1034. An Grete Meyer

[58] 1034. An Grete Meyer


Wiedensahl 17. Juli 1895.


Liebe Grete!

Man streut ja hübschen Kindern, wenn sie gescheidt und fleißig gewesen, gern etwas Zucker über den Reisbrei, um sie zu ermuntern, in den sogenannten häuslichen und bürgerlichen Tugenden, die bekanntlich meistens was einbringen, sich immer mehr auszubilden und so dem Ideale, dem hohen, herrlichen der Madam Davidis immer mehr ähnlich zu werden. Darum lob ich Dich gern; mit edlem Vorbedacht; in der festen Zuversicht einer ersprießlichen Wirkung.

Wie schön von Dir, daß du pflanzst und harkst und gießst; daß du trotz Wind und Regen die schmackhaften "Saubohnen" pflückst; daß du so freudig auf die kratzenden Küken achtest. Da Du sicher gleich eine schlaue Vorkehrung getroffen hast, damit diese Scharrvögel künftig nie mehr unter dem Drathgitter durchschlüpfen können, so will ich Dich wegen deiner Findigkeit nur schon jetzt getrost vorweg belobigen, ohne das Nähere zu wißen. Bravißimo!

Am schönsten war aber doch der, leider diesmal mißglückte, Versuch mit der leeren Butterdose. Jedenfalls, das trau ich Dir zu, wirst du ihn noch häufig wiederholen. Hie und da finden sich doch bescheidene Gäste, die es sich schweigend gefallen laßen, und auf die Art kannst du noch manchen werthen Klacks Butter ersparen.

Sparsamkeit, Geriebenheit, Betriebsamkeit, profitabel wie sie sind, gehören jedoch zu den bloßen Tugenden des Verstandes, des Kopfes. Vergiß darüber die Tugenden des Herzens nicht, sondern schreibe z.B. recht pünk[t]lich und liebevoll an deine Freundinnen und Freunde, unter letztern an deinen getreulichen Onkel

Wilhelm.


Tausend Grüße an Dich und Tante und Else. Meine herzliche Empfehlung an Herrn E. – Auch Frl. K. läßt Euch grüßen.

- Starken Wind, fast Sturm zu nennen, hatten wir hier und viel Regen dazu. Seit vorgestern Abend indeß ist der Himmel wieder klar geworden.[58]

Den alten Epheu hinterm Haus hat Sophiens Onkel Christian grade gerichtet und neu gepfählt und das Beet darunter fein zurecht gemacht für Maiblumen, die im September darauf sollen. – Auch hat Mauermeister Schär um die Regentonne her ein anderes Pflaster gelegt, daß man, hoff ich, jetzt immer trocken um [die] Ecke kann.

Heut Mittag giebt's die letzten Erbsen heuer. Frau Nickels ist eben dabei, die Beete zu säubern für den demnächstigen Braunkohl.


N.B. Du schreibst "Flochs", ich schrieb "Flox", der Botaniker schreibt "Phlox".


Nachschrift. Also an deinem Waldteich warst du noch nicht. Bei Walter Scott sitzt das Harfenfräulein am Waßerfall. Hoch über des Rheines Wellen singt die Lorelei. Könntest du nicht, der Bequemlichkeithalber, die Pumpe benutzen und flöten dazu?

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 58-59.
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