Siebente Szene.

[95] Ino mit ihren Kindern, Athamas.


INO. Hier bin ich, Athamas! Und hier deine Söhne, die Söhne deiner Ino, die theuren Pfänder unsrer Liebe.[95]

ATHAMAS fällt in die Musik ein. Learch! – Melizert! – Meine Kinder! – verzeiht! – verzeiht eurem Vater! –

Ich war treulos, undankbar; aber der Gedanke an euch, an die Tugenden eurer Mutter, an ihre überschwengliche Liebe, führten mich zum Glükk – zur Wonne – in eure Arme zurükk! –

INO. O mein Geliebter! – O meine Kinder! –

Sie bilden eine Umarmung.


Dies reizende Bild der Liebe, der Gintracht; dieser höchste Grad der Glükkseligkeit; welch himmlisches Entzükken! – Welche unaussprechliche Wollust! – Komm, Athamas! – Kommt, meine Kinder! verlaßt die Wüste! – eilt mit mir zum Tempel der Juno! – Laßt uns vereint den Göttern danken, daß sie mein heisses Flehn erhörten; laßt uns der Juno Opfer bringen, ihren Zorn zu versöhnen![96]

ATHAMAS Ihren Zorn zu versöhnen?

Den Zorn der unversöhnlichen Juno?

Thörinn!

Diese Göttinn, so mir erschien? –

Man hört ein Jagdgetön.


Ein Jagdgetön! – Ein Fest der Grymiden! – Laß mich, Mägera ruft! ich eile!

INO. Götter! – Athamas!

ATHAMAS. Zurükk! – ich folge. Die Jagd beginnt.

Auf Ino blikkend.


Schon stuzzt das schüchterne Reh! – schon sorgt es für seine Sicherheit! –

Wo sind die Bogen? – Die Pfeile? –

INO. Athamas! – Um aller Götter willen! –

Was thust du? – Wo ist deine Vernunft?

ATHAMAS. Vernunft? –[97]

Hier das Feuer, so mich begeistert, wäre es Wahnsinn? –

Sucht sich zu sammeln.


Ach! – endlich erkenn ich euch! – Verzeiht! – Verzeiht! –

Weib! Kinder! unaussprechlich lieb' ich euch!

Das Jagdgetön erschallt wieder.


Wie? jene schauervolle Erscheinung – wäre sie Wahrheit?

Gewiß! Gewiß! – Komm! komm! rette mich! – rette dich! – rette deine Kinder! –

Zu spät! – Zu spät! – Das Gift durchdringt mich! – wüthendes Feuer durchströmt meine Adern!

Weh mir!

Weh! – Weh!! – Weh über dir!!!

INO. Athamas!

ATHAMAS. Wag' es nicht, Unglükkliche![98]

Ich bin die Geißel des Zorns der Götter.

Mein Hauch ist Tod – mein Blikk Verderben!

Entflieh! – Entflieh! wenn du es vermagst!

INO. Götter! – – sein Mund schäumt, seine Augen glühn! – Athamas! – höre mich! –

Erkenne mich!

Deine Ino! deine Kinder!

ATHAMAS. Zurükk Ungeheuer! – Zurükk Brut!

Wollt ihr mich erwürgen? –

Ha! hier ist Kraft des Löwen!

Zum Kampf! –

Zum Sieg! –

Stärkt mich, ihr Furien!

INO mit der Musik zugleich. Hilfe! – Rettung! – meine Kinder! –

ATHAMAS. Muthlos! – Sie entfliehn! – Nach! nach, eh' sie entrinnen!

Faßt ein Kind an.
[99]

INO unter der Musik. Halt! – halt ein! Erbarmen! Es ist dein Sohn! es ist Learch! – Erbarmen! ach!

Athamas läuft in voller Raserei mit dem Kinde ab.

Ino eilt ängstlich nach, ruft, bittet, ringt die Hände.

Die Musik begleitet den Gang dieser Handlung.


Quelle:
Johann Friedrich Reichardt: Ino, in: Melodramen, Nr. 4, Pilsen 1791, S. 75–107, S. 95-100.
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