Romeo und Julie

[424] Das ist vortrefflich, daß man drei, die allerschönsten, Stück auf die Letzt behalten, wiewohl ich Lear in diesen und Romeo und Julie in jenen Band verlegte. Romeo soll eine wahrhafte Geschichte sein, oder die Geschichte dieser zwei unglücklich Liebenden, will ich sagen, soll eine wahre Begebenheit sein, die sich zu Verona, zu Anfang des 14. Jahrhunderts soll zugetragen haben. Es ist freilich ein artiger Stoff zu einem Spiel, und durchaus scheints auch nur ein Spiel. Das Unglück der Liebenden dünkt ein doch romanhaft, seis wahr oder nicht. Montague und Kapulet, zwei angesehene Geschlechter in Verona, die von langen Zeiten her in Haß und Feindschaft lebten, zwei Häupter dieser Geschlechter gleichen Namens, hatten Kinder, die sich heftig ineinander verliebten. Romeo, Montagues Sohn, und Julie, Kapulets Tochter – diesen war es unmöglich einandern öffentlich zu heiraten, wegen der Feindschaft ihrer Eltern. Ein Pater Lorenzo kopulierte sie im Geheim – hernach sollte Julie einen Paris heiraten – dieser Pater erfand aber eine List, daß sie durch einen Trank am Hochzeitstag eine Leiche war, schickte einen Boten an Romeo, daß er seine Julie um bestimmte Zeit aus ihrer Gruft erwachend abholen und entführen sollte.[424] Dieser Bote verfehlte Romeo. Weil er schon von ihrem Tode gehört und von der List nichts wußte, eilte er nach ihrem Grabe, findt sie, meint sie sei tod, wo die Stunde ihres Erwachens beinahe da war. Er duelliert noch mit Paris, der eben auch ihr Grab besuchte, trank Gift und sank tod in ihr Grab hin. Indeß erwachte Julie und sieht all dies erbärmliche Spektakel, findet einen Dolch und ersticht sich selbst. Pater Lorenzo, voll Bestürzung, entdeckte, was er von der Sach wußte. Indeß waren diese zwei Opfer Ursach zum Frieden dieser Häuser. Gewiß ist es ein vortreffliches Stück, ein charmantes Spiel, und doch dünkts mir nur ein Spiel. Die zwei Verliebten kommen mir so stettig vor und melancholisch, so finster und eigensinnig, daß mir ihr Schicksal nicht sonderlich nahe geht. Julie hat Romeo kaum gesehen, so sagt sie schon, das Grab sei ihr Brautbette, wann dieser Mensch ein Verheirateter sei – eh sie ihn noch kannte. Ei, das ist zu hastig. Und Romeo liebte vorher so sterblich und nun ist er in Julie den ersten Augenblick verliebt und den ersten Augenblick sterblich verliebt, rasend verliebt. Er schwärmt daher wie ein Wahnwitziger, so unbedacht hitzig – ich hätte bald gesagt, wie ein Narr. Aber just zwei solche Geschöpfe brauchts zum Selbstmorden. Die Personen sind sonst, wie mich dunkt, trefflich charakterisiert, und doch reden die meisten so schwül und feurig daher, so hoch und schwärmerisch, wenns gleich die kaltblütigsten Kerl sind. O Dichter, hier konntest du dein feuriges, ungestümes Genie gar nicht verleugnen, nur nicht ein Weilchen verbergen. Alle Personen treten daher und reden[425] deinen Götterton. Nein, ich lüge, die Bedienten Kapulets, Gregorio und Sampson sind – was sind sie – wahrhaftig so feurig wie getreue Hund; und doch reden sie ihre ungekünstelte Sprache. Des Julchen Wärterin, die ist perfekt gezeichnet, mir ist, ich höre die Plaudertaschen all vor mir reden; wahrhaftig, ich war recht oft verliebt in solche Dudelsäcke, die so in einem Atem daherschwätzen, Kreuz- und Quersprünge machen und jede alte Narrheit zum Heiligtum machen. Merkutio gefällt mir am besten unter allen, das ist ein lustiges Gemüt, ein aufgeräumeter Humor – wahrhaftig, Romeo hätte nicht so ein schwarzer Träumer sein sollen, wenn niemand gewesen wäre als seine Freunde Merkutio und Benvolio. So ein Freund wie Merkutio müßt den allerschwermütigsten Stockfisch von seiner Sucht heilen. Schade, daß der feurige Tybalt, der kollerische Prahlhans, diesen kurzweiligen Mann für diese Welt so pfeffern mußte – aber er bekam sein Teil Pfeffer auch von Romeo. Pater Lorenzo ist ein guter, feiner Mann; ich höre ihn recht gern so daher moralisieren von Morgen und Abend und anderen natürlichen Sachen. Aber Romeo, der stürmische Junge, hat mich böse gemacht, er will den guten Pater nie zu Worten kommen lassen, schreit immer über Hals und Kopf von Tod und Hölle, will von Anfang her alleweil mit Gewalt sterben. Als ihm der Pater seine Verbannung kund tut, wo er den Tod erwartete, schmält und lärmt er wie ein vernunftloser Narr, schreit immer tod, tod, tod, und Julie redt die nämliche Sprache. Nein, ich bin diesem ungestümen, geduldlosen Paar gar nicht gut; für dergleichen Narren[426] gehört ein solches Ende. Guter Pater, ich wär müde geworden, einen so starrköpfigen Heuler zurechtzuweisen – ha, und dann wär ich so ungeduldig als er. – Ich kann mir nicht helfen. – Ich liebe die Lerche oder die Nachtigall mehr als dies gramsüchtige Paar, über deren Gesang sie am Brautnachtmorgen einen Liebensstreit hatten. Kapulet, der seine Julie mit Gewalt an den Paris verheiraten will, hat mich auch böse gemacht: er war ein kollerischer Grobian. Daß doch die Ungeduld nie harren, nie warten kann! Drum heißt sie Ungeduld und eben drum ist dieser Ausgang ihr Los.

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 3, Basel 1945, S. 424-427.
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