An S.

[81] Wie war dein Leben

So voller Glanz,

Wie war dein Morgen

So kindlich Lächlen,

Wie haben sich alle

Um dich geliebt,

Wie kam dein Abend

So betend zu dir,

Und alle beteten

An deinem Abend.


Wie bist du verstummt

In freundlichen Worten,

Und wie dein Aug' brach

In sehnenden Tränen,

Ach da schwiegen alle Worte

Und alle Tränen

Gingen mit ihr.


Wohl ging ich einsam,

Wie ich jetzt gehe,

Und dachte deiner,

Mit Liebe und Treue –

Da warst du noch da

Und sprachst lächlend:

Sehne dich nimmer nach mir,

Da der Lenz noch so freudig ist

Und die Sonne noch scheint –[81]


Am stillen Abend,

Wenn die Rosen nicht mehr glühen

Und die Töne stumm werden,

Will ich bei dir sein

In traulicher Liebe,

Und dir sagen,

Wie mir am Tage war.


Aber mich schmerzte tief,

Daß ich so einsam sei,

Und vieles im Herzen.

O warum bist du nicht bei mir!

Sprach ich, und siehst mich

Und liebst mich,

Denn mich haben manche verschmäht,

Und ich vergesse nimmer,

Wie sie falsch waren

Und ich so treu und ein Kind.


Da lächeltest du des Kindes

Im einsamen Wege,

Und sprachst: harre zum Abend,

Da bist du ruhig

Und ich bei dir in Ruhe.


Dein Herz wie war es da,

Daß du nicht trautest,

Viel Schmerzen waren in dir,

Aber du warest größer als Schmerzen,

Wie die Liebe, die süßer ist,

Als all ihr Schmerz.


Und die Armut, der du gabst,

War all dein Trost,

Und die Liebe, die du freundlich

Anderen pflegtest,

War all deine Liebe.[82]


Einsam ging ich nicht mehr,

Du warst mir begegnet

Und blicktest mich an –

Scherzend war dein Aug'

Und deine Lippe so tröstend –

Dein Herz lag gereift

In der liebenden Brust.


Freundlich sprachst du:

Nun ist bald Abend,

Gehe, vollende,

Daß wir dann ruhen,

Und sprechen vom Tage.


Wie ich mich wendete –

Ach der Weg war so schwer!

Langsam schritt ich,

Und jeder Schritt wollte wurzeln,

Ich wollte werden wie ein Baum,

All meine Arme,

Blüten und Blätter,

Sehnend dir neigen.


Oft blickte ich rückwärts

Hin, wo du warst,

Da lagen noch Strahlen,

Da war noch Sonne

Und die hohen Bäume glänzten

Im ernsten Garten,

Wo du gingst.


Ach der Abend wird nicht kommen

Und die Ruhe nicht,

Auf Erden ist keine Ruhe.


Nun ist es Abend,

Aber wo bist du?

Daß ich dir sage,

Wie der Tag war.[83]


Warum hörtest du mich nicht,

Als du noch da warst?

Nun bin ich einsam,

Und denke deiner

Liebend und treu.


Die Sonne scheint nicht,

Und die Rosen glühen nicht,

Stumm sind die Töne –

O! warum kömmst du nicht,

Willst du nicht halten,

Was du versprachst?

Willst du nicht hören,

Soll ich nicht hören,

Wie der Tag war?


Wie war dein Leben,

So voller Glanz,

Wie war dein Morgen

So kindlich Lächlen,

Wie habe ich immer

Um dich mich geliebt,

Wie kömmt dein Abend

So betend zu mir,

Und wie bete ich

An deinem Abend.


Am Tage hörtest du mich nicht,

Denn du warst der Tag,

Du kamst nicht am Abend,

Denn du bist der Abend geworden.


Wie ist der Tag verstummt

In freundlichen Worten,

Wie ist sein Aug' gebrochen

In sehnenden Tränen,

Ach da schweigen alle meine Worte,

Und meine Sehnsucht zieht mit dir.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 81-84.
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