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[145] Es gibt Bücher, über die man lange schweigen möchte, um sich mit ihnen immer wieder prüfend, genießend, erhoben, zweifelnd zu beschäftigen, ehe man ihr Dasein laut ausruft. Ein solches Buch, den Leser auf das dringlichste in Anspruch nehmend, ist das neue Werk von Thomas Mann, das den Titel führt, der über diesen Zeilen steht. Das Inventarium einer Seele, die durch den Krieg Offenbarungen in sich erlebte und (fast unvermutete) neue Zusammengesetztheiten in sich entdeckte, die nun dargelegt werden mit jener ergründenden psychologischen Analyse, die immer in genialster Genauigkeit auch das erfassende Wort findet – wie es eben nur Thomas Mann, dem unerbittlichen Selbstbeobachter und unerhörten Sprachkünstler, möglich ist. – Aber es eilt mir, dies Buch anzuzeigen, denn es erscheint zu einer Stunde, wo es manchem Nachdenklichen und unsicher Tastenden helfen kann, auch in sich hineinzuleuchten. Dies Werk ist im höchsten Grade »aktuell«. Das klingt paradox, wenn ich hinzufüge, daß es sich gegen Politisierung und Demokratisierung des deutschen Volkes, als seiner Art und Bestimmung nicht gemäß, wendet. Indes, wer Geschichte kennt, weiß auch, daß die demokratische Welle, an deren Ufersaum Jean-Jacques Rousseaus »Du contrat[145] social« lag, eines Tages wieder abebben muß. – Die Gezeiten der Weltgeschichte freilich brauchen für ihre Flut und Ebbe Jahrhunderte. Und wer kann wissen, ob nicht abermals ein Buch, Thomas Manns »Betrachtungen eines Unpolitischen«, einst als Markierung am Strome der Entwicklung erkannt werden wird? Schon die Gegenwart drängt brutale Lehren auf: der Autokrat Wilson einerseits und andererseits der Bolschewikismus beweisen, was in intellektuell konstruierter Staatsform alles möglich ist.
Es gereicht mir zur Genugtuung, daß auch ich in meinem Aufsatz über die Münchener Oper (April, in Velhagen & Klasings Monatsheften) es ebenfalls aussprach, daß das politische Leben bedrohlich für unsere Kultur werden kann, ich zitierte Nietzsche: »Notwendig gerät ein Volk von der unbedingten Geltung der politischen Triebe aus in die Bahn äußerster Verweltlichung usw.« Thomas Mann sagt: »Ich bekenne mich tief überzeugt, daß das deutsche Volk die politische Demokratie niemals wird lieben können«, er ist sicher, »daß der vielverschriene ›Obrigkeitsstaat‹ die dem deutschen Volk angemessene, zukömmliche und von ihm im Grunde gewollte Staatsform ist und bleibt. Dieser Überzeugung Ausdruck zu geben, dazu gehört heute ein gewisser Mut. Trotzdem wird damit nicht nur nicht dem deutschen Volke irgendwelche Geringschätzung im geistigen oder sittlichen Sinn ausgedrückt – das Gegenteil ist die Meinung –, sondern auch sein Wille zur Macht und Erdengröße (welcher weniger ein Wille als ein Schicksal und eine Weltnotwendigkeit ist) bleibt dadurch in seiner Rechtmäßigkeit und seinen Aussichten völlig unangefochten.« Hier ist einzufügen, daß der Dichter, wenn er[146] von der Demokratie spricht, vor allem die westlichen Auswüchse ihrer scharfsinnig darlegt; denn der auf Lärm, Geste, Pathos eingestellte französische Radikalismus ist ihm tief zuwider. Er zitiert Bogumil Goltz: »Der Deutsche ist ein Charaktermensch, schon um dessentwillen, weil er, verglichen mit den Individuen anderer Nationen, eine Person, ein Genie, ein Gemütsmensch, ein Original, weil er kein Figurant, kein soziales oder politisches Tier im Sinne der Franzosen ist.« Und aus sich selber sagt er, daß seinen Ohren nicht entgehe, wie sehr das gute und biedere Wort »Volksstaat« sich nach Klang und Sinn von dem Wort »Demokratie« mit seinen humbughaften Nebengeräuschen unterscheidet.
Es hat sich der Dichter eine gegnerische Gestalt geschaffen, die er den »Zivilisationsliteraten« nennt. Wie er denn in diesem Werk und innerhalb seines Gedankenganges mit den Worten »Literat« und »literarisch« etwas Welsches, Romanisches, von Grund aus Undeutsches (im Gegensatz zur reinen Kunst) meint. Für die Spielarten dieser Gestalt hat er köstliche Bezeichnungen gefunden: Fortschrittsopernsänger, Freiheitsgestikulator, Rhetor-Bourgeois. Man kann sich nicht der Erkenntnis verschließen, daß Thomas Mann sich in dieser Gestalt mit seinem Bruder Heinrich auseinandersetzt, dem ganz und gar französisch oder vielmehr international Gerichteten, dem überzeugten Nachbar von Gabriele d'Annunzios »geilem Ästhetizismus«. Heinrich Mann hatte seinen Bruder öffentlich in der gehässigsten Weise wegen seines Patriotismus' angegriffen, so wurde eine schmerzliche Auseinandersetzung nötig, die auch im vaterländischen Interesse[147] liegt, da Heinrich Mann der Vertreter jener gefährlichen Deutschfeindlichkeit ist, die an unserer Widerstandskraft zielbewußt und mit geschliffensten Geisteswaffen arbeitet. – Der Zivilisationsliterat ist nicht Sozialdemokrat; er verachtet die Scheidemann und Genossen, weil sie Kredite bewilligen zur Verteidigung des »Vaterlandes«, denn er kennt nur »Europa«. Sein Bruder Thomas aber sagt: »Ich beargwöhne die steif ablehnende Kälte einer ›Vergeistigung‹, die sich zu vornehm dünkt, den Traum eines Volkes von Heimsuchung und notgeborener Tat einen Tag auch nur, eine Stunde lang mitzuträumen, und sich den in aller Geschichte unerhörten, auch von sehenden Feinden als beispiellos bestaunten Leistungen dieses Volkes hartnäckig verschließt – nur, weil sie sonst nicht ›recht behielte‹.«
In dem Abschnitt »Das unliterarische Deutschland« hat Thomas Mann mit tiefer, eindringlicher Feinheit dargelegt, weshalb uns der Westen als barbarisch ansieht. Es ist unsere Kraft zur wortlosen Tat, die die anderen Völker nicht verstehen, sie, denen die Selbstberauschung an schwingender Rede die notwendige Vorstufe zum Handeln ist. Sie sprechen sich zur Tat empor.
Die Abwehr gegen Politik und politische Betätigung zieht sich leidenschaftlich durch das ganze Buch. Ich erkannte an diesen Auseinandersetzungen den urgründlichen Sinn der Archimedes-Anekdote: »Stört mir meine Kreise nicht« – es ist die Abwehrgeste gegen die Gefährdung der Kultur, welche ihr blühendes Leben nur bewahren kann durch die Kunst (siehe oben das Nietzsche-Zitat). Das Werk von Thomas Mann ist im weitesten Sinn von völkerpsychologischer Wichtigkeit.[148] Worte von höchster Gewalt finden sich darin, wie »Arbeit ist ein ethisches Lebenssymbol«. Zu wundervollem Glanz der Wärme erhebt sich die Sprache im Abschnitt »Gegen Recht und Wahrheit«, wenn von Kleist die Rede ist. Fast humoristisch mutet die Unterscheidung zwischen Moral und Tugendhaftigkeit an. An der zwischen Masse und Volk will ich nicht vorübergehen, ohne sie hier aufzuzeichnen: »Wir haben da den Unterschied zwischen Masse und Volk, welcher dem Unterschied entspricht von Individuum und Persönlichkeit, Zivilisation und Kultur, sozialem und metaphysischem Leben. Die individualistische Masse ist demokratisch, das Volk ist aristokratisch, jene ist international, dieses eine mythische Persönlichkeit von eigentümlichsten Gepräge.« Weiter sagt Thomas Mann von jener Demokratie, die unser Liberalismus bejaht: »Als Tatsache wie als Wünschbarkeit ist sie mit einer starken monarchischen Regierung nicht nur vereinbar, sondern diese bildet geradezu ihr notwendiges Korrektiv.« Das wurde vor zwei Jahren geschrieben! Sehr liegt es Mann am Herzen, die Identität des »Deutschen« mit dem »Bürgerlichen« darzutun. Er findet sich mit Wagner in dem Wort »der Deutsche ist konservativ«, und mit Genugtuung zitiert er Schopenhauers Ansicht, daß die Monarchie die annehmbarste Staatsform sei; wofür ja dieser bekanntlich Beweise aus der Natur beibringt, daß ein Wille der leitende sein muß. (Man lese die köstliche Ausführung in Schopenhauer nach P II, 271 u.w.) Es ist eine Albernheit zu glauben, sagt Mann, daß unter einer Republik »menschenwürdiger« gelebt werde als unter einer Monarchie. Neu und verwegen ist auch seine Erläuterung der Begriffe Zivilisation und[149] Kultur; seine Analyse führt ihn zum Schlusse, daß Zivilisation letzten Endes Auflösung, Kultur aber Bindung sei.
Manns eigenster Konflikt, das Grundproblem seines Daseins, die Notwendigkeit und zugleich die an Unmöglichkeit grenzende Schwierigkeit der Synthese von Künstlerschaft und Bürgerlichkeit, nimmt auch in diesem Werk den größten Raum ein. Ich glaube aber, daß die Nachwelt erfassen wird, daß dieser Konflikt nicht nur der eines ganz Einsamen war, sondern daß ein verwandter, freilich viel schlichter und meist unbewußt, in vielen lag, Keime neuer Wertungen für unser Kulturleben noch tief verbergend! Denn ein Konflikt, mit dem ein so grübelnder, analytischer Geist sich mit so zäher Kraft und mit solcher psychologischen Monumentalität müht, kann kein Sonderfall sein. Er ist vielmehr ein Symptom. Vielleicht das einer notwendig werdenden Verteidigung der Individualität gegen plattwalzenden Materialismus. Für die hohe Stellung, die Mann der Kunst, im Vorrange vor der Politik, gibt, findet er dichterisch hohe Worte, vor allem im Abschnitt »Einiges über Menschlichkeit«. Auf seine drei künstlerischen Ahnen: Wagner, Schopenhauer und Nietzsche, fallen Scheinwerferlichtströme über manche bisher ungesehenen Züge. Besonders von Wagner, seine deutsche Bürgerlichkeit zu erweisen, sagt Mann Überraschendes. Natürlich fehlt es dem Werk auch nicht an Einzelheiten, denen man widersprechen möchte.
Kein Hehl will ich daraus machen, daß für eilige Leser sich manche Ausführung schwer liest. Die Mannsche Ironie, sein Vortragsmittel, ist unbegrenzt in ihren[150] Farben; viel reicher noch, als er sie selbst in der Vorrede S. XXVIII definiert. Sie kann von düsterer Fruchtbarkeit sein, wie im »Tod von Venedig«. Sie findet eine scheue Keuschheit, wenn sie, wie im »Friedrich«, ihre Zärtlichkeit für den Dargestellten verhüllen möchte; sie ist in »Königliche Hoheit« von jener heiteren Anmut, wie Goethe sie (Wahrheit und Dichtung 2. Teil, 10. Buch) nach der Lesung des Landpredigers von Wakefield beschreibt: »Eigentlich fühlte ich mich aber in Übereinstimmung mit jener ironischen Gesinnung, die sich über die Gegenstände, über Glück und Unglück, Gutes und Böses, erhebt und so zum Besitz einer wahrhaft poetischen Welt gelangt.« In den »Betrachtungen eines Unpolitischen« findet seine Ironie Töne von der schärfsten Bitterkeit bis zum Pathos. Denn wie völlig Ironie und Pathos einander auszuschließen scheinen, kann die Gewalt des behandelten Gegenstandes dennoch das Pathetische durch die Form des Ironischen hindurchschimmern lassen – wie auch ein äußerlich Gelassener nicht verhindern kann, daß man das Pulsen seiner Schlagader sieht. Und wer könnte ohne tiefe Erschütterung seine Ausführungen auf S. 184 u.w. lesen, wo er aufzeigt, wie gegen unsere nationale Erfülltheit schon wenig Wochen nach der Erhebung der stärkste Gegendruck einsetzte!
Nun möchte es sein, daß der Zivilisationsliterat hofft, sich bald in Deutschland behaglicher zu fühlen unter französischen oder »europäischen« Gouverneuren. Aber wir wissen: Die deutschen Sozialdemokraten werden das Ihre tun, daß er keine Gelegenheit dazu bekommt, denn sie zeigen, daß sie das Wort fühlen: »Kein Mann gedeihet ohne Vaterland.« Antithese?[151] Nein! Thomas Mann weist es nach (S. 216), daß ein echter Demokrat immer auch national empfindet. Die geistige Ästhetendemokratie aber verachtet das Nationale, wenn es – deutsch ist!
In jedem Abschnitt der »Betrachtungen eines Unpolitischen« stellt man staunend und voll unbegrenzten Respektes fest: was hat der Dichter alles gelesen! Mehr noch: was hat er alles gedacht! Und wenn er in seinem geschichtsphilosophischen Werk (das tausendfach recht bekommt durch alles, was wir erlebten) das, was er gegen Politisierung und Demokratisierung vorbringt, endlich in den Glauben münden läßt, daß die Frage des Menschen nie und nimmer politisch, sondern nur seelisch-moralisch zu lösen sei, so werden alle, die ihren Maßstab an der geschichtlichen Entwicklung von Jahrtausenden nehmen, ihm darin beistimmen – den Blick hoffend in freilich sehr ferne Zukunft gewendet.
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Daß man einer ausführlichen Buchanzeige eine Nachschrift gibt, ist gewiß ungewöhnlich. Allein es liegt mir sehr am Herzen, eine Unterlassung auszugleichen, die ich beging. Bei der großen Bedeutung, die Thomas Manns Buch einmal für die Entwicklungsgeschichte unseres Volkes gewinnen muß, kann es gerade uns in Lübeck nicht gleichgültig sein, wenn ich noch feststelle, was er in bezug auf seine tief gegründete und ihm seelisch wie sittlich gleich notwendige Bürgerlichkeit sagt. Diese Bürgerlichkeit, die, ganz unabhängig von der politischen Richtung, die eigentliche Linie jedes Deutschen ist, erkennt Thomas Mann für seine Person[152] als ihm aus seinem hanseatischen Wurzelboden überkommen. Immer der Heimat innerlichst eng verbunden, begriff er doch erst in den Erschütterungen des Krieges völlig, wie fest ein Mensch steht, der durch unzerstörbare Bindungen mit der Geschichte, und noch mehr, mit der Art einer Familie zusammenhängt, die wiederum ihrerseits nicht denkbar ohne das Gemeinwesen, in dem sie ward und wirkte. So hat gerade das Lübeckische in Thomas Mann starken Anteil an der Gestaltung wichtigster Teile seines gewaltigen Werkes. Wie sollten wir das nicht mit Genugtuung feststellen dürfen![153]
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