XXIII. Von Meer-Wundern.

[318] Wer zu wissen verlanget, was für mancherley Geschöpff im Meer leben, der kan davon bey Gesnero in seiner Historie von Thieren / die im Wasser zu finden, Nachricht erlangen. Alexander ab Alexandro lib. 3. gen dier. c. 8. gedencket eines Seemanns, welcher von der äussersten Meer-Spitze aus Mauritanien nach Spanien gebracht worden; derselbe sey am Gesicht und Leibe bis auf die Schaam einem Menschen, im übrigen aber einem Fische gantz ähnlich gewesen. Theod. Gaza zeuget von einer See-Jungfrau, welche, als er sich in Peloponneso aufgehalten, an das Ufer lebendig angetrieben worden: Diese habe eine fast menschliche Gestalt gehabt, hingegen aber einen bis zur Schaam geschuppten und rauhen Leib mit einem Fisch-Schwantz. Und Thom. Cantipratanus lib. 2. mirac. & exempl. mem. c. 30. n. 53. erzehlt, daß zu seiner Zeit die Schiffleut der Königin in Engelland ein See-Wunder aufgebracht, welches einem Weibe sehr ähnlich gewesen, ausser, daß ihr Kopff anzusehen, als ob sie eine Crone, die einem Fisch-Körblein gleich siehet, auf der Stirn gehabt;[319] Sie habe gegessen und getruncken, und fürnemlich ihr die frischen Fische wohl schmecken lassen, wie auch die Früchte; sie habe aber nichts geredet, auch keine Stimme von sich vernehmen lassen, als nur einige kleine Seufftzer, ihren Kummer damit anzudeuten, und seye gantzer dreyer Jahre an dem Königlichen Hoff geblieben.


In der Niederländischen Beschreibung der Nieder-Lande / Part. 2. wird folgende Geschicht bey der Stadt Edam angemercket:1 Daß im Jahr 1430. eine See-Frau von den Edammer Mägdlein gefangen worden.2 Snojus, der er aus derjenigen Mund und glaubwürdigem Zeugniß mit Fleiß aufgezeichnet, die solches alles selbst gesehen haben, schreibt davon also: Nachdem ein grosses Ungewitter entstanden, und etliche Teiche durchgebrochen waren, und die Süder-See das gantze Land überschwemmet, ließ sich eine Wasser-Frau gantz nacket, kothig und unfläthig in einer Seichte von etlichen Mägdlein aus Edam sehen, die mit einem Schifflein über die Purmer fuhren, ihre Kühe daselbst zu melcken, welche sich zwar Anfangs sehr dafür entsetzten, doch endlich ihnen wieder ein Hertz fasseten, daß sie diejenige Frau in ihr Schifflein zogen, und sie nach Edam brachten, allwo sie gesäubert und gekleidet wurde, unsere Speisen gebrauchete und spinnen lernete. Sie gebrauchete[320] sich einer unbekannten Sprache, und konte kein Nieder-Teutsch verstehen. Von daraus wurde sie nach Harlem geführet, allda sie etliche Jahr gelebet. Porcacho in seinen weit-berühmten Insuln schreibt: Daß ein Meer-Mann in der Frießländischen See gefangen worden, welcher zwar zahm gemachet, bey den Leuten gewohnet, aber niemahls etwas geredet. Ingleichem um das Jahr 1531. sey in Norwegen / nahe bey der Stadt Elepoch oder Elepock, ein solcher Meer-Mensch bekommen worden, der einem Bischoff, mit allem seinem Zugehörigen, gleich gesehen, welchem man dem König in Pohlen verehret; allein er habe nicht essen wollen, und hätte drey Tage gelebet, und sich keiner andern Stimme vernehmen lassen, als grosser und schwerer Seufftzer.

Was von der Melusina zu halten, wovon die gemeinen Leute viel zu erzehlen wissen, ist lauter Mährlein-Geschwätz, welches wir doch allhier mit wenigem anführen wollen:3 Als der Durchlauchtig und Hochgebohrne König Helmas, Herr zu Awelon und Albanien, seiner Gemahlin, der Persina, geschworen, sie nimmer in dem Kindbett zu besuchen und zu besehen, noch jemand solches zu thun gestatten oder befehlen, seinen Eyd aber und Gelübde nicht gehalten, hat Persina ihn verlassen und ihren dreyen Töchtern unterschiedliche Gaben gegeben, da dann die jüngste Tochter, [321] Melusina, welche klug und wohl erfahren war, folgendes empfangen: Daß sie alle Samstag vom Nabel hinab solle eine Schlange oder Wurm werden.4 Der sie nun zum Weibe nehmen wolle, der müsse schweren und geloben, daß er an keinem Samstag sie jemahls besuchen, sondern in ihrem Thun unbekümmert lassen wolle. Wann solches der Mann würde halten, so würde sie hernach wie ein anderer Mensch sterben. Da nun Reymund, des Grafen von Forst jüngster Sohn, und Emerich, Edler Graf zu Poitiers in Franckreich, im Walde Columpier gar spat am Abend auf der Jagd sich verirret hatten, und aus den Augen aller ihrer Diener gekommen waren, stößt sich ihnen bey noch hellem Mondschein ein groß wildes Schwein auf und fället dermassen den Grafen von Poitiers an, daß es ihn gäntzlich zur Erden niederwirfft. Als Reymund seinen Vettern in so grosser Gefahr sahe, und ihn gedachte zu erretten, zuckte er den Spieß, und stieß damit nach dem Schwein, weil er aber fehlete und der Spieß abwiche, traff er seinen Herrn und Vettern dermassen, daß er ihm das Leben benahm. Hier fing er nun ein jämmerlich Klagen an, er rauffte seine Haare, und sprach: Glück / ach Glück! wie hast du mich so gar in Jammer und Elend gesetzet! Ach, was hast du doch[322] mir armen jungen Menschen damit anzeigen wollen? Ich bin ja durch diese That an Seel und Leib, an Ehr und Gut, verderbet, und in grosse Noth und Elend bracht. Ach, wolte GOtt, daß ich doch auch sterben, und mit meinem Vettern begraben werden könte! In dieser Klage kame Reymund zu einem Brunnen, bey demselben stunden 3. schöne Jungfrauen, hochgebohrner und adelicher Gestalt, welche er für Jammer und Leid nicht gesehen hatte. Von diesen ging die jüngste, genannt Melusina, von unsäglich-schönem Angesichte und wohlgestalltem Leibe, zu ihm, erklärete die Ursachen seines Unfalls, welcher ihm zu der Stunde wiederfahren, und sprach: Lieber Reymund, wann du meiner Lehr wilt folgen und nachkommen, so soll es dir an Gut, Ehr, Glück und Geld, nimmermehr mangeln, sondern du solt glückhaffter, mächtiger und reicher werden, dann jemand deiner Freunde; aber du solt mir derohalben schweren, daß du mich zu deinem ehelichen Gemahl nehmen, und an einem Samstag niemahl nach mir fragen, noch mich suchen, sondern in allwege frey und unbekummert lassen; so will ich dir hinwieder schweren, daß ich allezeit, und besonders auf denselben Tag, nirgend hinkommen will, welches dir schädlich oder unehrlich sey. Wirst du aber auf selbigen Tag mich suchen und erkundigen lassen, was ich schaffe oder thue, so wirst du mich[323] verliehren, und wirst abnehmen an Land und Leuten, an Ehr und Gut. Als nun Reymund Treu und Gelübd versprochen, so hat ihm Melusina in allem als ein Ehe-Gemahl beygewohnet und viel Kinder gebohren, derer doch jedes ein Anmahl oder Zeichen am Leibe gehabt, nehmlich, eines ein Auge in der Mitten seiner Stirn, ein andres drey Augen, das dritte Zähn im Mund, wie ein Eber, und so weiter. Da aber der Graf von Forst, Reymunds Vater, mit Tod abgangen, kame sein ältester Bruder, der dazumahl Graf war, gen Lusinien zu ihm, führete ihn besonders, und sprach: Reymund, lieber Bruder, ich besorge, ihr seyd bezaubert, dann es ist eine gantze Land-Mähr, und saget männiglich, ihr seyd nicht wohl bedacht, daß ihr nicht sollet und dürffet nach eurem Gemahl fragen, wo sie sey, oder wo und wie sie sich halte am Samstage, auch ist es eine frembde Sache, daß ihr nicht wissen dörffet, was ihr Gewerb, Thun oder Lassen sey. Ihr habt dessen grosse Unehre, auch viel und mancherley Nach-Reden. Dann etliche meynen, sie treibe Büberey, und habe andere Männer lieber, dann euch. Andere sagen, sie sey ein Gespenst oder Ungeheuer; derohalben forschet nach ihrem Wesen, damit ihr nicht also von ihr geäffet und zu einem Narren gemachet werdet. Da er dieses von seinem Bruder gehöret, ging er in grossem Grimm nach der[324] Kammer, die sie sich hatte zu ihrer Heimlichkeit bauen lassen, in Meynung, er würde solche mit einem andern in ihrer Untreue betreten; aber, da er hinein sahe, verlohr er alle seine Freud und Herrlichkeit. Dann Melusina, nachdem sie ihn seiner Verrätherey und Falschheit überwiesen, und sich selbst beklaget, daß sie nun würde Pein leiden bis an den jüngsten Tag, von welcher sie sonst wäre befreyet gewesen, nahm von allen Anwesenden Abschied, sprang mit beyden Füssen in ein Fenster, und wurde in einem Augenblick unter dem Gürtel wiederum ein feindlicher ungeheuerer Wurm, schoß schnell durch die Lufft, fuhr drey mahl um das Schloß herum, und schied endlich mit grossem Geschrey wieder von hinnen; sie ließ sich auch nachmahls nicht mehr, wie vorhin, sehen, als daß sie in der Nacht ihre annoch kleine Kindlein säugete und in der Lufft über dem Schloß Lusinien erschiene, wann etwa durch einen Todes-Fall das Schloß einen andern Herrn bekommen solte. Es ist dieses wohl ein bastartig Gedicht, wovon doch die Alten so viel Schwätzerey gemachet, und ist doch darunter kein wahrhafft Wort, so vernünfftige Leute auch nicht glauben werden, wann man alle Umstände reifflich überlegen wird.


Happelius in Relat Curios. Part. I. p. 453. schreibt von denen auf der Ost-Indischen Fahrt vorkommenden[325] Meer-Wundern folgendes: Man siehet in diesem Meer Wallfische, welche doch denen in den Nord-Ländern nicht gleich kommen, als Blaser / so sehr grosse Fische, welche das Wasser gleichwie einen Thau in die Lufft spritzen, fast wie ein Wallfisch thut. Item Thun-Fische / so in Franckreich gantz bekannt sind. Boniten / welche nicht gar so groß als die Thun-Fische, aber besser Fleisch haben. Requins / welches Raub-Fische sind, und eigentlich Meer-Wölffe heissen. Doch gibt es bey dem Vor-Gebürg der guten Hoffnung viel andere Gestalten, die man gleichfalls Meer-Wölffe nennet. Diesen Fisch kan man nicht essen, dann er soll den Bauch-Fluß machen, welches wohl seyn kan, massen er sobald nichts, es mag ein Mensch oder was anders seyn, in die See fallen siehet, sofort darauf zu schießt, und es erwischen und fressen will.5 Auf einer Reise geschahe es, daß der Schiff-Schlosser gestorben; man wickelte solchen, dem Gebrauch nach, in ein Segel-Tuch, und warff ihn ins Meer.6 Des andern Tages fing man einen dergleichen Fisch, und fand in seinem Bauch den Leichnam noch gantz in seinem Sterb-Kittel. Man siehet auch Fische, so Meer-Schweine genennet werden, so groß und gut zu essen sind; der Kopff siehet als eines Schweins Kopff, zwischen Haut und Fleisch haben sie[326] Speck. Item siehet man fliegende Fische, an Gestalt und Grösse wie ein Häring, diese sind von den besten Fischen, die ich (schreibt der Autor) sein Lebtag gessen habe. Sie fliegen Schwarm-weise, wie die Staaren, und erheben sich nie höher als zwey oder drey Ehlen hoch über das Meer. Ihr Flug ist in einer geraden Linie, und wann sie von den Boniten verfolget werden, fliegen sie so lange als ihnen die Flügel naß bleiben: fallen sie dann im Flug auf eine trockne Stelle, so können sie eben so wenig, als andere Fische, wieder fortkommen. Indeß solte einer, der sie fliegen siehet, vermeynen, es wären Vögel, und dannoch haben sie keine Federn. Ihre Floß-Federn, so ihnen statt der Flügel dienen, haben 5. Zoll in der Länge, und 2. Zoll in der Breite, und ihre Schwäntze sind bey sieben halbe Zolle lang.

Es gibt noch andere wunderbahre Fische im Meer, worunter der Schwerd-Fisch sonderbar zu bemercken, welchen einige dafür halten, der sein Horn für dem Kopffe mit Zacken besetzt habe, und, wie die Seefahrende versichern, einen immerwährenden Kampff mit dem Wallfisch führet: wie dann einige solchem Kampff wohl zwey Stunden lang zugesehen, und beobachtet, wie der Schwerd-Fisch in die Höhe gesprungen, und wann der Wallfisch Athem hohlen wollen, solchen zu durchstossen gesuchet: Noch ein Wunder-Geschöpff[327] GOttes ist 1707. von 2. Fischern gefangen und mit Beylen verschlagen worden: Solcher Fisch ist von einem andern verfolget, worden, indem man hernach an ihm gesehen, daß er hin und wieder geritzet gewesen; und auf einen sandigen Grund, nahe bey der Insul Beveroe getrieben, und so bald nicht mehr davon kommen können, bis ihn gedachte Fischer erschlagen.7 Bey dem vierdten Schlag, der recht bis an den Rippen gangen, soll solcher als ein Rind gebrüllet haben. Mit Kopf und Schwantz ist dieser Fisch 25. Fuß lang, und rund um den Leib 12. Fuß und 10. Zoll dick; Die Floß-Feder an jeder Seite hinter dem Kopf, jede 2. Fuß und 10. Zoll lang, und 9. Zoll breit gewesen. Die in die Höhe steigende Floß-Feder auf dem Rucken ist 1. Fuß und 11. Zoll hoch gestanden; und die Floß-Feder hinden am Schwantz hat 8. Fuß in der Breite gehalten. Über und über hat er eine Asch-farbete und gantz glatte fleischigte Haut gehabt, und im Nacken, hinten am Kopf ein rundes Loch, worein man 2. Finger stecken können: es war ein Weilblein gewesen, an welchem sich die Pudenda 2. Fuß und 2. Zoll lang befunden. Es hat sich sowohl an Floß-Federn, Schwantz und aller Orten, mit lauter Speck und Fett gezeiget. Die Curiosität hat viel Leut häuffig mit Kutschen von Ost- und Westen angereitzet, dahin[328] zu fahren und solches Wunder-Thier zu sehen, und in Augenschein zu nehmen. Vid. Happelii Relat. Curios. Part. II. p.m. 308.

Marginalien

1 I. Geschicht.


2 Meer-Frau wird von Edammer Mägdlein gefängen.


3 II. Geschicht.


4 Von der Melusina, was davon zu halten.


5 II. Geschicht.


6 Meer-Wölffe verschlucken einen gantzen Menschen.


7 Wunderbahrer Fisch / so 1707. gefangen.


Quelle:
Bräuner, Johann Jacob: Physicalisch= und Historisch= Erörterte Curiositaeten. Frankfurth am Mayn 1737, S. 318-329.
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