Erste Scene.

[62] Auf einer Anhöhe vor Paris.

Im Hintergrunde ein Sommerhaus; vorne mehre Bäume, zwischen welchen eine Rasenbank. Sonnenaufgang.

Faust. Bianca. Mephistopheles.

Sie sitzt traurig auf dem Rasen, Faust zur Seite. In einiger Entfernung Mephistopheles, sich in einer Eberesche schaukelnd.


FAUST.

Bianca hör', o höre mich!

Erblühe neu, für neues Leben,

Ihm Farbenschmelz und Duft zu geben,

Für deinen Faust erhalte dich!

BIANCA vor sich hin.

Himmel hier und Hölle dort!

Dürft' ich bleiben, könnt' ich fort![62]

Robert! Faust! – Wen soll ich nennen?

Was ich liebe, soll ich trennen?

FAUST zu ihren Füßen.

Bianca!

BIANCA ihn umarmend.

Faust!

FAUST.

Ist's möglich! mein?

BIANCA.

Dein! dein!

MEPHISTOPHELES singend.

Muß vom Vogelbaum herunter,

Denn die Vögel sind schon munter,

Und ihr Schnabel, spitz und fein,

Pickte selbst des Teufels Bein.


Ab.


BIANCA.

O sprich, was ist aus Robert worden?

FAUST sich erhebend.

Er lebt; doch denke nicht an ihn,

Bianca, willst du mich nicht morden,

Nicht, daß mein Leben ströme hin!

Blick' hin, wie dort die Morgensonne

Sich selig auf Paris ergießt;

Ihr Strahlenstrom mit frischer Wonne[63]

Durch Straßen hin und Gassen fließt!

O höre, wie aus hundert Kehlen

Der Liebe Zaubersang erschallt;

O sieh, wie Millionen Seelen

Jetzt faßt der Liebe Allgewalt!

Dann blick' auf mich, den Selig-Armen,

Der dich in seine Arme schließt,

Und, ist im Himmel nur Erbarmen,

So denk', daß du sein Himmel bist!

BIANCA sich an ihn schmiegend.

Der Geist, den du heraufbeschworen,

Gönnt er dir solchen Aufenthalt?

FAUST.

Er muß! Noch bin ich unverloren;

Ich habe Kraft, hat er Gewalt.

Doch fühlst du gleichen Muth in dir?

BIANCA.

O, was vermag die Liebe, sprich,

So heiße Lieb' nicht über sich!

Ihr Stamm ist Gott, vertraue mir!

Denk'; Faust, vom Weib so schwankend nicht,

Glaub' nicht, was seine Thräne spricht;

Fänd' ich auch Jammer nur und Noth,

Ich folge dir bis in den Tod!

Und meinem treuen Herzen glaube,[64]

Der Hölle wird kein Mann zur Beute,

Ihr wird kein kräft'ger Mann zum Raube

An eines edeln Weibes Seite!

FAUST.

Bianca! mein Entzücken sage dir,

Daß ich in dir mich wieder selbst gefunden,

Zwar kaum erschaut, ja kaum empfunden,

Gehör' ich dir, gehörst du ewig mir!

BIANCA.

Und Robert?

FAUST.

Lebt. Ist jung und – lebt.

BIANCA.

Mein Faust!

FAUST.

Bianca.


Umarmung.


Sieh, ein neues Leben,

Wie's nur der glüh'ndsten Phantasie entschwebt,

Soll dich fortan als holder Traum umweben!

Ich führe hin dich durch die ganze Welt,

Will alle ihre Wunder dir erschließen;

Was sie geheim im tiefsten Busen hält,

Es werde dein, du sollst's genießen;

Vom Röslein, fern der Gletscherregion,[65]

Bis hin zur Zauberblum' im glüh'nden Süden,

Sei alles dein, nimm dir zum Schmuck davon

Und zum Genusse ohn' Ermüden!

So öffn' ich dir des Lebens Wunderschachte

Auch in der Kunst; ihr Diamant,

Wie er dem Glücklichsten der Erde lachte,

Entstrahle blendend deiner Hand!

Die Lust, in ewiggleicher Jugendschöne,

Küss' deine Frühlingswange roth,

Für jeden Schmerz, für jede Thräne

Sei dein Gedächtniß todt!

Ein Rosenflor soll weh'n um Kirchhofsmauern,

Mit Nachtigallen streite die Alraune,

Mit Flöten die Posaune,

Mit Maienhauch des Fiebers Schauern;

Und so gewinne

Mit holdem Trug ich jeden deiner Sinne,

Bis mir dein ganzes Sein gestehen soll:

Mir ist so unaussprechlich wohl!

BIANCA.

Auch ohne alle Wunder ist mir so:

Mein Herz ist selig, blick' ich auch nicht froh!

FAUST.

Ich führe dich in Städte und Paläste,

Zu Tanz und Spiel!

Das Gold ist der willkommenste der Gäste,

Ich habe dessen viel![66]

Sodann des Geistes magischer Trug,

Ich habe dessen nicht minder genug,

Dein süßes Antlitz, meine Kraft,

Sie öffnen uns die Herzen all',

Die werden unsrer Leidenschaft

Zum Federball!

Du aber seist das Bild von jedem Rahmen,

Entzücket nenne Jedes deinen Namen,

Du sollst die Schönste sein von allen Frauen,

Wie du die Beste bist von allen Besten,

Nur mit Bewund'rung soll man dich erschauen

Als Königin von allen Festen!

BIANCA.

Und jener böse Geist? –

FAUST.

Ich kann,

Ich will ihm einen Kreis beschreiben,

In dessen Bann

Er immer gleich entfernt muß bleiben.

BIANCA.

O thu's!

FAUST.

Indem ich denke, ist's gescheh'n!

Du wirst ihn nimmer nahekommen seh'n.

MEPHISTOPHELES aus der Ferne.

Weh![67]

BIANCA sich an Faust schmiegend.

Nun erst athm' ich wieder frei,

Nun führ' mich hin, wohin es sei!

FAUST.

Die Welt ist mein,

Und ich bin dein!


Beide ab.


Quelle:
Braun von Braunthal, [Karl Johann]: Faust. Eine Tragödie, Leipzig 1835, S. 62-68.
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