Erster Auftritt.

Der Eingang der Bühne stellt ein Thal vor, auf beyden Seiten erblickt man hohe und rauhe Felsen, die von der See umschlossen sind.


Ariadne schläft auf der Anhöhe eines Felsens, ein andrer höherer Felsen ragt über ihrem Lager hervor und dient ihr zum Schutz gegen die ungestüme Witterung. Theseus kömmt von einem entgegen stehenden Felsen herab.


THESEUS. Noch einmal will ich sie sehn; zum letztenmale!

Er steigt den Felsen hinan auf welchem Ariadne schläft, nähert sich ihr und betrachtet sie ein'ge Augenblicke voll Unruhe.


So sanft schläfst Du, Ariadne? Ahndest nicht, daß dieß dein letzter sanfter Schlaf ist?

Du glaubst Dich noch in meinen Armen –

Drückst mich noch an Deinen Busen –[1]

Gutes, treues, liebvolles Geschöpf!

Und ich wag es?

Darf ich ihn denken den Gedanken?

Ich wag es, dich zu verlassen?

Schutzgöttin meines Lebens! Meine Wohlthäterin, meine Geliebte, meine Gattin!

Ha Bösewicht! Zeugte je die Hölle ein so abscheuliches Ungeheuer?

Sie entriß mich der Rache des Minos –

Rettete mich aus dem Labyrinth –

Gab mir den Minotaurus in die Hände. –

Verließ Aeltern, Freunde, Vaterland –

Um mir in eine Wüste zu folgen!

Und ich sollte sie verlassen?

Ariadnen verlassen?

Sie der schröcklichsten Verzweiflung, dem Hunger, den reissenden Thieren des Waldes Preis geben?

Nein Theseus! Nein Athenienser, so weit geht Eure Grausamkeit nicht!

Ich habe mein Vaterland von dem schimpflichen Tribut befreyt; die Pflichten des Bürgers erfüllt!

Auch die Liebe hat ihre Pflichten! sie sind mir nicht minder heilig!

Ihr Busen steigt empor –

Sie seufzt!

Man bemerkt, das Ariadne von einem schröcklichen Traume beunruhiget wird.


ARIADNE schlafend. Theseus! Ach Theseus!

THESEUS. Sie ruft mich. –

Auch im Traume –[2]

ARIADNE. Hilf! Rette, rette deine Ariadne!

THESEUS. Deine Ariadne?

ARIADNE. Verlassen? Mich verlassen?

THESEUS. Verlassen? Welcher Gott verräth Dir Dein Geschick, Unglückliche!

ARIADNE. Er flieht? – Barbar! Ach!

THESEUS. Ariadne!

Er will sie umarmen, fährt aber zurück.


Welche Gewalt, welche unwiderstehbare Zauberkraft reißt mich zurück?

Will es das Schicksal?

Man hört den Schall ein'ger kriegerischer Instrumente.


Man ruft! die Schiffe sind zur Abfahrt bereit! Götter!

Allmächt'ge Gottheit! Wozu entschlüß ich mich?

Man hört die Instrumente noch einmal.


Noch einmal! Grausame!

Welcher feindsel'ge Dämon führte euch auf Naros?

Welche Furie entdeckte euch unsern Aufenthalt?

Dieser von den Ungeheuern des Meers belagerte Felsen, dieser von Löwen bewohnte Wald, war für unsre Liebe ein Elysium!

Nach ein'ger Ueberlegung, in der er einen heftigen Kampf zu erkennen giebt.


Aller Widerstand ist vergebens! Man wird mich mit Gewalt aus ihren Armen reissen!

Ha Schande! Theseus! Der Liebling, der Stolz Athens, der Befreyer seines Vaterlandes, der Ueberwinder des Minotaurus seufzt zu den Füssen eines Weibes!

Fort Mitleid! Liebe! Fort!

Ermanne Dich verzärtelter Jüngling!

Zerreiß diese Dich entehrende Bande![3]

Sey wieder Theseus!

Ich folg' Euch Ihr Griechen! Ich folge dem Rufe der Ehre, des unerbittlichen Schicksals; ich opfr' euch meine Ruhe, mein Leben!

Er blickt voll Gefühl auf Ariadnen.


Fluche mir nicht, Liebenswürd'ge! Fluche mir nicht! Ich muß! Ich muß!

Reue, Angst, Gewissensbisse sind Deine Rächer! Sie werden mir überall folgen!

Ich fühls! Diese in dem Innersten meines Herzeus lodernde Flamme wird umsonst unterdrückt; sie ist unauslöschlich!

Man hört von neuem den Schall der Instrumente.


Ach! Noch einmal! Götter!

Sie kommen selbst! Ich sehe sie, die Unerbittlichen!

Sie winken! Sie drohen! Ha! Noch ein Augenblick und Ariadne wird ihrer Wuth geopfert!

Ariadne? Meine Ariadne?

Nein! Nein! Ich eile, ihr Leben zu erhalten!

Götter! Erbarmt Euch! Sendet ihr einen Erretter!

Sie bewegt sich –

Fort! Ehe sie erwacht! Ihr Flehn möchte mich erweichen! Fort, Sohn des Unglücks!

Es erscheinen auf dem gegenüberstehenden Felsen ein'ge Griechen, er eilt ihnen schnell entgegen.


Zurück, Ihr Griechen! Zurück! Ihr Leben sey euch heilig! Sie rettete das meinige; die Götter bestimmen ihr Geschick! Ich folg' Euch!

Er wirft, indem er sich bereits auf der Anhöhe des andern Felsens befindet, noch einen Blick voll Wehmuth und Zärtlichkeit nach Ariadnen.


Ariadne! Ariadne!

Er geht mit den Griechen ab.
[4]

Quelle:
Georg Anton Benda: Ariadne auf Naxos. Gotha 1775, S. 1-5.
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