Am 17. Mai 1817

[376] Als sie bei M.K. war, bat ich den Herrn er möge zu mir in dem Paradiesgarten ihrer Anmut in den er mich gesetzt also zu mir sprechen.


Pilger! all der Blumenschein

All die Früchte hier sind mein,

Auch kein Blättchen will ich missen

Wer mir nur ein Keimchen knickt[376]

Das ich liebvoll angeblickt

Trage Dornen im Gewissen.

Herr! ach ist dies alles dein,

O so laß mich dein auch sein!


Pilger! was hier blühend steht,

Ist die Saat, die ich gesäet,

Und wenn ich ein Unkraut fände,

Zwischen meiner Blumenzier,

Nähm' ich Rechenschaft von dir,

Darum falte deine Hände!

Herr ach säe mein Gebet

Hier ins dürrste Gartenbeet.


Pilger! du bist hergeführt,

Daß dein böser Sinn es spürt,

Wie ich könnt' in Blumen wallen,

Und nun Dornen trägt mein Haupt,

Weil du mir den Kranz geraubt,

Der an dir mir wohlgefallen.

Herr dein Dornenkranz mich rührt,

Gieb ihn mir, dem er gebührt.


Pilger, auf der Maienau

In den Blumen, in dem Tau

Sieh die Spur, die ich gegangen

Und du sollst des Weges nur

Nicht des trunknen Schmucks der Flur

Sollst allein nach mir verlangen.

Herr! auf meine Tritte schau,

Mir am Ziel die Hütte bau!


Pilger wenn die Sehnsucht singt

Und ein Kind die Ärmchen schwingt

Fliegen möcht', ein Nestchen bauen

Brüten in des Kalmus Rohr

Schau du so zum Kreuz empor

Daß ich dir ins Herz kann schauen.[377]

Herr und wenn es mir gelingt

Schau es an, daß es zerspringt.


Pilger! wenn ein Blumenstern

Dir ins Aug' blickt, er ist fern,

Himmelfern, in meinem Garten

Hat die Liebe dann geweht,

Und den Stern nach dir gedreht,

Du sollst auf die Ernde warten,

Herr, trag' ich nur einen Kern,

Find' ich Gnade vor dem Herrn.


Pilger! wenn vom Blütenzelt

Dir aufs Herz ein Blättchen fällt

Sollst du nicht, was mein begehren,

Denn dein Herz ist mein Altar,

Wo, so rein die Blüte war,

Sie mein Feuer will verzehren.

Herr, verzehr' die ganze Welt

Da, so dir mein Herz gefällt.


Pilger, wenn ein blühend Reis,

Kindisch froh um sich nicht weiß,

Und sich schwingend um dich schlinget

Denk, wie ist mein Heiland gut

Ruten schlugen ihn aufs Blut

Und zu mir er Blumen schwinget.

Herr die kühlen Blüten weiß

Nimm auf deine Wunden heiß.


Pilger, alles was da blüht,

Sich in Unschuld sehnt und glüht

Dichtet, betet, weint und lachet

Frommes Leid, unschuld'ge Lust,

Unbewußt in Kindesbrust,

Sei getreu von dir bewachet.

Herr! wird je dein Gast zu müd,

Töt' ihn, eh' er was versieht.[378]


Herr, ach sage für und für,

Wie ich nur im Garten hier

Unter deinen Blumen gehe

Daß des Lebens reinster Born

Mir im Fuße heil' den Dorn,

Daß ich heil zum Heiland gehe.

Herr! dies sage mir und Ihr,

Sag ihr, denk, ich gab ihn dir.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 376-379.
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