Erste Scene.

[3] Ein Krug. Abends.

Im Hintergrunde der Stube mehre Bürger. Vorne rechts um einen großen Tisch Studenten, unter welchen Kern, Weinhold und Zunder durch phantastische Tracht ausgezeichnet. Der Wirth und Annchen, die Kellnerin, ab und zu bedienend.


KERN.

Das Studium der Historia,

Der großen, ganzen, die allgemein

Die Welt umfaßt, nicht blos Germania,

Nimmt mich mit allen Wundern jetzt ein.

Ich forsche ihren Quellen nach,

Und ich mag mich wol erdreisten,

Zu sagen laut, daß ich allgemach

Will zur Zeit in dem Fach was leisten.


Trinkt.
[3]

WEINHOLD.

Neben der dürren Prudenz des Rechts,

Die mich molestirt, je mehr, je länger,

Studir' ich die Blumen des Menschengeschlechts,

Die alten und die neuen Sänger;

Versuche mich selber, so gut es geht,

Manchmal den Parnaß breit zu treten;

Und ist auch verdorben an mir kein Poet,

Versteh' ich den Wein doch und die Poeten.


Trinkt.


ZUNDER mit Annchen schäkernd.

Schwadronirt das von Geschichte

Und Reimerei! Weinhold, alter Kern!

Da, dem Mädel guckt mal in's Gesichte

Und sagt, ob ich wo was Holderes lern'?

Ich halt' mich, bin jung, vorerst an den Becher,

Und gibt's noch was Klügeres, kommt's wol mit der Zeit;

Die Lieb' ist mir jetzt das liebste der Fächer,

Mir die einz'ge vernünft'ge Gelehrsamkeit.

Nu, Annchen, was sagst du, wie hältst es du?

ANNCHEN.

Geb' euch Recht, nur denk' ich mein Theil dazu.

KERN.

Ho, ho! da hast eins, du Feuerfang!

WEINHOLD.

Blitzmädel! Schuldet Antwort nicht lang'.[4]

ZUNDER will sie küssen.

Auch nicht auf ein Mäulchen?

ANNCHEN ihm einen leichten Backenstreich versetzend.

Auch nicht auf ein Maul!


Hüpft davon; Alle lachen.


KERN.

Die ist nicht faul!


Trinkt.


ZUNDER.

Ich wollte sie gar nicht küssen, ihr –


Trinkt.


WEINHOLD.

Wie dem Fuchs mit den Trauben, geht's dir


Singt.


Es schlich ein Fuchs um die Mauer,

Süße Trauben hingen hoch daran;

Er konnte nicht heran

Und sprach: die Trauben sind sauer.


Trinkt. Gelächter.


ZUNDER zum Wirthe.

Was hat die alte Stadt an Neuigkeiten?

WIRTH.

Die alten Übel, neue schlechte Zeiten.

WEINHOLD in den Becher guckend.

Und wol auch neuen schlechten Wein?[5]

WIRTH.

Kann auf Kreide nicht gut immer sein.

KERN.

Brav!

WEINHOLD.

Was brav? Philisterhaft gesprochen,

Sein Witz ist lahm, hat'n Bein gebrochen;

Wächst auf Kreideland nicht der Champagner?

WIRTH.

Drum macht auch so viel Streiche der –


Gelächter.


ZUNDER.

Geschlagen, Weinhold, ein and'res Lied!

WEINHOLD.

Kann dienen damit!


Singt.


Streiche hin, Streiche her,

Wirthe nichts taugen mehr;

Wär' nur der Beutel voll,

Gut wär' der Wein auch wol!


Gelächter.


KERN.

Wie kann er lang voll sein in deiner Hand,

Bei dir ist immer der Grund am Rand!


Trinkt.


Quelle:
Braun von Braunthal, [Karl Johann]: Faust. Eine Tragödie, Leipzig 1835, S. 3-6.
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