Worte am Hügel

[315] Ein Gelegenheitsgedicht an eine Familienmutter Fr.v.H. –


Herr, du hast mit vollem Blütensegen

Meines Lebens Frühling mir geschmücket,

Freudig hab' ich auf des Sommers Wegen

Goldne Früchte deiner Huld gepflücket,

Treibt der Herbst die Blätter mir entgegen,

Ist die volle Traube ausgedrücket

Zeig' ich in des heil'gen Weines Schein

Dir dein Ebenbild den Menschen rein.


Fromme Eltern hast du mir gegeben,

Und die klare Seele mir umwand

Lieblich leicht ein Leib zu Lust und Leben

Daß ich in dem schönsten Vaterland

Einer Hebe gleich umkränzt mit Reben

An des Rheines deutscher Woge stand,

Schönen Gartens, edlen Stammes Blüte,

War ich selig, Herr, durch deine Güte.


Und du führtest, Herr, auf sanftem Flügel

Mich die Jungfrau, wo mein Kranz entsprossen,

Hin zu meines Lebens frohem Hügel

Wo sich reich die Aussicht mir erschlossen,

Und des Heiles Quelle ohne Zügel

Sich in meines Lebens Tal ergossen,

Und des Hügels Lorbeern zu verschönen

Könnt' ich sie mit Myrtenkränzen krönen.[315]


Aus des eignen Lebens Frühlingstrieben

Sah ich edle Zweige mich umranken,

Kinder wurden mir, die treu mich lieben

Und dir, Herr, für ihre Mutter danken,

Töchter, welche Zucht und Künste üben,

Söhne, frei voll göttlicher Gedanken,

Und so blühet ewig unverloren,

Herr, dein Schatz mir neu aus mir geboren.


Alles, was ein Mutterherz ersehnen

Was getreue Sorge wünschen mag

Ihrer Lieben Leben zu verschönen,

Herr, durch dich mir vorbereitet lag,

Und so tritt mein Glück in edlen Söhnen

Und in frommen Töchtern hell zu Tag,

Reich bin ich, der Kinder Geist zu schmücken,

Die mich, Herr, durch deine Huld beglücken.


Und so seh' ich, Karl, den ernsten Jungen

Dort im Bilde sinnend, ernst und klug,

Er und deine Welt sind wohl gelungen,

Aber ihm scheint sie nicht gut genug,

Hat er erst sie in sich selbst errungen

Wird ein Lächeln wohl der trübe Zug,

Der ihn, wie des Fürsten Bild umschwebet,

Der umsonst nach einem Freund gestrebet.


Aber hier wie kühn, verliebt, schwermütig,

Jugendlich, erwartend, froh und träumend

Waffenlustig, launig, keck und gütig

Trotzt mein Clemens, sich mit Stahl umsäumend

Lieber Jüngling vor Frau Venus hüt' dich,

Deren Bild aus goldnen Bechern schäumend

Gern der Knaben trotz'ge Locken scheitelt,

Und der Stirne freien Plan vereitelt.


Und Marie blicket aus dem Bilde

Als ob höre sie des Engels Gruß,[316]

Also dacht' der Maler sich die milde,

Aber ich, ich wünsch' ihr einen Kuß

Von des Mondes zauberischem Schilde,

Daß sie liebend wiederküssen muß,

Könnt' ich ihre stillen Augen schließen;

Säh' ich vor Maria Heloisen.


Also dacht' ich, da in Dämmerungen

Mich die lieben Bilder rings umgeben,

Und da ist ein Saitenspiel erklungen,

Goldne Töne ernsthaft mich umschweben,

Wer hat also kühn den Klang geschwungen?

Wer mag also frei die Töne weben,

Aus den Tönen spricht ein heil'ger Wille,

Bist du es Nanny, meine Ernste, Stille?


Liebe Mutter, ja die Stille bin ich,

Aber, was da klinget, ist die Liebe,

Und weil sie so lieblich klinget, sinn' ich,

Ob wohl noch ein Ton unklingend bliebe.

Denn mein schweigend Herz liebt Gott so innig

Daß ich alles gern zu tönen triebe,

Ach zu Tönen, die allein unschuldig

Sagen, was die Lieb' der Liebe schuldig.


Also spricht ihr Spiel, und bricht in hellen

Freuden funkelnd aus und zierlich schlüpfet

Wie der Frühling von den Blumenschwellen

Fanny vor mir hin und kindisch hüpfet

In des zarten Leibes schönen Wellen

Unschuld, Anmut, Mutwill frei verknüpfet

Und die blonden seidnen Jugendlocken

Gaukeln um sie wie des Maies Glocken.


Und so kann ich schweigend selig lauschen,

Wenn des Lebens Wogen niedereilen

Wenn die Töne in die Nacht verrauschen,

Was da ewig ist, muß doch verweilen[317]

Herr, dann möcht' ich nicht mit Göttern tauschen,

Wenn die Kinder all ans Herz mir eilen

Und mich also innig kindlich lieben,

Weil ich, Herr, vor dir ein Kind geblieben.


Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 315-318.
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