Vorbericht.

Minos König in Creta, belagerte Athen zu einer Zeit, da eine außerordentliche Hitze ganz Griechenland verwüstete. Die bedrängten Athenienser fragten zu verschiedenen mahlen das Orakel wegen ihrer Befreyung um Rath; endlich erhielten sie zur Antwort, daß die Götter nicht eher ihr Unglück endigen würden, als bis sie dem Könige von Creta eine völlige Genugthunug gegeben hätten. Sie folgten diesem Wink, baten um Friede und Minosschenkte ihnen denselben, unter der Bedingung, ihm alle sieben Jahre sieben atheniensische Jünglinge und eben so viel Jungfrauen zum Geschenk zu überschicken. Dreymal hatten die Athenienser bereits diesen schimpflichen Tribut abgetragen, als Theseus, ein Sohn des Aegens, Königs von Athen, welcher bisher bey seinem Großvater Pitheus in Trözen erzogen worden war, nach verschiedenen glücklich ausgeführten Abentheuern, zu Athen anlangte, seine Feinde überwand und nach erhaltener Erlaubniß von seinem Vater, nebst andern durchs Loos gezogenen Unglücklichen, die Reise nach Creta unternahm. Er wurde gleich seinen Vorgängern, vom Minos in das Labyrinth des Dädalus gesperrt, um mit dem Minotaurus, einem fürchterlichen Ungeheuer, zu kämpfen. Allein Ariadne, die Tochter des Minos, welche den Theseus bey dem ersten Anblicke lieb gewann, unterrichtete ihn zuvor und gab ihm einen Knaul Zwirn, den er am Eingange des Labyrinths befestigte und wodurch er, nachdem er durch seine Tapferkeit den Minotaurus überwunden hatte, den Ausgang fand. Die zu zärtliche Ariadne, welche durch diese große That noch stärker entzündet wurde, entschloß sich, Aeltern und Vaterland zu verlassen und ihrem Geliebten zu folgen. Theseus schiffte sich also mit ihr aufs schleunigste ein, verließ Creta und landete ein'ge Zeit darauf auf der Insul Naxus oder Dia. Hier entschloß er sich nach einem Aufenthalte von wenigen Tagen, zu der schändlichen That, seine Wohlthäterin heimlich zu verlassen und mit seinen übrigen Gefährten nach seinem Vaterlande zurück zu kehren.

Diese, größtentheils nach dem Diodor ausgezeichnete Fabel, ist in gegenwärtigem Duodrama dahin abgeändert, daß Theseus nicht den höchsten Grad von Undankbarkeit gegen Ariadnen äußert; er verläßt sie nicht so wohl aus Leichtsinn, als vielmehr ihr Leben gegen die Wuth der auf Naxus angelandeten Griechen in Sicherheit zu setzen.

Die bekannte Cantate des Herrn von Gerstenberg, Ariadne auf Naxos, ist zur Grundlage dieses Duodrama genommen und vieles daraus wörtlich beybehalten worden. Der Ausdruck so mannigfaltiger Leidenschaften, die vortreflichen Gemahlde dieses Dichters sind Ursache, daß der Verfasser es gewagt hat, jene so wohl klingende Poesie in Prosa aufzulösen, sie mittelst einiger Veränderungen auch für die Bühne brauchbar zu machen und zugleich durch diesen Weg einem unsrer besten Meister in der Musik *) Gelegenheit zu geben, an einem so reichhaltigen Stoffe sein großes Talent zu zeigen.

Der Umstand, daß dieß Duodrama zur Musikbegleitung geschrieben ist, wird dem Leser leicht die Ursache der öftern Absätze im Text erklären. Gotha, den 3. Januar. 1775.


* Der Herzogl. Sächßl. Gothaische Capelldirector Benda.

Quelle:
Georg Anton Benda: Ariadne auf Naxos. Gotha 1775.
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