[Komm heraus, komm heraus] [1]

[616] Die Gespielen


Komm heraus, komm heraus, o du schöne, schöne Braut,

Deine guten Tage sind nun alle, alle aus,

Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,

O wie weinet die schöne Braut so sehr!

Mußt die Mägdlein lassen stehn,

Mußt nun zu den Frauen gehn.


Die Lilienfräulein


Ihr klugen Jungfraun zieht hinaus,

Die Lampen sind geschmücket,

Ans Herz den reinen Blumenstrauß

Der Bräutigam nun drücket,

Ihr Lilien gebt der Braut Geleit,

Ihr tragt ein schönres Ehrenkleid,

Ein hochzeitlicheres Geschmeid,

Als Salomo in Herrlichkeit.


Die Gespielen


Lege an, lege an heut auf kurze, kurze Zeit

Deine Seidenröslein, dein reiches Brustgeschmeid,

Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,[616]

O wie weinet die schöne Braut so sehr!

Mußt die Zöpflein schließen ein

Unterm goldnen Häubelein.


Die Lilienfräulein


Heb an du liebe Nachtigall

Dein kunstreich Figurieren,

Hilf uns mit deinem süßen Schall

Das Brautlied musizieren,

Das Lerchlein soll sein – »dir, dir, dir,

Dir Gott sei Lob« auch für und für

Erschwingen in dem höchsten Ton

Bis auf zu Gott im Himmelsthron.


Die Gespielen


Lache nicht, lache nicht, deine Gold- und Perlenschuh,

Werden dich schon drücken, sind eng genug dazu,

Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,

O wie weinet die schöne Braut so sehr!

Wenn die andern tanzen gehn,

Mußt du bei der Wiege stehn.


Die Lilienfräulein


Du blauer Himmel spann' ein Zelt,

Den Bräutigam zu grüßen,

Ihr Blümlein webet übers Feld

Den Teppich ihm zu Füßen,

Ihr Lüftlein reget dann geschwind

Die Glöcklein, daß sie duftend lind

Tau-Perlen streuen auf der Au

Ums arme Kind von Hennegau.


Die Gespielen


Winke nur, winke nur, sind gar leichte, leichte Wink,

Bis den Finger drücket der goldne Treuering.[617]

Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,

O wie weinet die schöne Braut so sehr!

Ringlein sehn heut lieblich aus,

Morgen werden Fesseln draus.


Die Lilienfräulein


Wir Lilien aus dem Liliental,

Wir kehren einstens wieder,

Dann in ein Bettchen eng und schmal

Sinkt müd dein Brautkleid nieder,

Dann naht der Seelenbräutigam

Das Lamm von königlichem Stamm,

Und wer ihm nicht entgegengeht,

Bleibt unerhört und unerhöht.


Die Gespielen


Springe heut, springe heut deinen letzten, letzten Tanz,

Welken erst die Rosen, stehn Dornen in dem Kranz,

Dein Schleierlein weht so feucht und tränenschwer,

O wie weinet die schöne Braut so sehr!

Mußt die Blümlein lassen stehn,

Mußt nun auf den Acker gehn.


Die Lilienfräulein


Führt sternenreine Engellein

Die Braut auf guter Weide,

Durch Lieb und Leid, bis klar und rein

Der Geist im Lilienkleide

Sich scheidet von dem Dornental

Und mit uns singt beim Hochzeitsmahl:

O Stern und Blume, Geist und Kleid

Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 616-618.
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