Am St. Niklastag. 1826

[479] Sieh ich bin eine Magd des Herrn

Das ist der Umfang und der Kern

Der Jungfraunbildung nah und fern

Die nur von Jesu Mutter lern'!

Die recht Sophia, Weisheit heißt,

Die lernt' es auch vom heil'gen Geist

Spes, Fides, Caritas, das sind

Glaub', Hoffnung, Lieb', der Weisheit Kind,

Die kannten Umfang auch und Kern

Der Jungfraunschule nah und fern

Im: Sieh, ich bin die Magd des Herrn

Und starben für den Glauben gern.

Was du davon nicht weißt, das lern',

Und bitte um den heil'gen Geist,

Und tu, was dich die Mutter heißt,

Und was der Vater haben will,

Ganz unverdrossen, freudig, still,

Der Mutter, die das Haus bestellt,

Dem Vater, der dich nährt und hält,

Der Mutter, die die Kirche heißt,

Dem Vater, Sohn und heil'gen Geist,

Dem ein und andern folge mild,

Denn eines ist des andern Bild.

Wie Flachs, so den verwirrten Sinn

Recht klopfe, breche, hechle, spinn'

Zu einem Faden klar und fein,

Dann wird's ein Tuch hübsch glatt und rein,

Fürs Krippen- oder Wiegenkind

So wie der Herr es tauglich findt.

Putz' den Salat, belese rein

Erbs', Lins', und Reis von Staub und Stein

Das bringt's Gewissen noch so weit,

Als Putz und als Belesenheit.

Das Fleisch wasch', beiz' und mürb es klopf'

Und schieb's zum Feuer und deck' den Topf,

Dämpf', sied's und brat's, wirf weg den Schaum,[480]

Und denk an Zügel und an Zaum

Den Tisch deck' immer ganz komplett,

Die Nadel an der Serviett'

Vergesse nicht, und halt dich nett

Von Suppen und von Bratenfett.

Denk daß das ein' das andre sei,

Und sei nur erst im Kleinen treu,

Wenn dir's nicht mehr vor Kleinem graut,

Wird dir das Größre auch vertraut.

Küß, drück' nicht viel den lieben Mier,

Der Mensch ist ein kurioses Tier,

Ein Maulekuß auch noch so rein

Küßt Übels mehr als Guts hinein.

Am Freitag fehl' nicht im Verein,

Denk: Jesus litt heut ganz allein,

Ich sitz' mit lust'gen Kindern warm

Und nähe, daß sich Gott erbarm'!

Das Schlachten mut't dir niemand zu,

Drum nie den Hahn hilf schlachten du,

Der früh die Magd herausgekräht,

Wie's in der alten Fabel steht.

Laß schlafen jene faule Magd,

Nach der Sankt Niklas gar nichts fragt,

Steh auf und grüß' den Morgenstern,

Sprich: sieh, ich bin die Magd des Herrn!

Und sei zur Kirche schnell bereit,

Denk nicht, es ist noch lange Zeit,

Denn, wenn man erst zusammenläut't,

Dann kömmt Gericht und Ewigkeit.

Und will der Kopf sich wie ein Pfau

Ausspreizen, auf die Füß' nur schau,

Und wollen die stolzieren gehn,

Dann darfst du auf ein Kreuz nur sehn,

Wie da die Schuld, die Lust, der Stolz

Gegeißelt an ein schmählich Holz

Die Unschuld angenagelt hat,

Denk: ich gehör' an seine Statt.

So denk und sei die Magd des Herrn,[481]

Sankt Niklas hat die Mägdlein gern

Er warf dem Vater Geld ins Haus,

Der steuerte drei Bräute aus.

Näh', koch', back', bet', lieb', hoff', und glaub',

Bringt hier und jenseits unter die Haub'!


So werde die Emilia

Ein Vorbild für Othilia,

Und inter spinas Lilia

Und alia similia.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 479-482.
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