[7] Sittenreich, die vorigen.
Sie stecken geschwinde die Blätter in die Tasche, eine aber läßt es fallen.
SITTENREICH. Ey, wenn wird denn das unzeitige Singen einmal aufhören? Ich habe euch schon so oft darum ersucht. Alle Nachbarn sprechen davon. Sie nennen euch bereits die scheinheilige Schwestern, und es ist recht. Ihr verstehet eben so wenig was ihr singet, als ein Papagey was er spricht. Habt ihr denn keinen vernünftigern Zeitvertreib? ... Aber sagt mir, aus was Ursache versteckt ihr eure Bücher vor mir? Seyd ihr etwan bange, daß ich mitsinge? Ihr habet euch doch nicht gar zu wohl vorgesehen, denn hier lieget eins auf der Erde. Er nimmt es geschwinde auf. Laß sehen, was ihr denn gesungen? [7] Er liest. Sechs schöne, neue, weltliche Lieder. 1. Hat dich denn das Ungelücke wieder in den Krug geführt? 2. Gesellen höret an, was mich für Jammer quälet. 3. Ihr Schwäger stellt euch nur bey Tag und Nächten ein. 4. Hans und Gretgen will, morgen in der Still, eines mit einander wagen. 5. Ich bin der Arzt, ich bin der Mann, der allen Mädgen helfen kann. 6. Liebstes Liesgen lege dich. Aber saget mir, schämet ihr euch nicht? Wenn das die Nachbarn merken, so werden sie erst schmälen. Bisher stehen sie in den Gedanken, daß ihr lauter erbauliche Lieder singet; wenn sie aber hinter den wahren Inhalt derselben kommen werden; was haben sie nicht Ursache zu sprechen? Schöne neue weltliche Lieder. Er liest abermal. Ich bin ein rechter Engel, ich bin ganz ohne Mängel, vom Fuß bis auf das Haupt, und wer mir das nicht glaubt, der darf mich nur probieren etc. Trefliche Moralia. Denkt doch! Mutter, Tochter und Mägde sitzen und singen weltliche Lieder, dazu so vortreflich Zeug, welches sich recht vor Leute schicket, die sich so viel einbilden, als ihr thut.
SUSANNA. Je nu, was gehts euch an, Bruder, wenn die Mama es uns gut heisset? Der Papa hat mir am Sonntage einen Sechsling verehret, dafür habe ich mir die Lieder gekauft, und singe sie zu seinen Ehren.
AGNETA. Es schicket sich nicht, daß der Sohn die Mutter hofmeistert. Es war in meiner Eltern Haus die Gewohnheit, daß wir alle Tage eine Stunde vor und nach Tische sungen, und gute Gewohnheiten muß man nicht abbringen. So lange als ich lebe, will ich auch darüber halten. Ich hasse zwar sonst alle Neuerungen, denn das Alte ist immer besser, als das Neue: aber das muß ich doch gestehen, daß lange nichts Neues aufgekommen ist, so mir so wohl gefallen, als diese neue weltliche Lieder; und wenn ihr uns ein andermal im Singen ungestört laßt; so werdet ihr mir einen Gefallen thun.
SITTENREICH. Ich wäre gewiß auch nicht hergekommen, wenn ich nicht etwas nothwendiges anzubringen hätte.
AGNETA. Und was denn?[8]
SITTENREICH. Ich habe vor einiger Zeit mit meiner Schwester von einem jungen und reichen Menschen gesprochen, den ich in Leipzig habe kennen gelernet, und mit welchem ich eine solche genaue Freundschaft gestiftet, daß er blos deswegen gewünschet, mein Verwandter zu werden. Und auf Vernehmen, daß ich eine Schwester hätte, hat er sich entschlossen hierher zu reisen, um zu sehen, ob sie ihm gefiele, und sodann zu ersuchen, ob sie Belieben trüge, sich mit ihm zu verheirathen. Ich möchte ihr dies Glück gerne gönnen, denn mein Freund ist so tugendhaft, als er reich ist. Anietzo eben hat er mir seine unvermuthete Ankunft wissen lassen, und ich habe nicht umhin können, ihn noch vor der Mahlzeit zu mir zu bitten.
AGNETA. Ich wollte, daß ihr was anders gethan hättet: Es ist kein Zimmer im ganzen Hause rein; alle Vorhänge sind in der Wäsche, und überdem, so habe ich gehöret, daß keine Ehe glücklich seyn kann, wo der Bräutigam zum erstenmal in ein Haus kommt, das nicht rein gemacht ist. Welche Unordnung! Eine Stunde vor der Mahlzeit Fremde zu nöthigen! das ist ja unerhört!
SITTENREICH. Die Leute sind an andern Orten nicht so thöricht, daß sie aus dergleichen Kleinigkeiten achten. Mein Freund kommt weder um das Haus zu sehen, noch uns an der Mahlzeit zu stören. Die Frau Mutter wird aber sonder Zweifel auch wohl ehe gehöret haben, daß man gegen Fremde höflich seyn muß, und es würde sich nicht geschickt haben, meinen Freund einen Augenblick unbesucht zu lassen. Weil ich aber Kopfschmerzen halber nicht habe ausgehen mögen: so habe ihn zu mir gebeten, und werde ihn am besten hier im Saale bewirthen können.
AGNETA. Es mag diesmal seyn: Aber erinnert ihn verblümt, daß Staats-Visiten hier nicht länger als eine Viertelstunde währen, und entschuldigt mich vor allen Dingen, daß das Haus nicht rein ist. Behaltet ihn bey Leibe nicht hier, denn ich habe nichts zu essen. Ihr Mägde, packet euch geschwind mit euren Spinnrädern in den Keller oder auf den Boden, daß man euch nicht höret. Und du,[9] Susanna, gehe in die Schlafkammer, und gieb acht, was unsere Nachbarn machen, laß dich aber bey Leibe nicht sehen. Ich will unterdessen die Küche besorgen.
Susanna und die Mägde gehen ab.