Lied von der Wüste

[349] Ich bin durch die Wüste gezogen

Des glühenden Sandes Wogen

Verbrannten mir den Fuß

Die Wolken haben gelogen

Es kam kein Regenguß.


O Sonne du trankst im Zorne

Das Wasser aus jeglichem Borne

An dem die Reise ruht,

Ich dürste, es trinken die Dorne

Mein siedend heißes Blut.


Aus zog ich mit sieben Kamelen,

Grub Wasser aus ihrer Kehle

Zu retten Weib und Kind,

Die Schätze an Gold und Juwelen

Begrub im Sande der Wind.[349]


Dann wühlt' ich mit glühendem Schwerde

Den Kindern ein Grab in die Erde,

Das Grab kein Brunnen ward,

Erwühlte mir keinen Quell,

Ob Gott sie wohl finden werde

Nachts brüllte die Tigerherde

Die Sonne brannte so grell.


Ein Kind, das lag unterm Herzen,

Das brach, die Mutter in Schmerzen

Gebar es sterbend dem Tod,

Es goß gleich glühenden Erzen

Die Sonne mir Licht in die Not.


Gern hätte ich Tränen getrunken

Die Augen weinten nur Funken,

Tief wühlt' ich ein Grab in den Sand,

Bin jammernd hinein mit gesunken,

Ach, weil ich kein Wasser fand.


Da ward ich zur wandelnden Leiche

Auf daß ich den Brunnen erreiche

Den letzten auf dieser glühender an, [sic]

Und wie ich so lechzend hinschleiche

Da brüllen die Tiger mich an.


Es brannte die glühende Schwelle

Des Tages, da kam ich zur Stelle,

Der Brunnen war drocken und tot,

Da schien bei Mitternacht helle

Der Mond wie mein Herzblut rot.


Das Ziel, ich fühlt' es gekommen,

Die glühende Leiter erklommen

Ich schrie zu dem bittern Stern

Der Herr hat gegeben, genommen

Gelobt sei der Wille des Herrn.[350]


Der Tod stieg auf aus der Wüste,

Und schauderte, da ich ihn grüßte,

Und floh, da rief ich ihm zu,

Daß einer hier sterben müßte,

Er sprach: nicht sterben kannst du.


Du kannst nicht sterben nicht leben,

Die ewige Ruhe nicht erwerben,

Der Durst ist unendlich in dir,

Dein Erbteil will ich nicht ererben

So sprach er und eilte von mir.


Da rauschte der arme Geselle,

Wüsteinwärts, der Mond schien helle

Der Sand schlug rasselnd um ihn,

Es traf mich die glühende Welle

Ach daß ich erblindet bin.


O Nacht ohn' Anfang und Ende

Kein Stern wohin ich mich wende,

Kein Bogen, kein Pfeil kein Ziel,

Da rang ich weinend die Hände,

Bis die Decke mir niederfiel.


Ich hörte ein Flügelpaar klingen,

Ich hörte ein Schwanenlied singen,

Ich fühlte ein kühlendes Wehn,

Und sah mit tauichten Schwingen

Ein Kind durch die Wüste gehn.


Und als ich sie begrüßte

Wohin du Engel der Huld in der Wüste,

Wo find' ich den Wasserquell,

Sie sprach, wer das nicht wüßte,

Der würde verdursten schnell.


Ich sprach du Engel der Wüste

Des Flügelwehen mich grüßte[351]

Wo find' ich Jerusalem,

Sie sprach, wer das nicht wüßte,

Käm' nie von Bethlehem.


Da kniete ich vor ihr nieder,

Sie legte ihr tauicht Gefieder

Wohl kühl um mein glühend Haupt,

Und sang mir die Pilgerlieder

Da hab' ich geliebt und geglaubt.


Da sah ich den Himmel wohl offen

Kühl kam herniedergetroffen,

Die himmlische Segensflut,

Da konnte ich endlich auch hoffen,

Auf meines Erlösers Blut.


Sie sprach wohin meine Reise

Du Blinder irrest im Kreise

Willst du auf Bethlehem zu,

Vergönne, daß ich dich hinweise,

Nach Babilon giengest du.


Es war wohl ein innerlich Sehen

Ein innerlich Auferstehen,

In mir selber stieg sie herauf

Das Leben das waren die Wehen

Das sie gebärend gekreißt.


Was ich verloren, begraben,

Was alles ich um es zu haben

Mit heißer Sehnsucht gesucht

Das sollte mich innerlich laben

In unverbotener Frucht.


Die Schimmer, die Lichter, die Farben,

Der Sehnsucht goldene Garben,

Der Duft die Sonne der Tau

Die einzeln erblindet mir starben,

Gott grüß dich mein geistlicher Pfau.[352]


Und alles was je ich gewesen

Konnt' ihr in der Seele ich lesen,

Konnt' vor ihr in Tränen vergehn,

Konnt' vor in Reue genesen,

Und unschuldig dann auferstehn.


Ich komme um dich zu heilen,

Der Herr wohl tausend Meilen,

Zu brechen mein Brot mit dir,

Den Becher auch mit dir zu teilen,

Wohlauf! wir bleiben nicht hier!


Da ward ich so seliges Schweben

Mein ringendes nächtliches Streben,

Ich habe des Herren Wort

Dein Herz hat Gott mir gegeben,

Ich bring' es mit meinem zum Port.


Ich sang, reich treulich die Hände,

Die Augen vor meinem wende

Mein Schwesterlein von mir

Bis hin zu meinem Ende,

Du ich, sind nun ein Wir.


Ein Tempel, wo wir nun knieen,

Ein Ort zu welchem wir ziehen

Ein Streit ein Siegespanier

Ein Himmel dir und mir.


So haben wir da gesungen

Und Arm in Arm geschlungen

Und Flügel in Flügelpaar

Uns über die Wiese geschwungen

Die ein Garten voll Segen war.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 349-353.
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