Mariens Bild

[330] Im kleinen Stübchen, das von ihrer Seele

An reiner Zierde uns ein Abbild schenket,

Sitzt sie und stickt, den holden Blick gesenket,

Daß sich ins reine Werk kein Fehler stehle.


Was ihres Busens keuscher Flor verhehle

Und ihre Hand in stillem Fleiße lenket,

Die Lilie an ihrer Seite denket,

Das Täubchen dir in ihrem Schoß erzähle.


Durchs Fenster sehen linde Sonnenstrahlen,

Die Josephs Bild, das eine Wand bedecket,

Mit ihrem frohen Glanze heller malen,


Und wär der Schein der Taube zu vereinen,

Die sie herabgebückt im Schoß verstecket,

Marie würde Mutter Gottes scheinen.


Ich ging früh nach der Eremitage an meine Arbeit, und als ich zum Fenster hinausblickte, und die Fische in dem hellen Teiche munter hin und wieder spielen sah zu den Füßen des Marmorbildes, wünschte ich recht herzlich, auch nicht mehr von ihm zu wissen als so ein Hecht oder Karpfe, denn eine Geschichte aus bloßem Respekt gegen den Leser zu schreiben, ist unangenehm; überhaupt bin ich ein großer Feind von Arbeiten, wenn die anderen Geschöpfe alle zum frohen Müßiggange aufstehen. Die Vögel sangen, die Bäume säuselten, die Fische plätscherten im Wasser, und ich mußte schreiben.[330]

Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 2, München [1963–1968], S. 330-331.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter
Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter