früher zum Schaden des Blattes protegirte! Den kennen Sie nicht? Nun, Sie werden ihn noch kennen lernen in seiner ganzen Größe. Der Schrecklichste der Schrecken ist Leonhart in seinem Großenwahn, – Apropos, kennen Sie meine ›Ausgewählten Gedichte?‹« Krastinik mußte verneinen. »Ah! Nun, ich gehöre nicht zu denen, die ihre Werke hausiren tragen. In vornehmer Absonderung von dem großen Haufen der Journalisten verschmähe ich jegliches persönliches Hervordrängen. Doch, ich darf es sagen, Herr Graf, meine Gedichte müssen Sie kennen lernen. Hier liegt grade zufällig ein Prospekt, der in 100000 Exemplaren vom Verleger versandt wird! Hier, lesen Sie ihn! Sie finden darin Urteile jeder Schattirung ... sogar Leonhart hat darüber geschrieben.« Er drückte dem Fremdling ein gelbes Plakat in die Hand. Die horrende Rechnung von achthundert Mark, die der Verleger ihm grade heute über den Prospekt gesandt, zeigte er freilich nicht.
»Eigentlich mißbillige ich auch diese vornehme Art der[79] Reklame, Todfeind jedes Humbugs wie ich bin. Doch, mein Gott, wenn der Verleger durchaus will!«
Krastinik bekräftigte, daß dies gar keine Selbstreklame sei. Im Vergleich dazu erzählte Wurmb einige Schaudergeschichten von dem dreisten Selbstlob eines Leonhart und Consorten.
»Ich sage nochmals, hüten Sie sich vor dem, Herr Graf! Beim dritten Mal, wo Sie mit ihm zusammen sind, gerathen Sie in Zank mit ihm – passen Sie auf! Also Ihre Gedichte drucke ich alsbald. Es ist zwar eigentlich bei mir Grundsatz, die Autoren, ehe Sie Aufnahme im ›Bunten Allerlei‹ finden, etwas zappeln zu lassen,« das Letzte begleitete er mit humoristisch seinsollendem Lachen, »damit dieselben energisch dem Ziel entgegenstreben, des ›Bunten Allerlei‹ und seines erlesenen Mitarbeiter-Kreises würdig zu werden. Es mag Ihnen arrogant scheinen, bester Herr Graf, aber ich versichere Sie, die Leute kommen zu mir mit einer Beharrlichkeit, die mich tief rührt. Keine Ablehnung schreckt sie ab. Man hat eben Vertrauen zu mir, wie denn zwischen mir und meinen Mitarbeitern und dem Publikum ein herzliches Verhältniß besteht. Ich hoffe, mein lieber Herr Graf,« er hatte sich im Verlauf seiner Ansprache ordentlich in einen gnädigen Ton hineingeredet, »daß ich Ihnen die Spalten des ›Bunten Allerlei‹ offen halten werde. Sie sind nun glücklich Mitarbeiter geworden und es wird nur an Ihnen liegen, ein intimes Verhältniß anzubahnen. Wie gesagt, Ihre Gedichte drucke ich ausnahmsweise sofort.« Daß er dies ausnahmsweise nur deshalb that, weil der[80] Name »Graf Krastinik« ihm imponirte, verschwieg er freilich. Man muß die Leute nicht übermüthig machen. Auch als der Graf sich empfahl, verabschiedeten ihn die hochtönenden Worte: »Es mag Ihnen arrogant erscheinen, aber in meiner Schule hat sich schon mancher ungeschliffene Diamant polirt. Unter mir haben sich Kritiker und Dichter, wie Heinrich Edelmann, Rafael Haubitz und so weiter, entwickelt. Selbst Leonhart schlug unter mir einen besonnenen Ton an. Eine unpartheiliche Central-Leitung schwebt gleichsam über den Ereignissen der Kunst und Litteratur in der Redaction des ›Bunten Allerlei‹. Dies schien ein dringendes Bedürfniß in unserer Zeit des Selbstlobs, der Reklame, des eiteln Größenwahns. Ja, es mag Ihnen arrogant erscheinen, mein bester Herr Graf, allein ich bin der geborene Redacteur!! Mit bescheidenem Stolze darf ich mir dies selbst gestehn. Also Adieu, auf Wiedersehn!«
Noch auf der Treppe summte es in Krastiniks Kopf von »Buntem Allerlei« und »geborenem Redacteur« und ähnlichen Chosen. Er hatte es nie in seiner Einfalt für möglich gehalten, daß man sich der Redacteurschaft in einer Weise rühmen könne, als sei dies eigentlich etwas viel Höheres als Dichter- und Künstlerthum. Er wußte noch nicht, daß bei dem Worte »Schriftsteller« den deutschen Biedermann der Menschheit ganzer Jammer anpackt, eine Art horror vacui. Hingegen »Redacteur« – wie anders wirkt dies Zeichen auf ihn ein! Das erinnert so an »feste Anstellung« und andere ersprießliche Dinge. Wie sollten die Redacteure daher in ihres[81] Werthes durchbohrendem Gefühle nicht tief auf die Schreiber herabschauen, deren Manuscripte sie zum Druck befördern!
Also eine neue Spezies – der Redacteur-Größenwahn! dachte Krastinik.