[Weit bin ich einhergezogen]

[243] Weit bin ich einhergezogen

Über Berg und über Tal,

Der treue Himmelsbogen

Er umgibt mich überall.


Unter Eichen, unter Buchen,

An dem wilden Wasserfall

Muß ich nun die Herberg suchen

Bei der lieb Frau Nachtigall.


Die im brünst'gen Abendliede

Ihre Gäste wohl bedenkt,

Bis sich Schlaf und Traum und Friede

Auf die müde Seele senkt.


Und ich hör' dieselben Klagen

Und ich hör' dieselbe Lust

Und ich fühl' das Herz mir schlagen

Hier wie dort in meiner Brust.


Aus dem Fluß, der mir zu Füßen

Spielt mit freudigem Gebraus,[243]

Mich dieselben Sterne grüßen

Und so bin ich hier zu Haus.


Echo nimm dir recht zu Herzen

Und erlern' die Melodie

Meiner Freuden, meiner Schmerzen:

Ameleya! Ameley!

Blühet stolz ihr Königskerzen,

Ameleya! Ameley!


Wunderinseln, sel'ge Augen,

Die ein liebes Antlitz sehn,

In dem Monde untertauchen,

In der Sonne auferstehn.


Sonn und Mond, ihr lichten Hügel,

Schließet ein die ird'sche Kluft

Und das Leben senkt den Flügel

In des Traumes Zaubergruft.


Wo die Tiefe sich entsiegelt,

Und die Liebe frank und frei

In der ganzen Seele spiegelt

Ameleya! Ameley!


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 243-244.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ausgewählte Gedichte
Märchen / Ausgewählte Gedichte (Fischer Klassik)