Dritter Auftritt.

[70] Die Vorigen. Choiseul.


KÖNIGIN bewegt. Sie haben also doch Wort gehalten, Herr Herzog? – Das überrascht mich. Ich war auf Ihren Besuch nicht mehr vorbereitet. – Daß Sie eine Unglückliche wenigstens in ihrer letzten Hoffnung nicht betrogen haben, verdient meinen Dank. Stehen Sie auf.[70]

CHOISEUL. O, lassen Sie mich knien, knien vor der tränengeborenen Frau, die in dem Namen Choiseul alle Kränkung, allen Jammer ihres erhabenen Herzens zusammenfaßt. Ich bin zu Ew. Majestät gekommen, ein Reuiger, der die unheilvolle Verkehrtheit seiner Laufbahn durch rastlose Hingebung und Treue für die Sache seiner Fürstin zu tilgen lechzt und den Frieden seiner Seele wiederfinden möchte.

KÖNIGIN. Sie setzen mich wahrhaft in Erstaunen! – Nun, eine Reue wie die Ihrige kann nicht erheuchelt sein; – was nützte Ihnen auch der Trug, bei einer Frau, die der Täuschung so gewöhnt ist. – Seien Sie herzlich willkommen!

CHOISEUL steht auf.

KÖNIGIN. Was habe ich zu hoffen?

CHOISEUL. Alles, Majestät! Alles! Choiseul hätte nie gewagt, die Schwelle des Palais Royal zu betreten, wenn er nicht ein Unterpfand brächte für die Echtheit seiner Gesinnung.

KÖNIGIN. Wär's möglich, Choiseul?!

CHOISEUL. Ja, Majestät. – Diese Zeremonie wird nie vonstatten gehen, die Marquise de Pompadour verlaßt den Hof für immer, und Maria wird wieder die Gattin Ludwigs von Frankreich sein!

KÖNIGIN entzückt. Vetter! Meine Kinder! – Das ist zu viel des Glücks, zu viel!

ALLE außer Conti sind in freudigem Erstaunen zu ihr getreten.

KÖNIGIN reicht Choiseul die Hand. Tausend Dank, Herr Herzog.

CHOISEUL. O Majestät, Sie lohnen vor der Tat! Er küßt ihre Hand.

BOUFFLERS mißtrauisch. Täuschen Sie uns auch nicht, Herr Minister?

CONTI ebenso. Und wie wäre das möglich!

CHOISEUL. Fragen Sie nicht, Prinz, es ist so, wie ich sage. Alles ist ein Geheimnis, ein gefährliches Geheimnis. Der König selbst wünscht diese Verbindung nicht, er war bisher nur zu schwach, zu sehr umgeben von den[71] Freunden dieser Frau, um offen seine Willensmeinung zu vollstrecken – aber die Pompadour wird fallen, Majestät, oder Sie sollen Choiseul-d'Amboise nicht wiedersehen! – Wenn ich nun aber handeln soll, muß ich wenigstens die Überzeugung haben, daß Sie ein wenig – Vertrauen in meine Maßnahmen setzen, Majestät.

KÖNIGIN. Ich vertraue Ihnen. Sie jetzt zu beargwöhnen, wo Sie vielleicht Ihr Leben in die Schanze schlagen, wäre mir eine ewige Schmach.

CHOISEUL. Majestät, die Tat soll mein Dank sein. – Ich werde vorerst den Hof zu Versailles von jenen Erbärmlichen säubern, die die Atmosphäre des Königs vergiftet haben. – Seine königliche Hoheit der Herr Prinz von Conti wird vielleicht morgen die Gnade haben, mit mir die nächsten nötigen Verabredungen treffen zu wollen.

CONTI. Sehr gern, Herr Herzog.

CHOISEUL. Vor allen Dingen, Ew. Majestät, muß ich mich aber der Hilfe der Demoiselle Quinault und eines Mannes, Namens Narziß Rameau, versichern, dessen Aufenthalt die Dame allein weiß. Beide sind mir zum Sturze der Marquise unerläßlich.

KÖNIGIN. Sie setzen mich in Erstaunen, Herzog! Also er steht doch mit dem Schicksal dieser ehrgeizigen Frau in Verbindung?

QUINAULT für sich. O, ich hab's geahnt!

CHOISEUL. Er gleicht ihrem ersten Manne, d'Etiolles, wie ein Tropfen Wasser dem anderen. Sein unvermuteter Anblick erschütterte sie auf dem Boulevard du Temple, sein Anblick vor dem versammelten Hofe wird sie beschämen und in dem stolzen Augenblick an den Pranger stellen, wo sie ihre Vergangenheit ehrlich zu machen hofft. – Sie wird den Hof für immer verlassen. Ich stehe dafür ein.

KÖNIGIN. Herzog, Herzog, welch luftige Brücke bauen Sie auf die gekränkte Ehre einer – solchen Frau!

CHOISEUL. Auf ihre Ehre nicht, auf ihre zum Tode verwundete Eitelkeit, auf den öffentlichen Eklat habe ich gebaut. Majestät, bin ich der Hilfe dieser beiden Personen[72] versichert, so schwöre ich bei dem Allmächtigen, daß sie den Hof verlassen soll!

QUINAULT. Dann wird die gerechte Sache unserer erhabenen Dulderin siegen! Sie tritt zu Choiseul. Ich begebe mich in Ihre Gewalt, Herzog – blindlings! Befehlen Sie, was geschehen soll, und Sie werden Doris Quinault selbst vor dem Tode nicht erbeben sehen.

KÖNIGIN. Nein, Herzog, das dulde ich nicht! Dieses arme Mädchen, die der unglücklichen Maria Freundin in Not und Trübsal war, darf nicht gefährdet werden.

CHOISEUL. Niemand soll sie kränken, nichts soll sie bedrohen, solange Choiseul atmet. Wir alle werden in der verhängnisvollen Stunde um sie sein, und an jenem Tage wird der Kapitän Saint-Lambert die Schloßwache in Versailles kommandieren.

KÖNIGIN. Dann bin ich beruhigt.

CHOISEUL zur Quinault. Darf ich Sie, mein Fräulein, in zwei Stunden mit diesem Narziß in Ihrer Wohnung sprechen?

QUINAULT. Wenn Ihre Majestät mich beurlauben? –


Zur Königin herantretend, welche ihr beide Hände entgegenstreckt, sie an sich zieht und der Niederknienden die Stirn küßt.


KÖNIGIN. Gehen Sie mit Gott, mein liebes hochherziges Kind. Er sei mit Ihnen! – Überlegen Sie alles wohl, Chevaliers, damit kein neuer Schritt neues Unheil über Frankreich bringe. Sie erhebt sich und geht grüßend mit Boufflers links ab.

DIE ÜBRIGEN verbeugen sich.

QUINAULT geht, sich gegen Choiseul verbeugend, durch die Mitte ab.

CHOISEUL, CONTI UND LAMBERT kommen dann vorwärts.

CONTI. Wann kann ich Sie morgen erwarten, Herr Herzog?

CHOISEUL. Um die Dämmerung, Hoheit, es ist sicherer. Herr von Saint-Lambert hat die Gefälligkeit, zugegen zu sein.

LAMBERT verbeugt sich.

CONTI. Das ist gut! – Sie haben Ihre Majestät die[73] Königin lange nicht gesehen, Herr Herzog – sie hat sich sehr verändert.

CHOISEUL. Jawohl, mein Prinz – sie ist die Niobe Frankreichs geworden.

CONTI finster. Frankreichs Niobe! – Er geht grüßend links mit Saint-Lambert ab.

CHOISEUL verbeugt sich, fährt mit der Hand über die Stirn, tief aufatmend. Nun ist's entschieden! Er geht langsam durch die Mitte ab.


Verwandlung.


Wohnung der Quinault denselben Abend, später.

Dekoration und szenische Einrichtung genau wie im zweiten Aufzuge. Matte Beleuchtung, ein Licht brennt auf dem Tische.


Quelle:
Albert Emil Brachvogel: Narziß. Leipzig [o.J.], S. 70-74.
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