Die Hyacinthe. Als Sein Gärtner Ihm bereits im Jenner einen Blumen-Topf mit schon aufgeblühten Hyacinten brachte

[454] Noch drücket ein versteinernd Eis

Die starre Fluth, die harten Felder;

Es sind annoch bereift und weiß

Die Wipfel der beschneiten Wälder;

Den Himmel deckt annoch ein falbes Dunckel-Grau;

Die Lüfte sind noch scharf und rauh,

Und du, frühzeitigs Blühmchen, dringest

Schon aus dem harten Staub' hervor?

Ich, den du fast samt dir verjüngest,

Bewundre deinen frühen Flor.

Du kannst und willt nicht länger mehr verweilen;

Man sieht dein zartes Laub und deine schöne Bluhme,

Zu deines grossen Schöpfers Ruhme,

Aus noch beeister Erden eilen.


Ach daß dein starcke Trieb, zu Gottes Ehr',

Auch mir ein reitzend Beyspiel wär'!

Ach möchte doch dein Laub auch mir zur Folge dienen!

Möcht' auch in mir ein reger Vorsatz grünen!

Ach möcht' auch ich so früh auf Gott allein

Der grünen Hoffnung Ancker gründen!

So würd' auch ich den warmen Sonnen-Schein

Von Seiner Gnade frühe finden![455]

Dein holdes Himmel-blaues Kleid,

Womit der Schöpfer dich so schön

Mit solcher Pracht geschmückt, mit solcher Lieblichkeit,

Erinnert, mich den Himmel anzusehn,

Erinnert mich, den Sinn vom Ird'schen abzulencken,

Und an des Himmels Herrn und Schöpfer zu gedencken.


Die Sternen-förmige Figur,

So ich an dein Bluhmen sehe,

Die leitet mich noch ferner auf die Spur

Zu jener hell-gestirnen Höhe.

Dein lieblicher Geruch erfüllt mir Hirn und Brust

Mit Balsam- dünstenden Vergnügungs-schwangern Geistern,

Die, durch recht unverhoffte Lust,

Sich fast der Seele selbst mit süsser Macht bemeistern,

Als welche schier im Anmuths-Meer versincket,

Wenn sie, recht wie berauscht durch des Geruches Kraft,

Den säurlich-süssen zarten Saft

Aus deiner frischen Blüht' Sapphirnen Kelchen trincket.

Woraus, indem sie unterwärts gekehrt,

Der trockne Saft sich stets ergiesset,

Und, sonder, daß sie ausgeleert,

Zu unsrer Lust beständig fliesset.

Die allersüssesten Tockayer-Reben

Vermögen nicht, dergleichen Kraft und Lust

Dem dürren Gaum' und unsrer matten Brust,

Durch ihren Nectar-Saft, zu geben,

Als dein gewürtzter Dunst, mit Balsam angemischt,

Mir mein benebelt Haupt erfrischt,

Und mein Gemüthe lab't und träncket;

So daß es sich entzückt zu deinem Schöpfer lencket,[456]

Dem Ursprung aller Lust, aus Dessen Lieb' und Kraft,

Was herrlich ist, entspriesst; Der alles Schöne schafft.


Ich wünsch', aus heissem Trieb' und froher Danckbarkeit,

Daß ich auch so, wie du, verbringe meine Zeit;

Daß, im Geruch der guten Wercke,

Mein Nächster, Gott in mir, wie ich in dir, bemercke;

Und er auch so durch mich, wie ich durch dich, gerührt,

Sein nur von Gott erhalt'nes Leben

Zu Dessen Ruhm mög' anzuwenden streben,

Dem ewig Ruhm und Preis gebührt.


Verblüh denn itzo nur, geliebtes Frühlings-Kind,

Mit Zierde, Lehr' und Lust erfüllte Hyacinth,

Und lege wiederum die zarte Schönheit nieder,

Das Bild der irdischen Vergänglichkeit und Pracht;

Verwelcke nur allmählig wieder;

Du hast allhier, was du gesollt, vollbracht.

Dein Zweck und deine Pflicht war, Gottes Macht zu zeigen,

Du hast, da du so schön geblühet und gegrün't,

Auf Leitern der Natur zu Gott zu steigen,

Als eine Sprosse, mir gedient.


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 454-457.
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