[Eine feine reine Myrte]

[541] Eine feine reine Myrte

Und ein Opfertaubenpaar

Das im Traume girrend schwirrte,

Küßt ein Hirte den Altar.


Süße Rebe schlanker Ranken

Weinbeer und Gedanken voll

Ob man küssen die Gedanken,

Ob die Beerlein denken soll.


Schatz von Seelenlustjuwelen

Schließt der Elfenbeinschrein ein

Doch nur Küsse kann man stehlen

Fest liegt's Himmelschlüsselbein.


Ein verstummend Fühlgewächschen

Ein Verlangen abgewandt

Ein erstarrend Zitterhexchen

Zuckeflämmchen nie verbrannt.


Offnes Rätsel, nie zu lösen,

Stäter Wechsel, fest gewöhnt,[541]

Wesen, wie noch keins gewesen

Leicht versöhnt und schwer verschönt.


Ein beredsam tiefes Schweigen

Ein Versteck, der offen liegt,

Ganz ergossen, sich nur eigen,

Ein Ergeben, nie besiegt.


Sonnenwahr, ach glauben muß ich!

Hoffen? möcht' ich – Wechselmond!

Lieben? – weil ein Sternenkuß ich,

Der an diesem Himmel wohnt.


Köpfchen sinn- schier eigensinnig,

Pfeildurchblitzte Lockennacht,

Augen innig, Wangen minnig,

Mundes Wunde schmachtend lacht.


Nase üblich, Öhrchen lieblich,

Läppchen Zuckertröpfchen lind,

Kinn ein bißchen zu verschieblich,

Wird betrüblich mein süß Lind.


Auf dem Kehlchen wiegt das Köpfchen

Blumenglöckchen auf dem Stiel,

Seelchen, selig Taueströpfchen,

Das hinein vom Himmel fiel.


Reiner, feiner Nacken! sterben

Möcht' in Küssen ich an dir

Könnt' ich nur mein Küssen erben

Ließ' ich gern mein Leben hier.


Und die Schultern fein gesenket,

Kühl und süß mein Haupt hier ruht.

Träumet, flüstert, dichtet, denket

Licht und Wort und Fleisch und Blut.[542]


Und nun küss' ich euch zwei Flügel,

Küssend, sagt man, wächst der Flaum,

Jenseits über süße Hügel

Schwebet schon der schwüle Traum.


Ach wenn ich euch doch nicht wüßte

Weiße Lämmchen nahebei,

Wenn ich euch nicht suchen müßte,

Küssen nicht, dann wär' ich frei.


Himmelsschäfchen, süß verschwiegen,

Schwanenbettchen, linder Schaum,

Ach ihr feinen Liebeswiegen

Wieget einen Kindertraum.


Klare, linde Lebensquelle

Becher, Trank und Flut und Brand

Dürstend schmacht ich nach der Welle

Und sie hüpft mir in die Hand.


Und o Liebe, das Geschöpfchen

Mir ans Herz nun selber sinkt,

Wie ein Myrtenreis im Töpfchen,

Das an einer Quelle trinkt.


Süße Hange und Verlange

Süßer, schlanker Schlangenleib

Sei nicht bange, währt nicht lange,

Fliehe Schlange, bleib süß Weib!


Süß Syrene auf der Hüfte

Wiegst du dich am Felsenriff

Selig, wer vorüberschiffte,

Wen der Zauber nicht ergriff.


Tempel auf zwei Säulchen tüchtig

Aller Liebesgötter voll,

O Asyl, bin liebesflüchtig

Weiß wohin ich fliehen soll.[543]


Hätte ich dich selbst beleidigt,

Flöh' zu dir ich, Huldaltar,

Würd' von dir geschützt, verteidigt,

Ja ich weiß es, es ist wahr.


Und nun ruh' ich dir zu Füßen,

Bin ganz krank vor Lust und Weh

Sag süß Lieb, sag darf ich küssen,

Die dich schmerzt die kleine Zeh?


Sieh das Strumpfband dicht voll Küssen!

Nur die trunknen Küsse sahn's,

Schwester braucht das nicht zu wissen

Honny soit, qui mal y pense.


Sag Emilie! laß dich fragen,

Hast du dies mein Glück gesehn?

Hast du's in dein Bett getragen?

– Nein! jetzt will ich schlafen gehn.


Bitte, bitte, ganz vertraulich

Muß mich kämmen, wäschen gehn,

Bin dabei nicht sehr beschaulich,

Tu nicht vor dem Spiegel stehn.


Lieber hast du dir getrieben

Aus mir einen Blumenstrauß,

Hast ihn trunken mir beschrieben

Dichter trag ihn dir nach Haus.


Bitte, bitte, gehen, gehen,

Alles zwar ist mir nicht fremd,

Doch kann ich bei Nacht nicht sehen

Denn am Hälschen schließt das Hemd.


Und weil man mich Turteltäubchen

Leicht nicht unters Häubchen bringt

So vergess' ich im Nachthäubchen

Was zu dichten dir gelingt.[544]


Gehen, gehen, bitte, bitte!

Ach ich weiß nicht, bin's, bin's nicht,

Mein Wachsstöckchen! – liebe Schritte!

Lebe wohl, du letztes Licht.


Noch ein flehendes Umarmen,

Schon die Klingel in der Hand

Und ich flieh' aus Lichtes Armen

In die Nacht, die draußen stand.


Nacht! hast du mein Glück gesehen?

– Nein, doch oft vor dir versteckt,

– Licht am Fenster – Schlafen gehen,

Ausgestreckt und zugedeckt!


Über mich zwar ist's gekommen

Denn dein Glück kam über Nacht,

Hast du's in den Arm genommen

Ist der Traum mit dir erwacht.


Traum! bist du mein Glück gewesen?

Nein sein Bild nur auf Besuch,

Wo dein Glück ist kannst du lesen

Br. Br. Br. im kleinen Buch.


Wenn das Pferdchen toll will springen,

Das die süße Linder trug,

Muß mit Br. Br. Br. sie's zwingen,

Br. Br. Br. ist nie genug.


Pferde sind die Leidenschaften,

Br. Br. Br. ach halte Fug

Soll die Lieb' im Sattel haften

Br. Br. Br. so werde klug.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 541-545.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ausgewählte Gedichte
Märchen / Ausgewählte Gedichte (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Reuter, Christian

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod

Die Fortsetzung der Spottschrift »L'Honnête Femme Oder die Ehrliche Frau zu Plissline« widmet sich in neuen Episoden dem kleinbürgerlichen Leben der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«.

46 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon