Siebenter Auftritt.

[60] Marquise de Pompadour. Choiseul.


POMPADOUR nach einer Pause ganz erschöpft. Setzen Sie sich zu mir, Choiseul. Sie schiebt ihm mit dem Fuße den Fußschemel zu.

CHOISEUL setzt sich.

POMPADOUR. Wir sind endlich allein. Pause. Wissen Sie noch, d'Amboise, wie Sie frisch aus dem Feldzuge von Mastricht nach Paris kamen und mir das erstemal bei Hofe vorgestellt wurden? Ha, der schüchterne Offizier von verkommenem Adel der jugendlichen Kokette aus dem Bürgerstande! – Wir waren zwei Abenteurer, die dem Ruhme nachjagten. – Der Spiegel betrügt mich nicht mehr; – die Falten, diese farblose Haut, der matte Blick. – Das ersehnte Glück ist da – nur die Jugend und die – Unschuld kommen nicht wieder. – O meine Jugend!

CHOISEUL. Aber wozu jetzt diese Erinnerungen, hohe Frau –

POMPADOUR. O lassen Sie den Titel, Freund, diese lächerliche Firma für die erbärmliche Hohlheit dieses Lebens. Wir, d'Amboise, haben es nicht so miteinander gehalten: – – uns ist diese Maskerade eben nur Maskerade; haha! Sie preßt heftig die Hand ans Herz. O dieses Herzklopfen! – und so sind wir denn bis hierher gekommen. Jetzt aber geht's zu Ende.

CHOISEUL. Um Gottes willen! Er will aufstehen.

POMPADOUR hält ihn an der Hand zurück.

CHOISEUL setzt sich wieder.

POMPADOUR. Mag geschehen, was da will, d'Amboise – mich trifft nichts unvorbereitet; – doch es ist besser, ich teile mich mit – das macht das Sterben leichter. – Ich will mit Ihnen sprechen, wie der Mensch mit dem Menschen, wie ein treuer Gefährte mit dem andern spricht. – Ich habe mich im Leben oft entwürdigt, aber mein Herz hat sich nie selbst Gefühle vorgelogen, die ich nicht besessen. Solange wir uns kennen, d'Amboise, solange ich bei Hofe bin, habe ich nie geliebt.[61]

CHOISEUL aufspringend. Sie haben mich nie geliebt, Marquise?! – Nie?!!

POMPADOUR reicht ihm die Hand und zieht ihn auf den Fußschemel zurück. Nein, d'Amboise – nie! – Der Ehrgeiz ist wie das Spiel, er tötet die echte Liebe. Jeanette Poisson, die Tochter des Gewürzkrämers – hat geliebt, Madame d'Etiolles und die Marquise de Pompadour – nie!!

CHOISEUL. Ha, zu viel! –

POMPADOUR indem sie seine Hand tätschelt. Das ist ein Stich in Ihr eitles Herz, Choiseul?! – Ja, ja! – Eitelkeit müssen Sie sich abgewöhnen, wenn Sie ein großer Mann sein wollen. – Ich hätte nicht geglaubt, daß Sie sich so etwas noch einbildeten – das tut mir leid, mein Lieber; – – aber Choiseul, Sie sind doch der armen Jeanette Freund?

CHOISEUL. Und Sie können einen Augenblick daran zweifeln?

POMPADOUR. Ich möchte vor meinem Tode mir noch eine Träne sichern. O, d'Amboise, was gäbe ich für eine Träne, eine heiße Menschenträne, so recht aus tiefster Seele an meinem Grabe geweint! Ich habe ein unschätzbares Leben unwiederbringlich verloren, meine Jugend hingeworfen für ein Phantom: »Ehrgeiz und Genuß«, – o, mein Schöpfer! Sie faltet die Hände auf der Brust. Kurze Pause. – Als ich noch jung war und blühend, da liebten sie mich alle, die Welt lag in Bewunderung vor mir auf den Knien, ja Maria Theresia selbst hat ihren Stolz vor mir gebeugt. – Jetzt fühle ich, wie sie von mir weichen. – Die Nation flucht mir, das Parlament, die Parteien warten auf meinen Tod, und dieser Ludwig sucht schon mit lauerndem Blick meine Nachfolgerin.

CHOISEUL will sprechen.

POMPADOUR. Unterbrechen Sie mich nicht, d'Amboise! – Einmal im Leben habe ich geliebt, eine kurze Zeit, aber heiß und unsäglich. – Als ich an den Hof kam, wußte man nicht und hat es nie erfahren, daß ich vor d'Etiolles schon das Weib eines anderen war.[62]

CHOISEUL. Das ist unmöglich!!

POMPADOUR. Es ist so, d'Amboise. – Wer meine Eltern waren, wissen Sie. Ich lernte frühzeitig mein Zeitalter durch sie verachten. – Ich liebte einen armen Musiker, der sich sein winziges Brot in den Wirtshäusern verdiente, ich liebte ihn rein und wahr, das einzige Mal in meinem Leben. – Ich entlief meiner Mutter und ging zu ihm – aber ich kannte die Entbehrungen des Lebens nicht, ich wußte nicht, was Armut sei. Bei ihm lernte ich die Liebe, aber auch das Elend kennen. – Ach, nach einem Jahre schon nannte ich mich Madame d'Etiolles. – Da ich die Treue dem, den ich liebte, gebrochen, was Wunder, daß ich bei einem kühnen Geist, einem eisernen Willen, die Gebieterin Frankreichs geworden bin.

CHOISEUL. Und wie hieß dieser Mann?

POMPADOUR. Narziß, der Neffe Rameaus.

CHOISEUL für sich. Ha, doch!

POMPADOUR. Ich habe ihn lange nicht gesehn – im Rausche des Stolzes, im Bacchanal des Ruhmes habe ich mein Herz erstickt – aber seiner nicht vergessen. – Damit er leben sollte, habe ich ihm namhafte Summen durch seinen Oheim, den Musiker, zugewendet. Ich glaubte ihn vor Mangel zu schützen; – aber dieser gewissenlose Mensch, dieser geizige Schuft, den ich dafür mit dem Adel belohnte, hat die Summen unterschlagen, denn ich habe den Armen vor drei Tagen auf dem Boulevard du Temple gesehen, in Lumpen – in Lumpen!! – Sie bricht fast zusammen, wimmernd. und ich liebe ihn noch!

CHOISEUL bleich und zitternd, indem er sie unterstützt. Ha, sie stirbt in meinen Armen!

POMPADOUR. O nein, noch nicht! – – Sie erholt sich. Choiseul, geben Sie mir Ihr Wort, wenn ich gestorben bin – knirschend. stecken Sie diesen Erbärmlichen in die Staatsgefängnisse! Ohne Licht, ohne Lust, wie der habgierige Geier im Käfig soll er sterben!!

CHOISEUL. Ihr Wunsch ist mir heilige Pflicht.

POMPADOUR. Nun wissen Sie alles! – Mein Leben war[63] eine Rache an dieser verwilderten Gesellschaft, diesem verfluchten Jahrhundert, das mich geboren, das mein Herz von Geburt an gegen die Tugend verhärtet, das mir mein Liebstes in den Staub trat. – Ich bin die täfelnde Eris Frankreichs gewesen, habe es an den Rand des Abgrunds geführt, in den es prasselnd stürzen, in dem es modern muß, bis eine blutgetaufte Zukunft die Arche des neuen Geschlechts aus der Sündflut trägt!! – Sie haben meine Hand gefühlt, ich bin befriedigt! – Kurze Pause. Aber ich habe ihn wiedergesehn und die alten verlorenen Jahre, wie nagende Träume, sind mir zurückgekehrt. Aus blauen Kinderaugen schaut meine Jugendzeit mich an, bittend und bleich, und die weinende Erinnerung an verlorene Erdenschöne. – – Ich fühle nun nichts mehr, als den überwältigenden Ekel am Leben, ich freue mich auf die stille Stunde, in der der Tod kommt und dies welke Herz zusammendrückt; – schwarz und leer – hahahaha!

CHOISEUL rasch und scharf. Und die Vermählung?!

POMPADOUR hastig. Ha, sie muß beeilt werdet, ehe es zu spät ist, noch mit sterbender Hand will ich den König festhalten, bis ich den goldenen Reif am Finger trage!

CHOISEUL. Und um so mehr muß man die Vermählungszeremonie beschleunigen, als die Königin bereits unterrichtet ist.

POMPADOUR wütend. Bei der Verdammnis, wer tat mir das?!

CHOISEUL. Die Königin hat es durch die Schauspielerin Quinault erfahren, vorgestern, als Frau von Epinay die Holbachsche Soiree besuchte.

POMPADOUR. Was?! O Freundschaft, Freundschaft!! – Gut! – Nur Sie noch, d'Amboise – Sie sind der letzte! Sie schellt.

ERSTER KAVALIER von rechts.


Quelle:
Albert Emil Brachvogel: Narziß. Leipzig [o.J.], S. 60-64.
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