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[129] 1193. An Otto Nöldeke
Wiedensahl 11ten Juni 98.
Lieber Otto!
Mutter ist hoffentlich am Donnerstag Nachmittag gut in Leer angekommen. Obgleich Ostwind wehte, war es doch recht warm. Das ist es auch heute noch; doch gewittert es etwas. Sanfter Regen wäre für den Garten erwünscht, besonders da gegen Abend Kohl gepflanzt werden soll. – Die Bohnen sind zum Theil kümmerlich gekommen wegen der langen Kühle und Näße neulich. – Die Zwiebeln von euch stehen dagegen so gut, wie lange nicht. – Gurken habe ich viermal gelegt; das macht die Ungeduld; jetzt zeigen sich mehr als nöthig sind, aber Erdflöhe deßgleichen. – Die Erbsen sind stark von den Ratten verwüstet. Eine wurde von Nickels Ferdinand in der Falle gefangen; das hat, scheint's, an dieser Stelle geholfen. – Einen Maulwurf, als er die Blumenpflanzen auf der Rabatte hochbörte, trat ich mit dem Fuße fest. – Die Rosen hat der Sturm bös zerzaust. Wegen Regen und Sturm giebt's auch nur wenig Zwetschen.
Unsere Staare singen wieder lustig, nachdem sie ihre erste Brut zu Pfingsten mit vielem Lärm in die weite Welt geleitet haben. – Grad meinem Fenster gegenüber im Zwetschenbaum saß ein Finkennest mit Jungen, was ich vortrefflich beobachten konnte. Leider hat's die alte rothbunte Katze zerstört. – Die Vögel stehen früh auf und haben ihre Bauthätigkeit für den Tag beendigt, ehe die Faulpelze aus den Federn sind. So fand ich denn ein Hänflingsnest in der kleinen Hängeakazie an der Südwand des Hauses erst, als die alte schon saß, und vorhin entdeckte ich ein bereits leeres Zaunkönignest in den zusammengestellten Bohnenstangen. Täglich hatte ich es dicht vor der Nase gehabt, ohne es zu sehen; so schlau und unscheinbar war es angelegt.[129]
Wie geht's denn bei Euch, lieber Otto? – Ich bin gespannt, ob ihr von den bewußten "50 Kirschbäumen", wenn auch erst im nächsten Jahre, etwas pflücken werdet.
Leb wohl! Herzliche Grüße an Euch alle von deinem getr.
Onkel Wilhelm.
Annchen läßt ebenfalls grüßen. Sie macht ihr Sach vortrefflich.
Was habt ihr denn von Münster für Nachrichten?