Zweiter Auftritt.

[16] Die Vorigen. Grimm. Barjac.


EPINAY. Gott sei Dank, daß Sie da sind, Melchior! – Es gehen schreckliche Dinge vor! –

GRIMM frappiert. Was sagen Sie, meine Schöne? – Wahrhaftig, Sie sehen ganz verwirrt aus! Er küßt ihre Hand. – Welch geheimer Kummer?

BARJAC geht mißtrauisch nach beiden schielend inzwischen durch die Mitte ab.

EPINAY sich nach Barjac umsehend. O, kein geheimer – es wird bald ein öffentlicher Kummer für alle die sein, welche sich die Freunde der Marquise de Pompadour nannten!

GRIMM. Ich erschrecke! – Was ist denn vorgefallen? – Sie ist zwar schon lange leidend, aber man hoffte –

EPINAY einfallend. Leider ist nicht mehr viel zu hoffen, denn seit gestern trat ein ganz anderes Übel bei ihr auf, das sie binnen kurzem aufreiben muß und den Ärzten ganz unbegreiflich ist. Ihr Leibarzt erklärte, jede Erregung sei ihr Gift – sie müsse wie ein Kind behandelt werden, denn[16] ein außerordentlicher Schreck würde ihrem Leben leicht ein Ende machen.

BARJAC wird mit dem Kopfe durch die Mitteltür sichtbar.

GRIMM. Ich bin sprachlos! – Aber wie ist das möglich? – So plötzlich, so aus der Luft? – Wissen Sie das ganz genau?

EPINAY. Mein Gott, ich komme ja soeben von ihr! Heute früh erfuhr ich's durch ein Billett Maupeous, warf mich in den Wagen und eilte nach Versailles. – Ach, dieser Anblick! – Die einst so blendende Frau geknickt, gebrochen! – Ich sage Ihnen, ein einziger Schreck, nur eine Nervenerschütterung, Melchior, und sie ist nicht mehr!

GRIMM. Eh! Wenn es so mit ihr steht, werden wir wohltun, uns nach einer anderen Sonne umzusehen.

EPINAY. Doch wohin uns wenden?

GRIMM. Stirbt Madame de Pompadour, so kann die Königin und ihre Partei die Oberhand gewinnen; – was dann aus uns wird, ist leicht zu erraten. Oder das Parlament und die Enzyklopädie läuft jenen den Wind ab, und es gibt eine große Reform. Das wäre ebenso schlimm, denn meine Herren Philosophen fangen an, mir ihre Freundschaft zu entziehen und sich nach Rousseaus sentimentalen Tugendpredigten zu sehnen. – Ich meines Teils bin dieser Schulmeisterseelen müde.

BARJAC der sich zurückgezogen, wird wieder sichtbar, so oft sich einer der Sprechenden wendet, verschwindend.

EPINAY. Darum habe ich inzwischen leise mit Abbé Terray angeknüpft, um für jeden Fall allen Situationen bei Hofe die Stirn zu bieten. In einer Viertelstunde werde ich erfahren, was mit ihm auszurichten ist.

GRIMM. Das ist gut! Eilen Sie sogleich hin. – Man muß ihm zu verstehen geben, daß man der Gesellschaft Jesu doch einmal zur Rehabilitierung nützlich sein könnte.

EPINAY. Nur einen Augenblick, Melchior, bis ich meine Erschöpfung überwunden!

GRIMM der sich sorgfältig umgesehen. Ich möchte um aller Welt nicht, daß man eine Silbe unseres Gesprächs erführe.[17] Sie wissen, wir stehen auf schwankem Grund und Boden. – Aber ich kann diese plötzliche Krise bei Madame de Pompadours zäher Natur nicht begreifen. Sagen Sie, was kann die Veranlassung gewesen sein?

EPINAY. Ein tiefes Geheimnis, das man vielleicht nur mit eigener Gefahr für sich selbst lüften kann.

GRIMM. Wie so?!

EPINAY. Wir sind allein, die Gesellschaft ist im Bibliothekzimmer – hören Sie denn. – Gestern früh fuhr Madame de Pompadour auf Anraten des Arztes in Begleitung Maupeous und der Madame de Tencin nach Paris, um das ägyptische Kabinett des Grafen Caylus zu besichtigen. – Sie wissen, wie selten, schon der Königin wegen, die Marquise nach Paris kommt. – Sie war, wenn auch matt und angegriffen, doch ziemlich heiter und betrachtete sarkastisch die Gruppen der Leute auf dem Boulevard du Temple. Plötzlich schrie sie wie wahnsinnig: »Narziß, Narziß!« – fiel in Konvulsionen und wurde mit genauer Not bis ins Hotel Choiseul gebracht, von wo sie später nach Versailles fuhr. Von diesem unglückseligen Augenblick an datiert sich ihre Nervosität, ohne daß es jemandem gelang, den wahrscheinlichen Urheber derselben zu ermitteln. Ihr Zustand ist beklagenswert!

GRIMM. Ich gäbe Unendliches darum, die Ursache zu kennen, die dieses kälteste aller Weiber, die Meisterin aller Verstellungskunst aus den Fugen getrieben. Doch gleichviel, wenn sie nur so lange lebt, bis ihr letzter stolzester Plan ausgeführt, bis der König und die Königin getrennt und die schlaue Marquise ihm an die linke Hand getraut ist. – Wie weit gedieh diese Angelegenheit?

EPINAY. Die Dispensation des Papstes ist vorgestern in der Stille angelangt. Dem Dauphin ist die Thronfolge gesichert, sie behält die königlichen Ehren; – wenn sie also unterschreibt, begeht sie einen Privatakt. Unterschreibt sie nicht, so dürfte ihr Budget noch schmäler werden, als es schon ist.

GRIMM. Nun, eine Baronie, eine lukrative Stelle wäre[18] uns dann gewiß, und man könnte ruhiger dem Wechsel der Intrigen zusehen. Aber was zögern Sie? Gehen Sie, Sie haben sich genügend erholt – man könnte mich in der Gesellschaft zu lange vermissen.

EPINAY aufstehend und zärtlich zu ihm hintretend. Melchior, wir müssen jetzt inniger denn je verbündet sein. – Warum entziehen Sie sich mir seit einiger Zeit? – Bin ich Ihnen denn so ganz gleichgültig geworden?

GRIMM. Sie sind sehr naiv, liebe Marquise!

EPINAY. Welche Veranlassung habe ich Ihnen denn zu dieser Kälte gegeben?

GRIMM. Sie werden immer naiver. Nun, ich will mich Ihrem Verhöre stellen und jede Strafe, die Sie mir diktieren werden, annehmen – wenn wir mehr Zeit zu solchen Kindereien haben werden. Er schellt.

BARJAC kommt durch die Mitte.


Quelle:
Albert Emil Brachvogel: Narziß. Leipzig [o.J.], S. 16-19.
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