Nachklänge Beethovenscher Musik

[308] 1.

Einsamkeit, du Geisterbronnen,

Mutter aller heil'gen Quellen,

Zauberspiegel innrer Sonnen,

Die berauschet überschwellen,

Seit ich durft' in deine Wonnen

Das betrübte Leben stellen,

Seit du ganz mich überronnen

Mit den dunklen Wunderwellen,

Hab' zu tönen ich begonnen,

Und nun klingen all die hellen

Sternenchöre meiner Seele,

Deren Takt ein Gott mir zähle,

Alle Sonnen meines Herzens,[308]

Die Planeten meiner Lust,

Die Kometen meines Schmerzens,

Klingen hoch in meiner Brust.

In dem Monde meiner Wehmut,

Alles Glanzes unbewußt,

Kann ich singen und in Demut

Vor den Schätzen meines Innern,

Vor der Armut meines Lebens,

Vor der Allmacht meines Strebens

Dein, o Ew'ger, mich erinnern!

Alles andre ist vergebens.


2.

Gott, dein Himmel faßt mich in den Haaren,

Deine Erde zieht mich in die Hölle,

Gott, wie soll ich doch mein Herz bewahren,

Daß ich deine Schätze sicherstelle,

Also fleht der Sänger und es fließen

Seine Klagen hin wie Feuerbronnen,

Die mit weiten Meeren ihn umschließen;

Doch inmitten hat er Grund gewonnen,

Und er wächst zum rätselvollen Riesen.

Memnons Bild, des Aufgangs erste Sonnen,

Ihre Strahlen dir zur Stirne schießen,

Klänge, die die alte Nacht ersonnen

Tönest du, den jüngsten Tag zu grüßen:

Auserwählt sind wen'ge, doch berufen

Alle, die da hören, an die Stufen. –


3.

Selig, wer ohne Sinne

Schwebt, wie ein Geist auf dem Wasser,

Nicht wie ein Schiff – die Flaggen

Wechslend der Zeit, und Segel

Blähend, wie heute der Wind weht,

Nein ohne Sinne, dem Gott gleich,

Selbst sich nur wissend und dichtend

Schafft er die Welt, die er selbst ist,[309]

Und es sündigt der Mensch drauf,

Und es war nicht sein Wille!

Aber geteilet ist alles.

Keinem ward alles, denn jedes

Hat einen Herrn, nur der Herr nicht;

Einsam ist er und dient nicht,

So auch der Sänger!


4.

Nichts weiß ich von dir, o Wellington,

Aber die Welle

Tönt deinen Namen so brittisch.

Kleinod der Erde, England

Eiland, vom Meere gegürtet

Jungfräulich, Arche auf grünenden

Hügeln ruhend, der Sündflut

Bist du entrücket, dich lieb' ich,

Nicht um handelbequeme

Gestalt in mancher Vollendung,

Nein um dich nur, denn heilig

Sind wohl die Inseln. Die Sterne

Gürtet umsonst nicht das Blau,

Und die sehenden Augen,

Wunderinseln des Lichtes,

Schwimmen umsonst nicht im Glanz;

Was umarmt ist, ist Tempel,

Freistatt des Geistes, der die Welt trägt.

Wer möchte sonst leben?


5.

Wer hat die Schlacht geschlagen,

Wer hat die Schlacht getönt,

Wer hat den Sichelwagen,

Der über das Blutfeld dröhnt,

Harmonisch hinübergetragen,

Daß sich der Schmerz versöhnt?

Wen hat in heißen Tagen

Ein solcher Kranz gekrönt,[310]

Wer darf so herrlich ragen,

Von Sieg und Kunst verschönt.

Wellington in Tones Welle

Woget und wallet die Schlacht,

Wie eines Vulkanes Helle,

Durch die heilige Sternennacht.

Er spannt dir das Roß aus dem Wagen,

Und zieht dich mit Wunderakkorden

Durch ewig tönende Pforten.

Triumph, auf Klängen getragen!

Wellington, Viktoria!

Beethoven, Gloria!


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 308-311.
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