Die Trauben-Hyacinthe

[80] Angenehmes Frühlings-Kindchen,

Kleines Trauben-Hyacinthchen,

Deiner Farb' und Bildung Zier

Zeiget, mit Verwund'rung, mir

Von der bildenden Natur

Eine neue Schönheits-Spur.

An des Stengels blauer Spitzen

Sieht man, wenn man billig sieht,

Deiner sonderbahren Blüht

Kleine blaue Kugeln sitzen,

Dran, so lange sich ihr Blatt

Noch nicht aufgeschlossen hat,

Wie ein Purpur-Stern sie schmücket,

Man, nicht sonder Lust, erblicket.

Aber, wie von ungefehr

Meine Blicke hin und her

Auf die off'nen Bluhmen liefen,

Konnt' ich, in den blauen Tiefen,

Wie aus Himmel-blauen Höhen,

Silber-weisse Sternchen sehen,

Die in einer blauen Nacht,

So sie rings bedeckt, im Dunckeln,

Mit dadurch erhöhter Pracht,

Noch um desto heller funckeln.

Ihr so zierliches Gepränge,

Ihre Nettigkeit und Menge,

Die die blauen Tiefen füllt,

Schiene mir des Himmels Bild,

Welches meine Seele rührte,[81]

Und, durch dieser Sternen Schein,

Die so zierlich, rein und klein,

Mich zum Herrn der Sterne führte,

Dessen unumschränckte Macht

Aller Himmel tiefe Meere,

Aller Welt- und Sonnen Heere,

Durch ein Wort, hervorgebracht;

Dem es ja so leicht, die Pracht

In den himmlischen Gefilden,

Als die Sternchen hier, zu bilden.

Durch dein Sternen-förmig Wesen

Giebst du mir, beliebte Bluhme,

Dem, der Sterne macht, zum Ruhme,

Ein' Erinnerung zu lesen,

Daß wir seiner nicht vergessen,

Sondern, in den schönen Wercken,

Seine Gegenwart bemercken,

Seine weise Macht ermessen,

Und sie, wie in jenen Höhen,

So auf Erden auch, zu sehen.


Quelle:
Barthold Heinrich Brockes: Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem Irdischen Vergnügen in Gott. Stuttgart 1965, S. 80-82.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Irdisches Vergnügen in Gott
Irdisches Vergnügen in Gott: Erster und zweiter Teil
Irdisches Vergnügen in Gott: Dritter und Vierter Teil