Neunter Auftritt.

[22] Die vorigen. Diderot.


HOLBACH deutet auf Diderot. Lupus in fabula. Zu ihm. Sie Treuloser!


Allgemeine Bewegung.


DIDEROT sich verneigend. Meine Reverenz! Schon lange beisammen?

LAMBERT. Gewiß, Sie Worthalter!

DIDEROT zur Gesellschaft. Ich muß mein Zuspätkommen entschuldigen. Ich wurde aufgehalten im Café Prokop und habe zu viel gehört, um nicht von Ihnen Verzeihung zu erhalten, wenn ich beichte.

ALLE durcheinander. Was sagt er? – Laßt hören! – Ei, erzählt doch! Sie umgeben ihn.

DIDEROT. O, Sie ersticken mich ja! – Aber das Neueste ist, daß Marquise de Pompadour seit gestern früh sehr bedenklich erkrankt ist.


Allgemeine Überraschung.

Kurz nacheinander.


HOLBACH. Wissen Sie das gewiß?

BOUFFLERS. Wär's möglich?

GRIMM für sich. Eh, es ist schon publik!

QUINAULT. O, wenn das wahr wäre!

EPINAY leise zu Grimm. Wer kann es verraten haben?

DIDEROT. Ich setze mich selbst zum Pfande, daß es so ist!

LAMBERT. Aber woher die Nachricht? – Und davon wüßten Sie nichts, Frau Marquise?

EPINAY. Ich war unwohl und seit drei Tagen nicht in Versailles. Ich bezweifle die Nachricht.

QUINAULT. Und sie ist verbürgt?

DIDEROT. Ja, soweit eine indirekte es überhaupt sein kann. Ich habe sie aber von jemand, dessen Geschäft es ist, alle Geheimnisse und Skandalosa von Paris auszuwittern.

QUINAULT. Wer ist das?

DIDEROT. Der erbärmlichste und vielleicht genialste Mensch in Frankreich, der größte Narr seiner Zeit – Narziß. – Ich habe Narziß gesehen.[23]

LAMBERT lacht. Ah so? Der kann es wohl wissen.

HOLBACH. Wahrhaftig, kein übler Gewährsmann!

EPINAY erstaunt. Um Gottes willen, Narziß?

GRIMM ebenso. Narziß? – Mein Himmel, wer ist denn das?

DIDEROT. Wahrhaftig, so kann nur jemand fragen, der in so exklusiver Luft lebt, wie Frau von Epinay und Grimm. Welcher Pflastertreter der Residenz kennt nicht das Ideal aller Gamins, den Neffen des großen Rameau, wer kennt nicht Narziß?

BOUFFLERS. Ah, ich erinnere mich, von ihm gehört zu haben, es soll eine possierliche Art von Mensch sein.

LAMBERT. Wünschen Sie ja nicht seine Bekanntschaft zu machen!

EPINAY. O, nun fällt mir ein, man hat von ihm einmal in Versailles Drolerien erzählt. Kann man dies Wundertier nicht sehen, lieber Diderot?

GRIMM leise. Vorsichtig. Laut. Eh, wenn es Ihnen Spaß macht. – Wo trifft man das Individuum?

DIDEROT. Überall, wo Sie wollen. Doch ich denke, er muß hier vorüberkommen Er tritt zu Epinay ans Fenster. er wollte zu den Buffonis in die Oper. Er zeigt auf die Straße. Sehen Sie, da ist er schon!

QUINAULT tritt zu Diderot, auf die Straße blickend. Der dort ist's an der Ecke, nicht wahr?

DIDEROT. Gewiß! Sehen Sie nur, er liest die Affichen. Sie kennen ihn also, meine Zaire?

QUINAULT. Ach so obenhin, aber mir ist eine Anekdote mit ihm begegnet. – Ich interessiere mich für ihn und weiß selbst nicht recht, warum. Seinen Namen höre ich heut zum erstenmal.

HOLBACH in komischem Erstaunen aufstehend. Sie interessieren sich für Narziß? – Sie? – Das wäre! Für einen unverbesserlichen Taugenichts von vierzig Jahren?

QUINAULT. Ach, danach frag' ich wenig. Aber denken Sie nur, wie ich ihn kennen lernte. Seit längerer Zeit bemerkte ich ihn nämlich hinter den Kulissen im Theater, auf[24] einem Stuhl, steif wie ein Mondsüchtiger. Vorige Woche spielte ich die Rodogune und ich denke, nicht übel. – Als ich in die Garderobe treten will, sagt er zu mir: »Sie spielen wirklich passabel, Kind, aber Sie würden besser spielen, wenn Sie die Rodogune wären!« – Ich drehte mich betroffen um – da sah er mich mit so großen brennenden Augen, so übermenschlich, möchte ich sagen, an, daß ich ganz verlegen war. – »Nur nicht verblüfft,« lachte er, »denen im Parterre gefällt's ja, was geht Sie mein Urteil an?« und fort war er.

DIDEROT. Wenn sich seine Keckheit nicht mehr erlaubte, wär' er gar nicht so schlimm, aber – Er sieht wieder aus dem Fenster. Nun steht er gegenüber. Jetzt können Sie ihn genau sehen!

EPINAY UND QUINAULT sehen hinaus.

DIDEROT. Nicht wahr?

EPINAY. Sehr gut.

QUINAULT. Er ist es!

EPINAY zu Grimm tretend, leise. Unmöglich, ihn kann die Marquise nicht gemeint haben – aber sprechen möcht' ich ihn doch.

QUINAULT. Bitte, bitte, lieber Diderot, lassen Sie mich das Original in der Nähe sehen!

EPINAY hastig. Ich auch!

HOLBACH lachend. Nun, mein Gott, wir lassen ihn heraufkommen!

ALLE lachend, durcheinander. Ach ja!

LAMBERT. Daß wir uns amüsieren, dafür stehe ich.

DIDEROT. Wenn Sie aber von seiner Indelikatesse beleidigt werden, ich wasche meine Hände in Unschuld. Barjac, kommen Sie her.

BARJAC tritt zu ihm ans Fenster.

DIDEROT. Sehen Sie jenen Mann im defekten Rock am Putzladen der Duchapt?

BARJAC. Zu Befehl.

HOLBACH. Bitten Sie ihn herauf.

DIDEROT. Zu mir, sagen Sie![25]

BARJAC geht durch die Mitte ab.

BOUFFLERS. Ich fürchte, man kompromittiert sich mit ihm.

LAMBERT. Die schöne Welt wird staunen, daß –

DIDEROT einfallend. O, gar nicht! – Ist es denn außerordentlich, einen Papageien zu halten? – Und er ist der Papagei der Pariser Gesellschaft, ja der Papagei unseres tollen Jahrhunderts. – Da kommt er schon!

ALLE wenden sich nach der Tür, so daß die Mitte frei bleibt.

NARZIß durch die Mitte.


Quelle:
Albert Emil Brachvogel: Narziß. Leipzig [o.J.], S. 22-26.
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