An die deutschen Mädchen

[100] Deutsche Mädchen höret mich!

Eu'rer Mütter Art will ich[100]

Schlecht und recht im Sang euch lehren,

Wunderdinge sollt ihr hören:

Mädchensitte, alt und neu,

Will ich singen, frank und frei. –


Arbeitlieb' und flinke Hand

Geilte nie nach Stutzertand;

Stutzer müssen Mädchen zollen,

Die gebüfft sich brüsten wollen;

Arbeitlieb' und flinke Hand

Zollt wohl mehr als Stutzertand.


Baß gedieh einst deutsches Blut

Ohne Schirm und Sonnenhut;

Vor der Sonne Strahlen beben,

Heißt ja nur für's Auge leben:

Reines, unverdorb'nes Blut

Gibt nicht Schirm und Sonnenhut.


Und der Jungfername war,

Wie die Jungfrau, sonst nicht rar:

Uns're lockern Junggesellen

Machten Jungfern – zu Mamsellen,

Und sie gaben Jungfernsinn

Für Mamsellentitel hin.


Trautes Nicken, Grüß euch Gott:

War der Mädchen Grußgebot;

Statt den deutschen Herzensgrüssen,

Grüßt man jetzo mit den Füssen,

Besser war einst Mädchengruß

Mit dem Mund, als mit dem Fuß.


Was man liebte, hieß im Nu

Nach der deutschen Weise du;

Gnadentitel, Excellenzen,

Feile Zungenreverenzen

Wurden deutsches Sprachgebot:

Dutzen darf man jetzt – nur Gott.
[101]

Unschuld, holde Schüchternheit

Galt sonst mehr als Artigkeit;

Jungen mit den Blicken tödten,

Und vor Zotten nicht erröthen,

Heißt jetzt artig; schüchtern thun

Nennt man Bauerneinfalt nun.


Schamerröthen durft' allein

Deutscher Mädchen Liebreiz sein.

Dirnen, die mit Schande prangen,

Malen Scham sich auf die Wangen,

Malet, Dirnen, das Gesicht,

Sparet das Erröthen nicht!


Deutschem Herzen, deutschem Blut

Waren deutsche Mädchen gut;

Zwitterarten, Modelaffen,

Die nach allen Dirnen gaffen,

Frech vom Auge, frech von Hand,

Schänden Mädchen und ihr Land.


Deutsche Liebe, warm und rein,

Nahm ein deutsches Mädchen ein;

Honigwörtchen, Händelecken

Sind der Angel süsser Gecken,

So ein süßkandirter Wicht

Freit' ein deutsches Mädchen nicht.


Heilig war der Ritterschaft

Deutscher Mädchen Jungfrauschaft;

Schwache, geile Lotterbübchen:

Naschen nun bei jedem Liebchen:

Lotterbübchen, weiß und roth,

Sind der Mädchenunschuld Tod.


Gutem Leumund, rein wie Gold,

Waren deutsche Mädchen hold;

Alle Welt kennt jetzt die Schwäger

Von des Liebchens Hörnerträger;[102]

Böse Sage, Spott und Schmach

Folgt der Braut in's Ehbett nach.


Vaterhaus und Vaterfeld

War der deutschen Mädchen Welt,

Assembleen, Promenaden,

Ständchenlust und Serenaden,

Neuer Zeiten loser Tand,

Fremd im deutschen Vaterland.


Hausgeräth und Wirthschaft war

Mädchenarbeit Jahr für Jahr;

Mit der Mode Putzgebühren

Hausprofit und Zeit verlieren,

War Verbrechen – Wohlstand heut:

Kehre wieder alte Zeit!


Bibel und Gesangbuch las

Jedes deutsche Mädchen baß;

Sang- und Bibelbuch verdrangen

Fratzenbüchlein – Sittenschlangen!

Süßer Witz und Tugendspott

Kitzeln Mädchenunschuld todt.


Armen Kindern gab in Noth

Jedes gute Mädchen Brod;

Dafür mästen ihre Petzchen

Mädchen nun mit Zuckerplätzchen

Hunde fressen Zuckerbrod,

Arme Kinder leiden Noth.


Ritterlieder, keusch und rein,

Schauerlich bei'm Mondenschein,

Flossen sanft aus Mädchenkehlen;

Bänglich ward's den lieben Seelen,

Und manch' süsser Seufzer drang

Sich herauf in ihren Sang.


Nun ist Mädchen Melodei

Papageienkunstgeschrei,[103]

Wenn Kanariengurgeleien

Sie dem Werklein nachlalleien:

Lieblicher und süßer klang

Freier Mädchen Waldgesang!


Deutsche Mädchen, wie gefällt

Euch die alt' und neue Welt?

Mögt ihr noch die Nase rümpfen,

Und auf alte Sitte schimpfen.

Alt und neu, nun, was gefällt?

Doch ihr habt ja schon gewählt!

Quelle:
Aloys Blumauer: Sämmtliche Gedichte. München 1830, S. 100-104.
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