Nachtigall

[246] Sehnsucht, Schwermut, Wehmut,

O wie schwüle Gefühle fühle

Ich im kleinen Herzen,

Daß ich stolz in Demut,

Recht im Glutgewühle

Mir den Mut erkühle

Und in bittern Schmerzen

Süß kann scherzen,

O du Liebeswiderspruch!

Stummes Echo, segensvoller Fluch,

Feuer das erquicket, Luft die ersticket,

Wasser, das dürstend flehet,

Erde, die wie Luft und Feuer wehet.

O wie ist der Streit so geschwinde und gelinde,

Daß die Lust die Liebe finde, beide überwinde

Mit dem blinden Kinde Amor, der die Binde

Seiner Augen niederreißt im Siege,

Um zu schauen, wie die Lieb' der Lust erliege,

Daß das Leben sich zu beiden schmiege,

Und er sieht, der Kampf ist nur die Wiege,

Daß die weinende Sehnsucht schwiege

Und das neue Leben schaukelnd gaukelnd

Zu den Sternen fliege.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 246-247.
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