Siebender Auftritt.

[19] Susanna, Charlotte und die Vorigen.


SUSANNA. Ach! Mama, Mama!

AGNETA. Was wilst du?

SUSANNA. Das ist ein artiger Mensch.

GROBIAN. Hast du ihn gesehen?

SUSANNA. Ja von ferne.

GROBIAN. So gefällt er dir?

SUSANNA. Ach ja, er ist so artig, als mein Bruder ihn mir beschrieben hat.

GROBIAN. Da, gieb deiner Mutter gute Worte. Sie will ihm eben die Thüre weisen.

SUSANNA. Ey warum denn, Mama?

AGNETA. Darum, daß dein Vater sich unterstanden hat, ihn heute zu Gaste zu nöthigen, da es doch nicht Sonntag ist.

SUSANNA. Ey nun, Mama, es ist ja etwas ausserordentliches. Ein Bräutigam wird sich ja eben nicht am Sonntage melden.

AGNETA. Dir zu gefallen will ich es diesmal geschehen lassen, du magst dich ankleiden, und mit essen. Ich will so gleich für die Aergerniß was einnehmen, und mich damit zu Bette legen.


Agneta gehet ab.


SUSANNA. Papa, ich habe Jungfer Charlotte holen lassen. Sie soll mir sagen, was ich mit meinem Bräutigam sprechen muß. Sie hat es aus den Büchern, und Papa weiß, daß ich nicht recht lesen kann.

GROBIAN. Du hast wohl gethan. Jungfer Charlotte, sage sie ihr doch, wie sie mit dem Fremden und seiner Schwester umgehen muß, und was sonst nöthig[19] ist, so gut als sie es selbst machen würde, wenn sie eine reiche Braut werden sollte. Wenn die Heirath, woran kein Zweifel ist, vor sich gehet, so will ich ihr das Schaustück verehren, so ich neulich gefunden habe. Es ist schön vergöldet, und ein Jude hat mir schon 20 Schillinge dafür geboten.

CHARLOTTE. Ihnen zu gehorsamen, ist meine Schuldigkeit.

GROBIAN zur Susanna. Zu gleicher Zeit kannst du dich ankleiden, und wenn du zu deinem Bräutigam kommst, so halte dich hübsch zu ihm, und sey freundlich. Jungfer Charlotte soll sich neben dich setzen, und kann dir dann und wann einige Redensarten ins Ohr sagen. Mache nur nicht, daß du Schimpf einlegest, und verhüte vor allen Dingen, daß dir der reiche Bräutigam nicht entgehet.

SUSANNA. Wir wollen es so gut machen, als wir können.


Grobian geht ab.


Ach! Jungfer Charlotte, ein Bräutigam! das Wort klinget doch unvergleichlich! Ein Bräutigam! Ha, ha, ha! .... Aber was soll ich sagen, wenn ich zu ihm ins Zimmer komme?

CHARLOTTE. Er wird sie ohne Zweifel erst anreden, und sagen: Er schätze sich glücklich, sie kennen zu lernen.

SUSANNA. Sollte er mich nicht erst küssen?

CHARLOTTE. Behüte der Himmel, wie würde sich das schicken?

SUSANNA. Ey, warum nicht? mein Vetter Rothbart küsset mich allezeit wenn er zu mir kommt, und saget kein Wort.

CHARLOTTE. Ihr Herr Vetter Rothbart weiß nicht zu leben.

SUSANNA. Ey, er mag zu leben wissen oder nicht, die Mode gefällt mir gleichwol. Was habe ich von den Complimenten?

CHARLOTTE. Wenn es ihnen nun gleich noch so wohl gefällt, so versichere ich ihnen, ihr neuer Bräutigam[20] wird es nicht thun, sondern er wird sie auf die Weise anreden, wie ich vorhin erwähnet habe.

SUSANNA. Was soll ich denn antworten?

CHARLOTTE. Was meinen sie wohl? wenn er zum Exempel so zu ihnen sagte: Ich habe ein besonderes Vergnügen, eine Person kennen zu lernen, von der ich mir in Ansehung ihres Herrn Bruders viel Gutes verspreche, und werde mich glücklich schätzen, wenn diese Bekanntschaft zur künftigen genauern Verbindung etwas beytragen könnte. Was wollen sie hier auf antworten?

SUSANNA. Ich wollte antworten: Ich bedanke mich.

CHARLOTTE. Ey, das wäre eben so viel als gar nichts. Zum wenigsten müssen sie sagen: Sie wären nicht weniger erfreuet, seine Bekanntschaft zu erhalten. Ihr Bruder hätte ihnen ebenmäßig so viel Gutes von seiner Person gesagt, daß sie gar nicht zweifelten, sein Umgang würde angenehm seyn; alsdenn müssen sie seine Schwester willkommen heissen; sie fragen: wie sie sich auf der Reise befunden; wie es ihr in Hamburg gefiele; und hören: was sie darauf zur Antwort giebt, alsdenn giebt ein Wort schon das andere.

SUSANNA. O! das ist mir viel zu hoch. Das kann ich unmöglich behalten; und wenn ich es nicht um des Bräutigams Willen thäte, ich gienge wahrhaftig nicht ins Zimmer. Ich stehe Todes Angst aus, wenn ich daran gedenke.

CHARLOTTE. So gehts, wenn man sich nicht sagen läßt. Ich habe sie genug gebeten, sie möchten sich ein wenig gute Lebensart angewöhnen. Nun sehen sie, wie es gehet.

SUSANNA. Mein Vater hat immer gesagt, ich sollte einen aus unserer Verwandschaft heirathen. Das Geld müsse in der Freundschaft bleiben, und also habe ich gedacht, ich hätte es nicht nöthig. Denn wenn unsere Verwandte, Herr Murkopf und Herr Rohtbart hier kommen, so geben wir uns einander die Hände, und der eine sagt: guten Tag, wie gehts? Der andere antwortet: grossen[21] Dank, Gottlob so ziemlich. Denn setzen wir uns nieder und essen so vor uns weg. So bald wir satt sind, so stehen wir auf und geben uns wieder die Hände, und der eine sagt: grossen Dank, gute Nacht; der andere antwortet: wiederum so; und damit geht ein jeder seiner Wege. Hätte ich mir das vorstellen können, daß mein Papa mich würde ausser der Verwandschaft verheirathet haben; So hätte ich leicht ein Paar Complimente lernen können. Aber sage sie mir doch, liebe Jungfer Charlotte, kann ich nicht dann und wann meinem Bräutigam einen guten Bissen von meinem auf seinen Teller legen? Wenn mein Papa und Mama auf den Garten sind, so muß ich mit dem Gesinde speisen; und da habe ich wahrgenommen, daß der Kutscher, wenn er ein gut Stück auf seinen Teller fand, solches dem einen Mädgen, welches die andern vor seine Braut halten, auf ihren Teller legte. Bisweilen biß sie die Hälfte davon, und legte ihm die andere Hälfte wieder auf seinen Teller, die aß er denn auf; das gefiel mir, und so meinte ich, wollte ich es auch machen.

CHARLOTTE. Dergleichen Caressen hält man Kutschern und Mägden zu gute; vor Leute von ihrem Stande aber schickt sich solches nicht.

SUSANNA. Aber ich wollte ihm gerne etwas zu Gefallen thun, damit er merken könnte, daß ich ihn lieb hätte.

CHARLOTTE. Je nun, das muß mit Worten geschehen, und wenn er erst zu ihnen sagen wird, daß er sie lieb hat, hernach ist es Zeit, ihm darauf zu antworten.

SUSANNA. Je, wenn er nun gar nicht sagt, daß er mich lieb hat.

CHARLOTTE. So ists ein Unglück, und denn hat sie nicht nöthig darauf zu antworten; oder will sie nach der neuen Mode etwan sich selbst anbieten.

SUSANNA. Ey nun, das wäre mir ungelegen. Ich risse mir die Haare aus dem Kopfe. Nein Jungfer Charlotte, sie räthet mir nicht recht. Sie will mir nur das Glück nicht gönnen. Ich will zu unserer Köchin gehen, und will die fragen, wie sie es gemacht hat, daß der[22] Kutscher sie so lieb gewonnen, die wird mich gewiß besser belehren. Neulich spielten wir nach der Mahlzeit in der Karte Hahnrey; wer das Spiel verlohr, muste seine Nachbarn zur Rechten und zur Linken küssen, und da wuste sie es immer so zu karten, daß der Kutscher Hahnrey wurde, denn mußte er uns beyde, weil wir bey ihm sassen, küssen. Die andern kriegten nichts, ha, ha, ha!

CHARLOTTE. Um des Himmels willen! läßt sie sich denn vom Kutscher küssen?

SUSANNA. Je, warum nicht? Ist er nicht ein ehrlicher Mensch? Meine Mama hat schon einmal dem Spiel mit zugesehen, und wenn der Papa nicht eben gerufen hätte, so hätte sie gewiß mit gespielet.

CHARLOTTE. Ey, ey, Jungfer Susanna! so vielen Verstand traue ich ihr doch zu, daß sie einsehen wird, wie unter ihr und dem Kutscher ein grosser Unterscheid ist.

SUSANNA. Wie groß denn? meine Mama hat mir wohl zehnmal gesagt, daß ich darum nicht hoffärtig seyn müsse, weil unsere Abkunft von schlechten Leuten ist; und wenn ich nicht irre, so ist mein Aelter-Vater ein Schuflicker gewesen, daß nun der Himmel meinem Vater gesegnet, davor kann der Kutscher ja nicht.

CHARLOTTE. Der Satz hat seine Richtigkeit. Jungfer Susanna, nehmen sie mirs nicht übel. Ich sage alles aus guter Meinung. Will sie es aber nicht annehmen, das stehet ihr auch frey.

SUSANNA. Es ist schon gut. Alle Leute wissen es schon, daß sie gerne hofmeistern mag; da sie mir nichts anders sagen wollte, könnte sie nur gar still geschwiegen haben. So was brauch ich nicht. Ich weiß selber schon, was ich sagen will.


Lauft weg.


CHARLOTTE allein. Meine liebe Jungfer Susanna, ich merke wohl, Herr Rothbart, Herr Ehrenwehrt und der Kutscher sind alle Mannsleute bey euch. Jedoch, was soll ich sagen? Der Apfel fällt selten weit vom Stamme, und wie die Mutter ist, so erziehet sie auch die Tochter.


Quelle:
Hinrich Borkenstein: Der Bookesbeutel. Leipzig 1896, S. 19-23.
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