Achter Auftritt.

[23] Sittenreich, Charlotte.


SITTENREICH. Wie! allein, liebste Charlotte? Wo ist meine Schwester?

CHARLOTTE. Sie ist so eben von mir gegangen. Ich habe sie erzürnet, und es ist mir leid.

SITTENREICH. Es ist unmöglich, daß sie jemand erzürnen können.

CHARLOTTE. Sie erzählte mir eins und das andere von ihrer Lebensart, und ich war so unvorsichtig, ihr keinen Beyfall zu geben.

SITTENREICH. Es ist ihrer Aufrichtigkeit und nicht ihrer Unvorsichtigkeit zuzuschreiben. Vergeben sie meiner Schwester einen Fehler, der von schlechter Erziehung herrühret. Sie weiß es nicht besser.

CHARLOTTE. Es hat auch nichts zu bedeuten. Ich bin es schon mit ihr gewohnt. Ich werde ihr dem ohngeachtet, sogleich nachgehen.


Will weggehen.


SITTENREICH. Erlauben sie, schönste Charlotte, daß ich sie eine kleine Weile aufhalte. Es hat seine Ursachen. Sie wissen, daß ich mich nun schon Jahr und Tag um ihre Gunst bemühet habe. Sie speisen mich stets mit zweifelhafter Hoffnung ab. Sie läugnen ihre Zuneigung nicht, und sagen doch gleichwol nicht ja. Wie lange soll ich denn in Ungewißheit leben? entdecken sie mir kürzlich die Ursachen hiervon. Zweifeln sie an meiner Aufrichtigkeit? oder misfällt ihnen meine Person? oder haben sie ihr Herz bereits anderswo verschenkt? Es scheinet gleichwol, daferne ich mich nicht so sehr schmeichele, daß keines von diesen allen ihre Einwilligung in mein, auf Tugend und Ehre gegründetes Verlangen, hindere. Sie müssen noch also ein Bedenken tragen, so mir unbekannt, und welches gleichwol ihre aufrichtige Erklärung zurück hält. Sie werden aber zu gleicher Zeit nicht unbillig finden, wenn ich mir die Entdeckung dessen, von ihnen ausbitte.

CHARLOTTE. Ihre Forderung, mein Herr Sittenreich,[24] ist ganz billig. Sie haben recht, es ist nunmehro jährig, als sie mir ihre Zuneigung zu meiner Person entdeckten. Ich begieng den Fehler, ihnen Gehör zu geben; doch hoffe ich, die allerstrengste Damen werden solchen entschuldigen, wenn sie betrachten, daß ein reicher Herr, an dessen Person und Aufführung nicht das Geringste auszusetzen ist, sich einem armen Mädgen anbot. So bald ich Zeit hatte nachzusinnen, nahm ich mir vor, mich ihrer und meiner Regung standhaft zu widersetzen, und ihnen die Unmöglichkeit ihres Verlangens vorzustellen; indem ich aber Gelegenheit hiezu suchte, wurde ihr Herr Vater krank. Diese Krankheit dauerte über ein halbes Jahr; bald war Hoffnung zu seiner Genesung, bald zu seinem Tode. Währende dieser Zeit schnitte ich ihnen alle Gelegenheit ab, mit mir zu reden, denn die Wahrheit zu gestehen; ich wollte erst sehen, wo es mit der Krankheit ihres Herrn Vaters hinaus wollte. Anietzo da er völlig genesen ist, kann ich nicht umhin sie zu bitten, daß sie ihre Liebe von mir ab, und derjenigen Person zuwenden mögen, welcher ihr Herr Vater ihnen aussehen wird.

SITTENREICH. So höre ich wohl, schönste Charlotte, mein Vater ist derjenige, für welchen sie sich fürchten, und um dessentwillen sie auch mir gehäßig sind.

CHARLOTTE. Dieses nicht allein. Bedenken sie nur, daß ihr Herr Vater, so lange er lebet, nimmer in diese Heirath willigen würde. Nach seinem Sinne will er: Vors erste, daß seine Kinder sich in seiner Verwandschaft verheirathen. Vors zweete, daß beyde Partheyen gleich reich seyn sollen. Vors dritte, daß nichts ohne sein Vorwissen geschehe. Nun stellen sie sich vor, wie es ihnen gehen würde, wenn ihr Herr Vater erführe, daß sie sich auf eine ihm nicht anständige Art verheirathen wollten. Sie kennen sein hartes und unempfindliches Herz. Er würde sie ohnfehlbar enterben. Die Person, welche sie sich erwählet, wäre sodann die Ursache ihres Unfalls; die Liebe würde erkalten, und Noth und Verdruß würden die Früchte[25] einer übereilten Verbindung seyn. Ich hoffe, daß sie mit dieser Erklärung vollkommen zufrieden seyn werden, so bald sie die Sache auf eben die Art einzusehen belieben werden, als ich solche bereits eingesehen habe: sogleich werden sie auch meine Aufrichtigkeit entschuldigen. Denn die Wahrheit zu sagen; ich habe mir ein Gewissen gemacht, ihnen das Geringste zu verhelen: und überdem, mit Leuten von ihrer Art, kann man aufrichtig seyn, ohne zu besorgen, daß es übel ausgeleget werde.

SITTENREICH. Ihre Aufrichtigkeit gefällt mir ungemein, und machet, daß ich sie noch weit stärker liebe. Ihre Entschliessung aber, welche aus diesem Nachsinnen entstehet, misfällt mir aufs äusserste: denn wenn sie mich, so, wie ich sie, lieben; so bin ich entschlossen, auch wider Willen meines Vaters mich mit ihnen zu verheirathen, und alles mit ihnen auszustehen, was das Schicksal über uns verhänget hat.

CHARLOTTE. Hiezu wird aber erst meine Einwilligung gehören.

SITTENREICH. O! daran zweifele ich nicht mehr, nachdem sie sich einmal so gütig erkläret haben.

CHARLOTTE. Verzeihen sie, mein Herr, das Exempel einer meiner Freundinnen, welche sich auf eben die Art, an einen jungen Herrn verheirathet, welcher deßhalben von seinem Vater, drey Tage vor seinem Ende, enterbet worden, aus Verzweiflung Kriegesdienste genommen, meine Freundin erst in Armuth, und kurze Zeit darauf vor Gram und Sorge ins Grab gestürzet hat, lieget mir in gar zu frischem Andenken, als daß ich ihr so bald nachahmen sollte.

SITTENREICH. Alle Unternehmungen haben keinen gleichen Ausgang, und alle Menschen haben nicht einerley Schicksal. Schönste Charlotte, haben sie guten Muth, und entziehen mir nur ihre Gunst nicht. Das übrige wird sich schon finden.

CHARLOTTE. Ich weiß hierauf weiter nichts zu sagen, als: wollte der Himmel, ihr und mein Glück stünde[26] in meinen Händen. Jedoch der Wohlstand erfordert, daß ich mich von hier begebe.

SITTENREICH. Ich werde ihnen sogleich an der Tafel Gesellschaft leisten.


Begleitet sie bis an die Thüre.


Allein. Nun sitze ich recht zwischen zween Stühlen. Der Charlotte habe ich meine Liebe angetragen, sie schlägt solche nicht ab, und nimmt sie auch nicht an. Sie ist liebenswürdig, aber zu mei nem Unglücke verstehet sie vollkommen die Kunst, die Liebhaber mit guter Hoffnung aufzuhalten. Mein Freund, der Herr Ehrenwehrt, giebt mir ganz deutlich zu verstehen, daß er seine Schwester zu meiner Braut bestimmt. Sie ist nicht weniger liebenswürdig, und aus einer kurzen Unterredung, so ich mit ihr gepflogen, habe ich so viel Gutes wahrgenommen, daß ich Ursache hätte zu wünschen, die Charlotte nicht eher gekannt, und mich nicht mit ihr so weit eingelassen zu haben. Bey dieser wird mein Vater mir auch im Wege seyn, so wie er gerne siehet, daß ich die Carolina heirathe. Sollte Charlotte mich auch wohl recht lieben? Sollte es nicht Verstellung seyn? Sollte ich nicht einen Nebenbuhler haben? ... Nein, sie ist zu aufrichtig. Sie liebet mich, aber gar zu vorsichtig. Ohne Vorwurf kann ich sie nicht verlassen. Ich habe mir aber einmal fest vorgenommen, mich von meiner Angehörigen verdrüßlichem Umgange loß zu machen, und hiezu sehe ich ein gutes Mittel, wenn ich die Carolina heirathe. Aber wie handele ich alsdenn bey der Charlotte? Wiewol, da sie ihre Entschliessung so lange zurück hält; könnte sie es mir nicht gar sehr verargen. Mir fällt was ein. Ich will es machen, wie die heutigen neumodischen Freyer, die sich zwey, drey und mehr Bräute auf einmal anschaffen. Ja, ja, daß wird das Beste seyn. Das Glück mag den Ausschlag geben.


Gehet ab.

Ende des ersten Aufzuges.


Quelle:
Hinrich Borkenstein: Der Bookesbeutel. Leipzig 1896, S. 23-27.
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