Kennst du das Land

[430] O wär' ich dieser Welt doch los

Los von den vielen Dingen

Und säß' in kühlem Felsenschoß

Zu schweigen oder singen,

Ja schweigen oder singen,

Oder was es soll sein,

Du müßtest vollbringen

Du wüßtest's allein.


Was soll ich mit der weiten Welt,

Sie ist so voller Sachen,

Mein eigen Haus ist schlecht bestellt,

Ich soll bei Fremden wachen,

Ja wachen oder hüten,

Ob auch beten dabei?

Wirst du mir vergüten

Man stellt es mir frei.


Ich schaudre bei dem bunten Kram

Von Anstand und von Lügen,

Ich muß die Wahrheit und die Scham

Mit Schicklichkeit betrügen,

Ja lügen oder trügen,

Der Tag bricht doch an,

Mit zürnenden Zügen,

Blickt Wahrheit mich an.


Hör' ich von einer groben Schuld,

So bebet meine Seele,

Ich ruf' o Jesus hab' Geduld,

Wenn tausendmal ich fehle,

Ja fehlen und dann zählen,

Macht auch eine Zahl,

Ich tu' es mit Wählen,

Der tut's auf einmal.[431]


Tagtäglich wecket mich dein Licht,

Doch will's in mir nicht tagen,

O Herr, die Stunde zum Gericht

Laß in der Nacht nicht schlagen,

Ja schlagen, auf dein Winken

Erbebet die Welt

Da werden zur Linken

Die Böcke gestellt.


O Herr, zuvor brich noch mein Herz

Brich es mit harten Schlägen,

Scheid aus in Glut das taube Erz,

Dein Bild ins Gold zu prägen,

Ja prägen und wägen,

Dein Kreuz und dein Bild,

Zum Himmel ein Segen,

Vor Hölle ein Schild.


Nimm doch den Zweifel ganz von mir,

Laß mich doch ganz vertrauen,

Und strafe meine Neubegier,

So viel umherzuschauen,

Ja Schaun und Begehren

Sind nahe verwandt,

Den Fingern zu wehren

Nimm ganz meine Hand.


Ist's wahr mein Herr, warst du mir nah,

Warum willst du dann scheiden,

Und war's mein Leid, als ich dich sah,

O Herr so gieb mir Leiden,

Ja leiden oder meiden,

Wer möchte das nicht,

Wenn Jesus zu beiden,

Ich liebe dich, spricht.


Was Finsternis empfangen will

In mir als einem Weibe,[432]

Mit deinem teuren Blute still',

Daß ich zum Licht auftreibe,

Ja treibe und bleibe

Am Kreuzbaum ein Blatt,

Dem heiligen Leibe,

Der Schatten nicht hat.


Was in mir aus der Schlangenbrut

Versuchend liegt gefangen,

Herr tilg mit deinem Fleisch und Blut,

Dies Drängen, Sehnen, Bangen,

Ja bangen und verlangen

Nach Früchten des Leibs,

Aufs Haupt tritt den Schlangen

Du Samen des Weibs!


Mir ist nach meiner Sündenzahl

Manch kleines Kreuz vonnöten,

Für jede böse Lust gieb Qual,

Sie kräftig zu ertöten,

Ja töten und quälen,

Wenn 's Herz übrig blieb

Soll dir es erzählen,

Wie sehr ich dich lieb'.


Weil Qual um Qual und Pein um Pein

Du auch für mich gelitten,

So will ich auch das Leiden mein

Recht nach und nach erbitten,

Ja bitten und ringen

Um langsame Not,

Und beten und singen

Und tragen zum Tod.


Noch will's nicht gehn, es ist mit mir

Gar hinderlich beschaffen,

Ich hab' nicht Zeit, die Welt steht hier,

Begaffet muß ich gaffen,[433]

Ja gaffen oder raffen

Es wird schier zu viel,

Im Heut wird geschaffen

Das Morgen, das Ziel.


Herr laß mich Waislein nicht getrennt,

Sieh wie die Schuld mich peinigt,

Gieb daß das heil'ge Sakrament

Der Buße ganz mich reinigt,

Ja reinigt und vereinigt

Dem Kirchenbrautleib,

Auf daß ich verdeinigt

Dir ewig verbleib.


O Herr, mein Gott, vollende doch,

O laß mich's doch erleben,

Häng tausend Leiden an mein Joch,

Dann will ich zu dir schweben.

Ja schweben oder ringen

Auf Flügeln der Not,

Auf schmerzenden Schwingen

Zum seligen Tod.


Dann weiß ich schon, ich kenne dich,

Dann wirst du mich nicht lassen,

Dein Engel wird noch treuer mich,

Als ich dich liebend fassen.

Ja fassen und tragen

Zum Vater und Geist,

Zu dir, dich zu fragen

Was alles du seist.


Ach Engel! und dann bitt' ich dich,

Laß mich die Mutter schauen,

Die also rein und jungfräulich

Des Herren Leib durft' bauen,

Ja bauen und pflegen

Und säugen das Heil[434]

Den himmlischen Segen,

Der mir ward zuteil.


In ihrem milden Augenstrahl

Da fließen süße Bronnen,

Da will von aller Erdenqual

Ich laben mich und sonnen,

Ja sonnen und laben

Und beten dazu,

Wie's Jesu will haben

In ewiger Ruh'.


Und wenn wir bei dem Heldenweib

Perpetua ankommen,

Umarm' ich ihren Marterleib,

Bis Sie mich heißt willkommen,

Ja willkomm o Freude,

O edelster Mund,

O küßt' ich dich heute,

Ich wäre gesund.


Ein Weilchen ich auch stehen muß

Und in das Antlitz sehen

Dem heiligen Vinzentius,

Um seinen Segen flehen,

Ja flehen und bitten

Für mich um das Heil,

Das weiblichen Sitten

Durch ihn ward zuteil.


Laß auch dem frommen König mich,

Der viel hat kämpfen müssen,

Dem treuen keuschen Ludewig

Den Pilgermantel küssen,

Ja küssen und grüßen

Der so überwand,

Daß man mich Luisen

Als Christin genannt.[435]

Auch zu dem starken Jungfräulein

Juliana laß mich gehen,

Den Satan band sie, ihre Pein

Mußt' er in Ketten sehen,

Ja sehen und gestehen

Was alles für Greul

Durch ihn ist geschehen,

Und fliehn mit Geheul.


Auch wünsch' ich mit Sankt Dorothee

In Demut zu liebkosen,

Daß sie zum Schmuck in Himmelshöh'

Mir schenk' von ihren Rosen,

Ja Rosen des Blutes

Ja Martergeduld

Zerstörten voll Mutes

Den Apfel der Schuld.


Sankt Katharin mit Rad und Schwert

Laß mich auch heiß umschlingen,

Die so viel Weise hoch gelehrt

Zum Glauben konnte zwingen,

Ja zwingen in Schlingen

Die Jesus ihr giebt,

Den sie zum Vollbringen

Des Todes geliebt.


Auch zeig' mir, kommen wir vorbei

Den Schutzherrn meines Knaben,

Ob's Rudolph oder Klemens sei,

Dem sie ihn übergaben,

Ja gaben und weihten

In weltlichem Sinn,

Wer nimmt von den beiden

Zum Mündel ihn hin.


Sankt Clemens hatte ich gemeint,

Der gütig heißt vor allen,[436]

Er ließ ja meinen armen Freund

Auch nicht dem Feind verfallen,

Ja fallen und verderben

Läßt Clemens ihn nicht,

Steht bei ihm im Sterben,

Und in dem Gericht.


Sag ist auch dieser Freund allhier

Fand mein Gebet Erbarmen,

Dann, lieber Engel zeig ihn mir,

Den sel'gen Tugendarmen,

Ja Armen, Elenden,

Der besser, als klug,

Ach wenn wir uns fänden,

Es wär' ihm genug.


Und dort, doch nein, laß uns geschwind,

Hin zum Erlöser wallen,

Es möchte sonst sein dummes Kind

In alte Fehler fallen,

Ja fallen, zu Gefallen

Den andern zu sein,

Umlaufen bei allen,

Ihn lassen allein.


O Seligkeit wenn zum Gericht

Ich rein und schuldlos bliebe,

Und zög' in meines Heilands Licht

Ach alle, die ich liebe,

Ja liebe und meine,

Nur der hat geliebt,

Nur der hat das Seine,

Der Jesu es giebt.


Drum mach von dieser Welt mich los

Los von den vielen Dingen,

Und laß mich Herr in deinen Schoß

All die ich liebe bringen,[437]

Ja bringen oder zwingen,

Oder wie es soll sein,

Du mußt es vollbringen

Du weißt es allein.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 430-438.
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