Nachtrag zum Weihnachtsliede

[592] 1834


Bescherung der Armen an die Wohltäterin


Das Mägdlein gieng zur Linde

Und seufzte gar betrübt:

Was schenk' ich nur dem Kinde,

Das mich so treu geliebt?


Da schwebte her zur Linde

Ein Engel lieb und rein[592]

Und Arme, Kranke, Blinde,

Die zogen hinterdrein.


Sie trugen in der Mitte

Wohl einen Weihnachtsbaum

Ganz nach der alten Sitte

Gleich einem Kindertraum.


Sie setzten's Bäumlein nieder

Vors arme Mägdelein,

Und sangen Dankeslieder

Und sprachen: das ist dein.


Was Gott dir hat gegeben,

Hast du mit uns geteilt,

Dein Lieben gab uns Leben,

Dein Heil hat uns geheilt.


Drum haben wir Elende

Am Fest uns auch geregt,

Den Dank der kranken Hände

Ans Kinderherz gelegt.


Leid ist's von dir mitleidet,

Schmerz ist's von dir gestillt,

Nacktheit von dir bekleidet,

Ist deiner Liebe Bild.


Da ward das Mägdlein stille,

Dacht': »o welch süßer Traum!

Jetzt in der Zeiten Fülle,

Welch reicher Weihnachtsbaum!


Will gleich dem Kind ihn bringen,

O das wird freudig sein.«

Da hob mit süßem Klingen

Sich sanft ein Stimmlein fein.[593]


Im Gärtchen sich erhebet

Von Wachs das Jesulein,

Und geht umher und lebet

Patscht in die Händlein klein.


Und spricht mit süßem Lachen,

Ach das ist doch was wert,

Ach was für schöne Sachen

Hat mir arm Lind beschert!


Was Armen sie gegeben,

Das all sie mir auch giebt,

O welch ein schönes Leben

Wenn Arm den Armen liebt!


Ja weil ich arm, so reichet

Der Armut sie, was mir

Und weil sie arm, so reichet

Die Armut mir, was ihr.


Nach diesen lieben Worten

Ist in dem Weihnachtsbaum

Ein Herz getröstet worden,

Traut seinen Ohren kaum.


Es dacht', der armen Linde

Ward ich vorm Jahr beschert,

Und drum dem Jesuskinde

Zu gleicher Zeit verehrt.


Und dieses hat gesungen

Das Herz im Weihnachtsbaum

Von Armendank umrungen

Lamm, Nüssen, goldnem Schaum!


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 592-594.
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