Bußgesang eines zerknirschten Herzens

[497] Wenn abends uns die braune Nacht

In Schatten schwarz verkleidet,

Wenn dann ich meine Schuld betracht',

Mein Herz in Ängsten streitet,

In Tränen, Leid, und Traurigkeit

Die Augen mir zerrinnen,

Zum Himmel auf, zum Sternenlauf,

Schau' ich mit trüben Sinnen!


Verweilt ihr Perlen schimmernd klar,

Ihr makellosen Lichter,

Verweil' du Fackelträgerschar,

Hellflammend vor dem Richter!

Sternhimmel, über dem Er thront,

Vernehme meine Klagen,

Du Mond, der Ihm zu Füßen wohnt,

Hör' an mein Leid und Zagen!


Weh' mir! o Angst und Herzeleid!

Mit Schuld bin ich umfangen;[497]

Auf, auf, ihr heißen Brünnlein beid',

Nun strömt mir von den Wangen!

Klagt, schöne Sterne, meine Not,

Von Gott bin ich gewichen!

Ach schöner Mond, in Sünde Tod

Ist meine Seel' erblichen!


Ström' ab, ström' ab, du Tränenbad,

Mein Leid kann dich nicht halten,

Rein wasche mich von Missetat,

Das Herz ist mir zerspalten!

O treuer Gott, all Dein Gebot

Hab' ich in Wind geschlagen!

Fern von dem Herrn, zum Sündentod

Hat mich die Schuld getragen!


Wie wird mir's nun vor Dir ergehn?

Kein Recht kann mich beschönen!

Wie soll ich nun vor Dir bestehn

Dein Angesicht versöhnen?

Ich war verkehrt, o Schöpfer, wert!

Stumm muß ich vor Dir knieen,

Wohl bin ich wert, daß Feur und Schwert,

Das Recht an mir vollziehen!


Herr, stelle nicht in Eifermut

Dir meine Sünd' entgegen,

Laß nicht in des Gerichtes Glut

Mit Strafe mich belegen.

Dein Gnadenbund macht mich gesund;

Herr! Nicht der Sünd' gedenke,

Ach! jetzt zur Stund' zum Meeresgrund

All meine Schuld versenke!


Herr, gib, daß ich mit Zähren heiß

Dir Deinen Zorn begüte,

Mach mich recht schnee- und schwanenweiß,

Verleih' mir neue Blüte![498]

Ach! was geschehn, wer kann's umgehn?

Herr, sieh mein Herz in Schmerze

Entflammet stehn, sieh! Trän' auf Trän'

Zerrinnt's gleich einer Kerze!


Ach, dürft' ich zu den Augen Dein,

Die meinen nur aufschlagen!

Dürft' ich Dich nennen, Vater mein,

Wie zärtlich wollt' ich klagen!

O Vater mein, wollt' ich allein,

O Vater mein, nur sprechen,

Es müßte rein der Gnade Schein

Dir bald Dein Herz durchbrechen!


Da würd' Dein mildes Eingeweid',

Wie Wachs im Feuer fließen,

Du würdest mich mit Armen beid

An Deine Wangen schließen,

Herr, spräch' ich dann, ach! nimm nur an,

Nach Deiner großen Milde,

Nimm an geschwind, Dein armes Kind,

Verirrt war's in der Wilde.


Du würdest den verlornen Sohn

Mit Freuden groß empfangen,

Du gäbst ihm die verlorne Kron',

Mit Kleinod reich umhangen.

Dem neuen Kind ließt Du geschwind

Ein Freudenmahl anrüsten,

Die bei Dir sind, Dein Hofgesind',

All mit Dir jubeln müßten.


Nun bin ich's ja mitnichten wert!

Darf Dich nicht Vater nennen,

Wirst mich, der alles hat verzehrt,

Nicht mehr als Sohn erkennen!

Wie soll ich's dann nur greifen an,

Wem, wie dann soll ich's klagen?[499]

Ach, ach! wer rät, zwar ist's schon spät,

Doch will ich nicht verzagen.


O stiller Mond, o Sterne still,

Laßt euch mein Elend dauern!

Bis mir mein Gott verzeihen will,

Helft klagen mir und trauern.

O Sternenpracht, die winkt und lacht,

Laß Trauer dich umfalten,

Und halt zur Nacht nur halbe Wacht,

Laß Finsternis halb walten.


Ja mehr noch, mehr noch, wollt' nur ganz

Die hellen Augen schließen,

Verlöschet allen Schein und Glanz,

Laßt keinen Strahl mehr schießen!

Zu Reu und Leid bin ich bereit,

Ade, Sonn', Mond und Sterne!

Im Büßerkleid, im Tränenstreit

Ich Spiel und Scherz verlerne.


Ade denn nun und noch einmal,

Ihr Lichter schön gezündet,

Ade, verlöschet jeden Strahl,

Es ist euch aufgekündet.

Vom Sonnaufgang bis Untergang

Will ich die Hände ringen,

Die Tage lang, die Nächte bang,

Will ich ein Klaglied singen.


In Finsternis gewunden ein,

So lang die Jahre währen,

Sei Speis und Trank mir nur allein

Der bittre Strom der Zähren,

Bis todeswärts mein krankes Herz

Auf Schmerz gebettet ruhe;

Ihm reicht' der Schmerz die Sterbekerz',

Ihm bau' der Schmerz die Truhe.[500]


In Schmerz und Qual und Traurigkeit

Soll hin mein Leben ziehen,

In Weh und Ach und stetem Leid

Soll meine Zeit entfliehen!

Am Felsenwall, am Wasserfall

Will ich mein Zelt aufschlagen,

Da sollen Schall und Echohall

Mit mir den Jammer klagen.


Der Seufzer und der Klagen Lauf

Soll meine Wunden mehren,

Die Bächlein sollen schwellen auf

Von meinen vielen Zähren!

Ich seufz' und wein' bis Baum und Stein,

Bis Fels und harte Eichen,

Durch heiße Pein der Tränen mein,

Erbarmen und erweichen!


Wer weiß, ob nicht der fromme Gott,

Die Gnadenbrust erschließe,

Wer weiß, ob nicht Herr Sabaoth

Das Gnadenmeer ergieße!

Geschrieben steht: »Wer glaubt, empfäht,«

Wer hoffend Buß will tragen,

Dem Gnad' ergeht, nie ist's zu spät!

Wer wollte denn verzagen?


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 497-501.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ausgewählte Gedichte
Märchen / Ausgewählte Gedichte (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Elixiere des Teufels

Die Elixiere des Teufels

Dem Mönch Medardus ist ein Elixier des Teufels als Reliquie anvertraut worden. Als er davon trinkt wird aus dem löblichen Mönch ein leidenschaftlicher Abenteurer, der in verzehrendem Begehren sein Gelübde bricht und schließlich einem wahnsinnigen Mönch begegnet, in dem er seinen Doppelgänger erkennt. E.T.A. Hoffmann hat seinen ersten Roman konzeptionell an den Schauerroman »The Monk« von Matthew Lewis angelehnt, erhebt sich aber mit seiner schwarzen Romantik deutlich über die Niederungen reiner Unterhaltungsliteratur.

248 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon