[Ich bin aus fremdem Land gekommen]

[445] Ich bin aus fremdem Land gekommen

Ein fremder, armer, kranker Mann[445]

Du hast mich liebvoll aufgenommen

Wie Jesus es und Jesu Freundin kann.


Was du gehabt, hast du geteilet,

Dein Brot, jed Wort aus Gottes Mund,

Du hast geliebet und geheilet,

Und hast geschlossen mir den neuen Bund.


Du läßt mich fremden Mann nicht scheiden

Du hast ihm auch den Weg gezeigt,

Den Weg der über Lieb' und Leiden

Zum Kreuz, und bis zur Siegeskrone steigt.


Ich durft' dir all mein Heimweh klagen,

Und was mich in der Fremde hält,

Du halfst die Last mir hinzutragen,

Zum Lamme, das da trägt die Schuld der Welt.


Und daß ich nicht beschämet werde,

Hast du auch deine Last bekannt,

Saßt bei mir an der dunklen Erde

Von der der liebe Heiland auferstand.


Wir haben uns wohl weinen sehen,

Und haben uns auch angelacht,

Und wollen still den Kreuzweg gehen

Bis wir einst sagen, Herr es ist vollbracht.


Du wie du liebend mich geführet,

Da sprachst du gar ein freundlich Wort

Das hat mich durch und durch gerühret,

Und soll mich rühren immer fort und fort.


Du sprachst, da sind wir ja vereinet

Ich, du und sie, ich kenn' sie gut,

Ich weiß, wie innig sie es meinet

Und wie sie glaubend hofft auf Jesu Blut.[446]


Und auch die Trösterin der Sünder,

Die Mutter, die das Kindlein trug

Das zu uns sprach, seid wie die Kinder,

War da zur Seligkeit uns nah genug.


Zusammen sind wir auch gegangen

Vereinet zu Sankt Klemens' Grab –

Der deinem liebenden Verlangen

Für mich ein heil'ges liebes Kleinod gab.


Auch an den Ölberg durft' ich gehen

Mit dir in seines Sohns Person.

Zum lieben Vater aufzuflehen,

Der nichts versagt dem eingebornen Sohn.


Und zu der Kerker Jammerhöhlen,

Hat deine Liebe mich geführt,

Durch dich hat mich der armen Seelen

Betrübter hülfsbedürft'ger Stand gerührt.


Und hin zum heil'gen Kirchenleibe

Hin zu der Heil'gen Freudenchor,

Hobst du, daß sie einst Blüten treibe

Des armen Sünders dürre Hand empor.


Auch durch die Wüste durft' ich ziehen,

Durft' schreien nach ersehnter Frucht,

Wo wir die Schwester sahen fliehen,

Die wir bis jetzt vergebens aufgesucht.


Was haben alles wir gesehen,

Was haben alles wir geliebt,

Und müssen auf der Erde stehen

Die Dorn und Blumen auf die Gräber giebt.


Doch wollen wir die Dornen wählen,

Die Dornen, die der Heiland trug,

Und wollen nicht die Tränen zählen,

Um unsre Schuld sind deren nie genug.[447]


Und nie genug um seine Leiden,

Und nie genug um unsre Schuld,

Und wenn wir von einander scheiden,

So gebe Jesus mir die göttliche Geduld.


Geduld die heute wir verehren

Jn dir du heil'ge Martyrin!

Sankt Katharina, wir begehren

Führ' uns zu deinem, unserm Heiland hin.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 445-448.
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