Deutlichen.

[194] Ich wage ihn kaum zu beschreiben, vor ihm neigt sich die ganze Erscheinung, er ist die Wahrheit, die Güte, die Liebe, die ruhige Sorge, der Friede und der entsagende Fleiß, der von allen verstanden, geliebt und geachtet wird; in ihm und der Brünette, die ein inniges Bündnis mit ihm schloß, findet sich alles wieder, sie halten alles zusammen, sie durch Geist und Sinn, er durch Herz und Tat, und es ist wirklich viel, so viele zu vereinigen. Es ist ein Künstler in ihm verdorben, er hat viel Sinn für Gemälde und Zeichnung, und es ist rührend zu sehen, wie bei dem großen Mangel solcher Gegenstände um ihn sein Blick oft mit Aufmerksamkeit auf dem Basrelief seines Ofens oder auf der Arabeske seiner Papiertapete verweilt. Er hat unendlich[194] viel Sinn für Poesie, und ist es nicht viel, wenn ein Mann von sechsunddreißig Jahren, mit ungeheuren Geschäften und Familiensorgen beladen, über Tiecks Genoveva weinen kann, und wenn sein gutes Weib Tage nach der verflossenen Lektüre sagt: »Lieber, es ist kalt in der Stube«, daß er ihr antwortete: »Gute Frau, Genoveva hatte mit ihrem Bambino noch viel kälter im Walde, und jener schrie und war schon auf der Welt, deiner wärmt sich noch an deinem Herzen.« Es ist mir nicht sowohl für seinen Kunstsinn als für sein Herz bestimmend, daß unter so vielen gelesenen Gedichten gerade dies einzige wunderheilige ihn so ergriff – ich schicke dir es hier, du sollst es mit Tilien lesen im Walde.

Der Deutliche ist ein Kaufmann, ich habe viel von ihm gelernt; ich ende so, daß ich sage, jeder sollte in seiner Art sein, wie er, Liebe und Ernst zu dem Seinigen.

Sein Herz liegt seit kurzem an den tiefen, stillen Gründen des sanften, schlanken, weißen Bildes vor Anker – der kleine jaspisne Anker ist von ihm ausgeworfen worden, er hängt am Halse seines Weibes.

Jetzt wende ich mich zu dem

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 194-195.
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