Zweyter Auftritt.

[118] Henley. Klerdon.


KLERDON unruhig. Ich muß zu Ihnen, liebster Freund, meine Zuflucht nehmen. – Eine tödtende Unruhe jagt mich überall herum; – meine ganze Seele ist Aufruhr.

HENLEY. Ich erstanne, Klerdon! welche eine plötzliche Ursache – – –

KLERDON. Nicht plötzliche, Henley! Schon seit einiger Zeit haben die oft erwachenden – – – wie soll ich sie nennen? – – Vorurtheile der Kindheit – – ja, diese mögen es zu meiner Beruhigung seyn! – – – mein Innres in eine qualvolle[118] Zerrüttung gesetzt; schon lange hat das Andenken meines unglücklichen Vaters alle Ruhe aus meiner Seele verwiesen.

HENLEY. Ich weiß es, ich kenne die unmännliche Schwermuth, die Sie manchmal befällt, und ich erröthe Ihrentwegen darüber. Aber ein so wildes Entsetzen, eine so außerordentliche Bangigkeit nahm ich nie an Ihnen wahr.

KLERDON. Nein, ich darf Ihnen die Ursache nicht eröffnen. Sie würden meiner spotten.

HENLEY. Ich Ihrer spotten! Beleidigende Vermuthung! Nein, Klerdon, ich bin weder ein Unmensch, noch ein verächtlicher Leichtsinniger. Eins von bei den muß der seyn, der über einen Freund in der Betrübniß spotten kann. Ich würde fürchten müssen, daß Ihre Freundschaft gegen mich zu ermatten anfienge, wenn Sie länger anstünden, mir Ihre Bekümmernisse mitzutheilen.

KLERDON. Was werden Sie sagen, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich unmännlich, daß ich klein genug bin, mich durch die nächtliche Geburt einer beunruhigten Einbildung so aufbringen zu lassen?[119]

HENLEY. Wie? Ists möglich – – –

KLERDON. Ja, meine Schande ist Ihnen nunmehr bekannt; o! könnte ich sie vor mir selbst verbergen! Haben Sie Mitleiden mit meiner Schwachheit – Doch lassen Sie mir Gerechtigkeit wiederfahren; nicht das fürchterliche Schicksal, das mir verkündigt zu werden scheint, schrecket mich: Diese Drohungen, die eiteln Geschöpfe eines aufgebrachten Blutes, war ich nie zu achten gewohnt; nur das Andenken meines Vaters, das so stark in mir rege gemacht worden, quälet mich. Mir kam es vor, als sähe ich ihn diese Nacht, und wie? – peinigende Vorstellung! – sterbend zu meinen Füßen liegen. Schon hatte eine tödtliche Blässe sich über sein ehrwürdiges Gesicht gezogen. Seine Augen, die in Thränen schwammen, richteten sich flehend nach mir empor. Kein Unwille flammte in ihnen; sie kündigten nur den gütigen, den versöhnten Vater an. Er breitete seine zitternden Hände gegen mich aus, und bat mich mit gebrochner und sterbender, doch, Henley, mit so rührender Stimme, daß mein Innerstes sie hörte: – mich einem fürchterlichen Abgrunde nicht zu nähern, zu[120] welchem nicht fern von uns ein lockendes Ungeheuer (das Schrecken hat gemacht, daß ich seine Gestalt vergessen) mich hinrief. Er fiel endlich todt zu meinen Füßen nieder. Ganz außer mir, ward ich von Empfindungen, die allen Ausdruck übersteigen, durchstürmt – – –

HENLEY. Vielleicht haben die beständigen zaghaften Vorstellungen – – –

KLERDON. Hören Sie den Erfolg. Mich dünkte, die schmeichelnde Stimme des Ungeheuers besänftigte nach und nach diese brau'enden Bewegungen. Ja, bewundern Sie, Freund, die Gewalt derselben; sie zwang mich die Ermahnungen meines Vaters zu vergessen, und mich dem Abgrunde zu nähern. Doch in dem Augenblicke schien eine glänzende Wolke eine prächtige Gestalt aus ihrem Schooße herabzulassen, in der ich die Züge des Granville, der sonst mein Freund war, zu erkennen glaubte, nur daß sie mit etwas Feyerlichem und Erhabnem vermischt waren, das über die Menschheit, selbst in ihrer größten Würde, ist. Ein majestätischer Schimmer durchfloß den ganzen Raum um ihn her. Mit freundlicher Hand wollte[121] er mich von dem gefährlichen Orte hinwegwenden; verächtlich stieß ich sie zurück, und in diesem Augenblick kam es mir vor, als wenn das Ungeheuer meinen Freund vor meinen Augen tödtete. Wütend stürzte ich mich auf dasselbe los, ihn zu rächen, als plötzlich (wie flieht meine Seele vor der schrecklichen Erinnerung zurück!) der ganze Himmel sich über uns öffnete, und Feuer und Ungewitter ward. Ein stürmender Donner schleuderte mich und den Vorwurf meiner Rache in den gräßlichsten Abgrund hinab, und ich erwachte.

HENLEY. Allzu schwacher Freund! dieß kann Sie ängstigen?

KLERDON. Ich gestehe es, ich schäme mich vor mir selbst; und was mir Erstaunen erweckt, so scheint seit einiger Zeit meine ganze Natur ausgeartet zu seyn, und eine gewisse, unwiderstehbare Schwermuth ihr Gift durch meine Seele ergossen zu haben. Ueberall öffnen sich mir dunkle melancholische Aussichten; überall bin ich, wie mich dünkt, von Gefahren belagert.

HENLEY. Dieß macht, weil Sie Sich noch nicht ganz von dem Joche der alten Vorurtheile entfesselt,[122] Sich noch nicht weit genug über den Pöbel hinweg geschwungen haben, und immer schüchtern zurück sehn.

KLERDON. Sollte denn aber dieser innre Zwang, dieses unüberwindliche Gefühl, dieses Schwerdt, das – – ich will aufrichtig reden! – – – meine Brust oft mitten unter den Spöttereyen durchbohrte, mit denen ich die Religion angriff, sollte dieß alles nur Gewohnheit, nur Vorurtheil seyn?

HENLEY. Nicht anders! Gewohnheit, Vorurtheil, Milzbeschwerung, wie Sie es nennen wollen. Wie sind Sie doch heute so überaus kleinmüthig! Ein Traum – – – denken Sie mir nicht mehr daran! es schmerzt mich zu sehr, Sie so erniedrigt zu sehn.

KLERDON nach einigem Nachsinnen. Unglücklicher, liebreicher Vater, wie grausam habe ich dir begegnet!

HENLEY. Hören Sie auf! Sie werden immer schwermüthiger. – Doch eben itzt finde ich ein bequemes Mittel darwider. Die blühenden Gänge des Gartens dieses Hauses scheinen Sie zu rufen.[123] Dieser entzückende, Morgen hat alle ihre Schönheiten erhöht. Versuchen Sie es; vielleicht verwehen frischere Lüfte die Nebel Ihres Gemüthes. Sie müßten sehr fühllos seyn, wenn bey dem Anblicke jener lachenden Aussichten, keine sanfte Wollust sich Ihrer bemeistern sollte. Ich würde Sie begleiten, wenn nicht einige Geschäffte mich zurück hielten.


Klerdon geht ab.


Quelle:
Joachim Wilhelm von Brawe: Der Freygeist, in: Trauerspiele des_–, Berlin 1763, S. 118-124.
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